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Polygene Risikoscores (PRS) integrieren zahlreiche Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNP) von meist geringer Effektstärke, um Auskunft über das Erkrankungsrisiko bestimmter Krankheiten zu geben. In dieser Arbeit wurde der PRS zur genetisch generalisierten Epilepsie (GGE) von Leu et al. aus dem Jahr 2019 untersucht, um festzustellen, ob über das Erkrankungsrisiko hinaus noch Korrelationen mit weiteren phänotypischen Eigenschaften von Patienten bestehen. Der Nachweis solcher Zusammenhänge würde eine Prädiktionsfähigkeit des GGE-PRS demonstrieren, die perspektivisch ein Potential für dessen klinische Anwendbarkeit, beispielsweise im Sinne der personalisierten Medizin, aufzeigen könnte.
Die Identifizierung neuer Korrelationen sollte durch Vergleich der Phänotypen von zwei Gruppen von GGE-Patienten mit extrem hohen, beziehungsweise extrem niedrigen PRS-Werten erfolgen. Hierfür wurden von 2256 Patienten aus der Datenbank von Epi25, einem internationalen Forschungskollaborativ zur Erforschung der Relevanz genetischer Faktoren bei der Entwicklung von Epilepsie, die Patienten mit den höchsten (n=59) und den niedrigsten (n=49) GGE-PRS-Werten ausgewählt. Für diese 108 Patienten wurden retrospektive klinische Daten von den jeweiligen Behandlungszentren akquiriert. Hierzu wurde den Studienleitern der Zentren ein Questionnaire mit Fragen zu zahlreichen phänotypischen Parametern der Patienten übermittelt. Die Rücklaufrate war mit 54% gut.
Die so eingeholten Patientendaten wurden anschließend mittels Exaktem Test nach Fisher und Wilcoxon-Rangsummentest statistisch analysiert, um Unterschiede zwischen den Phänotypen beider Gruppen nachzuweisen. Im Falle der Pharmakoresistenz zeichneten sich hierbei zunächst signifikante Unterschiede ab, die ein selteneres Auftreten dieser Eigenschaft für Patienten mit hohen GGE-PRS-Werten implizierten. Diese Ergebnisse waren jedoch nach einer Bonferroni-Korrektur und bei Validierung in einer größeren Kohorte (n=825) nicht mehr signifikant. Für die anderen untersuchten Parameter waren ebenfalls keine signifikanten Unterschiede nachweisbar.
Das Ergebnis, dass für keinen der untersuchten Parameter signifikante Differenzen bestanden, obwohl zwei Kohorten mit extrem gegensätzlichen PRS-Werten untersucht wurden, spricht gegen eine Verwendung des aktuell verfügbaren GGE-PRS als prädiktiver Biomarker über das Erkrankungsrisiko hinaus und somit gegen dessen klinische Anwendbarkeit. Jedoch können die nicht-signifikanten Korrelationen im Falle der Pharmakoresistenz als Hinweis verstanden werden, dass im Bereich der Pharmakotherapie Zusammenhänge zwischen Score und Phänotyp bestehen könnten, die weiterer Untersuchungen in zukünftigen Studien bedürfen. Bei Verwendung eines verbesserten GGE-PRS mit zusätzlichen risikoassoziierten SNP und verfeinerter Wichtung der Effektstärken sowie größerer Kohorten könnten in diesem Bereich möglicherweise auch signifikante Zusammenhänge nachweisbar werden.
Marie Holzman, 1922–1941
(2020)
Marie Holzman, geboren am 22. April 1922 in Jena, war die ältere Tochter des seit 1922/23 in Kaunas (Litauen) ansässigen Gründers und Inhabers der Verlagsbuchhandlung Pribačis Max Holzman (1889–1941) sowie der aus Jena stammenden Malerin und Kunsterzieherin Helene Czapski-Holzman (1891–1961). Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurde sie am 29. Oktober 1941 in Kaunas ermordet. Ihre Mutter hat zwei von ihrer Tochter aus dem Litauischen übersetzte Erzählungen bewahrt. Unlängst gelangten die beiden Manuskripte ans Exilarchiv der DNB in Frankfurt/M.
Fritz Heymann, 1897–1944
(2022)
In Deutschland leidet ca. jeder zehnte Mensch über 40 Jahren an einer chronischen Einschränkung seiner Nierenfunktion. Nicht wenige davon sind im Laufe der Erkrankung auf eine Nierenersatztherapie angewiesen. Die Ursachen für eine Nierenschädigung sind vielfältig. Als neuartiger und vielversprechender Therapieansatz werden aktuell Mesenchymale Stamm-/Stromazellen (MSC) als Therapeutikum für diverse Nierenerkrankungen getestet. Erste Ergebnisse klinischer Phase-I-Studien zeigen, dass MSC sicher als Immunsuppressivum nach Nierentransplantation angewendet werden können. Auch für weitere Erkrankungen der Niere sind erste klinische Studien am Laufen. MSC gelten als regenerativ, immunsupprimierend und antientzündlich. Dennoch gibt es noch einige Limitationen. Nach der Transplantation der Zellen ist das Wachstum der Zellen oft eingeschränkt und es kommt zur vermehrten Apoptose. Auch wird immer wieder ein paradoxes und entzündungsförderndes Verhalten der MSC am Wirkort beobachtet. Ein wichtiger Lösungsansatz ist eine in vitro Vorbehandlung der MSC zur Modulierung der zellulären Eigenschaften. In dieser Arbeit wurden drei Substanzen und Arzneimittel auf ihre Fähigkeit untersucht, die entzündungshemmenden Eigenschaften der MSC zu verbessern und die entzündungsfördernden zu unterdrücken. Der Fokus lag hierbei auf dem Arzneimittel Niclosamid und den beiden bisher noch nicht zugelassenen Substanzen Berberin und Gedunin, die alle in vitro und in vivo bereits erste vielversprechende antientzündliche Wirkungen bewiesen haben. Für diese Arbeit wurden MSC aus Fettgewebe isoliert (ASC) und mit LPS oder einem Cytokin-Mix (Mischung aus TNF-α, IFN-γ und IL-1β) sowie den drei Substanzen stimuliert. Untersucht wurden im Anschluss die mRNA-Expressionen der gängigsten proinflammatorischen (TNF-α, IL-6, TLR-4, ICAM-1, HLA-DR) und antiinflammatorischen Marker (IDO, IL-10), sowie mittels ELISA die Protein-Freisetzung von IL-6 und IL-8. Die vielversprechendsten Ergebnisse ließen sich durch Berberin hervorrufen. Hier zeigte sich eine deutliche Senkung der IL-8-Konzentration im ELISA. Die Anwendung des Gedunin hatte keine signifikante Wirkung auf die ASC. Niclosamid hingegen scheint widererwarten sogar entzündungsfördernd zu wirken, in dem es die IL-6-, ICAM-1-mRNA-Expression steigerte und die IDO-mRNA-Expression absenkte. Unter den drei getesteten Subtanzen hat Berberin die beste Wirkung bewiesen. Nach weiterer Testung könnte eine Anwendung mit Berberin als in vitro Präkonditionierung von MSC vielversprechend sein. Die Verwendung von Niclosamid hingegen sollte vermieden werden, die Wirkung von Gedunin müsste genauer untersucht werden.
Eugen Helmlé, 1927–2000
(2018)
Eugen Helmlé (1927–2000) war einer der verwegensten und besessensten Übersetzer seiner Zunft, der an die 150 Bücher übersetzt hat und in ganz besonderer Weise Georges Perec verbunden war, dem herausragenden französischen Autor des 1960 gegründeten Oulipo-Kreises, der gemeinsam mit seinem Übersetzer Helmlé neue formale Wege der Literaturproduktion beschritt.
In der vorliegenden Bibliografie werden in der Rubrik "Übersetzungen in Buchform" Einzelausgaben und die daraus hervorgegangenen Sammelausgaben, die mehrere Werke enthalten, separat aufgeführt. Die Kategorie "Sonstige Übersetzungen" umfasst Bilderbuchversionen, Hörspiele sowie spätere Publikationen, die auf Cäcilie Heinigs Übersetzungen zurückgreifen.
Cäcilie Heinig, 1882–1951
(2022)
Manfred Peter Hein, Jg. 1931
(2024)
Für ihre Tätigkeit als Herausgeberin der Gesammelten Werke von Bertolt Brecht ist Elisabeth Hauptmann in der Brecht-Forschung hoch anerkannt. Vernachlässigt wird gelegentlich jedoch ihre Rolle als Übersetzerin, die Brecht mit ihren Übersetzungen neue Stoffe und Dramentraditionen erschloss. Sie war es, die u.a. die "Beggar's Opera" übersetzte, aus der später die "Dreigroschenoper" wurde - der größte deutsche Theatererfolg der 1920er Jahre.
Das Schilddrüsenkarzinom (SK) ist die häufigste bösartige endokrine Tumorerkrankung. Während das nicht-metastasierte und nicht-mutierte papilläre Schilddrüsenkarzinom (PSK) und das follikuläre Schilddrüsenkarzinom (FSK) eine gute Heilungschance aufweisen, zeigen die mutierten und metastasierten Varianten des PSK und FSK sowie das anaplastische Schilddrüsenkarzinom (ASK) weiterhin eine schlechte Prognose. Die Entwicklung von Therapieresistenzen stellen hierbei ein Hauptproblem in der Behandlung des fortgeschrittenen Schilddrüsenkarzinoms dar.
In den letzten Jahren wurden in Studien zunehmend Tumor-initiierende Zellen (TIZ) beschrieben, welche eine kleine Subpopulation von Zellen mit der Fähigkeit zur Selbsterneuerung, Tumorinitiierung und Entwicklung von Therapieresistenzen von Tumoren darstellen. Die Existenz von TIZ wurde auch im SK nachgewiesen. Ein entscheidender Faktor für die Persistenz von TIZ ist die Hypoxie, welche über eine Veränderung des Tumormikromilieus und des Zellmetabolismus zur Entstehung von Therapieresistenzen beiträgt. Ein durch Hypoxie hochreguliertes Enzym ist die Carboanhydrase IX (CAIX). CAIX wird hauptsächlich von Tumorzellen exprimiert und katalysiert die Reaktion von Kohlendioxid zu Bicarbonat und einem Proton und trägt damit zur Säurepufferung der Tumorzelle bei. CAIX stellt somit einen entscheidenden Faktor für das Überleben von Tumorzellen in einem hypoxischen Milieu dar. Des Weiteren ist eine erhöhte Expression von CAIX mit einem schlechten Patienten-Outcome assoziiert, wie z.B. im Brustkrebs. Diese Eigenschaften machen CAIX zu einem attraktiven Angriffspunkt einer zielgerichteten Tumortherapie. Die vorliegende Studie hat zum Ziel, die Expression von CAIX sowie dessen biologische Rolle im Schilddrüsenkarzinom näher zu untersuchen.
Hierzu wurden Proben von 114 SK-Patienten immunhistochemisch auf eine CAIX-Expression untersucht und mit tumorfreiem Schilddrüsengewebe verglichen. Hierbei waren unterschiedliche SK-Subtypen vertreten. Für eine weitere Validierung der Expressionsdaten erfolgte die Auswertung eines Datasets von „The Cancer Genome Atlas“ (TCGA) mithilfe von cBioportal. Da die Hypoxie ein wichtiger Faktor für die Persistenz von TIZ ist, wurde die CAIX-Expression in Tumorsphären, ein in vitro Nachweis von TIZ-Aktivität, mittels der Durchflusszytometrie bestimmt und mit der CAIX-Expression von Monolayern verglichen. Als SK-Zelllinien wurden BCPAP (PSK), FTC 133 (FSK) und 8505 C (ASK) verwendet. Anschließend wurde mithilfe der Polymerasekettenreaktion und Immunofluoreszenzfärbung untersucht, ob eine CAIX-Expression in den Tumorsphären mit der Expression von bereits bekannten Stammzellmarkern, u.a. NANOG, assoziiert ist. Die Unterschiede der CAIX-Expression, nach Inkubation der Monolayer jeweils in Normoxie und Hypoxie, wurden mittels Durchflusszytometrie bestimmt. Mithilfe eines genetischen CAIX-Knockdowns sowie einer pharmakologischen Inhibition mit dem CAIX-Inhibitor Methazolamid (MZM) wurde die Tumorzellproliferation und -Sphärenbildung unter Normoxie und Hypoxie bestimmt. Zusätzlich wurde der Einfluss von MZM auf die Apoptose und den Zellzyklus untersucht.
Immunhistochemische Färbungen der Gewebeproben von SK-Patienten zeigten, dass die CAIX-Expression sowohl im PSK und FSK als auch im ASK im Vergleich zum tumorfreien Schilddrüsengewebe erhöht war. Des Weiteren zeigte die klinisch-pathologische Datenanalyse, dass eine erhöhte CAIX-Expression mit dem Auftreten von Lymphknotenmetastasen im differenzierten SK assoziiert war. Auch die Analyse des TCGA-Datasets bestätigte, dass eine erhöhte Expression der CAIX-mRNA mit einem fortgeschrittenen Tumorstadium, Fernmetastasen und mit einem kürzeren Gesamt-Überleben von SK-Patienten korrelierte. Die weiteren funktionellen in vitro Untersuchungen ergaben, dass die CAIX-Expression in den Tumorsphären im Vergleich zu Monolayern erhöht und mit einer erhöhten Expression von Stammzellmarkern assoziiert war. Ein genetischer CAIX-Knockdown und eine CAIX-Inhibition mit MZM führten über eine Induktion der Apoptose und eines Zellzyklusarrests zu einer verminderten Tumorzellproliferation und Sphärenbildung.
Zusammenfassend deuten die Ergebnisse darauf hin, dass CAIX ein vielversprechendes Zielmolekül für eine gezielte Tumortherapie des fortgeschrittenen SK ist. Um diese Hypothese bestätigen zu können, sind jedoch weitere prospektive Analysen von Patientenproben sowie funktionelle in vivo Untersuchungen am SK nötig.
Einleitung: Die Zentrale Notaufnahme (ZNA) stellt eine Schnittstelle zwischen prä- und innerklinischer Versorgung dar. Das Spektrum der Krankheitsbilder erstreckt sich über jegliche Fachrichtungen und variiert von harmlosen Banalitäten bis zu akuten Notfällen. Eine sichere und suffiziente Primärversorgung ist die Basis eines qualitativ-hochwertigen Gesundheitssystems.2 Verspätete oder falsche Diagnosen in der ZNA sind mit 10-30 % keine Seltenheit.
Dies ist nicht nur für den individuellen Patienten belastend, es bedeutet auch einen zusätzlichen Ressourcenverbrauch und eine finanzielle Belastung für das Gesundheitssystem. Clinical Decision Support Systems (CDSS) haben das Potenzial, sowohl professionelle Anwender als auch Laien bei ihrer Diagnosefindung zu unterstützen. Fragestellung: Ziel der Arbeit ist es herauszufinden, welchen Einfluss der Diagnosezeitpunkt auf das Outcome von Patienten mit Abdominalschmerzen in der ZNA hat und inwiefern ein CDSS das Potenzial hat, die genannten Punkte zu beeinflussen.
Methoden: Es handelte sich um eine prospektive, doppelt verblindete Beobachtungsstudie. Patienten, die sich mit Abdominalschmerzen in der Notaufnahme vorstellten, gaben ihre Symptome in die Ada-App ein. Sowohl die Diagnosevorschläge der App als auch die Verdachtsdiagnosen des behandelnden Arztes wurden dokumentiert und verglichen. Weitere erhobene Parameter waren die Verwendung von apparativer Diagnostik, die vergangene Zeit bis zur endgültigen Diagnosestellung, das Auftreten von Komplikationen, die Komorbidität und Mortalität sowie die Länge des Krankenhausaufenthalts. Das Follow-Up erfolgte zu verschiedenen Zeitpunkten bis zu Tag 90. Für die Analyse wurden die 450 Patienten anhand des Zeitpunkts ihrer Diagnosestellung in Gruppen "früh" (Tag 0) und "spät" (Tag 1-24) eingeteilt.
Ergebnisse: Im Vergleich zur „frühen“ Gruppe, hatte die Gruppe der „spät“ diagnostizierten Patienten einen höheren Anteil von Männern (45.2% (n=168/372) versus 60.3 % (n=47/78); p=0.018), im Schnitt einen höheren Charlson Comorbidity Index (0.7 versus 1.1; p=0.045) und im Schnitt einen höheren RAI-C Score (8.06 versus 9.9; p<0.001) am Tag ihrer Vorstellung. Bei den „spät“ diagnostizierten blieben weniger Patienten komplikationsfrei (57.0 % 49 (n=212/372) versus 17.9% (n=14/78); p<0.001), es traten mehr Major-Komplikationen auf (8.9% (n=33/372) versus 17.9% (n=14/78); p=0.024), analog dazu war der Comprehensive Complication Index höher (13.1 versus 25.6; p<0.001) und sie verweilten länger im Krankenhaus (2.6 Tage versus 6.7 Tage; p<0.001). Zudem nahmen sie signifikant mehr apparative Diagnostik in Anspruch.
Die behandelnden Ärzte konnten in 82.6% der Fälle (n=372/450) am Tag der Vorstellung die korrekte Diagnose stellen. Die Ada-App konnte in insgesamt 52% der Fälle (n=234/450) die korrekte Diagnose unter ihren Diagnoseverschlägen nennen.
Schlussfolgerung: Multimorbide Patienten scheinen anfälliger zu sein für falsche und verspätete Diagnosen. Ein später Diagnosezeitpunkt korreliert mit der vermehrten Nutzung apparativer Diagnostik, einem komplikationsreicheren Verlauf, einer höheren Komorbidität und einem längeren Krankenhausaufenthalt.
Die Ada-App ist den Ärzten zwar unterlegen, dennoch ist Potenzial vorhanden.
Für Ärzte kann die Ada-App eine Unterstützung im Rahmen der Diagnosefindung darstellen. Neben der Ressourcenentlastung kann sie vor Fehlannahmen und frühzeitigen Schlussfolgerungen schützen und auf weitere mögliche Differentialdiagnosen hinweisen. Die Ada-App stellt für Laien mit Sicherheit eine Weiterentwicklung gegenüber der simplen Symptomsuche über das Internet dar, dennoch sollten weitere Studien den Nutzen und die Sicherheit der App überprüfen.
Finanzielle Armut prägt Mobilitätspraktiken und kann dabei zum Prozess von mobilitätsbezogener sozialer Exklusion beitragen. Zu den Personen, deren Armutsrisiko besonders hoch ist, zählen in Deutschland Haushalte mit Kindern, insbesondere Alleinerziehende. Ältere Menschen haben nicht die höchste Armutsgefährdung, jedoch besteht bei ihnen das Risiko von Verharrung in Armut, da die Möglichkeiten, die finanzielle Situation aus eigener Kraft zu ändern mit zunehmendem Alter sinken.
Um ein tieferes Verständnis davon zu erhalten, wie finanzielle Armut die Mobilitätspraktiken und soziale Teilhabe von Haushalten mit Kindern sowie älteren Menschen prägt, wurden mit diesen beiden Personengruppen problemzentrierte Interviews in Ronnenberg (Region Hannover) geführt und analysiert. Die Ergebnisse belegen, dass, wenngleich alle Befragten mit ähnlich geringen finanziellen Ressourcen haushalten und Verzicht sowie Abwägungsprozesse notwendig sind, sich ihre Mobilitätspraktiken und Alltagsbewältigungsstrategien unterscheiden, was sich in zwei Typologien widerspiegelt. Erstens, eine Typologie der Mobilitätspraktiken von Haushalten mit Kindern: (i) autozentriert, (ii) autoreduziert, (iii) ÖPNV-orientiert und (iv) nichtmotorisiert. Zweitens, eine Typologie älterer Menschen anhand ihrer Mobilitätspraktiken: (i) aktive ältere Menschen mit vielseitigen sozialen Interaktionen, (ii) nachbarschaftsorientierte ältere Menschen mit lokalen Kontakten und (iii) ältere Menschen, die überwiegend zu Hause sind und wenig soziale Kontakte haben.
Um herauszufinden, inwiefern mobilitätsbezogene Barrieren der sozialen Teilhabe reduziert werden können, wurden fünf Maßnahmen bezüglich ihrer Wirkung auf die Mobilitätspraktiken einkommensarmer Haushalte mit Kindern untersucht: einerseits die Wirkung des 9-Euro-Tickets anhand von problemzentrierten Interviews mit einkommensarmen Haushalten mit Kindern, andererseits anhand von Expert:inneninterviews die Wirkung von Radlernkursen für Frauen mit Migrationshintergrund, eines Mietertickets, eines Quartierstickets und der Verbesserung der Nahraum- und Aufenthaltsqualität am Beispiel von Tempo 30. Die Ergebnisse zum 9-Euro-Ticket belegen, dass ein erschwingliches ÖPNV-Ticket erheblich zur Reduzierung mobilitätsbezogener Barrieren der sozialen Teilhabe im Armutskontext beiträgt. Die Expert:inneninterviews zeigen auf, dass eine Förderung des Umweltverbunds zielführend ist, um zu einer sozial-ökologischen Verkehrswende beizutragen und insbesondere Maßnahmenbündel Wirkung auf die Reduzierung von mobilitätsbezogenen Barrieren der sozialen Teilhabe entfalten.
Die Erkenntnisse dieser Dissertation ergänzen den wissenschaftlichen Forschungstand um ein tiefergehendes Verständnis der Wirkung von finanzieller Armut auf die Mobilitätspraktiken und soziale Teilhabe von Haushalten mit Kindern und älteren Menschen und helfen dabei, Maßnahmen zur Reduzierung mobilitätsbezogener Barrieren der sozialen Teilhabe zu konzipieren und umzusetzen.
Weltweit gibt es laut WHO ca. 58 Millionen Menschen mit einer chronischen Hepatitis-C-Virus (HCV) Infektion und jährlich stecken sich ca. 1,5 Millionen Menschen neu mit diesem Virus an (Stand 2019). Da die Folge einer chronischen Hepatitis-C-Virus Infektion eine potenziell tödlich verlaufende Leberzirrhose oder die Entwicklung eines Hepatozellulären Karzinoms sein können, ist eine frühe Diagnose und eine adäquate Therapie eine wichtige Aufgabe in der Medizin.
Die bisherige Therapie erfolgte mittels pegyliertem Interferon und Ribavirin und seit einigen Jahren auch interferonfrei mittels Direkter Antiviraler Agenzien (DAA). Vor allem beim älteren Therapieregime konnten viele Nebenwirkungen und häufiger auch ein Therapieversagen auftreten, sodass ein leicht zu gewinnender Biomarker nützlich wäre, der die Patienten mit Therapieversagen frühzeitig und im besten Fall sogar vor Therapiebeginn detektieren kann.
In der vorliegenden Arbeit wurden die Spiegel von extrazellulär im Blut zirkulierender, leberspezifischer microRNA miR-122 auf Eigenschaften als solche potenzielle Biomarker untersucht. Dazu wurden die Patientenseren von insgesamt 60 Patienten mit chronischer Hepatitis-C-Virus Infektion analysiert, die mittels pegyliertem Interferon und Ribavirin behandelt wurden. Vor, während und nach der Therapie wurden verschiedene Laborparameter sowie die miR 122 in den Patientenseren bestimmt. 20 dieser Patienten zeigten ein dauerhaftes Ansprechen auf die Therapie (sustained virological response = SVR), 20 zeigten nach einem initialen Therapieansprechen ein Rückfall der Erkrankung (Relapse) und 20 Patienten sprachen gar nicht auf die Therapie an (Non-Responder = NR).
Zunächst wurden die sogenannten Baseline-Charakteristika der Patienten vor Therapiebeginn untersucht. Dabei konnten wir jedoch keinen Unterschied zwischen den Patientengruppen hinsichtlich der Alanin-Aminotransferase (ALT) und Aspartat-Aminotransferase (AST), zwei Laborparameter zur Bestimmung einer Leberschädigung, sowie der HCV-RNA, ein Parameter zur Bestimmung der Viruslast bei Patienten mit einer HCV-Infektion, feststellen.
Auch die miR-122-Spiegel zeigten vor Therapiebeginn keinen signifikanten Unterschied zwischen den drei Patientengruppen. Daraus wurde geschlossen, dass man die miR-122 vor Therapiebeginn nicht als prognostischen Marker für einen Therapieerfolg verwenden kann.
Beim Vergleich der miR-122-Spiegel mit den Laborparametern konnte eine signifikante Korrelation zwischen der miR-122 und der ALT, AST und der Gamma-Glutamyl-Transferase (GGT) festgestellt werden. Die miR-122 scheint somit ähnlich wie die anderen Laborparameter eine Leberzellschädigung widerzuspiegeln.
Nach dem Therapiebeginn konnte bereits ab Woche 4 ein signifikanter Unterschied zwischen den SVR und Non-Respondern sowie zwischen den Relapsepatienten und den Non-Respondern festgestellt werden. Jedoch war der Unterschied zwischen den SVR und den Relapse-Patienten nicht signifikant, sodass man weiterhin keine Unterscheidung dieser beiden Patientengruppen machen konnte.
Auch die ALT- und HCV-RNA-Spiegel zeigten einen ähnlichen Verlauf. In den Gruppen der SVR und Relapse-Patienten zeigte sich im Laufe der Therapie ein Rückgang der Parameter wohingegen die Gruppe der Non-Responder keine signifikante Dynamik aufwies.
Zum Schluss wurden die miR-122-Spiegel 12 bzw. 24 Wochen nach Therapieende bestimmt, dem sogenannten Zeitpunkt des Follow-Up bei dem der Therapieerfolg laut Leitlinie mit Hilfe der HCV-RNA-Messung bestimmt wird. Dabei konnte ein signifikanter Unterschied zwischen den miR-122-Spiegeln bei den SVR-Patienten und den anderen beiden Patientengruppen festgestellt werden.
In Zusammenschau dieser Ergebnisse kann man sagen, dass die miR-122 gut geeignet ist um ähnlich wie die HCV-RNA den Therapieverlauf widerzuspiegeln. Als prognostischer Parameter bzw. Biomarker für ein Therapieansprechen ist sie jedoch nicht geeignet, da keine Unterscheidung zwischen den einzelnen Patientengruppen vor Therapiebeginn möglich ist und während der Therapie lediglich die Non-Responder und nicht die Relapse-Patienten detektiert werden können.
Im Fokus der vorliegenden Arbeit stand die Fragestellung, inwieweit ORF10 von B. recurrentis, dem Erreger des Läuserückfallfiebers, mit verschiedenen Komplementkomponenten interagieren kann.
Mit funktionellen Komplementtests konnte gezeigt werden, dass ORF10 den klassischen, den alternativen sowie den Lektin-Weg inhibiert, wobei sich die stärkste Inhibition gegenüber dem alternativen Weg manifestierte. Darüber hinaus ließ sich in einem Zell-basierten Hämolyse-Assay eine Inhibition des terminalen Komplementweges durch ORF10 nachweisen.
Die durchgeführten Bindungsanalysen mit verschiedenen Komplementkomponenten führten zu dem Ergebnis, dass ORF10 mit C1q, C1s, C3, C3b, C4b und C5 interagiert und diese Protein-Protein-Interaktion mit den Komplementkomponenten C1q, C3, C3b und C4b durch einen dosisabhängigen Verlauf charakterisiert ist. Eine Bindung von C1r, C2, C4, FB, FH sowie FI konnte jedoch nicht nachgewiesen werden.
Auf Basis der modellierten Struktur von ORF10 wurden mithilfe der In-vitro-Mutagenese drei verschiedene Varianten generiert, die jedoch nicht affinitätschromatographisch aus E. coli-Zelllysaten isoliert werden konnten und deshalb nicht für weiterführende funktionelle Analysen zur Verfügung standen.
Die Ergebnisse der Serumbakterizidie-Tests mit einem „gain of function“-Borrelienstamm, welcher ORF10 heterolog produzieren sollte, ergaben, dass keine erhöhte Resistenz gegenüber Humanserum nachgewiesen werden konnte. Inwieweit ORF10 bei der intrinsischen Serumresistenz von B. recurrentis beteiligt ist, lässt sich abschließend nicht vollumfänglich erklären.
Mit einem Stadtbegriff tue ich mich schwer. Städte zu verstehen ist gleichbedeutend damit, Wandel zu verstehen. Städte haben sich über die Jahrhunderte, über die Kontinente und Gesellschaftsformationen hinweg so häufig gehäutet, dass an einem geronnenen Zustand orientierte Definitionen zum Scheitern verurteilt sind. So hat es immer wieder Versuche gegeben, Stadt aus ihrer Bevölkerungsgröße, ihrer Siedlungsstruktur oder ihrer Wirtschafts- und Bauweise abzuleiten, also aus ihren besonderen räumlich-physischen Eigenschaften, die aber allenfalls zeithistorischen Wert haben.
Klaus Werner beschreibt in seinem Beitrag die einzigartige Mehrschichtigkeit und Tiefendimension künstlerisch bearbeiteter 'schwarzer Bücher' in Li Silberbergs Installation "Bibliothek", die als unzugänglicher gläserner Raum entzogener Lektüre mit der Einrichtung von Regalfächern und Schreibplatte zugleich subtil die materielle Bedingtheit des 'Prinzips Bibliothek' ausstellt.
Susanne Klimroths Beitrag widmet sich den Texten zu Oskar Kokoschkas Alma-Mahler-Puppe und stellt den fiktionalisierten Status insbesondere der eigenen Schilderungen der 'Puppenepisode' des doppelbegabten Künstlers heraus. Sie argumentiert für eine Widerspenstigkeit sowohl der Materialität der Puppe als auch der Überlieferung der literarisierten Puppe.
Timo Sestu analysiert in seinem Beitrag die kulturhistorische Bedeutung selbstschreibender Automaten des 18. Jahrhunderts und deren satirische 'Fortschreibung' bei Jean Paul. Es zeigt sich, dass diesen Automaten aufgrund ihrer Materialität und Körperlichkeit auch widerständige Potentiale innewohnen, die der gewaltsamen Zurichtung "gelehriger Körper" im Sinne Foucaults die Virtualität des Geschriebenen und die Bewahrung poetischen Eigensinns entgegensetzen.
Nina Tolksdorf verdeutlicht in ihrer Analyse von Pantomimen um 1900, dass diese, wie Puppen und Marionetten, in zweifachem Sinn auf Oberflächen verweisen, zum einen auf die des Körpers bzw. Materials der Figuren und Körper, zum anderen auf die Oberflächenrhetorik der literarischen Texte selbst. Auf diese Weise wird der "hermeneutische Tiefenblick" als Lektüre- und Analysepraxis gleichermaßen offengelegt wie durchkreuzt.
Marc Matters Beitrag ist der medienarchäologische Versuch, am Beispiel des Audioverlags Balsam Flex und seines Gründers E. E. Vonna-Michell von der Literaturwissenschaft häufig vernachlässigte Audioformate - experimentelle Tonkunst, Sound Poetry, Klang-Installationen - in ihrer künstlerischen und kunsthistorischen Bedeutung zu würdigen.
Lara Tarbuk widmet sich dem Gedichtband "dachbodenfund" von Nicolas Mahler, dessen Texte aus Spielzeugauktionskatalogen montiert werden. Ihre Lektüren ausgewählter Gedichte zeigen, wie, vermittelt über die montierten Texte, die Materialität des Bandes und seiner Texte selbst zum Gegenstand der Reflexion wird.
Hartmut Abendschein zeigt in seinem Beitrag, wie bibliothekarische Praktiken und Konventionen zum kreativen Ausgangspunkt von verlegerischen und schriftstellerischen Entscheidungen werden können. Die Publikationen seines Verlags edition taberna kritika formieren sich in verschiedenen Reihen, die z. B. durch ihre Metadatensätze aufeinander bezogen sind, sodass das Verlagsprogramm selbst als konzeptionelles Kunstwerk zu verstehen ist.
Am Beispiel von Hannah Höchs "Hampelfrau" problematisiert Susanna Brogi Katalogisierungs- und Klassifikationspraktiken in musealen und archivischen Kontexten und weist auf die diskursiven Zusammenhänge und weitreichenden Folgen der Benennung und Beschriftung von Artefakten für den weiteren Umgang mit ihnen hin.
Laura Basten sichtet den schriftstellerischen und künstlerischen Nachlass von Maria Benemann, einer Protagonistin im Umfeld von Expressionismus und Bauhaus, die heute allenfalls als Fußnote in den Biographien prominenter Männer gewürdigt wird. Aus der Perspektive der Editionswissenschaft reflektiert Basten die Möglichkeiten und Probleme, den Nachlass Benemanns wieder einer größeren Leserschaft zuzuführen. Neben Besonderheiten, die den Nachlass selbst betreffen, diskutiert sie dabei auch kanonpolitische Fragen und erörtert, wie eine Edition beschaffen sein müsste, die ein Werk aus bis dato nicht publizierten oder schwerlich zugänglichen Texten zuallererst herstellt.
Andreas Bülhoff und Annette Gilbert geben einen Einblick in die von ihnen im Rahmen des DFG-Projekts "Artefakte der Avantgarden 1885–2015" begründete "Library of Artistic Print on Demand". Dabei zeigen sie anhand ausgewählter Artefakte, wie PoD-Publikationen als programmatisch schlecht gemachte Bücher die Restriktionen des Literaturbetriebs und der PoD-Plattformen gleichermaßen unterlaufen. Zugleich ist der Status dieser Artefakte äußerst prekär: Der Eingang dieser Publikationen in die Bestände der Bibliotheken kann darum auch als ein kulturpolitisches Anliegen begriffen werden.
Mette Biil Sørensen demonstriert an mehreren "Foto-Texten" W. G. Sebalds die weitreichenden Folgen verlegerischer Entscheidungen zur Platzierung und Rahmung von Photographien und Schriftelementen in der 'materiellen Übersetzung' von Text und Buch-Objekten.
Die Übersetzung literarischer Werke wird meist in erster Linie mit der sprachlichen Übersetzung eines Textes aus einer Ausgangssprache in eine Zielsprache konnotiert, was Roman Jakobson mit dem in der Übersetzungswissenschaft einschlägigen Begriff 'interlingual translation' oder auch 'translation proper' bezeichnet hat. Diese Konnotation macht sich sowohl bei der allgemeinen Leser*innenschaft als auch zuweilen in der praktischen Handhabung einer literarischen Übersetzung im Verlagswesen geltend. Im Anschluss an die jüngsten Entwicklungen der Literaturforschung zur Materialität von gedruckten Büchern stellt sich jedoch die Frage, woraus eigentlich der Gegenstand einer literarischen Übersetzung besteht. Wird alleine der sprachliche Gehalt eines Textes einem Übersetzungsprozess unterzogen oder soll vielmehr das gesamte Buchobjekt in die Zielsprache und Kultur übertragen werden? Diese Frage stellt sich insbesondere bei solchen literarischen Werken, die aus mehreren bedeutungstragenden Elementen bestehen, so wie es bei literarischen "Foto-Texten" der Fall ist. In diesem Beitrag wird untersucht, welchen Einfluss die Übertragung vor allem visuell-materieller Bedeutungsträger auf die Deutungsangebote literarischer "Foto-Texte" ausübt, anhand von Beispielen aus W. G. Sebalds (1944–2001) zwei Werken "Die Ringe des Saturn" (1995) und "Austerlitz" (2001) in deutschen, englischen, dänischen und schwedischen Ausgaben.
Tobias Vogt erhellt am frühen Beispiel der hintergründigen Bildsprache der Michelin-Werbung um 1900 die untrennbare Verflechtung von Kunst, Ökonomie und Publikationsstrategien in der französischen Avantgarde und rekonstruiert zugleich die Material- und Kulturgeschichte des Kautschuks zwischen Reifenproduktion und Collage.
Christin Krüger betrachtet den Zusammenhang zwischen Gliederpuppe bzw. Marionette und der Konstitution eines (literarischen) Textes. So ist die Gliederpuppe in Heinrich von Kleists Essay "Über das Marionettentheater" nicht nur Gegenstand der Erzählung, sondern ein Phänomen des Textes selbst, indem die gegliederte Rede zum Akteur eines "Artikulationsspektakels" wird. Dies verbindet Kleists Schrift mit den über Jean Starobinski vermittelten Anagramm-Studien Ferdinand de Saussures, in denen die Gliederpuppe als zentrale Reflexionsfigur wieder auftaucht, und mit der eingehenden Beschäftigung Hans Bellmers mit Puppen, die nicht zuletzt in der Illustration von Kleists "Marionettentheater" kulminiert.
Magnus Wieland untersucht in seinem Beitrag die Bedeutung von Hüten, die sich als motivischer und biographischer roter Faden durch die Kunst der Avantgarde ziehen. Vielsagend ist die etymologische Anspielung auf die 'Vor-Hüte' der Avantgarde, da sich anhand kopfloser oder fortfliegender Hüte die antibürgerliche Ästhetik der Avantgarde 'in nuce' skizzieren lässt.
Die vielgestaltige Kunst der europäischen Avantgarden hat besondere Dinge, Objekte oder Artefakte hervorgebracht, die hier ins Zentrum einer interdisziplinär erarbeiteten Sammlung historischer Fallstudien gerückt werden. Die Beiträge untersuchen aus Sicht der digitalen Gegenwart sprechende Gegenstände wie Hüte, Puppen, Bücher in print on demand, Fototexte, Audiokassetten und diverse Archivalien, zudem einzigartige kulturhistorische und künstlerische Produktionen, etwa das 'Michelin-Männchen', Hannah Höchs 'Hampelfrau' und Schreibautomaten. Eine neu akzentuierte Literaturgeschichte der Objekte zeichnet sich hier ab, zugleich eine andere Geschichte der Avantgarden von ihren Rändern her.
Die vielgestaltige Kunst der europäischen Avantgarden hat besondere Dinge, Objekte oder Artefakte hervorgebracht, die hier ins Zentrum einer interdisziplinär erarbeiteten Sammlung historischer Fallstudien gerückt werden. Die Beiträge untersuchen aus Sicht der digitalen Gegenwart sprechende Gegenstände wie Hüte, Puppen, Bücher in print on demand, Fototexte, Audiokassetten und diverse Archivalien, zudem einzigartige kulturhistorische und künstlerische Produktionen, etwa das 'Michelin-Männchen', Hannah Höchs 'Hampelfrau' und Schreibautomaten. Eine neu akzentuierte Literaturgeschichte der Objekte zeichnet sich hier ab, zugleich eine andere Geschichte der Avantgarden von ihren Rändern her.
Als Carlo Ginzburg die These formulierte, dass die Geisteswissenschaften wie die Kriminalliteratur im sog. "Indizienparadigma" gründeten, hatte er mit Sherlock Holmes einen Detektiv vor Augen, der persönlich den Tatort besichtigte. Dort erhob er Spuren, kombinierte sie und kam in oftmals ingeniösen, aber auch höchst spekulativen Schlussfolgerungen zur Lösung seines Falls. Vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen in Forschung und Fahndung muss dieses materiell und empirisch grundierte "Indizienparadigma" jedoch einer Revision unterzogen werden. Denn seit der Privatdetektiv von "Kommissar Computer" Konkurrenz bekommen hat, haben sich die Investigationspraktiken grundlegend gewandelt: So können computergestützte Fahndungs- und Aufklärungsmethoden eine Besichtigung des Tatorts ersetzen, während algorithmische Wahrscheinlichkeitsrechnung vergangene wie zukünftige Fälle erhellt. Der vorliegende Sammelband mit Beiträgen aus der Literatur-, Medien- und Designwissenschaft untersucht, inwiefern solche "virtuellen Investigationen" in Literatur und Kunst der Gegenwart eine Revision des Indizienparadigmas einschließen - und inwiefern Begriffe der Virtualität bereits die Investigativarbeit im 19. Jahrhundert prägten.
Das Fach "Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft (AVL)" beschäftigt sich mit dem Vergleich von Literatur aus verschiedenen Kulturen, Epochen und Gattungen. Der Begriff "Komparatistik" wird weitgehend synonym verwendet, legt aber einen noch stärkeren Schwerpunkt auf den Vergleich als allgemeine epistemologische Praxis, vor dem der Fokus auf Literatur in den Hintergrund geraten kann. Die Geschichte des Fachs in Deutschland reicht bis in das 19. Jahrhundert zurück, in dem es - in etwa zeitgleich mit den "Nationalphilologien" (hier also Germanistik) - vor allem im Sinne einer vergleichenden Literaturgeschichte entstand. Während in den Anfängen Einflussforschung und Gattungsgeschichte im Vordergrund standen, hat das Fach im 20. Jahrhundert mehrere Ausweitungen erfahren. So zählen beispielsweise auch die allgemeine Literatur- und Kulturtheorie, die Ästhetik und der Vergleich von Literatur mit anderen Medien zu den Forschungsgebieten der AVL. Schon früh wurde der grenzüberschreitende Anspruch der AVL über den von J.W. Goethe lancierten Begriff "Weltliteratur" bestimmt. Entsprechend gehört auch die Frage, wie der Begriff historisch verstanden wurde und wie er im Zeitalter beschleunigter Globalisierung zu denken ist, zu den prominentesten Debatten im Rahmen der AVL. In der ursprünglichen Konzeption von Goethe war "Weltliteratur" als Dialog zwischen den Nationalliteraturen gedacht, wobei sowohl Rezeption (des kulturell Fremden) als auch Widerspiegelung (des Eigenen in der Rezeption durch Andere) im Vordergrund standen. Heute wird die eurozentrische Orientierung des Begriffs problematisiert, aber die Frage bleibt virulent, ob und wie Literatur aus verschiedenen Kulturen und Sprachen auf eine universelle Ebene gehoben werden kann, ohne ihre spezifischen Kontexte zu verlieren.
Das Hepatoblastom ist ein embryonaler Lebertumor, dessen Zellen unterschiedliche unreife Stadien aufweisen. Aufgrund dieser Unreife ist die Identifizierung von Krebsstammzellen erschwert, die in diesem Tumor vermutet und für Rückfälle verantwortlich gemacht werden. In Vorarbeiten konnte eine Krebsstammzellpopulation mit der Kombination der hämatopoetischen Stammzellmarker CD90 und CD34 sowie dem „oval cell“ OV-6-Antikörper in den etablierten Hepatoblastomzelllinien HuH6 und HepG2 detektiert werden. Diese CD34+OV-6+CD90+ Zellen wiesen eine erhöhte Expression von Pluripotenzfaktoren auf und zeichneten sich durch ein erhöhtes Migrationsverhalten aus.
In der hier vorgelegten Arbeit wurden zunächst Tumor-Sphäroid-Assays durchgeführt um diese Population als Krebsstammzellen zu bestätigen, da nur Krebsstammzellen unter den gegebenen Umständen wachsen können. Diese waren im Anschluss wieder in der Lage, in „normalem Medium“ zu differenzieren. Des Weiteren wurden die Zelllinien mit dem Standardtherapeutikum Cisplatin behandelt. Da Krebsstammzellen als chemoresistent gelten, konnte in der überlebenden Zellpopulation auch eine Anreicherung der CD34+OV-6+CD90+ Zellen beobachtet werden. Zusätzlich ließ sich eine weitere CD34+OV-6+CD90+ Population identifizieren, deren Expression aller drei Marker schwächer war und die bei steigenden Cisplatin-Konzentrationen den Großteil der CD34+OV-6+CD90+ Population ausmachte.
Neben den erhöhten Transkriptmengen der Pluripotenzmarker Oct4 und Nanog zeichneten sich die CD34+OV-6+CD90+ Krebsstammzellen durch eine verstärkte Expression der aktivierungsinduzierten Zytidin-Desaminase AID aus. AID wirkt induzierend auf die Transkription beider Pluripotenzmarker. Daher könnte es auch bei Krebsstammzellen eine Rolle bei der Induktion von Pluripotenz und bei ihrer langfristigen Erhaltung spielen. Dies unterstützend legten die verminderten Transkriptmengen der Pluripotenzgene nach einem AID siRNA Knock-Down eine Abhängigkeit des Stammzellcharakters von diesem Faktor nahe. Um einen Effekt von Therapeutika, die inhibitorisch auf AID wirken, auf Krebsstammzellen zu untersuchen, wurden die Zellen mit den DNMT-Inhibitoren Decitabine und Zebularine sowie dem HSP90-Inhibitor Tanespimycin behandelt. Tatsächlich konnte vor allem in den HuH6-Zellen ein verminderter Anteil der Krebsstammzellpopulation durch die drei Substanzen beobachtet werden. Wurden die Zellen im Anschluss mit dem Standardzytostatikum Cisplatin behandelt, führte allerdings eine Vorbehandlung mit Zebularine oder Decitabine zu einer starken Anreicherung von Krebsstammzellen. Dies war vor allem auf Zellen mit dem schwach positiven CD34+OV-6+CD90+ Expressionsprofil zurückzuführen, die chemo-induziert zu sein scheinen. Zwar erscheint die Mehrheit der Tumorzellen eliminiert zu werden, jedoch lassen diese Ergebnisse die Entstehung von chemo-induzierten Krebsstammzellen vermuten, die langfristig für einen Rückfall verantwortlich sein könnten. Daher ist von einer Ergänzung der Therapie mit diesen Substanzen abzusehen. Eine Vorbehandlung mit Tanespimycin hingegen konnte im Vergleich zur alleinigen Cisplatin-Behandlung wirksam den Anteil der Krebsstammzellen reduzieren. Interessanterweise war dies nicht auf einen verstärkten Zelltod der Krebsstammzellen, sondern vielmehr auf eine durch Tanespimycin bewirkte Differenzierung derselben zurückzuführen. Diese spiegelte sich auch in einer verminderten Expression von Pluripotenzmarkern auf mRNA-Ebene im Vergleich zur alleinigen Cisplatin-Behandlung wider.
Somit präsentierte sich Tanespimycin als potenter Inhibitor von Krebsstammzellen. Auch wenn weitere vorklinische und klinische Tests und Untersuchungen erfolgen müssen, stellt Tanespimycin bzw. die Substanzklasse der HSP90-Inhibitoren einen interessanten und vielversprechenden Kandidaten für eine Ergänzung der Standardtherapie vor allem bei behandlungsresistenten und rekurrenten High-Risk-Hepatoblastomen dar.
Die theoretische Vorstellung von Berührung als einer Verbindung durch Trennung, wird, wie Karin Harrasser herausstellt, im Rahmen der politischen Nähe- und Distanzreglementierung der Corona-Pandemie zu einer alltäglichen Erfahrung, die dazu veranlasse, noch einmal neu über das Verhältnis von Berührung und Grenze nachzudenken. Harrassers Beitrag beschäftigt sich mit einem Denken des Halbdurchlässigen in drei Episoden aus Ovids "Metamorphosen" (Arachne, Marsyas und Niobe). Ihre Analyse, in der auch Diego Velázquez' Gemälde "Die Fabel der Arachne" und Tizians "Die Häutung des Marsyas" eine zentrale Rolle spielen, plädiert für das Denken eines "taktvollen Berührbarmachens" und einer Annäherung jenseits von harten Grenzen.
Test-Retest-Reliabilität der Präpulsinhibition (PPI) und PPI-Korrelation mit dem Arbeitsgedächtnis
(2023)
Sensomotorisches Gating – ein Mechanismus zur Filterung des sensorischen Inputs und zur Regulierung des motorischen Outputs – wird experimentell durch die Präpulsinhibition (PPI) der akustisch ausgelösten Schreckreaktion (ASR) operatio-nalisiert. Frühere Studien deuten auf eine hohe Test-Retest-Reliabilität der PPI und eine mögliche Korrelation mit dem Arbeitsgedächtnis (engl. Working Memory (WM)) hin. Ziel dieser Studie war es, die Test-Retest-Reliabilität der PPI bei ge-sunden Menschen und ihre Korrelation mit der Leistung des WM zu überprüfen. Hier wurde ein akustisches Schreckreiz-PPI-Paradigma mit vier verschiedenen Präpuls-Intensitäten (64, 68, 72 und 76 dB(A)) und zwei verschiedene WM-Aufgaben (n-back, Change-Detection-Task (CDT)) verwendet. Es konnte eine ho-he Retest-Reliabilität der PPI mit einer mittleren Intraklassenkorrelation (engl. In-traclass Correlation (ICC)) von >.80 und eine signifikante positive Korrelation der PPI mit der n-back-, aber nicht mit der CDT-Leistung bestätigt werden. Eine detail-lierte Analyse zeigte, dass die PPI über alle Präpulsintensitäten hinweg sowohl mit den 2-back- als auch mit den 0-back-Bedingungen signifikant korrelierte, was auf eine Regulation durch konditionsübergreifende Prozesse (z. B. Aufmerksamkeit) schließen lässt. Wird jedoch die 0-back-Komponente aus den 2-back-Daten aus-partialisiert, sind spezifische und signifikante Korrelationen mit der Arbeitsgedächt-nisleistung für die 76 dB(A) PPI-Bedingung zu finden. Mit der vorliegenden Studie konnte die hohe Test-Retest-Reliabilität der PPI beim Menschen bestätigt und die Korrelation mit der Arbeitsgedächtnisleistung validiert und erweitert werden.
Dass das ZfL ihn seit Kurzem als Senior Fellow führt, passt so gar nicht zu der ungestümen Neugierde und den kreativen Energien, die sich Detlev Schöttker nicht nur bewahrt hat, sondern die jüngst über der Beschäftigung mit einem neuen Gegenstand eine neue Qualität gewonnen haben. Instantan, vehement und bedingungslos hat er sich nach dem Umzug des ZfL nach Wilmersdorf in ein neues Forschungsprojekt weniger vertieft als gestürzt. Doch recht besehen ist es kein neuer Gegenstand, sondern es sind seine alten Bekannten, die ihm rund um den Fasanenplatz wiederbegegnen. Ein größeres Geschenk als diese Nachbarschaft hätte man ihm vielleicht nicht machen können: Die literarische und kulturelle Moderne entstand hier! Der Fasanenplatz ist ein 'Freilichtmuseum' der Moderne mit Hauptmann, Brecht, Benjamin und vielen anderen. Und Detlev Schöttker wäre nicht Detlev Schöttker, wenn er die Öffentlichkeit nicht sogleich über einige seiner Funde und Entdeckungen informiert hätte. In der FAZ sind bereits mehrere Artikel von ihm über die erstaunliche Bedeutung unseres Kiezes für die Moderne erschienen.