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Andreas Monz leitet die Zentralabteilung in der Hessischen Staatskanzlei. Neben originären Verwaltungstätigkeiten werden dort wesentliche Themen der Staatsmodernisierung in Hessen inhaltlich gesteuert und für die Landesregierung aufbereitet. Andreas Monz ist Jurist und hat Verwaltungserfahrung von der kommunalen über die Landes- bis zur Bundesebene. Mehrere Jahre war er in koordinierender Funktion im politischen Bereich des Hessischen Landtags tätig. Er ist Fellow des Mercator Science-Policy Fellowship-Programms.
Eine inklusive digitale Hochschullehre gelingt nur, wenn Lehrende und andere Hochschulangehörige über die notwendigen Kompetenzen verfügen. Aber welche Fertigkeiten, Fähigkeiten und Einstellungen benötigen Beteiligte an Hochschulen für eine inklusive (digitale) Hochschullehre? Der Diskurs im deutschsprachigen Raum ignoriert einerseits die Notwendigkeit von spezifischen Maßnahmen, andererseits beschränken sich Empfehlungen für die Lehrpraxis oft auf die barrierefreie Gestaltung von Textmaterialien und Präsentationen. Daten und Informationen zu Weiterbildungsangeboten rund um das Thema „digitale Barrierefreiheit“ sind zudem rar. Bislang wurde weder systematisch untersucht, für wen in welchem Umfang entsprechende Weiterbildungen angeboten werden, noch wie das Thema „digitale Barrierefreiheit“ kommuniziert und welche Inhalte konkret vermittelt werden. Die wenigen vorliegenden Studien zeigen deutlich, dass die Inhalte häufig auf technische Aspekte reduziert werden. So wird aber ein falscher Eindruck von den Herausforderungen vermittelt. Wenn lediglich die technische Umsetzung gezeigt wird, bleibt der Eindruck, dass diese Maßnahmen nur für unmittelbar Betroffene ergriffen werden. Deshalb schließt der Beitrag mit dem Vorschlag, digitale Barrierefreiheit als sozio-technische Herausforderung zu begreifen. Die Entwicklung einer pädagogischen Kultur der Vermittlung von Barrierefreiheit kann dazu beitragen, die Qualifizierung von Lehrenden und anderen Beteiligte an Hochschulen in den Fokus der Diskussion um eine inklusive digitale Hochschullehre zu rücken.
Das Ziel dieser Forschungsarbeit war es, herauszufinden, welche Kriterien der Barrierefreiheit für digitale Bildungsmedien relevant sind und diese Kriterien in einer Matrix abzubilden. Zur Erreichung dieses Ziels wurden qualitative Interviews mit Lehrkräften und Expert*innen der digitalen Barrierefreiheit durchgeführt.
Die qualitativen Interviews haben gezeigt, dass eine individuelle Klassifizierung der Barrierefreiheits-Kriterien für digitale Bildungsmedien notwendig ist.
Bereits vorhandenen Konzepten fehlt es vor allem an Praxisnähe und konkreten Anweisungen. Zudem wurde deutlich, dass der Barrierefreiheit und Inklusion nach wie vor zu wenig Aufmerksamkeit in Deutschland zukommen.
Die Hochschulen sind rechtlich dazu verpflichtet, Studierende mit Behinderung nicht zu benachteiligen, wobei insbesondere Prüfungen für Studierenden eine hohe Relevanz haben. Vor allem bei digitalen Prüfungen ist es sinnvoll, diese proaktiv von vornherein barrierefrei zu gestalten und nicht nur im Nachhinein – im Rahmen des Nachteilsausgleichs – individuell anzupassen. Bei digitalen Prüfungen steigt die Bedeutung einer barrierefreien technischen und formalen Gestaltung. Zudem ist dies auch für Präsenzprüfungen relevant, da hier die Möglichkeit besteht, papierbasierte Prüfungen in digitaler Form barrierefrei anzubieten. Zusätzlich können didaktische und organisatorische Aspekte die Barrierefreiheit erhöhen.
Barrierefreiheit wird in der (Online-)Hochschullehre immer wichtiger. In diesem Beitrag wird aufgezeigt, welche barrierefreien Instrumentarien für Lehrkräfte möglich sind (1), wie sie einfach umzusetzen sind (2), welche Handlungsempfehlungen sich daraus ableiten lassen (3) und warum die Anwendung digitaler Barrierefreiheit als Schlüsselkompetenz für Lehrkräfte von großer Bedeutung ist (4). Dabei fließen die Erfahrungen der Autorin aus über 20 Jahren Online-Lehre mit ein.
Bildungsangebote müssen inklusiv gestaltet werden, um allen Interessierten gleiche Möglichkeiten der Teilhabe zu bieten. Der Digitalisierung der Lehre kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Trotz eines beträchtlichen Entwicklungsschubs in den vergangenen Jahren, vor allem aufgrund der Corona-Pandemie, stehen die Hochschulen in Deutschland jedoch vor zahlreichen Herausforderungen. Die Untersuchung hat zum Ziel, für Deutschland beispielgebende Lösungen in anderen Hochschulsystemen zu identifizieren. Hierfür wurden Webseiten U S-amerikanischer Hochschulen unter der Fragestellung analysiert, wie Informationsportale an U S-Hochschulen gestaltet sind und wo ein Transfer vorbildhafter Lösungen in den deutschen Hochschulraum sinnvoll und möglich ist. Der Autor untersucht mittels einer quantitativen Inhaltsanalyse die Webseiten zwanzig ausgewählter U S-amerikanischer Hochschulen. Neben konkreten Einzelbeispielen von Good Practice bei der Gestaltung webbasierter Informationsportale lassen sich Erfolg versprechende Strategien zum einen bei den sogenannten Ivy-League-Hochschulen erkennen, die ihre Informationsangebote stark an den Bedarfen der Studierenden ausrichten. Zum anderen zeigen die Webseiten von Hochschulen, die unter dem Aspekt Barrierefreiheit sehr gute Rankingresultate erzielen, dass ein vom Umfang her reduziertes, dafür aber inhaltlich kohärentes Angebot positiv bewertet wird. Schließlich gibt die Untersuchung Anregungen für eine Etablierung zentraler Informationsstrukturen im Bereich barrierefreier digitaler Lehre.
Barrierefreie Lehrmedien sollen allen Studierenden ein selbstbestimmtes Studieren ermöglichen, das sie an selbstverantworteten Bildungsprozessen teilhaben lässt. Die zur Gewährleistung der Barrierefreiheit benötigten Zusatzinformationen erfordern jedoch genuine Übersetzungsprozesse, die fachlich nicht vollkommen neutral sein können. An dieser Stelle fließen nicht von den Lernenden kontrollierte, fremde Vorentscheidungen und didaktische Überlegungen mit ein. Der Beitrag erörtert diesbezüglich die Vereinbarkeit von intellektueller Eigenständigkeit und Barrierefreiheit im Rahmen einer (bild-)theoretisch und philosophisch orientierten Grundlagenreflexion. Dabei spielt die Problematik von Bildbeschreibungen eine zentrale Rolle, die an einem geschichtswissenschaftlichen Beispiel erläutert wird. Der Beitrag skizziert mögliche Lösungsansätze und benennt Implikationen für Medienumsetzungsservices und die Inklusionsbemühungen an Hochschulen.
Der Deutsche Bildungsserver ist der zentrale Internet-Wegweiser zum Bildungssystem in Deutschland. Als von Bund und Ländern getragenes, nationales Webportal stellt er allen mit Bildungsthemen befassten Professionen sowie einer breiten Öffentlichkeit qualitativ hochwertige, redaktionell gepflegte Informationsangebote zur Verfügung. Die Linkempfehlungen beim Deutschen Bildungsserver greifen das Thema „digitale Barrierefreiheit weiterdenken“ auf
und liefern Hintergründe sowie weiterführende Informationen. Sie gliedern sich in drei Teile, die von Barrierefreiheit allgemein über Online-Lehre bis zu Inklusion im Hochschulalltag reichen. Zunächst werden übergreifende Informationen zu Barrierefreiheit sowie deren Rechtsgrundlagen gegeben. Es wird Bezug auf die Umsetzung der EU-Richtlinie zu Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (Barrierefreiheitsstärkungsgesetz) sowie auf die Barrierefreie- Informationstechnik-Verordnung genommen. Ziel ist die gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Teilhabe von Menschen mit Einschränkungen. Anschließend wird auf Anlaufstellen verwiesen, zu deren Aufgaben die Beratung zur Umsetzung von Barrierefreiheit gehört. Außerdem werden Einrichtungen und Projekte genannt, die Unterstützungstechnologien für barrierefreie Kommunikation fördern oder dazu forschen. Digitale Bildung eröffnet weitergehende Möglichkeiten der Inklusion auch an Hochschulen. Im zweiten Abschnitt wird ein Blick auf politische Hintergründe geworfen sowie auf die Rolle, die Digitalisierung, Inklusion und Diversität in hochschulpolitischen Diskussionen spielen. Es folgen Projekte und Aktivitäten an Hochschulen, die sich der Umsetzung praktischer Maßnahmen widmen. Schwerpunkt ist die barrierefreie Online-Lehre und die Entwicklung entsprechender Tools. Die Tipps und Hinweise sollen helfen, die Gestaltung digitaler Barrierefreiheit in der Hochschulbildung zu erleichtern. Den Abschluss bilden Praxisbeispiele zur digitalen Inklusion im (Hochschul-)Alltag. Vorgestellt werden Maßnahmen und Projekte, die es Studierenden erleichtern sollen, sich zurechtzufinden, sowie deren persönliche Erfahrungen. Verwendung finden verschiedene Formate, z.B. Audiobeiträge und Podcasts.
Barockrhetorik in Salzburg : zur Rolle der Benediktiner im frühneuzeitlichen Rhetorikunterricht
(2003)
Avian
(1978)
Die Wendung 'avant la lettre' führt mitten ins Epizentrum jener Fragen, die sich mit den derzeitigen Öffnungen und Umbrüchen in den Methoden der Begriffsgeschichte stellen. Sie gehört ins Register des Unübersetzbaren, auch wenn man sie in Barbara Cassins "Dictionnaire des intraduisibles" (2004) vergeblich sucht. Denn sie wird im Deutschen oder Englischen gleichbedeutend verwendet wie im Französischen. Es handelt sich zudem um eine metaphorische Formulierung - ein Tatbestand, der allerdings oft hinter ihrem fremdsprachlichen Charakter zurücktritt. Denn es wird nicht vielen bekannt sein, dass die Formulierung in ihrer wörtlichen Bedeutung dem Bereich der Drucktechnik entstammt. Und schließlich verweisen Modus und Bedeutungsgehalt von 'avant la lettre' auf Fragen, die mit dem Vorbegrifflichen oder aber dem Unbegrifflichen zusammenhängen.
Ich möchte in meinem Beitrag zeigen, daß der Verzicht auf den Autor […] sachlich unhaltbar ist. Auf der Grundlage intertextualitätstheoretischer Argumente läßt sich der Autor aus der Textinterpretation nicht verabschieden. Vielmehr bleibt er selbst in Fällen von extremer Intertextualität ein notwendiger (wenngleich nicht hinreichender) Bezugspunkt der Interpretation. Eine Intertextualitätstheorie, die elementare Voraussetzungen ästhetischer Sinnbildung erfassen will, muß am Autorbegriff festhalten. Um zu verdeutlichen, daß meine Kritik am Autorkonzept der poststrukturalistischen Intertextualitätstheorie über das Feld der Literatur hinausreicht, beziehe ich mich im folgenden auf Beispiele aus verschiedenen Künsten, nämlich auf die Skulptur „String of Puppies“ (1988) des amerikanischen Künstlers Jeff Koons und auf Peter Handkes Text „Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg am 27.1.1968“ (1969). Unbeschadet aller medialen und ästhetischen Unterschiede haben diese beiden Werke Eines gemeinsam: Aufgrund ihres hochgradig imitativen Charakters scheint das Konzept des Autors für die Erfassung ihrer Bedeutung keine Rolle zu spielen – jedenfalls nach Ansicht einiger Interpreten. Deshalb wirken sie auf den ersten Blick wie besonders überzeugende Belege für die poststrukturalistische These vom Tod des Autors.
In der Redeordnung des Memoriale stehen sich göttliches Wort, eigene und fremde Rede, Medium und Schreiber, Mund und Schrift, Körper und Passionen gegenüber. Unerhörter Anlass für die Abfassung dieses Memoriale ist die conversio der Angela, in der sie sich von ihrem irdischen Leben als Ehefrau und Mutter ab- und der Liebe in Gott zuwendet. Dabei ist das Memoriale, das diese Umkehr zur Darstellung bringt, nicht aus der Aktualität einer drängenden Situation geschrieben und dokumentiert deshalb keine autobiographische Unmittelbarkeit. Wie bei Augustinus ist das Schema der conversio das der Nachträglichkeit: Erst aus dieser Perspektive kann das Ganze überhaupt zur Darstellung gebracht werden. Im Unterschied zur sorgfältig narrativ ausgefeilten, autobiographische Züge tragenden Bekehrung von Augustinus ist das dabei Besondere dieser conversio, dass sie nicht von eigener Hand verfasst ist: Angela diktiert ihre Bekehrung ihrem Beichtvater, woraufhin dieser mit der Niederschrift zugleich das Gehörte ins Lateinische übersetzt. Wenn der Beichtvater das Bekenntnis direkt von ihrem Mund abschreibt, fallen Beichte und Bekenntnis zusammen, damit aber nicht das Subjekt der Rede und der Verfasser. Die von Angela leidenschaftlich erfahrene Liebe zu Gott steht im Zeichen der Autorität nicht nur der Kirche und der Patristik, sondern auch der Schrift. Angelas Rede ist die der Anderen. Das Memoriale wird im Nachzeichnen ihrer conversio aber nicht zum einfachen Ausdruck laienhafter volkssprachlicher Sakralität, sondern ist diskursive Strategie und performative Ökonomie der Sakralisierung. Die Übertragung des Gottesbegehrens Angelas in die Schrift erweist sich als Kontrafaktur und Transformation der Bibel. So sehr diese Konstellation von beichtender Konvertitin und schreibendem Beichtbruder in den historischen Moment der Entdeckung einer weiblichen spirituellen Empfänglichkeit im 13. Jahrhundert passt, so sehr findet sich hierin die Moderne wieder: mit Clemens von Brentano oder Urs von Balthasar, die von den weiblichen Lippen die göttlichen Offenbarungen ablauschen, die ihnen selbst nicht zuteil werden.
[Volker Mertens greift] (…) auf die von Rainer Warning formulierte „doppelte Rollenhaftigkeit“ des lyrischen Ichs zurück (…), [die er] Performanz-Ich und Text-Ich (…) [nennt]. (…) Beide Ichs stehen in Spannung zum (biographischen)Autor (…), wobei seine Nähe zum Performanz-Ich dann besonders groß ist, wenn er selbst als Sänger seiner eigenen Lieder auftritt. Der Autor ist in hohem Maße sozial eingebunden, das Performanz-Ich fügt sich in eigene Traditionen und Konventionen, besitzt aber weitgehende Lizenzen im Vergleich zur sozialen Realität; am freiesten von äußeren Bedingungen ist das Text-Ich. Ein Beispiel aus Walthers Minnesang kann das verdeutlichen (…).
"Die Traumspiele der Weltliteratur sind Gedankenspiele" schreibt Arno Schmidt in seinen Berechnungen. Und er fährt fort: "Was man nämlich im allgemeinen einen 'Träumer' schilt ist in Wahrheit weiter nichts, als ein süchtig-fauler Gedankenspieler". Bereits Freud weist in seinem Aufsatz über den "Dichter und das Phantasieren" darauf hin, daß der Dichter ein "Träumer am hellichten Tag" sei und seine schöpferische Phantasie "Tagtraum".
Ich möchte im folgenden der Frage nachgehen, inwiefern Traum und Gedankenspiel nicht nur als Verfahren auktorialer Text-Konstruktion, sondern auch als Prozeß lesender Text-Rezeption gefaßt werden können. Mit Bezug auf den amerikanischen Philosophen und Semiotiker Charles Sanders Peirce möchte ich überlegen, inwiefern das Gedankenspiel der Logik des Lesens zugrunde liegt – und inwiefern sich Schmidts Überlegungen zum "Längeren Gedankenspiel" nicht nur als Konzept für "neue Prosaformen" deuten lassen, sondern auch als Konzept neuer Lektüreformen.
Ziel des Artikels ist es, die Produktivität der Transformationstheorie, die am Berliner SFB 644 "Transformationen der Antike" zur Analyse kulturellen Wandels entwickelt wurde, zu belegen. Zu diesem Zweck werden Phänomene des kulturellen Wandels in den Wissenskulturen des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit untersucht. Aus der Sicht der Berliner Transformationstheorie ist ein hervorstechendes Charakteristikum kulturellen Wandels seine allelopoietische Struktur: Jede kulturelle Transformation setzt sich aus bidirektionalen, interagierenden, reziproken Phänomenen des Wandels in einer Aufnahmekultur und einer oder mehreren Referenzkulturen zusammen. Der Artikel behandelt deshalb soziale, epistemische und lehrende Praktiken und bezieht sich dabei zuvorderst auf 'convivia' und Akademien, Autopsie als besondere wissenschaftliche Methode und Disputationen und Deklamationen als akademische, universitäre Praktiken im 16. Jahrhundert. In all diesen Bereichen werden die Transformationen in einem andauernden Kampf um kulturelle und soziale Geltung verwirklicht, die durch die 'agency' einer Vielzahl vielfältiger Akteure und Agenten (wie Medien, Gattungen usw.) beeinflusst werden.
Anhand des wissenschaftsphilosophischen Sachbuches "Der Baum der Erkenntnis" ("El árbol del conocimiento"), das in den 1980er Jahren von den chilenischen Biologen und Neurowissenschaftlern Humberto Maturana und Francisco Varela in spanischer Sprache veröffentlich wurde und für den Soziologen Niklas Luhmann zu einem wichtigen Standbein seiner Theorie der Gesellschaft und der sozialen Systeme wurde, soll gezeigt werden, wie einerseits Selbstübersetzung von der Wissenschaft in die Öffentlichkeit und andererseits Fremdübersetzung von der einen Sprache in die andere - in diesem Fall aus dem Spanischen ins Deutsche und Englische - Interferenzen und Reibungen innerhalb des Wissenstransfers produzieren. Zunächst soll ein Überblick über die unterschiedlichen Formen des Popularisierens als interdiskursive Selbstübersetzung gegeben werden. Im zweiten Teil wird dann die interlinguale Übersetzungsleistung diskutiert, die das spanische Original durch jeweils andere Sprach- und Forschungskontexte leicht verändert und dem fremdsprachigen Begriffsrepertoire einverleibt. Zuletzt soll in einem dritten Teil mit Rückgriff auf Luhmann das Prinzip der Autopoiesis als ein Prozess ausgewiesen werden, der bereits in "El árbol del conocimiento" nicht einfach als ein Wissenstransfer zu verstehen ist, sondern als ein Transfer der Bedingungen, wie Wissen im Übersetzen vom Übersetzen entsteht.
Die Theorien der Autopoiese und der Synergetik werden oft synonym als Selbstorganisationstheorien aufgefasst, obwohl es gravierende Unterschiede zwischen beiden gibt, die das konzeptionelle Verständnis von 'Selbstorganisation' betreffen. Die auf die Kybernetik zurückgehende Autopoiese beschäftigt sich mit der Selbsterhaltung und der Selbstreproduktion von Systemen, die Synergetik dagegen ist eine ¬Theorie für die ursprüngliche Entstehung von Systemen und die Emergenz von Systemeigenschaften. Was sie eint, ist der universelle Geltungsanspruch, den die Begründer für ihre ¬Theorien erheben, der jedoch naturgemäß nicht eingelöst werden kann. Im Folgenden soll ausgehend von der Genese des Begriffs 'Selbstorganisation' die Entwicklung systemischer Ansätze nachvollzogen und deren modellierendes Potential herausgestellt werden.
Autonomie
(2018)
Bei 'Autonomie' handelt es sich um einen alten Begriff mit altgriechischen und lateinischen Wurzeln, der in der Moderne zu einem politischen Schlüsselbegriff geworden ist. Parallelausdrücke wie 'Selbstbestimmung', 'Selbständigkeit', 'Eigengesetzlichkeit', 'Mündigkeit', 'Unabhängigkeit', 'Autarkie' sowie Komplementär- und Gegenbegriffe wie 'Heteronomie', 'Fremdbestimmung', 'Abhängigkeit', 'Bevormundung' verweisen auf ein weitverzweigtes Wortfeld ('Prädestination-Willkür', 'Determinismus' bzw. 'Naturalismus-Freiheit', 'Dogmatismus-Kritizismus', 'Realismus-Idealismus', 'Transzendentismus-Immanentismus', 'Autarkie-Interdependenz' bzw. 'Globalisierung') mit langer (Verflechtungs-)Geschichte. Der Begriff zirkuliert heute als Nomaden- und Grenzgängerbegriff in verschiedensten, einander gegenseitig befruchtenden Feldern (Politik, Pädagogik, Kunst, Kultur, Ökonomie, Medizin, Ökologie, Robotik etc.). Er interagiert als interdisziplinärer oder transversaler Verbundbegriff in seinen jeweiligen Vernetzungen mit anderen (wie z. B. Identität) und fördert wechselseitige Übertragungen zwischen ethisch-politischen und anderen Semantiken.
Eine Möglichkeit, über Autobiographie in theoretisch-systematischer Hinsicht nachzudenken, ist, sie zwischen Geschichtsschreibung und Literatur zu verorten. Dies ist jedoch keinesfalls zwingend, d.h. damit soll keine ontologische Gattungsbestimmung vorgenommen werden. Autobiographische Texte verstehen sich nicht per se als historiographische Dokumente, auch wenn Historiker / innen sie in diesem Sinne lesen mögen, während sich die literaturwissenschaftliche Aufmerksamkeit auf das textuelle Vermittlungsmedium historischer Selbst- und Weltentwürfe richtet.
Dass Autobiographien, wie bereits der Begriff ,Autobiographie' zum Ausdruck bringt in aller Regel geschrieben sind und damit Akte des Schreibens repräsentieren, wird in der Autobiographieforschung nicht immer, verstärkt jedoch im 20. Jahrhundert reflektiert. Auch wenn die folgenden Ausführungen zum autobiographischen Schreiben weniger der anwendungsorientierten Perspektive der zugrunde liegenden Vorlesungsreihe "Schreiben im Kontext von Schule, Universität, Beruf und Lebensalltag" folgen, so soll doch die Aufmerksamkeit auf eben dem Aspekt des "Schreibens" bzw. des "Geschriebenseins" liegen und zwar in autobiographietheoretischer Hinsicht als auch im Blick auf konkrete autobiographische Textbeispiele.
Autobiografie und Geschlecht
(2006)
Felicitas Hoppes fiktionale Biografie 'Hoppe' (2012) soll [...] im Folgenden als Text vorgestellt werden, der das Spiel mit gesellschaftlichen und literarischen frames zu einem zentralen Gestaltungselement erhebt [...]. Die Kompromittierungen sozialer Erwartungsrahmen gegenüber Autorschaft und Autorperson, literarischer Fiktionalität und außerliterarischer Realität sowie zwischen Roman und Biografie lassen sich dabei als 'Sprünge' zwischen verschiedenen 'Rahmungen' beschreiben. Die zentrale Frage, ob moderne Ästhetik Einfluss auf die 'wirkliche Welt' nehmen kann, beantwortet Hoppe somit einerseits durch eine Art Rückeroberung und Wiederverrätselung der allzu 'öffentlich' gewordenen Autorinstanz und -biografie und andererseits durch ein Lektüreangebot, das den Leser in produktive Distanz zu gängigen Rahmungen setzen soll. Eine Schlüsselrolle spielen dabei Formen der literarischen Selbstthematisierung. Zunächst sollen zu diesem Ziel einige Aspekte der Goffman'schen Soziologie kurz rekapituliert werden.
Denkmäler sind eigentlich Manifestationen des kulturellen Gedächtnisses, das immer auch ein kollektives Gedächtnis ist. Gerz versucht hingegen in seinen unsichtbaren Mahnmalen, Orte des individuellen Gedächtnisses zu schaffen. Gegen die traditionellen Denkmäler mit ihrer positiven Materialität stellt Gerz seine Mahnmale, die, in Harburg und im Berliner Projekt, den Besucher zum Mitautor machen und, in Harburg und Saarbrücken, genau in dem Moment unsichtbar werden, wenn die Besucher sich nicht mehr selber mit ihrer Unterschrift am Denkmal beteiligen können.
[E]in genauerer Blick auf 'Schindler's List' [kann] den skizzierten Tenor der deutschen Rezeption, es handele sich um einen ,,zutiefst unideologischen Film" […] von quasi-dokumentarischer Authentizität, nicht bestätigen […]. Weder ähnelt der Film in seiner Gestaltung einem dokumentarischen Darstellungsstil, noch ist er historisch getreu. Vielmehr versucht Spielberg das Dilemma einer künstlerischen Gestaltung des Holocaust zu lösen, indem er das historische Material […] zu schematisierten Formen von Erfahrung [bündelt], deren stereotype Prägnanz und kalkulierte Wirkungskraft zu einer gewissen Enthistorisierung des dargestellten Geschehens führen. [Dies] zielt auf eine kathartische Teilnahme am Schicksal der Protagonisten, auf identifikatorischen Jammer und anteilnehmenden Schauder […], eine besondere, ästhetische Form der Lust. […] Einige Kritiker des Films haben ihn deswegen als "seelische Schnell-Reinigung, als Instant-Absolution, als Gefühls-Quickie" kritisiert […], andere sahen darin gerade den "Geniestreich" Spielbergs, weil so "das von Schindler Vorgelebte und im Film Vorgeführte zum Vorbild wird". […]. Man kann diesen Konflikt […] als Ausdruck einer allgemeineren kulturellen Situation beschreiben: Der weltweite Erfolg der Authentizitätsfiktion von 'Schindler's List' wäre dann Folge einer distanzierteren kulturellen Haltung gegenüber dem Holocaust, die nicht den Authentizitätskriterien solcher Zuschauer genügt, die persönliche Erfahrungen mit dem Holocaust verbinden.
Fazit Die vorliegenden Ergebnisse machen deutlich, dass psychische Gesundheit und ihr Bestandteil allgemeines Wohlbefinden, Ergebnis eines komplexen Wechselwirkungsprozesses zwischen arbeitsbedingten und allgemeinen Belastungsfaktoren in der Umwelt, persönlichen Ressourcen und den entsprechenden Nutzungskompetenzen darstellen. Gerade persönliche Faktoren wie Kohärenzsinn, Rollenwahrnehmung, Werte und Einstellungen, beeinflussen den Umgang mit Belastungen und sind an der Entstehung psychischer Beanspruchungen und Erkrankungen beteiligt. Psychische Beanspruchungen können Vorboten langfristiger psychischer Erkrankungen sein und damit sowohl hohe betriebliche als auch gesundheitliche Kosten verursachen. Die Belastung mit Disstress beispielsweise, ist maßgeblich beteiligt an der Herausbildung psychischer Erkrankungen wie Depressionen, dem Bum-Out-Syndrom und Angststörungen (vgl. BKK 2006b, S. 6), die einen Grossteil der betrieblichen Fehlzeitenkosten ausmachen. Mit einer Zunahme von Stress und ähnlichen Belastungen, sowohl im Privat- als auch im Berufsleben, ist auf grund der gesamtgesellschaftlichen Veränderungen auch in Zukunft zu rechnen. Da Erwerbstätige einen Großteil ihrer Zeit am Arbeitsplatz verbringen und gerade in der Arbeitswelt vermehrt Belastungen auftreten, ist es notwendig auch dort an der Belastungseinschränkung und Ressourcenförderung mitzuarbeiten. Neben der individuellen Verhaltensprävention ist damit auch die Verhältnisprävention, die betriebliche Verhältnisse gewichtet und verbessert, ein wichtiges Instrument auf dem Weg zu einem erfolgreichen Programm zur betrieblichen Gesundheitsfdrderung. Die Verhältnisse im Betrieb können am effektivsten von den Betriebsangehörigen selbst beurteilt werden, da diese die Verhältnisse am besten kennen. Konkrete Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung, die sowohl die Verhaltens- als auch die Verhältnisprävention berücksichtigen, sind folglich mit den Betriebsangehärigen zu erarbeiten. Eine funktionierende betriebliche Gesundheitsförderung muss soweit wie möglich, entsprechende Anreize zur Teilnahme setzen, die Menschen in ihren Lebensbereichen ansprechen und zu gesundheitsförderlichem Verhalten motivieren (vgl. Otte 1994, S. 29-33). Nur wenn Verhaltens- und Verhältnisprävention Hand in Hand gehen, können Synergieeffekte genutzt und ganzheitliche Erfolge erzielt werden. Eine Sensibilisierung der Verantwortlichen der betrieblichen Gesundheitsiförderung, für die aufgeführten Entwicklungstendenzen und deren Bedeutung für das gesamte Unternehmen, verbessert die Chancen der Implementierung nachhaltiger Maßnahmen der Gesundheitsförderung. Die durchgeführte Gesundheitsbefragung in einem mittelständischen Bielefelder Unternehmen bietet damit einen ersten Ansatzpunkt für den Aufbau einer zielgruppenspezifischen betrieblichen Gesundheitsförderung. Mit einer anschließenden Evaluation des Projektes und der Herausbildung entsprechender Kennzahlen erhält der Betrieb wichtige Anknüpfungspunkte für ein nachhaltiges Gesundheitsmanagement im Rahmen der Organisationsentwicklung. Beispielsweise in Form des Aufbaus einer Psychische-Belastungs-Balanced-Scorecard rüstet sich das Unternehmen somit für die neuen Herausforderungen, die sich aus den gesamtgesellschaftlichen Veränderungen ergeben.
Austreibung der Schatten? : die fröhliche Wissenschaft gegen ihre neuen Bewunderer verteidigt
(2017)
Christine Blättler geht in ihrem Beitrag über die "fröhliche Wissenschaft" der Frage nach, warum der Anthropozentrismus derzeit so breit kritisiert wird. Sie will damit anthropozentrische Annahmen nicht verteidigen, sondern auf die unhinterfragten und unbemerkten Verschiebungen in der Anthropozentrismuskritik hinweisen. Habe sich die Rede von einem "Ende des Menschen" im Anschluss an den Philosophen Michel Foucault zunächst gegen ein reduziertes Bild des Menschen in der Moderne gerichtet, sei Anthropozentrismuskritik heute etwa in ökologischen Diskursen als sehr affirmativ zu beurteilen, wenn ein optimaler Zustand der Welt tatsächlich vollständig ohne den unklug handelnden und zerstörerischen Menschen gedacht werden solle. Insgesamt macht sich Blättler mit Nietzsche und Spinoza, dessen Conatus sie um einen negativen Aspekt ergänzt, für das Denken einer offenen Zukunft stark.
Mitte des 18. Jahrhunderts versuchten Vertreter der französischen Kunstkritik und Ästhetik die Sprachen des visuellen Ausdrucks, die man aus dem vorausgegangenen Jahrhundert und insbesondere den durch Charles Le Brun (1619–1690) formulierten Prototypen des Ausdrucks übernommen hatte, zu modifizieren und umzuformulieren. Im Mittelpunkt dieses Prozesses der Umformulierung stand die zunehmend populärer werdende Idee des 'Natürlichen'. Der Begriff 'Ausdruck' bezieht sich hier besonders auf die Darstellung der Gesichter und Körper gemalter menschlicher Figuren, und dabei vor allem auf die Konfiguration der Gesichtszüge, der Körperhaltungen und Gebärden. Die Suche nach neuen oder modifizierten Ausdrucksformen trat besonders deutlich bei den Genrebildern zutage, also Gemälden, die Szenen aus dem zeitgenössischen Alltagsleben darstellten und traditionell mit der Erwartung eines stärkeren Naturalismus verbunden waren. Als Ort des visuellen Ausdrucks nahmen Genrebilder einen bestimmten Punkt innerhalb eines breiten Spektrums gegensätzlicher Konzepte im zeitgenössischen ästhetischen Diskurs ein, und ihr Verhältnis zu den rhetorischen Ausdrucksformen der Historienmalerei war häufig problematisch. Die einschlägigen Begriffe im zeitgenössischen ästhetischen Diskurs, zwischen denen die Genremaler ihre Werke zu positionieren versuchten, waren Manierismus und Natur, Unangemessenheit und Schicklichkeit, das Erhabene und das Pathetische, expliziter und suggestiver oder 'offener' Ausdruck. Es handelte sich um eine Frage des visuellen Tons oder Registers, die häufig durch die intellektuellen, moralischen und sozialen Ambitionen der präsentierten Genremalerei und durch die erwünschte Beziehung zum Betrachter geklärt wurde. Das Ausdrucksregister war weniger vielfältig bei Gemälden, die primär dem Ziel der Unterhaltung oder Verzierung dienten, weniger imposant oder explizit bei denjenigen, die eher den interpretatorischen und moralischen Fähigkeiten der Öffentlichkeit vertrauten, und wesentlich größer bei denjenigen, die versuchten eine anspruchsvolle moralische Botschaft zu vermitteln.
Um diese Suche nach einem angemessenen moralischen und ästhetischen Register zu veranschaulichen, werde ich mich auf die Salonkritiken Denis Diderots (1713–1784) aus der Mitte der 1760er Jahre, auf einige der von ihm besprochenen Genrebilder sowie auf das Schaffen und die theoretischen Schriften Michel François Dandré-Bardons (1700–1783) beziehen, dessen Ausdruckslehre die Académie royale in Paris in der Jahrhundertmitte (1752–1755) beherrschte.
Vor dem Hintergrund historischer wie aktueller Theoriebildung in den Sozial- und Kulturwissenschaften ist die Kategorie 'Ausdruck' ebenso fundamental wie obskur. Der Ausdrucksbegriff ist ausgesprochen vieldeutig, die Verwendung des Terminus in den jeweiligen Theoriesprachen uneinheitlich und seine theoriestrategische Platzierung durch die je verschiedenen Erkenntnisinteressen überaus heterogen bestimmt. Die erneute Konjunktur des Ausdrucksdiskurses dürfte sich indessen nicht nur einem breiten Interesse an der Materialität der Kommunikation verdanken, sondern auch der zunehmenden Skepsis gegenüber kognitivistisch verkürzten Konzepten des Geistes, die den aktuellen Lektüren Heideggers, Wittgensteins, Merleau-Pontys u.a. im praxeologischen Lager erwachsen. [...] Ich werde zunächst kurz begründen, warum der Ausdrucksbegriff für die sozial- und insbesondere kommunikationswissenschaftliche Theoriebildung so grundlegend ist. Voraussetzung der Freilegung dieser Fundamente ist allerdings die Verabschiedung cartesianischer Positionen innerhalb des Ausdrucksdiskurses sowie die Einsicht in den performativen Charakter des Ausdrucks als situierte Ausdrucksbewegung. Von dort ergeben sich dann entsprechende Einsichten in den Zusammenhang von praktisch vollzogenen Ausdrucksbewegungen und ihren Vergegenständlichungen, an denen sich dieser Vollzug orientiert. Vor diesem Hintergrund sollte einsichtig werden, dass man das die Geistes- und Sozialwissenschaften von je her beschäftigende Verhältnis von Performanz und Objektivation schließlich auch an Ausdrucksphänomen rekonstruieren kann.
Der Begriff der 'Ausdrucksästhetik' entstammt nicht dem 18. Jahrhundert, das selbst nur die beiden Elemente des Kompositums, also 'Ausdruck' und 'Ästhetik' hervorbrachte. Die Genese des Begriffs ist in der Forschung bislang noch nicht aufgearbeitet worden. Das ist paradox, weil es der zentralen Bedeutung des Konzepts für die Ästhetikgeschichtsschreibung der Aufklärung entgegen läuft. 'Ausdrucksästhetik' scheint im wissenschaftlichen Sprachgebrauch eines jener Begriffsphantome zu sein, die zwar ständig benutzt, aber kaum je eingehender bestimmt worden sind.
Ausdruck und Verkörperung : Fritz Kortners Überlegungen zu Stimme und Geste in Film und Theater
(2013)
Bertolt Brecht hat in seinem 'Arbeitsjournal' aus dem kalifornischen Exil die Schwierigkeiten eines seiner Bekannten, des Schauspielers Fritz Kortner (1892−1971), in den Filmstudios von Hollywood beschrieben: "Kortner kann keine rolle bekommen. eisler erzählt, daß die leute in RKO [Radio Keith Orpheum, eine amerikanische Radio- und Filmgesellschaft] bei der Vorführung von Probeaufnahmen laut gelacht hätten: er habe mit den augen gerollt. nun ist eigentliches spiel hier verpönt, man gestattet es nur den negern. die stars spielen nicht rollen, sondern kommen in "situationen". Ihre filme bilden eine art von comics (abenteurerroman in fortsetzungen), welche einen typ in vielen bedrängnissen zeigen (selbst die wiedergabe der story in der presse sagt etwa: gable haßt garbo, hat aber als reporter … usw.). aber gerade seine arbeitslosigkeit veranlaßt k[Kortner], sogar im privatleben sehr viel mehr zu spielen, als er es je auf der bühne tat. ich sehe ihn mit einem gemisch von heiterkeit und entsetzen eine einfache erzählung unbedeutender vorgänge mit einem unmaß von gestik und "ausdruck" vortragen." Diese Eintragung Brechts aus dem Jahre 1942 ist über den anekdotischen Anlass hinaus aufschlussreich. Brecht notiert die unterschiedlichen Auffassungen bei europäischen Emigranten und den Gewaltigen der amerikanischen Filmindustrie hinsichtlich dessen, was es heißt, eine Rolle zu spielen. Fritz Kortner verfügt über die vokalen und mimisch-gestischen Ausdrucksmittel der expressionistischen Schauspieler-Generation vor und nach dem Ersten Weltkrieg, er weiß, wie man etwas 'mit Ausdruck' vorträgt. Doch erscheint eben dieser von ihm so virtuos verkörperte Schauspielertypus im amerikanischen Filmgeschäft der 40er Jahre nur noch als exotisch. Allenfalls wird dergleichen bei 'Negern', also den Verlachfiguren des Hollywood-Films, toleriert. Von weißen Schauspielern wird etwas anderes erwartet: Nicht die Verwandlung ist das Ziel, sondern die Wiedererkennbarkeit der Stars in unterschiedlichen Kontexten. Und gefragt ist eine unterkühlte und - gemessen an europäischen Maßstäben - anti-theatralische Art des Schauspielens mit herabgesetztem Einsatz von Mimik, Gestik und vokalen Mitteln.
Von vielen Überlebenden, die über das Erlittene geschrieben haben, ist bekannt, dass auch sie Schuld empfanden - viele von ihnen konnten "nicht mehr heimisch werden in der Welt", die "Schmach der Vernichtung" nicht mehr austilgen. Nicht selten endete ihr Überleben im Freitod, wie bei Jean Améry, Paul Celan und Primo Levi.
[D]ie Schlusspartie im ersten Buch des ›Willehalm von Orlens‹ Rudolfs von Ems […] beginnt unmittelbar mit der breit geschilderten Totenklage über den ermordeten Fürsten Wilhelm […]. Mitten in diesem Leid, das in Rede und Gebärde zum Ausdruck gebracht wird, geschieht im ›Willehalm von Orlens‹ das Außerordentliche: Elye, Wilhelms Frau, stirbt aus übergroßem Schmerz an der Leiche ihres Mannes. Obwohl solch ein „Tod an gebrochenem Herzen“ außerhalb der normalen lebensweltlichen Erfahrung steht und als Faktum des Sterbens an sich keine ‘moralische’ Komponente beinhaltet, birgt er ein gewisses Konfliktpotenzial […].
Wie versucht nun der Text diesen beunruhigenden, ‘unfassbaren’ Tod literarisch darzustellen und damit fassbar zu machen? Werden die Wertekonflikte, die bei jedem Liebestod unweigerlich mitschwingen, angesprochen, beurteilt und wird versucht, sie zu harmonisieren? Diese Fragen werden umso brisanter, gerade wenn man die generell didaktische Tendenz des Romans berücksichtigt, der in der Forschung als ‘Fürstenlehre’ für den jungen
Staufer Konrad IV. gilt. Eine Antwort darauf lohnt sich in den Klagen zu suchen, die den Liebestod von der Handlungsfügung her umrahmen. Sie finden sich im ›Willehalm von Orlens‹ auf verschiedene Personen aufgeteilt: die Perspektive auf den Tod resp. Liebestod vervielfältigt sich, dieser gewinnt unter den verschiedenen Blickwinkeln unterschiedliche Facetten – so auch seine Bewertung. […] Daneben ist es aber für ein erweitertes Verständnis von Aussage und Funktion unabdingbar zu erörtern, w i e diese Klagen ‘in Szene’ gesetzt werden, d. h. wie sie und die klagenden Personen im Diskurs zur Darstellung kommen: Erst in dieser Zusammenschau darf man eine über die Textebene hinausreichende Interpretation der Bewertung der Liebestodproblematik in dieser Textpassage versuchen und damit eine mögliche Antwort auf die Frage finden, welche ‘Lehre’ denn die Erzählung und Kommentierung der Ereignisse rund um Elyes Liebestod transportieren könnten.
Es ist oft gesagt worden: Das Komische ist das Eigene des Menschen, nur der Mensch - und kein anderes Wesen - lacht. Begründet wurde dies häufig durch die Kennzeichnung des Menschen als Doppelwesen, das sich selbst widersprechen kann. Der Mensch gilt als Wesen, das gleichermaßen über einen Körper und einen Geist verfügt, als Wesen, das vom Zufall heimgesucht wird, aber auch zum Erhabenen fähig ist, oder als Wesen, das durch eine "individuelle[ ]" und eine "soziale[ ] Existenz" ausgezeichnet ist und deshalb "mit irgendeiner Norm" in Konflikt geraten kann. Jeweils ist es die Kollision der beiden Seiten, die nach den verschiedenen theoretischen Ansätzen zur Hervorbringung des komischen Phänomens führt und so - als Reaktion auf die Wahrnehmung des komischen Phänomens - das Lachen verursacht.
Aus dem Leben der Knöpfe
(2015)
Der Knopf ist ein diskretes und zugleich unabdingbares Teilstück textiler Verschlüsse und steht als solches im Zentrum erbitterter Kämpfe und subtiler Gunstbezeigungen: In seiner 'Rede an einen Knopf' aus dem Jahr 1915 gesteht Robert Walser einem schon ziemlich abgewetzten Hemdknopf seine Liebe; er dankt ihm für die in der "unauffälligsten Unauffälligkeit" zugebrachten Dienstjahre und seine weitgehend unbeachtete Leistung. In Louis Pergauds Roman 'La Guerre des boutons' (1912) hingegen wird eine Fehde zwischen den Heranwachsenden zweier südfranzösischer Dörfer als ein Kampf um Knöpfe ausgetragen, bei dem sich die Protagonisten der befeindeten Lager zwar nicht die Kehlen, wohl aber die Knopflöcher aufschlitzen und die Metallhaken und Knöpfe von Hemd und Hose schneiden.
Der Philosoph und Komparatist Peter Fenves befasst sich in seinem Aufsatz mit Benjamins Ideen zur Wissenschaftspopularisierung und seiner Auseinandersetzung mit der theoretischen Physik. Er widmet sich insbesondere Benjamins Verteidigung der in Misskredit stehenden Wissenschaftspopularisierung, die eine neue Bedeutung und Funktion erhalten soll. Die latenten Bezüge zwischen Philosophie und theoretischer Physik zeigt Fenves am Beispiel des in der Quantenphysik verwendeten Begriffs der "Verschränkung" auf, der das Pendant zu Benjamins Begriff der "Aura" darstellt und zur gleichen Zeit von Heidegger verwendet wird.
Meine Überlegungen auf diesen Seiten drehen sich um ein von Walter Benjamin handbeschriebenes Blatt Papier, an dem sich die "performative" Dimension von Benjamins Poetik paradigmatisch illustrieren lässt. Das Manuskriptblatt (Benjamin-Archiv Ms 931) wurde von Gershom Scholem auf ca. 1935 datiert und gehört thematisch in den Umkreis des etwa zwei Jahre vorher verfassten sprachtheoretischen Essays "Lehre vom Ähnlichen". Dort heißt es, dass die "Einsicht in die Bereiche des 'Ähnlichen' [...] weniger im Aufweis angetroffener Ähnlichkeiten [zu gewinnen sei] als durch die Wiedergabe von Prozessen, die solche Ähnlichkeiten erzeugen" (GS II, 204). In Benjamins Beschriftung von Ms 931 wird dies in die Tat umgesetzt: wir können uns den Schreibprozess, dem sich der handschriftliche Text auf jenem Blatt verdankt, als Selbsterforschung eines solchen Prozesses denken. In dem vorliegenden Versuch scheint jedoch, neben der Erzeugung von Ähnlichkeiten, die "Überwindung des Mythos" (Ms 931) als zweiter Pol am Horizont auf. Zusammen stecken jene beiden Pole ein dialektisches Spannungsfeld ab, in welchem sich sowohl Benjamins Schreibprozess als auch der meinige bewegen, und dessen Gesetzlichkeit das eigentliche Objekt dieser Überlegungen ausmacht. ...
Der Literatur- und Medienwissenschaftler Tobias Wilke widmet sich in seinem Aufsatz der in der Forschung bislang unbeachtet gebliebenen Beziehung von "Aura" und "Medium". Dem Begriff des technischen Mediums, so Wilke, liegt ein nicht-technisches Konzept von Medialität zugrunde, das sich in enger Korrelation und Konvergenz mit dem Aura-Begriff herausbildet. Die Aura ist die sichtbare Umhüllung eines Objekts und damit ein Phänomen der optischen Wahrnehmung, in der die Konturen des Gegenstandes aufgelöst werden, wie Benjamin am Beispiel von Van Goghs "De sterrennacht" ausführt. Wilke verortet Benjamins Kunstwerk-Aufsatz an einer medienhistorischen Zäsur, die den Übergang von einem spiritistischen zu einem technologischen Verständnis von Medialität markiert.
Züchtung und Aufpfropfung sind Praktiken der Hybridisierung, die nicht nur der Kreuzung und Vermischung dienen, sondern darüber hinaus auch noch dispositive Funktion haben: Der Grundgedanke der Züchtung ist die von Menschen geplante Auslese, um die Genkombination zu verändern. Dabei werden bestimmte Eigenschaften verstärkt, andere werden "herausgemendelt". Das Verfahren der Aufpfropfung impliziert nun eine Beschleunigung dieses Hybridisierungsvorgangs. Die Aufpfropfung ist eine Kultivierungstechnik, die der künstlichen - nicht-sexuellen - Fortpflanzung dient - eine Technik, die seit alters her bekannt ist und im 18. Jahrhundert zu neuer Blüte gelangt, nämlich als Wissensfigur für einen aufgeklärten Umgang mit der Natur.
In dieser Abhandlung möchte ich der Frage nachgehen, wie Tanzkunst Gegenstand philosophischer Untersuchungen sein kann. Das philosophische Nachdenken über Fragen der Kunst ist generell eine schwierige Angelegenheit: In der Philosophie werden zumeist erklärende und verallgemeinernde Worte genutzt, um "Wie"- und "Warum"-Fragen darüber zu stellen, was immer einzigartige Erfahrungen sind, deren Logik zu weiten Teilen jenseits der Sprache liegt. Die philosophische Erkenntnis nutzt Worte; diese setzen die Philosophie in den Stand, das Verstehen einer originären Erfahrung eines einzigartigen Phänomens – mit Bezug auf bereits Vertrautes – zu artikulieren. Die Schwierigkeit, ästhetische Erfahrungen zu artikulieren, erschwerte jedoch nicht die Entwicklung großer Werke auf dem Gebiet der Ästhetik, sie hat im Gegenteil philosophische Leistungen inspiriert. Dennoch ist es nicht übertrieben zu behaupten, dass viele philosophische Erörterungen der Tanzkunst noch immer unzulänglich sind. Im Allgemeinen betrachtet, beschäftigen sich Schriften zur Ästhetik nur beiläufig mit der Tanzkunst und konzentrieren sich statt dessen auf andere Kunstformen. Ferner erborgen sich Tanztheorien ihre Argumente oftmals von anderen Künsten wie dem Schauspiel oder der Musik und passen sie dem neuen Medium an. Um aber ein wirkliches Verständnis der Tanzkunst entwickeln zu können, muss die Ästhetik die dem Tanz spezifischen Quellen untersuchen und ihre Begriffe von ihnen her entwickeln. Hier möchte ich darlegen, dass der tänzerische Ausdruck sehr spezifisch wirkt, womit er sich von dem anderer Kunstformen unterscheidet. Um eine philosophische Untersuchung auf den Weg bringen zu können, werde ich im Folgenden versuchen, den spezifischen Ausdruckscharakter des Tanzes, der diese Kunstform unverwechselbar macht, zu umreißen. Die Skizze wird sich mit dem Rahmen dieses Mediums beschäftigen, damit, was für den Tanz als solchen wesentlich ist, nicht jedoch mit einer bestimmten Technik, einem speziellen Stil oder Genre. Da verschiedene Tänze verschiedene Ideen und Bedeutungen in verschiedenen Gestalten und Formen verkörperlichen [embody], wird nicht die "Bedeutung" des Tanzes diskutiert, sondern die Art und Weise der Ausführung dieser Ideen.
Wie sehr gerade Kunst dem Geheimnisbedarf einer modernen Gesellschaft gerecht wird, kann ein Seitenblick auf ein in der Aufklärung gemachtes, faszinierendes und gescheitertes Experiment zeigen, das den Geheimnisbedarf der Gesellschaft auf gesellschaftlicher und lebensweltlicher Ebene zu befriedigen versuchte. Ich denke an die Konjunktur der Freimaurerei als einer Form des modernen Geheimbundes.
Nicht nur die Philologie, sondern auch die Philosophie setzt sich jedoch in der Moderne mit dem Kommentar und seiner religiösen Dimension auseinander. Der Beitrag von Christoph Schulte zeigt dies an zwei Maimonides-Kommentaren aus der Haskala, der jüdischen Aufklärung im 18. Jahrhundert: Sowohl der Kommentar Moses Mendelssohns (1761/65) als auch derjenige Salomon Maimons (1791) greifen auf die kanonische Autorität des mittelalterlichen Autors zurück, um die moderne Philosophie der Aufklärung unter ihren jüdischen Zeitgenossen zu propagieren. Nicht zufällig verwenden sie dafür das Genre des Kommentars, die dominante literarische Gattung im rabbinischen Judentum, und damit eine eminent religiöse Form. Dabei will Mendelssohns Kommentar zu Maimonides' Kommentar zu Aristoteles' Logik und Metaphysik die jüdische Religion selbst als kompatibel mit der Aufklärung erweisen. Salomon Maimon hingegen liefert in seinem Kommentar zu Maimonides' philosophischem Hauptwerk "Führer der Unschlüssigen" eine hebräische Einleitung in die Terminologie Immanuel Kants (mit Übersetzung der zentralen Begriffe) wie auch die erste moderne Wissenschafts- und Philosophiegeschichte in hebräischer Sprache überhaupt. Beiden Aufklärern ist also gemeinsam, dass sie sich zwar der nichtjüdischen Welt der Aufklärung öffnen, dabei aber nicht die rabbinische Tradition des religiösen Judentums preisgeben.
Das Theater ist für die Frage nach der Sakramentalen Repräsentation der Frühen Neuzeit schon aufgrund der schlichten Tatsache interessant, dass es als Verbund von Zeichen, Bildern und Gesten in größter denkbarer Nähe zur Liturgie steht. Die Nähe ist gefährlich und immer heikel, und so gehört es zu den Gemeinplätzen der protestantischen Kritik an der Messe, diese sei bloßes Theater. Umgekehrt benutzen aber auch die Reformatoren selbst immer wieder die Metaphorik des Theaters, etwa wenn Calvin die Welt als großes Theater der Herrlichkeit Gottes bezeichnet oder Luther sich selbst als Zuschauer der Heilsgeschichte imaginiert. An dieser schwierigen Grenze bildet sich eine kirchliche und insbesondere protestantische Theaterfeindschaft heraus, die den Anspruch des Theaters, Wirklichkeit darzustellen, aufs Schärfste bekämpft, aber gerade dadurch auch ein neues Verständnis von Theater gewinnt.