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Judith Butlers Konzept der Performativität, das sie in "Das Unbehagen der Geschlechter" (1990) und "Körper von Gewicht" (1993) entwickelt. beleuchtet den Prozess der Konstruktion der Geschlechtsidentität und zugleich deren Destabilisierung über Begriffe und Strategien wie 'Parodie', 'drag' oder 'cross-dressing', die auf eine wiederholende Imitation dieser Identität verweisen. Der performative Akt der Nachahmung wird von Butler als kulturelle Simulation gefasst. die die Vorstellung eines 'natürlichen' Originals allererst hervorbringt. Ähnlich und ebenso signifikant ist dieses Moment der Imitation als Simulation Homi Bhabhas Konzeption der kolonialen mimikry eingeschrieben. In seinem Aufsatz "Von Mimikry und Menschen" geht es darum aufzuzeigen. wie die verschiebende Wiederholung europäischer Normen durch die Kolonisierten – der Vorgang. den er als 'mimikry' bezeichnet – die imaginäre Identität der KolonisatorInnen destabilisiert und damit auch in gewissem Maße subvertiert.
Wenige Phasen in der Kulturgeschichte Deutschlands sind so sehr durch die Präsenz eines prophetischen Diskurses gekennzeichnet gewesen wie das erste Drittel des 20. Jahrhunderts. In der Zeit vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und in den Jahren der Weimarer Republik, die einmal die "Krisenjahre der Klassischen Moderne" genannt wurden, taucht eine Vielzahl von selbsternannten Geistersehern, Wunderwirkern und Heilsbringern auf, die auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Zusammenlebens Abhilfe und Erlösung versprechen. Die Allgegenwärtigkeit dieses Versprechens lässt daran zweifeln, dass der von Heilssuche getragene prophetische Diskurs im Rücken einer sich fortentwickelnden Wissenschaftskultur stattgefunden hat. Vielmehr gehört sein Erlösungsversprechen zu den "beherrschenden Gedanken" der damaligen Zeit und bezeugt die prekäre Koexistenz von Wissenschaft einerseits und Prophetie andererseits. "Es sei", schreibt der Philosoph Max Scheler am Ende der Weimarer Republik, "eine beispiellose Sehnsucht nach Führerschaft allüberall lebendig", die eine entsprechende Anzahl von Propheten, Heilanden und Weltverbesserern mit sich bringt. Angesichts dieser geistesgeschichtlichen Lage konnte eine Erinnerungsfeier für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges, um ein Beispiel aus dem Jahr 1922 anzuführen, leicht in die Frage münden: "Wann kommt der Retter Deutschlands?" Der Historiker Klaus Schreiner hat diese Frage, die Honoratioren aus einem kleinen Kurort in der Lüneburger Heide aufgeworfen haben, zum Titel einer umfangreichen Studie über den politischen Messianismus in der Weimarer Republik gemacht. [...]
Vom "Messias der Dichtung" soll im Folgenden die Rede sein. Wie sich zeigen wird, ist mit dieser Figur, über deren Besonderheiten und Begrenztheiten hinaus, zugleich das "Verlangen nach einem Messias der starken Hand für das Ganze" verbunden.
Prophet
(2016)
Propheten sind in der Moderne ein Anachronismus: Unsere Zukunft gilt als 'kontingent' und wird nicht 'vorhergesagt', wer 'Visionen' hat, so eine bekannte Äußerung Helmut Schmidts, der möge zum Arzt gehen, und der moderne Prognostiker wird betonen, dass er eben kein Prophet mehr ist. Der Prophet ist allenfalls ein Gegenbild. Das ist möglich, weil er eine lange Faszinationsgeschichte hat, in der ihm ein hohes Maß an Prägnanz und Wiedererkennbarkeit zugewachsen ist. Der Prophet ist eine echte 'Figur' der Zukunft: eine bestimmte Konfiguration des Umgangs mit und des Sprechens über Zukunft, die leicht zitierbar und zugleich hochgradig deutungsfähig ist. Dabei 'weiß' der Prophet die Zukunft nicht nur, sondern kann von diesem Wissen aus über die Gegenwart urteilen; er hat so etwas wie 'moralische Autorität', die mit Mahnung, Kritik, Trost und Appell assoziiert wird. Der Prophet, im Rahmen der Etymologie des griechischen prophetes am ehesten als 'Fürsprecher' zu übersetzen, spricht 'im Namen' einer höheren Wahrheit, er tritt als Bote eines höheren Wissens oder einer göttlichen Instanz auf, von der er auch sein Wissen von der Zukunft bezieht. Weil dieses Wissen exklusiv durch ihn vermittelt wird, hat er eine Verantwortung für dessen Übermittlung. Daraus resultiert oft eine Spannung: Einerseits ist der Prophet eine individuelle, unvertretbare Figur, andererseits Sprecher einer 'Sache', der er sich unterordnet. Diese Spannung hat sich kulturell als ausgesprochen produktiv erwiesen und bringt eine spezifische Rhetorik der Zukunft hervor, die bis in die Moderne hinein auch noch dort wirkt, wo der Prophet als Gegenbild beschworen wird.
Propagandakarten, auch als politische, geopolitische, Agitations- oder Suggestivkarten bezeichnet, sind kartenrelevante Darstellungen, die durch gezielte Konstruktion und spezielle Inhalte eine emotionale Wirkung beim Kartennutzer hervorrufen wollen. Zum Teil können auch sogenannte Pressekarten in diese Kartenkategorie fallen. Wie bei allen Bezeichnungen ist aber zu beachten, daß zeitliche und räumliche Einschränkungen gemacht werden müssen: nicht jede Pressekarte ist eine Propagandakarte.
Propagandafilme der NSDAP
(2005)
Dass dokumentarische Filme auch Propagandazwecken dienen können, war in den 20er und 30er Jahren international akzeptierter Konsens. Der nationalsozialistische Propagandafilm war, so gesehen, keine ausgesprochene dokumentarische Entgleisung. Wie die nationalsozialistische Partei und später der NS-Staat den Dokumentarfilm nutzten, um ihre Ideologie und Ziele zu verbreiten, untersucht Peter Zimmermann in diesem Beitrag. Er behandelt den nationalsozialistischen Propagandafilm von den Anfängen der Wahlwerbung über die Parteitagsfilme bis zur Verbreitung der arischen Rassenideologie. Besonderes Augenmerk legt er auf die Ästhetik der Riefenstahl-Filme mit ihrer idealisierenden Verklärung Hitlers und der NSDAP und auf die filmische Konstruktion von Feindbildern wie in Hipplers Propagandafilm "Der ewige Jude". Die einzelnen Kapitel sind Auszüge aus Band 3 des Sammelwerks "Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland".
Obwohl mit dem "Personenkult" um Josef Stalin (1878−1953) vor allem die Inszenierungen seiner Macht und sein Führungsstil bezeichnet werden, ging der Kult um seine Person über den Rahmen des Politischen hinaus: Stalin wurde mit der Zeit zunehmend zu einer kulturstiftenden Figur, ja gar zu einem kulturellen Symbol stilisiert, das eine ganze Epoche prägte. Wenn überhaupt von einem "Gesamtkunstwerk Stalin" (Boris Groys) die Rede sein kann, dann bezeichnet dieser Begriff gleichermaßen die Epoche Stalins wie ihren Hauptprotagonisten, dessen Selbstinszenierungen als ein Kulturphänomen, ein 'Kunstwerk' der Zeit betrachtet werden können. In diesem "Gesamtkunstwerk" erscheint er sowohl als ein demiurgischer Herrscher als auch als ein prometheischer Heros - als Befreier und Kulturstifter. Der "Führer", der die sowjetischen Völker zum Siege führt, ist zugleich der "Lehrer", der lehrt was richtig und was falsch ist. [...] Er ist eine Figur der Revolution, berufen, sein Land aus dem Chaos zu führen und eine neue Ordnung herzustellen. Diese neue Ordnung reicht über das Machtpolitische hinaus ins Kulturelle: Der revolutionäre Heros ist ein Kulturstifter, dessen Mission eine prometheische Tat, und zwar die Erschaffung eines neuen Menschen ist. Die Herrscher, die als Kulturheroen inszeniert werden, sind vor allem nationale Heroen und werden mit einer Nation identifiziert, die sie vertreten. Im Falle Stalins ist dieses Modell komplizierter, denn er steht an der Spitze des Vielvölkerstaates, der sich als eine "Völkerfamilie" darstellt. Daher muss er als Heros für alle Völker der UdSSR gleichermaßen gelten. Zugleich ist er aber ein Georgier und diese Tatsache beschert seinem Geburtsland eine symbolische Sonderstellung, sie verleiht Stalin als kulturheroischer Figur gewissermaßen zwei Gesichter: das allgemeinsowjetische und das national-georgische.
Proletarier
(2018)
Der These des Begriffshistorikers Werner Conze – enthalten schon im Titel seines Aufsatzes von 1954: "Vom 'Pöbel' zum 'Proletariat'. Sozialgeschichtliche Voraussetzungen für den Sozialismus in Deutschland" - hat der radikale Sozialhistoriker Ahlrich Meyer bescheinigt, im Gewand "neutraler" Begriffsgeschichte im nachhinein bloß ein sozial-eliminatorisches Programm zu sanktionieren, dessen letzte Konsequenzen erst die Nazis endgültig exekutiert hätten - mit tatkräftiger "wissenschaftlicher" Unterstützung von Historikern wie dem Conze-Freund Theodor Schieder oder eben Conze selbst. Die "postnazistische" westdeutsche Geschichtswissenschaft habe letztlich bloß das alte "nazistische Programm der staatlichen Integration der deutschen Kernarbeiterklasse auf die Geschichte projiziert". Wie dem auch sei - auch hier wird einmal mehr deutlich, dass Begriffsgeschichte von Begriffspolitik nicht zu trennen ist. Aber zurück zum Vormärz: Wie immer man die "Conze'sche Integrationsthese" (Meyer) einschätzen mag, mit dem 'Pöbel' und dem 'Proletariat' stehen sich zwei sozialhistorische Protagonisten gegenüber, deren Begriffsgeschichte im Deutschen allemal problematisch ist.
In der Literaturwissenschaft werden die Werke von Leo Perutz zumeist einzeln oder aber gemäß ihrer Zugehörigkeit zu literarischen Genres als historische, als phantastische, als Spannungs-, Kriminal- oder Detektivromane untersucht. Im folgenden geht es mir stattdessen um ein Erzählverfahren, das über solche – sicherlich nicht trennscharfen – Genregrenzen hinaus die meisten von Perutz' Romanen prägt, ohne doch bislang als typische Struktur des Gesamtwerks erkannt worden zu sein. Die Beschreibung dieses Erzählverfahrens mitsamt einiger seiner Implikationen und Funktionen soll dazu beitragen, die besondere Physiognomie des Autors Perutz zu bestimmen.
Projektemacher
(2016)
Projekte sind Versprechen auf die Zukunft. Wie eine Wette oder komplizierte Finanzprodukte arbeiten sie in einem Modus Operandi, der vorzugsweise dem Noch- Nicht, dem Als-Ob oder dem Könnte-Sein verpflichtet ist. Entworfen, initiiert und angepriesen werden Projekte heutzutage häufig von allgemein als 'Team' bezeichneten Gruppen oder einzelnen Personen, die sich sodann nicht ohne Stolz 'Unternehmer' oder 'Berater', 'Entrepreneur' oder 'Visionär' nennen. Bereits im 17. Jahrhundert war allerdings ein derartiger Typus von planvoller Zukunftsgestaltung bekannt, wobei man hier für die treibende Kraft des Vorhabens den Begriff 'Projektemacher' prägte. Im Folgenden geht es um die Heraufkunft und Entwicklung dieser Figur. Zunächst gilt es jedoch, den Gegenstand ihres Handelns, das Projekt, etwas näher zu beleuchten.
Der moderne Roman ist [...] eine Form vergegenwärtigter Zukunft in dem erläuterten Sinne und stellt sich darin dem traditionalen Erzählen entgegen, das ein Vergegenwärtigen des Vergangenen war. An dieser innerliterarischen Kehrtwende im Narrativen lässt sich ablesen, was bei der Heraufkunft des prognostischen Präsens auf dem Spiel steht. Mit der Entsprechung und der Gegenüberstellung von historischem und prognostischem Präsens hat es darum die zweite Überlegung zu tun. Sie macht in der vergegenwärtigten Zukunft den inneren Zeitstil des modernen Romans aus. Einerseits hat sie es mit einem literarischen Sonderfall des prognostischen Präsens zu tun. Andererseits zeigt sich an diesem besonderen Fall aber auch erst die Bedeutung des prognostischen Präsens für unsere Kultur insgesamt.
Dieser Zusammenhang soll im Folgenden genauer erörtert werden. Den Anfang bildet ein Hinweis auf die Gegenüberstellung von Erzählen und Roman in dem Essay, den Walter Benjamin Nikolaj Leskow gewidmet hat (1). Danach folgt in zwei Schritten eine kurze terminologiegeschichtliche Charakteristik dessen, was hier analog zum 'historischen Präsens' das 'prognostische Präsens' genannt wird (anhand der augustinischen Zeittheorie [2] und im Hinblick auf die probabilistische Philosophie des 19. Jahrhunderts [3]). Am Ende wird die Erörterung noch einmal zur Frage des romanartigen Erzählens und seiner inneren Zeitform der vergegenwärtigten Zukunft zurückkehren (4).
In diesem Beitrag möchte ich der Frage nachgehen, wodurch sich wissenschaftliche Zukunftsbetrachtungen, die vielfach für die Politik- und Gesellschaftsberatung unternommen werden, von anderen Formen der Zukunftsschau unterscheiden. Wissenschaftliche Zukunftsschau ist oft teuer und langwierig, es erscheint also mehr als berechtigt, nach ihren Vorteilen gegenüber anderen Zugängen zu fragen, etwa der literarischen Zukunftsschau. Dazu werde ich folgende Thesen entfalten:
• Wissenschaftliche Zukünfte sind soziale Konstruktionen und keine wertneutralen Beschreibungen zukünftiger Entwicklungen.
• Ein Nachweis der Wissenschaftlichkeit wissenschaftlicher Zukünfte ist wissenschaftstheoretisch nicht trivial und unterscheidet sich von den Nachweisen der Wissenschaftlichkeit in anderen Bereichen.
• Die Erwartung, wissenschaftliche Zukünfte seien per se besser als nichtwissenschaftliche (wie z. B. literarische oder astrologisch motivierte Zukünfte) – in dem Sinne, dass sie besser die Zukunft vorhersagen –, ist nicht begründet.
• Stattdessen haben wissenschaftliche Zukünfte die Vorteile, dass sie allgemeine Zustimmungsfähigkeit schaff en, dass sie erlauben, Konsistenzforderungen zu stellen und zu überprüfen, und dass sie ein Lernen aus dem Vergleich der vorhergesagten mit den dann real eintretenden Ereignissen ermöglichen.
Wenn es in diesem Beitrag spezifisch um die Wissenschaftlichkeit von Zukunftsbetrachtungen geht – in Gegenüberstellung zu einer un- oder nichtwissenschaftlichen Prophezeiung –, so möchte ich die Betrachtung auf die wissenschaftlich gestützte Zukunftsschau in gesellschaftlichen Feldern beschränken und nicht auf Vorhersagen generell, etwa der Astronomie, der Meteorologie oder der Kosmologie, erstrecken.
Am 3. Februar 2009 ist in Ittigen bei Bern, im Seniorenheim Tertianum, wo er die letzte Lebenszeit verbracht hat, Professor Dr. Jacob Steiner gestorben. Er war, 1982 auf Schloss Duino gewählt, bis 1993 Präsident der Rilke-Gesellschaft und danach ihr Ehrenpräsident. Es ist in den letzten Jahren sehr ruhig um Jacob Steiner geworden, wie man es nicht erwartet hätte, wenn man seine Biographie, sein akademisches Curriculum ansieht.
Professionelle Fehlerkompetenz von Lehrkräften – Wissen über Schülerfehler und deren Ursachen
(2011)
Die Ergebnisse nationaler und internationaler Vergleichsstudien rücken das Thema Bildungsqualität in den letzten Jahren vermehrt in den Blickpunkt öffentlicher und wissenschaftlicher Diskussion und führen zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit Bedingungen des Ge- bzw. Misslingens von Schülerlernen. Als bedeutsamer Einflussfaktor auf den Lernerfolg wird dabei die Lehrperson bzw. deren Kompetenz ausgemacht (vgl. bspw. Blömeke, Kaiser & Lehmann 2008; Lankes 2008; Schaper & Hochholdinger 2006; Zlatkin-Troitschanskaia, Beck, Sembill, Nickolaus & Mulder 2009). In der Folge dieser Diskussion werden deshalb nicht mehr nur Leistungs- und Kompetenzerwartungen als Standards für Lernende, sondern auch für Lehrende definiert (vgl. bspw. Terhart 2006). Die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen sind allerdings nicht neu (vgl. z.B. Cochran-Smith 2001), stellt doch das Expertenparadigma bereits seit den 1980er Jahren eine der zentralen Leitlinien der empirischen Bildungsforschung dar. ...
Prodigien
(2016)
Gegenstand dieses Essays ist eine in der frühen Neuzeit weit verbreitete historische Kulturtechnik der Vorzeichendeutung, nämlich die Vorhersage der Zukunft aus Ereignissen oder Gegenständen, die nicht dem Lauf der Natur zu entsprechen scheinen. Der Oberbegriff für solche Abweichungen lautet zeitgenössisch Praesagium, oder, häufiger, Prodigium, das sich von dem Verbum defectivum 'aio', 'sagen', ableitet. Es geht demzufolge um im Gegenstand selbst befindliche Vorhersagen, die direkt oder indirekt auf Gott zurückgehen. Mit Prodigien werden meist ungewöhnliche Veränderungen im gestirnten Himmel bezeichnet, worunter z.B. das Auftauchen von Kometen oder Meteoren, aber auch Devianzen vom Lauf der Natur auf der Erde gehören, wobei unter Letzteren vor allem – und darum soll es hier besonders gehen – Monstren, also Missgeburten bei Tieren und Menschen, gefasst werden.
Bei den ca. 3000 digitalisierten und bearbeiten Seiten des Deutschen Kolonial-Lexikons waren Fehler nicht zuvermeiden. Die auftretenden Fehler hatten nicht nur menschlichen, sondern auch technischen Ursprung. In allen Arbeitsschritten bei der Umsetzung von der anlogen in die digitale Form traten kontinuierlich Probleme auf, die zu Fehlern führten. Daher war Fehleranalyse ein wichtiges Instrument der Qualitätskontrolle.
Privatrecht als Gesellschaftstheorie? : Bemerkungen zur Logik der ordnungspolitischen Rechtslehre
(1974)
Prinzipien der Proprialitätsmarkierung : Familiennamenindikatoren in den nordeuropäischen Sprachen
(2004)
In dem grundlegenden Beitrag "Svenska släktnamn i gar, i dag - i morgon?" liefert Thorsten Andersson einen kompakten Überblick über ein bewegtes Jahrhundert schwedischer Familiennamengeschichte. Dabei handelt es sich zur Überraschung deutscher Leser/innen um das 20. Jahrhundert. In Deutschland wüsste man mit dem Titel ,,Deutsche Familiennamen gestern, heute -morgen?" nicht viel anzufangen, zumindest nicht mit der Frage nach dem Heute und dem Morgen: Die deutschen Familiennamen sind seit Jahrhunderten fixiert; von seltenen und wohlbegründeten Ausnahmen abgesehen kann niemand seinen Familiennamen wechseln geschweige denn frei kreieren. Und die Frage nach dem Morgen hat sich vermutlich noch nie jemand gestellt.
Die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) zählt nicht nur humane Akteure - im Fall der Literatur: Figuren - zu Handlungsträgern. Auch Dinge handeln, weshalb Bruno Latour sie mit dem Semiotiker Algirdas Greimas als 'Aktanten' bezeichnet. Die ANT versucht, das Zusammenwirken humaner wie nichthumaner Aktanten zu beschreiben. Akteur-Netzwerk-Soziolog_innen erstellen hierfür einen Bericht von dem, was Latour in Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie das 'Soziale Nr. 2' oder das 'Soziale der Assoziationen' nennt, die Verbindungen und Zwischenwirkungen der Aktanten, die in der Soziologie unbeachtet geblieben seien. Die Soziolog_innen sollen dabei den Dingen 'kurzsichtig' folgen und deren Handlungsvermögen (agency) weniger "steif" und "hölzern" darstellen, sondern sich in ihren Berichten die Literatur zum Vorbild nehmen.
Für Walter Benjamin war das Übersetzen nicht zuletzt eine Lebenserfahrung. Spätestens seit 1933, also seitdem er als Exilant in Paris lebte, war das Oszillieren zwischen dem Deutschen und dem Französischen sein täglich Brot. Von den Herausforderungen, Spannungen und Aporien dieses permanenten Changierens zeugen in seinem Werk vor allem die Selbstübersetzungen. Denn Benjamin hat - was in der Forschung erstaunlich selten beachtet wird - zahlreiche Selbstübersetzungen aus dem Deutschen ins Französische angefertigt. [...] Das Exposé zum "Passagenwerk" hat Benjamin 1935 auf Deutsch unter dem Titel "Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts" verfasst und 1939 unter dem Titel "Paris, Capitale du XIXème siècle: Exposé" selbst ins Französische übersetzt. Um diese Schrift in ihrer deutschen und ihrer französischen Fassung geht es in meinem folgenden Beitrag. Ich möchte eine vergleichende Lektüre der beiden Exposés vorschlagen. In der Passage vom deutschen Ausgangstext zum französischen Text der Selbstübersetzung verändert sich, wie sich zeigen wird, die Form der Darstellung wie auch die Art der Argumentation auf signifikante Weise: Wir können in Benjamins Selbstübersetzung des Passagenexposés nachvollziehen, wie das Deutsche und das Französische in eine Konstellation treten und dennoch in keiner Weise ineinander aufgehen, da Fremdheit und Differenz das Paradigma der Übersetzung darstellen, wie übrigens auch im Zusammenhang mit Benjamins früher Übersetzungstheorie deutlich werden wird. Dies ist im Fall der Selbstübersetzung umso erstaunlicher, da es sich hier um ein vermeintlich identisches Autorsubjekt handelt. Die Selbstübersetzung stellt somit einen Fall der Übersetzung dar, in dem sich die Voraussetzungen der Benjamin'schen Übersetzungstheorie auf exemplarische Weise kristallisieren. Bevor ich eingehender auf die beiden Exposés und auf die Form der Selbstübersetzung zu sprechen komme, möchte ich deshalb einige sehr kurze allgemeine Überlegungen zum Verhältnis von Übersetzungstheorie und ‑praxis bei Walter Benjamin vorausschicken und sodann die beiden Exposés - das deutsche Original von 1935 und die Selbstübersetzung ins Französische von 1939 - kurz vorstellen und (werk‑)historisch einordnen. Vor diesem Hintergrund können und sollen dann einige Beobachtungen zu den beiden Exposés en détail diskutiert werden.
In diesem Text werden zwei Film- bzw. Mediennetzwerke aus Kanada betrachtet, in denen prekäre Lebensbedingungen nicht nur thematisiert werden, sondern durch die Partizipation und Kollaboration von Filmschaffenden und Bürger*innen Handlungsmacht generiert werden soll. "Challenge for Change" setzte sich ab den 1960er Jahren u. a. gegen Armut ein, "Wapikoni Mobile" ist ein zeitgenössisches indigenes Vlog- und Filmnetzwerk. Beide Projekte werden als handlungsbasierte Dokumentarphilosophien verstanden. Sie werden mit Gilbert Simondon als mögliche Milieus für kollektive Individuationen konzeptualisiert. "Challenge for Change" und "Wapikoni Mobile" werden als technisch-sozial-ästhetische Milieus verstanden, in denen aktivistische und kulturelle Interventionen und Individuationen keinen Gegensatz bilden. "Wapikoni Mobile" wird zudem hinsichtlich seines Potentials für eine Filmkultur des Anthropozäns diskutiert, in der es um die Beziehung von Welt und Mensch geht, die in dokumentarischen Filmen verhandelt wird und die nicht nur abbildet, sondern ebenfalls - mit Gilles Deleuze - ein Band zur Welt knüpft.
Posthumanismus
(2016)
Dass "der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand", war 1966, als Michel Foucault 'Les mots et les choses' mit dieser Prognose eines dritten epistemischen Bruchs der abendländischen Diskursordnung beschloss, kaum noch eine Provokation. Die nur zu gezielt missverstandene Rede vom "Tod des Menschen" war keineswegs so neu, wie Kritiker des von der Diskursanalyse angeblich beförderten 'Antihumanismus' glauben machen wollten: Diagnosen wie diejenige von Oswald Spengler, "der faustische Mensch" sei "zum Sklaven seiner Schöpfung geworden", oder Günther Anders’ "Frage der Verwandlung oder Liquidierung des Menschen durch seine eigenen Produkte" gehörten angesichts von Massenvernichtungswaffen, kybernetischer Modellbildung und Reproduktionsbiologie zum festen Inventar eines kulturpessimistischen Diskurses im 20. Jahrhundert, der zu Beginn des 21. folgerichtig in Francis Fukuyamas Ankündigung einer 'Posthuman Future' mündete, in der Genmanipulation und Neuropharmakologie die natürlichen Grundlagen von Ethik, Menschenrechten und Demokratie zerstören werden.
Sozusagen als Motto meiner Ausführungen zur Gattung des Porträts bzw. zur Porträtkunst habe ich eine Arbeit von Robert Rauschenberg gewählt. 1961 plante die Pariser Galeristin Iris Clert eine Porträt-Ausstellung und lud Robert Rauschenberg, den amerikanischen Pop-Künstler, zu einem Beitrag ein. Dieser reagierte mit einem aus Stockholm geschickten Telegramm mit dem Inhalt: 'This is a portrait of Iris Clert if I say so – Robert Rauschenberg'. Als Motto zeige ich die Arbeit deshalb, weil das Porträt im Laufe der Moderne und insbesondere im 20. Jahrhundert zu einer umstrittenen, ja in gewisser Hinsicht unmöglichen Gattung wird, und Rauschenbergs Telegramm nun zeigen kann, dass dieses Umstrittene zwei unterschiedliche Dimensionen hat: zum einen ist es der Streit über das, was als legitimes Porträt eines Menschen angesehen werden kann; zum anderen ist es der Streit darüber, was legitimerweise als ein Kunstwerk angesehen werden kann.
Das Phänomen Pornografie hat viele Seiten. Man kann die soziale Zirkulation von Pornografie untersuchen, kognitive Voraussetzungen und Folgen ihres Konsums erklären, Rechtsnormen für den Umgang mit ihr aufstellen oder Darstellungsverfahren und Inszenierungsformen pornografischer Werke beschreiben. Dem letztgenannten Aspekt gelten die folgenden Überlegungen. […] Es wird keiner der üblichen Gründe in Anspruch genommen, um sich mit Pornografie zu beschäftigen – nämlich die Pornografie insgeheim in etwas anderes, Unproblematischeres zu verwandeln oder sie ästhetisch oder politisch aufzuwerten oder aber sie ideologiekritisch zu entlarven. Ich möchte Pornografie weder feiern noch verwerfen, sondern beschreiben. Mein Interesse gilt der Art und Weise, wie schlichte pornografische Interneterzählungen von Amateur-Autoren gemacht sind. Die Machart von Pornografie ist von ihren gesellschaftlichen Funktionen und psychologischen Wirkungen zu unterscheiden und verlangt nach eigenständiger Untersuchung. Denn die Zuweisung von Funktionen und Wirkungen hängt davon ab, wie Pornografie als sinnhaftes Phänomen konstituiert und angeeignet wird.
Populismus artikuliert vernachlässigte Unzufriedenheit durch die Herstellung einer antagonistischen Beziehung zwischen "der Elite" und "den Menschen" (Canovan 1984, 1999). Die populistische Politik verlässt sich dabei nicht nur auf das Versagen des bestehenden politischen Prozesses. Populisten liefern sowohl die Diagnose (die alten Eliten sind korrupt, ineffizient oder beides) als auch die Kur (Nativismus, technokratische Effizienz).
Der Ursprung des gegenwärtigen Populismus in Ostmitteleuropa ist tief in der kommunistischen Ära verwurzelt. Während des Kommunismus wurde der Populismus des "gewöhnlichen Menschen" benutzt, um das bürgerschaftliche Engagement zu demobilisieren und eine Politik der ethischen Verantwortlichkeit zu verhindern. Unsere Analyse (Bustikova, Guasti 2017, 2018) zeigt, dass diese Art von Populismus weiterhin als Methode zur Demobilisierung des bürgerschaftlichen Engagements und zur Verdrängung einer Politik der ethischen Rechenschaftspflicht verwendet wird. Die populistische Politik versucht, das politische Gemeinwesen nach ihrer technokratischen Vision neu zu gestalten.
In der gegenwärtigen Literatur- und Filmtheorie findet man wenig Übereinstimmung darüber, wie solide ideologischen Bedeutungen von Kunstwerken zu bestimmen wären. Im Gegenteil, bereits die Annahme, Kunstwerke träfen bestimmte, fixierbare Aussagen, wird vielerorts grundsätzlich abgestritten. […] Ich werde diese Ansicht hier nicht diskutieren, sondern schlicht voraussetzen, daß zumindest einige Kunstwerke tatsächlich einen ideologischen Geltungsanspruch erheben. […] Michail M. Bachtins Theorie der Dialogizität [bietet] mit ihrem Leitbegriff der Polyphonie einen Ansatz, der im Laufe der letzten dreißig Jahre zwar ausgesprochen populär geworden ist, aber auch häufig mißverstanden wird. Ich möchte einige wichtige Aspekte des Polyphoniebegriffs rekonstruieren und seine Erklärungskraft an einem Fallbeispiel überprüfen. […] „Beruf Neonazi“ wurde von seinen verschiedenen Interpreten als Film mit pro-, aber auch mit antifaschistischer Tendenz verstanden. Mit Hilfe des Polyphoniebegriffs kann dieser Interpretationsstreit geklärt werden. Bonengels Dokumentarfilm ist polyphon, weil er widerstreitende Stimmen scheinbar unkommentiert zu Wort kommen läßt, aber insgesamt doch durch indirekte Formen der Mitteilung seine neonazistischen Protagonisten kritisiert.
Das, was wir Kulturproduktion nennen, ist nicht per se antithetisch zur Macht. Der 'bösen' Realität der Politik steht nicht die 'gute' Fiktion der Künstler gegenüber. Wer Literatur produziert, Bilder in die Welt setzt oder vor einer Kamera agiert, ist nicht automatisch 'gut'. Wie z. B. der amerikanische Performancekünstler Vito Acconci betont, besteht vielmehr ein vorgängiges Verhältnis zwischen der Realität der Macht und ihrer Fiktionalität, und die übliche Verwunderung darüber, wie Metaphern, Witze, oder überhaupt Fiktion zu Wirklichkeit werden, wird weiter bestehen, wenn man hier eine Demarkationslinie zieht. Wie Adorno betont, entscheidet sich gesellschaftlich an den Kunstwerken, "was an Inhalt aus ihren Formstrukturen spricht." Es ist genau dieser Aspekt ästhetischer Wirksamkeit, der Regis Debray dazu brachte, zu behaupten, dass "der Mai 68 der Studenten wie auch die Revolutionen des 19. Jahrhunderts vom italienischen Theater gestaltet wurden, mit seinen Holzbühnen, szenischen Posen, emphatischen Gesten und klangvollen Slogans." Wie Debray betont, war dies "die letzte große Theateraufführung der Geschichte". Meine These ist nun, dass sich an diesem vorgängigen Verhältnis zwischen der Fiktion der Macht und der Realität der Macht vor allem die politischen Identitätsdiskurse der letzten Dekaden – insbesondere diejenigen seit 1989 – festmachen lassen. Um es anders zu formulieren: Dort, wo Identität behauptet, demonstriert oder zelebriert wird, fiktionalisiert sich die Politik – bzw. umgekehrt: Dort, wo Politik theatralisch wird, ist auch ein Identitätsdiskurs nicht fern.
Jede Wortschatzschicht hat ihren begrifflichen Kern, und ebenso gilt dies auch für die politische Lexik, deren Schichtung sich aus der ständigen Entwicklung der Sprache und Gesellschaft ergibt. Diese Schichtung reflektiert aktuelle gesellschaftlich-politische Ereignisse. Benennungen von diesen landeskundlichen Gegebenheiten - Politemen -, die Objekt unserer Untersuchungen sind, werden durch die Gesellschaftsentwicklung aktualisiert oder neu gebildet, d.h. sie sind durch den zeitlichen Kontext determiniert. Außerdem werden in unserem Beitrag mehrere Forschungsansätze von Sprache in der Politik, den Charakteristika und der Klassifikation der politikbezogenen Wörter behandelt.
Politische Arithmetik
(2016)
Quantitative Methoden markieren somit von Anfang an den methodischen Kern der politischen Arithmetik. Darüber hinaus gehen Erkenntnis und Regulierung eine feste Verbindung ein. Politische Arithmetik zielt nicht nur auf ein 'Wissen' von der Bevölkerung, sondern ebenso auf die 'Steuerung' der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung. Damit geht es sowohl um die 'Vorhersage' als auch um die 'Herstellung' der Zukunft. Im bevölkerungswissenschaftlichen Dispositiv verbinden sich epistemische und operative Aspekte.
Als der spanische Bürgerkrieg 1939 nach drei langen Jahren endet, sieht sich der siegreiche Francisco Franco einem nicht unerheblichen Problem gegenüber: Es gilt, die zersplitterte und traumatisierte Nation auf Basis einer gemeinsamen Grundlage neuerlich zu vereinen. Zugleich benötigt der durch einen Putsch zustande gekommene 'neue Staat' auch nach Ende des als Kreuzzug betitelten Bürgerkriegs dringend eine Legitimationsgrundlage. Dies versucht man u. a. durch Geschichtstransformationen zu erreichen, die das Franco-Regime als legitimen Nachfolger frühneuzeitlicher Monarchien inszenieren. Daneben soll der Gesellschaft besonders in den 50er Jahren der langsam (wieder) entstehende Konsumkapitalismus schmackhaft gemacht werden: Der Spanier ist aufgefordert, die dargebotenen Güter zu genießen und sich so als dem Franquismus gleichsam 'genüsslich unterworfenes' Subjekt zu konstituieren. In den beiden hier beleuchteten Filmen dieser Epoche werden, wie zu zeigen wird, sowohl die franquistischen Geschichtstransformationen in ihrem fiktiven Charakter entlarvt als auch das staatliche Mandat des 'Genießens' unterhöhlt, indem jenes Genießen als ebenso substanzarm ausgewiesen wird wie die mit ihm einhergehende Politik.
[...] Macht kommt nicht ohne eng miteinander verknüpfte "Institutionen" und "Techniken" aus, wie es unter anderen Michel Foucault so treffend in Bezug auf die "Biomacht" formulierte [...]. Nun sind alle jene Phänomene, deren institutionelle Rahmen und Apparate Foucault analysiert hat – sei es das Gefängnis, das Krankenhaus oder die psychiatrische Anstalt –, jenem Apparat zeitgenössisch, der das Sichtbare kadriert, und zwar der Fotografie. Insofern andere graphische Verfahren und andere Arten von Porträts durch sie abgelöst wurden – insbesondere die von Lavater kodifizierten physiognomischen Porträts –, spielte sie für die visuelle Apparatur jener "'Biopolitik' der menschlichen Gattung" eine Hauptrolle; eine Apparatur, die man auch als Biopolitik des menschlichen Erscheinungsbilds bezeichnen könnte.
Ohne Zweifel liegt genau hier eines der grundlegenden Probleme der fotografischen Arbeit von Philippe Bazin. Denn über die Pflegeheimerfahrung hinaus, von der seine medizinische Dissertation Zeugnis ablegt, setzt sich Bazin mit den Beziehungen des fotografischen Apparats zu den Apparaten der Macht: dem Krankenhaus, der psychiatrischen Einrichtung oder der Polizeiwissenschaft, auseinander.
Polemik und rhetorische Verkörperung in Jelineks Das Werk, Der Tod und das Mädchen, Bambiland
(2008)
This essay is concerned with the state of the concept of »work« in the realm. of literature. Around 1800, "work" becomes a central reflective category in the field of literature, as well as in philosophical and literary aesthetics. In the last two decades of the 18th century, especially within Goethe's and Schiller's classicist concepts of literature, "work" and "art"/"poetry" are generally considered unconnected, as is an economic and aesthetic attitude towards nature. Where the spheres of "art"/"poetry" and "work" are linked to each other this relationship is defined as one of opposition, as can be seen especially in Goethe's novel Wilhelm Meisters Lehrjahre and in Schiller's essay Über die ästhetische Erziehung des Menschen. This changes significantly with the re-conceptualization of literature by the German Early Romantics. Not only does the sphere of "work" - now regarded as something meaningful - become at this moment in the course of the· evolution of the literary system an eminent topic within literature and literary aesthetics, the poetic activity itself becomes - suddenly - conceptualized as "work" and the writer thought of as a "worker". This essay first raises the question of what cultural changes might follow the approaching end of the "working society" in Western societies before proceeding to this important turning point in the self-conceptualization of the literary system in relation to the modem concept of "work".
Im Folgenden möchte ich das gerade angedeutete Spannungsfeld zwischen Kopie und Original unter medien- und kulturhistorischen Vorzeichen thematisieren. Meine Hypothese ist, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem 'Copy and Paste' respektive 'Cut and Paste' als einer Strategie der Texterzeugung und der Kulturtechnik der Pfropfung: einem ursprünglich botanischen Verfahren, bei dem Praktiken des Schneidens, Klebens und Kopierens eine wesentliche Rolle spielen. Dabei möchte ich insbesondere zeigen, wie sich das 'Prinzip Pfropfung' in der Interaktion mit den 'Trägermedien' von Originalen und Kopien realisiert – vor allem mit Blick auf jene 'Papierpraktiken', die mit den Kunst-Strategien der klassischen 'Avantgarde'-Strategien reüssieren: der Collage, der Montage, der Assemblage; Praktiken, die, glaubt man Antoine Compagnon, Echos einer "geste archaïque du découper-coller" sind, die der Logik des 'Cut and Paste' folgen.
Die Begegnung zwischen Odysseus und den Sirenen lässt sich als allegorisches Szenario einer poetischen Kommunikation lesen. Darauf verweist die Etymologie, die den Namen der Sirenen auf die semitische Wurzel für ‚Gesang‘ (sir) und das griechische Wort für ‚Strick‘(σειρτί) zurückführt. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die bestrickende Lieder zu Gehör bringen, auf der anderen Seite diejenigen, die sich von den Liedern fesseln lassen. Die Kommunikationssituation ist als Geschlechterverhältnis kodiert. Der Gesang wird von verführerischen Frauen produziert und von verführbaren Männern rezipiert. Diese vermögen der Versuchung nur mithilfe einer spiegelnden Vorsichtsmaßnahme, der Bindung an den herkömmlichen Standpunkt, zu trotzen. Odysseus muss sich an den Mast fesseln lassen, um dem verderblichen Zauber der weiblichen Stimme nicht zu erliegen. Die Pointe des Geschlechterverhältnisses, das im Sirenenmythos modelliert ist, liegt in der Vertauschung der Rollen von Penetration und Rezeption. Es ist die Frau, deren Lied in den Mann eindringt, und der Mann, der das Lied der Frau empfängt. Das Medium, in dem sich die ästhetische Kommunikation vollzieht, ist signifikant. Am Hören, nicht am Sehen entscheidet sich das fatale Geschlechterverhältnis. Die Attraktion der Sirenen vermittelt sich auf dem Wege der Akustik, was auch als Hinweis auf die Oralität der für den mündlichen Vortrag bestimmten Dichtung lesbar ist. Im Folgenden soll die literaturgeschichtliche Reichweite dieser Konstellation exemplarisch skizziert werden. Drei Texte stehen im Mittelpunkt: Homers Odyssee als antiker Basistext und zwei mittelalterliche Quellen, die sich in gegensätzlicher Weise auf ihn beziehen: einerseits - als Fallbeispiel einer literarischen Rezeption - der Tristan Gottfrieds von Straßburg und andererseits - als Fallbeispiel einer hermeneutischen Rezeption - das Buch der Natur Konrads von Megenberg.
Poetik der Gelassenheit. Zur mystischen und poetologischen Fundierung von Rilkes Armut-Konzeption
(2014)
Blickt man auf Rilkes Künstlerbild des armen und unbehausten Mystikers, Mönchs und Propheten, wird das Wechselspiel von Armut und Reichtum im übertragenen Sinn bestimmend: In der Nachfolge Nietzsches kennzeichnen den heiligen Künstler einerseits sein Arm- und Verlassen-Sein und seine Demutsgesten; andererseits
erfährt er gerade im Zustand der Armut den inspirativen Anstoß für ein kreatives Wirken und durch seine reichhaltige, gottgleiche Kunstproduktion eine Nobilitierung.
Als Schatzkästchen, zu dem der Schlüssel verloren sei, bezeichnet der jüdische Gelehrte des 10. Jahrhunderts Saadia Gaon das šir hašširim, das 'Hohelied'. Ein Blick auf den Forschungsstand zeigt, wie treffend die dem außergewöhnlichen biblischen Buch inhärente Problematik damit beschrieben ist. Nicht nur, dass es als erotisches Liebesgedicht ohne expliziten Gottesbezug einen besonderen Status innerhalb des biblischen Kanons einnimmt; auch der Text selbst gilt in seiner vorliegenden Form als problematisch. Was am Hohelied irritiert, ist dessen fragmentarische Struktur, weshalb es häufig als eine Art Anthologie von unabhängigen Liedern angesehen wird, die schließlich von einem Endlektor redigiert wurde und so in der nun überlieferten 'zerstückelten' Fassung zu uns gelangte. Uneinigkeit herrscht allerdings bei der Frage, wie die Grenzen zwischen jenen einzelnen Liedern überhaupt zu ziehen seien, denn trotz seiner augenfälligen Sinnbrüche zeichnet sich das Hohelied durch eine überraschende sprachlich-motivische Konsistenz aus. Eine weitere Schwierigkeit bildet die Unkenntnis des historischen Kontexts. Die jeweiligen Datierungsvarianten reichen von der salomonischen Regierungszeit – mit und ohne Salomo als tatsächlichem Verfasser – bis in die hellenistische Epoche, umfassen somit einen Zeitraum von grob 700 Jahren. Aus jener Vielzahl an miteinander konkurrierenden Theorien zu Genese und Tradierung wird schnell ersichtlich, dass sie nur bedingt zu einer Erhellung des Hohelieds beizutragen vermögen. Gegenüber einer historisch-kritischen Exegese besitzt ein literaturwissenschaftlicher Deutungsansatz den Vorteil, die Diskussion um die unlösbaren Streitfragen zu Kontextualisierung und Kanonisierung beiseitelassen zu können und stattdessen mit dem Text, wie er vorliegt, zu arbeiten. Dann aber dürfen die Brüche im Hohelied nicht als störendes Moment aufgefasst werden, welches das Verständnis lediglich behindern würde, sondern vielmehr als sinnkonstituierend und für eine Gesamtinterpretation relevant. Für Wolfgang Iser, der bezüglich diskrepanter Textmomente solcher Art von 'Unbestimmtheitsstellen' spricht, machen gerade jene die elementare Wirkungsbedingung literarischer Texte aus: "Aus der Semiotik wissen wir, daß innerhalb eines Systems das Fehlen eines Elements an sich bedeutend ist. Überträgt man diese Vorstellung auf den literarischen Text, so muß man sagen: Es charakterisiert diesen, daß er in der Regel seine Intention nicht ausformuliert. Das wichtigste Element bleibt also ungesagt. Das Hohelied wird hier somit als radikal aktualisierbarer Text vor dem Hintergrund neuerer Theoriebildung gelesen und so von seiner ästhetischen Struktur her beleuchtet, wobei auch anachronistisch anmutende Kategorien wie sie unter anderem die Psychoanalyse bereitstellt als Lektürehilfe herangezogen werden. Der Fokus liegt insbesondere auf der Frage, wie Passagen, die in einem als Loblied auf die Liebe ansetzenden Text deplatziert wirken, sich dennoch in ein Gesamtverständnis integrieren lassen.
Poesie und Prosa der Europa-Idee. Novalis' "Die Christenheit oder Europa" und seine modernen Leser
(2003)
An (...) [Novalis’ ‚Die Christenheit oder Europa’] ist alles problematisch: seine Fassung, sein Titel, seine Gattung und der damit vom Text selbst erhobene und reflektierte Geltungsanspruch, seine Begriffe von Religion und Politik sowie schließlich, und darin liegt ja die Brisanz des Ganzen, das Verhältnis von beiden. ‚Die Christenheit oder Europa’ formuliert auf der Grundlage eines idealisierten mittelalterlichen Katholizismus eine aktuelle europäisch-politische als religiöse Heilserwartung. (...) [Auch ist dieser Text] ist ein Lehrstück dafür, dass literarische Texte nicht von sich aus ohne weiteres, sondern immer in bestimmten Funktionszusammenhängen gegeben und verstehbar sind.
Der Zusammenhang zwischen (...)[Geschichte und Erinnerung] ist spannungsvoll und von einer komplexen, sich historisch wandelnden Problemlage, daß er selbst wieder einen eigenen Gegenstand historischer Forschung darstellt. Man könnte eine Geschichte des Verhältnisses von Geschichtswissen und Erinnerungskultur schreiben. Das eine ist der Anspruch rein sachbezogener Rekonstruktion, die andere lebt vom eigenen Bezug, von der eigenen aktuellen Verwendung von Vergangenheit, es ist, mit Jan Assmanns Formulierung, „Gedächtnis, das Gemeinschaft stiftet“. Geschichtswissen und Erinnerungskultur sind keine klar getrennten Abteilungen, vielmehr sind mit diesen Begriffen Pole eines Spannungsfeldes zu markieren, in dem sich Geschichtsschreibung bewegt. Am Beispiel von Friedrich Schlegel, einem der Väter der historischen Methode in den Geisteswissenschaften, möchte (...) [Stefan Matuschek] in dieses Feld hineinführen und die Spannungen in ihm sichtbar machen.
This article compares the noun plural systems of ten Germanic languages focusing on the number of allomorphs, their formal shape and the assignment principles used for allomorph distribution. It further aims at identifying the interrelating factors, categories, and features decisive for the very different ways in which plural allomorphy is organized in languages of the same origin. The major relevant factors are pointed out with special emphasis on the role of gender, semantic and rhythmic assignment, and the role of high token frequency. On formal grounds, the fusion vs. separation of case and number as well as the role of zero morphology vs. redundant marking, of stem alternation and the direction of influence between stem and affix are discussed.
Planwirtschaft
(2016)
Wer heute von Planwirtschaft spricht, meint damit in aller Regel ein überlebtes ökonomisches System, das sich als zutiefst defizitär erwiesen hat. Selbst die radikalsten Kritiker einer neoliberalen Wirtschaftsordnung vertreten bei allen Rufen nach vermehrten staatlichen Eingriffen im Grunde nicht den radikalen Anspruch allumfassender Kontrolle und eben Planbarkeit des gesamten (wirtschaftlichen) Zusammenlebens, für den der Begriff der Planwirtschaft in seiner eigentlichen Bedeutung steht. Will man Planwirtschaft nicht einfach als gescheiterte Alternative zum Kapitalismus zu den Akten, sondern vielmehr ihre imaginative Kraft als eine Form besonderen Zukunftswissen offenlegen, so ergibt sich aus dem Gesagten daher die besondere Notwendigkeit eines historischen Zugriffs auf das Thema.
Der französische Physiologe Etienne-Jules Marey (1830–1904) gehörte vor 120 Jahren zu den Protagonisten eines Paradigmenwechsels. Als Pionier der Bewegungsanalyse mit mechanisch-pneumatischen Aufzeichnungssystemen wandte er sich in dem Moment der Fotografie zu, als diese Kurzzeitbelichtungen zu erlauben begann. Das war die notwendige Bedingung dafür, Serienaufnahmen in genügend kurzer Abfolge machen zu können; die hinreichenden Apparaturen hatte er sich selber zu bauen. Chronofotografie hiess das Projekt, das am Anfang des wissenschaftlichen Films schlechthin stand und das so wenig mit dem grossen K von Kino zu tun hatte, dass Marey in filmgeschichtlicher Hinsicht stets im selbst gewählten Schatten der Brüder Lumière und Thomas Edisons stand. ...