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Das Theater ist für die Frage nach der Sakramentalen Repräsentation der Frühen Neuzeit schon aufgrund der schlichten Tatsache interessant, dass es als Verbund von Zeichen, Bildern und Gesten in größter denkbarer Nähe zur Liturgie steht. Die Nähe ist gefährlich und immer heikel, und so gehört es zu den Gemeinplätzen der protestantischen Kritik an der Messe, diese sei bloßes Theater. Umgekehrt benutzen aber auch die Reformatoren selbst immer wieder die Metaphorik des Theaters, etwa wenn Calvin die Welt als großes Theater der Herrlichkeit Gottes bezeichnet oder Luther sich selbst als Zuschauer der Heilsgeschichte imaginiert. An dieser schwierigen Grenze bildet sich eine kirchliche und insbesondere protestantische Theaterfeindschaft heraus, die den Anspruch des Theaters, Wirklichkeit darzustellen, aufs Schärfste bekämpft, aber gerade dadurch auch ein neues Verständnis von Theater gewinnt.
Daniel Weidner kann am Beispiel der Goethe-Studie Georg Simmels (1913) nachweisen, dass der epistemologische Rückgriff auf Goethe die Geistes- und Kulturwissenschaften auch produktiv herauszufordern vermag. Anders als Dilthey und anders v. a. als Gundolf oder Spengler versuche Simmel theoretische Probleme oder Begründungsnöte des eigenen Diskurses anhand Goethes nämlich nicht zu verschleiern oder stillzustellen, vielmehr werfe er solche Probleme in seiner lebensphilosophisch wie kulturtheoretisch interessierten Monographie überhaupt erst systematisch auf. Zwar entstehe die große Faszination Goethes auch für Simmel zunächst durchaus aus einem klassischen Einheitsbegehren. Das Versprechen einer Vereinigung 'absolut' scheinender Gegensätze in der Figur Goethes führe Simmel aber nicht in die Sackgasse einer Monumentalisierung, sondern in eine "Art heiße Zone", in der "verschiedene Oppositionen und Begrifflichkeiten" verdichtet, reflektiert und permanent neu justiert werden müssten. Weidner zeigt dies v. a. anhand der drei für die zeitgenössische Kulturwissenschaft zentralen Konzepte von 'Individuum', 'Wert' und 'Leben'. Am Beispiel der Wert-Kategorie etwa stoße Simmel immer wieder auf das Problem, dass Werte zwar relativ seien, dass sie aber immer auch dazu neigten, sich in neue Endzwecke zu verwandeln. Und die Relation von Leben und Kunst gebe in Simmels Umkehrungen und in einer an Goethe selbst zurückgespielten Dialektik den Blick auf Prozesse der Konstruktion von Relationen als solcher frei. Es sei in letzter Instanz die Einsicht in die "Übergängigkeit zwischen verschiedenen Werten oder Wertgebieten", die Simmel als Goethes größte Leistung herausstelle. Zu fragen wäre, ob die von Simmel am Beispiel Goethes kategorisch aufgeworfenen Probleme der Letztbegründung, der Relationalität sowie der konsequenten Reflexion des Verhältnisses von Phänomen und Theorie sich nicht auch für die heutige Kulturwissenschaft nach wie vor stellen.
Der Beitrag von Daniel Weidner stellt anhand dreier kommentierter Bibelübersetzungen im 18. Jahrhundert verschiedene Kommentierungsverfahren als Möglichkeiten kritischer Bibellektüre vor, die sich eben nicht nur an ein Fachpublikum, sondern vor allem auch an die Öffentlichkeit wendet. Seine Untersuchung setzt an der Zäsur in der Aufklärung an. Anhand der Kommentierungsverfahren in der Wertheimer Bibel (1702-1749), in Michaelis' kommentierender Bibelübersetzung "mit Anmerkungen für Ungelehrte" (1769-1792) und in Herders Liedern der Liebe (1778) zeigen sich durchaus verschiedene Strategien der Übertragung, Aktualisierung und Anpassung: Die Wertheimer Bibel 'übersetzt' die Wörter der Bibel in die Sprache der kritischen Vernunft, Michaelis will popularisieren, nutzt aber die Historisierung auch zur Apologetik gegen etwa deistische Kritik, und Herder zerlegt den Text kritisch, um ihn poetisch lesen zu können und den Leser zu erreichen. Indem die verschiedenen Kommentare dabei auch ihre eigenen Spannungen und Paradoxien ausstellen - etwa, indem sie ihrerseits weitere Kommentare fordern oder sich unlösbare Aufgaben stellen -, wird deutlich, wie schwer auf einen Nenner zu bringen der Übergang zur Moderne ist.
Daniel Weidner untersucht die (als 'absolut' begriffene) Metapher der Welt im Werk Hans Blumenbergs und wirft in enger Auseinandersetzung mit der phänomenologischen Tradition die Frage auf, ob 'Welt' im Plural überhaupt noch eine Ganzheit meinen könne. Der philosophische Zugriff auf die 'Welt' oder auf 'Welten' - ähnliches gelte mit Blick auf Blumenberg vornehmlich für den 'Horizont' - gestalte sich insofern als schwierig, als sie auf Gegenstandsebene immer implikativ bleiben müsse. Diesem Problem begegne Blumenberg mit der Ausgestaltung vierer historischer Wirklichkeitsbegriffe, die die 'Welt' in einer "Spannung von Evidenz und Mitpräsenz, von Intention und Erfüllung" situierten, und zwar als Anschauung (in der Antike), als Offenbarungsmitteilung (im Mittelalter), als sukzessive sich entfaltende "Verläßlichkeit" (in der Neuzeit) oder als Widerstand. Letzteres scheint vornehmlich für die Moderne zu gelten, der Welt und Wirklichkeit oft als ein "ganz und gar Unverfügbares" erschienen. Anschließend beleuchtet Weidner die unterschiedlichen Vorstellungen von Kunst, die Blumenberg diesen Modellen von Welt und Wirklichkeit attribuiert. Die von Blumenberg dem Roman als "formale Totalstruktur" zugeschriebene "Welthaltigkeit" entspreche dem Wirklichkeitsbegriff der Neuzeit. Durchaus also würden Wirklichkeit oder Welt Blumenberg zufolge in der Kunst tentativ erfahrbar; dies jedoch gerade nicht im Sinn der einen Totalität des vollkommenen Kunstwerks, wie es die idealistische Ästhetik in der Regel suggerierte.
Moses stirbt nicht nur an einer zentralen Stelle in der biblischen Geschichte - an der Schwelle zum Heiligen Land -, sein Tod strukturiert auch die biblische Überlieferung in besonderer Weise, indem er die ersten fünf Bücher der Bibel - in christlicher Terminologie: die mosaischen Bücher - von deren Rest unterscheidet und damit dem biblischen Korpus eine wichtige Struktur vorgibt. Eine genauere Lektüre dieser Szene kann dabei zeigen, dass Moses' Tod nicht nur auf exemplarische Weise jene Grenzziehung zwischen Leben und Tod konfiguriert, sondern auch die Frage aufwirft, wie die Grenze von Tod und Leben eigentlich erzählt werden kann. Denn diese Frage ist nicht erst in der Moderne mit dem Problem konfrontiert, dass man jene Grenze nicht einfach narrativ überschreiten kann und dass der Tod ein Aussetzen der Narration zu implizieren scheint. Auch innerhalb der religiösen Tradition kann - aus ganz anderen Gründen - der Tod nicht einfach als ein Ereignis innerhalb eines linearen Zusammenhangs erzählt werden, sondern es bedarf komplexer narrativer Verfahren, durch die dann auch die Übergangszone von Tod und Leben kulturell besonders aufgeladen wird. Um das zu zeigen, wird im Folgenden nach einem (1.) Rekurs auf Sigmund Freuds Frage nach dem Nachleben Moses’ und dem eigenartigen Ausfall von Moses’ Tod darin (2.) die Erzählung dieses Todes in Deuteronomium 34 und ihre Deutung in der Tradition, d.h. in den Midraschim und bei den Kirchenvätern diskutiert, (3.) die religionsgeschichtliche Frage nach der Kultur des Lebens und des Todes im biblischen Israel berührt und (4.) die narrative Funktion des Todes im Kontext des Deuteronomium und der Exoduserzählung sowie (5.) die damit verbundene mediale Reflexion über Schrift und Wort als Medium untersucht, bevor abschließend (6.) noch einmal kurz auf die Freud’sche Frage nach dem Nachleben eingegangen wird.
Eine kulturwissenschaftliche Perspektive auf Zukunftswissen und Zukunftsforschung darf sich allerdings nicht nur auf die wissenschaftliche Prognostik der Gegenwart beschränken. Vielmehr verweist die Verschränkung von Wissen, Sprache und Macht auf ältere Figuren, deren Untersuchung es ermöglicht, die blinden Flecken im gegenwärtigen Diskurs zu erhellen. Zu ihnen gehört die Prophetie als eine der wirkmächtigsten Formen, auf Zukunft zuzugreifen und im Namen von etwas zu sprechen. Denn auch der Prophet redet nicht aus eigenem Antrieb und auf eigene Rechnung über die Zukunft, sondern als Ermächtigter, als Delegierter, als Medium: Er versteht sich vor allem als Bote Gottes, in dessen Namen er spricht und dessen Worte er überbringt. Was er über die Zukunft 'weiß' – welche kommenden Zustände er ausmalt, androht, verheißt –, hat er aus dieser Vollmacht. Artikuliert wird dieses Wissen nicht um seiner selbst willen, sondern mit dem Ziel, einen göttlichen Auftrag zu erfüllen, nicht selten im schmerzlichen Bewusstsein, einem solchen Auftrag nicht gewachsen zu sein – der Widerstand der Propheten gegen ihre Sendung ist ein stehender Topos biblischer Berufungsgeschichten. Im prophetischen Sprechen koexistiert daher die Behauptung unumstößlicher Gewissheit mit der Inszenierung äußerster Schwäche.
Die Redewendung, sich 'ein Bild' der Geschichte – oder auch von einem bestimmten Ereignis – zu machen, hat in den vergangenen Jahrzehnten ihren metaphorischen Charakter verloren. Nicht nur in den populären Medien werden die Vorstellungen von der Vergangenheit zunehmend von visuellen Bildern beherrscht; auch die Methoden der Historiographie haben sich deutlich verändert. Neben den herkömmlichen, überwiegend schriftlichen Dokumenten finden immer mehr andersgeartete Hinterlassenschaften und Überlieferungen als historische Quellen Verwendung: alle denkbaren Artefakte, Bauten und Alltagsgegenstände, literarische Texte, mündliche Überlieferungen, Berichte von sogenannten Zeitzeugen, verschiedenste Arten von Bildern u.v.m. Je näher das in Frage stehende historische Geschehen der Gegenwart ist, umso mehr setzt sich sein Bild aus Photographien, Filmen und Zeugenbefragungen zusammen. Damit hat sich der quellenkritische Terminus des 'Zeugnisses' in der Geschichtswissenschaft enorm ausgeweitet. Auf das philologisch-editorische Konzept des (Text-)Zeugen zurückgehend, waren Zeugnisse ursprünglich 'gesicherte' Dokumente, d. h. Schriftstücke, deren Authentizität (im Sinne von Echtheit), Herkunft, Datierung, Autorschaft, Zweck, Adressat und Überlieferungswege quellenkritisch überprüft werden konnten. Mit der jüngsten Ausweitung und Vervielfältigung historischer Quellen wird nicht nur der Unterschied zwischen textuellen bzw. materiellen Zeugnissen einerseits und Personen- Zeugen andererseits eingeebnet, auch nimmt die ohnehin bestehende Vieldeutigkeit des Zeugnisbegriffes weiter zu, so dass sich die Konturen des Zeugnisbegriffes vollends zu verwischen drohen.
Benjamins Theorie ist als Bilddenken bekannt; vermutlich ist das der Grund, warum seine musiktheoretischen Ausführungen bislang wenig Beachtung gefunden haben: die Überlegungen des jungen Benjamin zur Musik, die ein Seitenstück zur sprachtheoretischen Grundlegung seines Denkens überhaupt darstellen, ebenso wenig wie die Auseinandersetzung mit der Oper. Das Thema der Oper klingt bei ihm an verschiedenen Stellen an, so etwa in "Goethes Wahlverwandtschaften", am explizitesten aber im Trauerspielbuch, in jenem Abschnitt des zweiten Teils des Kapitels "Allegorie und Trauerspiel", der der vielzitierten Diskussion zum Zusammenhang von Klangfigur und Schrift anhand von Johann Wilhelm Ritters Buch Fragmente aus dem Nachlass eines jungen Physikers (1810) vorausgeht. Da es sich hierbei um Überlegungen zum Thema der Musik handelt, insbesondere über die Oper, sollen diese am Anfang stehen.
Die Wendung 'avant la lettre' führt mitten ins Epizentrum jener Fragen, die sich mit den derzeitigen Öffnungen und Umbrüchen in den Methoden der Begriffsgeschichte stellen. Sie gehört ins Register des Unübersetzbaren, auch wenn man sie in Barbara Cassins "Dictionnaire des intraduisibles" (2004) vergeblich sucht. Denn sie wird im Deutschen oder Englischen gleichbedeutend verwendet wie im Französischen. Es handelt sich zudem um eine metaphorische Formulierung - ein Tatbestand, der allerdings oft hinter ihrem fremdsprachlichen Charakter zurücktritt. Denn es wird nicht vielen bekannt sein, dass die Formulierung in ihrer wörtlichen Bedeutung dem Bereich der Drucktechnik entstammt. Und schließlich verweisen Modus und Bedeutungsgehalt von 'avant la lettre' auf Fragen, die mit dem Vorbegrifflichen oder aber dem Unbegrifflichen zusammenhängen.
Wie die Gesichter der Menschen, die in früheren Epochen gelebt haben, ausgesehen haben, wissen wir nicht. Wir haben keine Ahnung, welche Gesichtszüge sie hatten. Uns ist unbekannt, mit welcher Miene sie ihre Zeitgenossen angeschaut haben, wie ihr Lächeln, ihre Trauer, ihre Angst oder ihr Zorn ausgesehen haben mögen. Und wir wissen nicht, ob wir das Antlitz der früher lebenden Menschen als schön und angenehm empfänden oder uns lieber abwenden würden. Wir kennen ihre Züge nur durch bildliche Darstellungen: von Skulpturen, aus deren ebenmäßigen Gesichtern uns die steinernen Augenhöhlen wie blind anschauen, von den Abdrücken der Grabmasken mit ihren toten Blicken, denen immer etwas Fremdes oder Geheimnisvolles anhaftet, oder aus der Malerei, aus deren Geschichte die Gattung des Porträts hervorgegangen ist. In ihm verdichtet sich die Idee vom getreuen Abbild einer Person mit individuellen Gesichtszügen, so dass es zum Modell und Ideal des Bildnisses geworden ist: das Porträt als ähnliches Abbild eines lebenden Urbildes, in dem dessen Gesicht als gleichsam natürlicher Ausdruck des Charakters eingefangen ist. Doch bildet das Porträt nicht nur das Ideal von Gesichtsdarstellungen, es ist auch deren Sonderfall. Sowohl die Gesichter, die uns aus der Zeit vor dem Zeitalter der Porträts überliefert sind, als auch die medialen Gesichter und die Dekonstruktionen in der Kunst der Moderne machen deutlich, dass uns Gesichter überwiegend in Gestalt von Artefakten vertraut sind. Das Bild vom Menschen basiert nicht unwesentlich auf der Geschichte von Bildnissen.
Aus einer grammatologischen Betrachtungsweise – und das heißt mit Jacques Derrida: aus dem Blickwinkel jener Spuren, die dem Bestehenden vorausgehen – verändert sich das Bild des Archivs. Von der Institution zur Bewahrung von 'Archivgut', dem Zentralbegriff der Archivalienkunde, verlagert sich der Blick auf das Zustandekommen des Archivs und die Metamorphose von Dokumenten zu Archivgut. Es geht dann weniger um den Ort inventarisierter Archivalien beziehungsweise geordneter Einheiten von Dokumenten, Textkorpora und anderen Medien des Wissens als um diejenigen Verfahren und Regelungen, durch die Zeugnisse und Hinterlassenschaften ins Archiv eingehen – oder eben gerade nicht ihren Weg dorthin finden. Denn, so Derrida: "Die Bewegung der Spur ist notwendig verborgen, sie entsteht als Verbergung ihrer selbst." Archive werden gemeinhin als institutionalisiertes, positives Gedächtnis eines Gemeinwesens oder eines speziellen Wissensgebiets betrachtet, das auf einer systematischen Erhaltung, Erfassung und Erschließung von Dokumenten basiert, die mithilfe von Signaturen und Registern für die Nutzung zugänglich gemacht werden. Auf der Benutzeroberfläche erscheint das Archiv als geordnetes, auf Einheit und potentielle Vollständigkeit ausgerichtetes Inventar, während dessen Genese doch zumeist im Dunkeln bleibt – gleichsam vor dem Archiv.
"Zwischen den Stühlen" : Warburgs Bildersprache als Positionsbestimmung seiner Kulturwissenschaft
(2017)
Zuallererst ein besessener Büchersammler und ein ebenso leidenschaftlicher Philologe wie Kunsthistoriker, hat Warburg die Bibliothek, die er als Privatgelehrter begründete, bald zu einem veritablen Forschungsinstitut ausgebaut, in dem Detailforschungen aus Kunstgeschichte, Philologie und Archäologie, aus Religionswissenschaft, Orientalistik und vielen anderen Fächern in ein gemeinsames Vorhaben eingebracht wurden. Mit der Leitfrage nach den psychischen Energien und den phobischen Motiven, die in die Rituale und Bilder, in die Gebärden und symbolischen Formen des menschlichen Ausdruckswillens eingegangen und darin gebunden sind, ist Kulturwissenschaft im Sinne Warburgs heute so brisant wie nie. Ebenso mit ihrer Aufmerksamkeit für die archaischen Ursprünge und außereuropäischen Korrespondenzen europäischer Kultur. Die Untersuchung der widerstreitenden Energien, wie Sigmund Freud sie für die Erinnerungen und Träume, für die Objekt- und Symptombildungen des Einzelnen erschlossen hat, verfolgen die von der Warburg-Bibliothek angestoßenen Studien im Feld der Kulturgeschichte und des Bildgedächtnisses. Wenn Warburg diese Arbeit als "kulturwissenschaftliche Zusammenhangskunde" charakterisiert, dann deshalb, weil sie tatsächlich nur aus einer Position 'zwischen den Stühlen' entstehen konnte und nur in Gestalt einer kollektiven Anstrengung realisierbar ist - und sein wird.
Mit einer vergleichenden Lektüre der 'Passio Sanctarum Perpetuae et Felicitatis' (203 n. Chr.) und des 230 Jahre früher entstandenen Berichts über den Tod der Lucretia in Livius' erstem Buch der 'Römischen Geschichte' (27 v. Chr.) soll hier eine kulturgeschichtliche Konstellation in den Blick genommen werden, vor deren Hintergrund die verbreitete These von der Singularität des christlichen Märtyrerkonzepts befragt werden kann. Durch eine genauere Betrachtung jener Elemente, die die beiden Todesfälle und -erzählungen von Lucretia und Perpetua verbindet, wird die - nicht selten fraglose, oft unausgesprochene - Auffassung problematisiert, dass erst mit den durch die 'Märtyrerakten' überlieferten Begebenheiten die 'eigentlichen' Märtyrer auf die Bühne der Geschichte getreten seien. Zudem können im Lichte der Verbindungen beider Figurationen deren Unterschiede Kontur gewinnen und damit dann auch jene spezifischen Elemente, die für die Herausbildung der christlichen Märtyrerkultur signifikant sind.
Die Lehre des leeren Grabes : Begründungen der deutschen Kulturnation nach 1871 und nach 1989
(2013)
Anders als im Falle der Anna-Amalia-Bibliothek, die bei einem Brand 2004 teilweise zerstört wurde und deren Wiedereröffnung nach nur drei Jahren vom damaligen Bundespräsidenten als "Freudentag der Kulturnation" gefeiert wurde, wird der Verlust von Schillers Schädel nicht ausgeglichen werden können, selbst nicht durch noch so viel Engagement und Spendenfreude. Der fehlende Schädel im Sarg der Fürstengruft, die zu DDR-Zeiten den Namen Goethe- und Schiller-Gruft trug, ist ebenso Symbol wie die Stätte der Aufstellung selbst. So, wie die Aufstellung der zwei Dichter-Särge in der von Anna Amalias Sohn, dem Großherzog Carl August, erbauten Fürstengruft, das Sinnbild einer für die deutsche Geschichte spezifischen Verbindung zwischen dynastischem Totenkult und dem Kult nationaler Geistesheroen ist, symbolisiert Schillers Sarg heute das leere Grab der Kulturnation. Während sich die Spuren seiner Gebeine im Laufe zweier Jahrhunderte im Grund jenes Leichengewölbes der Weimarer Landschaftskasse, das damals für adlige und bürgerliche Verstorbene ohne eigenes Erbbegräbnis reserviert war, verloren haben, stehen Sarg und Marmorbüste an ihrer Statt in der Fürstengruft; sie sind Monumente einer Tradition, die jüngst erneut auf den Begriff der Kulturnation gebracht worden ist.
Gegenstand und Betrachtungsweise des Buches sind nicht nur im Hinblick auf die Entstehung inmitten von Kriegszeiten bemerkenswert, insofern darin von jeder zeitgeschichtlichen Bezugnahme abgesehen wird. Das Buch unterscheidet sich auch deutlich von den vorausgegangenen Arbeiten des Staatsrechtlers Schmitt, der den Aufstieg des NS mit seinen rechtswissenschaftlichen Arbeiten unterstützt hatte und noch 1939 die Expansionspolitik des Dritten Reiches mit einer Schrift zur 'Völkerrechtlichen Großraumordnung' zu legitimieren bemüht war, in der er den Staatsbegriff durch den des Volkes ablöst. Schmitts Grundthese in 'Land und Meer', dass nämlich die Weltgeschichte "eine Geschichte des Kampfes von Seemächten gegen Landmächte und von Landmächten gegen Seemächte" sei, ist jedem Tagesbezug enthoben. Sie wird vielmehr durch eine anthropologische Universalie grundiert, die sich bereits im Grundakkord formuliert findet, mit dem das kleine Büchlein einsetzt: "Der Mensch ist ein Landwesen, ein Landtreter." Der ins Literarische hinüberspielende Stil von 'Land und Meer', dessentwegen das Buch von vielen zu Recht in sprachlicher Hinsicht als Schmitts bestes bewertet wird, erklärt sich nicht nur aus der Widmung an seine damals elfjährige Tochter: "Meiner Tochter Anima erzählt." Er verdankt sich auch einer geschichtsphilosophischen Erzählweise. Indem das Buch die europäische Geschichte in menschheitsgeschichtlichen Begriffen deutet, arbeitet es allerdings Schmitts ausdrücklichem Anliegen entgegen, dem Schatten des Mythos zu entkommen. Dieses jedenfalls war die Konsequenz, die er in seinem Hobbes-Buch aus der dort kritisierten Deutung der Staatsform mit Hilfe des Leviathan-Motivs formuliert hatte - wie bereits der Untertitel "Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols" signalisiert.
Die 1920 publizierte Schrift 'Jenseits des Lustprinzips', die Sigmund Freud selbst als metapsychologische Darstellung charakterisiert hat, entwickelt ein Lebenskonzept, das über die damals wie heute bestehenden Gegensätze zwischen den Begriffen der Natur- und Geisteswissenschaften hinausweist. Wenn ich diese Schrift im Folgenden als Baustein eines nach wie vor brisanten Lebenswissens jenseits der 'zwei Kulturen' lese, dann wird dabei von manchen Umwegen zu sprechen sein, von Umwegen des 'Lebens' wie von Umwegen der Methode im buchstäblichen Sinne.
Die Leerstelle Walter Benjamin : zur Verfehlung einer kulturwissenschaftlichen Wahlverwandtschaft
(2023)
Unter den 53 Namen der Autoren, deren Beiträge in dem Jahrzehnt zwischen 1921 und 1931 in den neun Bänden der Vorträge der Bibliothek Warburg erschienen sind, springt eine signifikante Lücke ins Auge; es fehlt darin der Name Walter Benjamins. Die Tatsache, dass keine seiner Arbeiten den Weg in die Vorträge fand, ist mehr als bemerkenswert - dies nicht nur wegen der zahlreichen Korrespondenzen seiner Schriften zu den Forschungen der KBW und der deutlichen Nähe zwischen den Interessen Benjamins und Warburgs, die gegenwärtig zu den bekanntesten Köpfen der 'ersten Kulturwissenschaft' gezählt werden. Ihre Namen werden nicht selten zusammen diskutiert. Die Abwesenheit Walter Benjamins in den Publikationen der KBW wie überhaupt in deren gesamtem Netzwerk ist besonders irritierend, weil er sich seinerseits intensiv und ausdauernd darum bemüht hat, mit der Forschergruppe um Warburg in Kontakt zu treten, und seine Wertschätzung für Aby Warburg und dessen Bibliothek mehrfach in seinen Veröffentlichungen zum Ausdruck brachte. Die latente Wahlverwandtschaft der beiden herausragenden Kulturwissenschaftler aber konnte nicht manifest werden, weil ihre Formulierung einseitig blieb und eine Resonanz von der anderen Seite ausblieb.
Nationality traditionally is one of imagology's key terms. In this article, I propose an intersectional understanding of this category, conceiving nationality as an interdependent dynamic. I thus conclude it to be always internally constructed by notions of gender, sexuality, race, class, religion, age, ability, and other identity categories. This complex and multi-layered construct, I argue, is formed narratively. To exemplify this, I analyse practices of stereotyping in Honoré de Balzac's "Illusions perdues" (1843) and Henry James's "The American" (1877) which construct the so-called 'Parisienne' as a synecdoche for nineteenth-century France.
We study queueing strategies in the adversarial queueing model. Rather than discussing individual prominent queueing strategies we tackle the issue on a general level and analyze classes of queueing strategies. We introduce the class of queueing strategies that base their preferences on knowledge of the entire graph, the path of the packet and its progress. This restriction only rules out time keeping information like a packet’s age or its current waiting time.
We show that all strategies without time stamping have exponential queue sizes, suggesting that time keeping is necessary to obtain subexponential performance bounds. We further introduce a new method to prove stability for strategies without time stamping and show how it can be used to completely characterize a large class of strategies as to their 1-stability and universal stability.
Der Beitrag zeigt, dass sich die Etablierung des Phänomens der 'Prager deutschen Literatur' auf den beiden Konferenzen von Liblice von 1963 und 1965 ganz im Zeichen der Dichotomie von Zentrum und Peripherie vollzog. Diese fand vor allem in der wertenden Abgrenzung einer vermeintlich durchgängig humanistischen 'Prager deutschen Literatur' (als Zentrum) gegen eine umfassend nationalistische, ja präfaschistische sudetendeutsche Literatur (als Peripherie) Anwendung. Erstaunlicherweise findet sich jedoch sowohl im Beitrag zur Weltfreunde-Konferenz von Paul Reimann als auch dem von Eduard Goldstücker zudem ein Argumentationsmuster, in dem Prag als Peripherie zu den Hauptstädten vermeintlich 'welthistorischer Völker' (Reimann) oder zu Wien (als Hauptstadt Österreich-Ungarns bei Goldstücker) profiliert wird und die besondere Bedeutung der 'Prager deutschen Literatur' gerade aus dieser peripheren Lage abgeleitet wird. Insgesamt ergibt sich die Diagnose einer inkonsistenten Begründung der einen 'Prager deutschen Literatur', die nach einer Neukonzeption dieses Phänomens verlangt.
In this paper I will present some empirical studies concerning a linguistic construction called binomials, e.g. auf und ab (‚up and down‘). Binomials consist of two coordinated elements in a fixed order ‚A and B‘, whereas empirically the reversed order ‚B and A‘ is rarely found and, asked for acceptability judgements, native speakers tend to reject it. In two corpus studies hypotheses on phonological principles responsible for the ordering of the constituents are tested. Furthermore I present a pseudoword experiment with German native speakers and Russian and Turkish learners of German as a second language. Results are discussed in the framework of optimality theory.
Wenn der libanesische Historiker Kamal Salibi schreibt, mit der Schaffung eines Staates sei noch lange kein Nationalgefühl geschaffen, dann verweist er damit indirekt auf die Funktion, die das Repertoire der beiden Dichter und Komponisten Asi (̒'Āsī) und Mansour Rahbani (Mansūr ar-Rahbānī) und der Sängerin Fairouz (Fayrūz) einnimmt. Von den späten 1950er Jahren bis in die Zeit des Bürgerkriegs hinein haben sie die politischen Ereignisse und sozialen Entwicklungen im Libanon begleitet und künstlerisch kommentiert. Sie waren zwar nicht die Einzigen, doch bei weitem die Erfolgreichsten dabei. Vor allem Fairouz avancierte zu einer Symbolfigur, einer Art Schutzpatronin des Libanon, die für das Land sang, betete und nicht zuletzt aufgrund ihrer Weigerung, für politische Persönlichkeiten zu singen, sich den Ruf moralischer Integrität erwarb. Beispielhaft für ihre Integrationskraft ist der - mehr oder weniger symbolisch gemeinte - noch zu Bürgerkriegszeiten vorgebrachte Vorschlag, sie als Präsidentin zu nominieren, wenn man sich auf keinen Kandidaten einigen könne, und noch immer vermag sie Tausende von Anhängern auf die Straße zu bringen. Der Zeitpunkt ihres Karrierestarts ist dabei nicht ganz unwichtig, denn auch nach seiner Unabhängigkeit 1943 sah sich der Staat immer wieder der Rechtfertigung ausgesetzt, Beweis zu führen, dass der Libanon keine künstliche Schaffung, sondern eine tief verwurzelte Nation sei. Die Osmanen, die das Gebiet des heutigen Libanon immerhin nahezu 400 Jahre beherrschten und damit einen wichtigen Bezugspunkt für die libanesische Vergangenheit darstellen, werden im Repertoire sowohl direkt als auch indirekt thematisiert. Auf welche Weise ist aber genau die osmanische Vergangenheit im Werk von Fairouz und den Rahbani-Brüdern präsent?
This study examines articulatory and acoustic inter-speaker variability in the production of the German vowels /i/, /u/ and /a/. Our subjects are 3 monozygotic twin pairs (2 female and 1 male pair) and 2 dizygotic female twin pairs. All of them were born, raised and are still living in Berlin and see their twin brother or sister regularly. We assume that monozygotic twins that are genetically identical and share the same physiology should be more similar in their articulation than dizygotic twins but that the shared time and social environment of twins, regardless of their genetic similarity, also plays a crucial role in the acoustic similarity of twins. Articulatory measurements were made with EMA (Electromagnetic Articulography) and the target positions of the produced vowels were analyzed. Additionally, the formants F1-F4 of each vowel were measured and compared within the twin pairs. Our data seems to point out the importance of a shared environment and the strong influence of learning over the anatomical identity of the monozygotic twins regarding the production of vowels. But, additional results suggest (1) the impact of physiology on the production of a vowel following a velar consonant and (2) the interaction of physiology and stress in inter-speaker variability.
In this paper we will develop a formal conceptual model of how the path in a motion situation interacts with the semantic analysis of so called 'motion shape verbs' like 'wackeln' ('wobble'), a subclass of the so called 'manner of motion verbs'. Central to this model will be the distinction between two concepts of motion: translational motion and nontranslational motion, which has no inherent translational component but puts emphasis on describing specific Motion Shape Patterns. We will define and algorithmically describe a theory of Path Shape Decomposition that aims at algorithmically deriving the translational vs. nontranslational distinction from the shape of the path. To account for object internal motion, we additionally introduce Bounding Box encapsulation, which yields a topological division of inner and outer movement. Finally we demonstrate how the outcome of such a technical decomposition can be used in modelling a Path Superimposition scenario like 'Peter wackelt über die Straße'.
Der Kitsch und sein Ernst
(2018)
Als der Schriftsteller Hermann Broch in den 1930ern den Kitsch als das "Böse im Wertsystem der Kunst" bezeichnete, als er formulierte, wer Kitsch hervorbringe, sei ein "ethisch Verworfener, ein Verbrecher, der das radikal Böse will", ja, er sei "ein Schwein", da war der Begriff bereits ein halbes Jahrhundert im deutschen Sprachraum im Umlauf und hatte gerade Hochkonjunktur. Die Tonlage des Österreichers in seinen berühmten Invektiven ist symptomatisch für die Debatten, die der Kitsch hervorgerufen hat - kaum ein Diskurs über einen ästhetischen Begriff hat diese bislang an Schärfe und Aggressivität überboten, und kaum ein Begriff hat sich als eine solch deutliche Grenzmarkierung zwischen anspruchsvoller Kunst und trivialer Massenkultur, zwischen dem guten und dem schlechten Geschmack etabliert.
Das Suppenkleid
(2015)
Zuerst sollte die Suppe gelöffelt werden, dann kam das Kleid. Für einen Dollar plus die Coupons zweier beliebiger Suppenkonserven von Campbell wurde es im braunen Umschlag nach Hause geschickt, das 'Souper Dress', dessen Vorteile man dem eingenähten Label entnehmen konnte: "No Cleaning. No Washing. It’s carefree, fire resistant unless washed or cleaned. To refreshen, press lightly with a warm iron." Dieses pflegeleichte Kleid, in der von Yves Saint Laurent erfundenen elegant-praktischen Trapez-Form geschneidert und mit Campbells Suppendosen großzügig motivisch bestückt, taucht heute vereinzelt in Auktionen auf - in exorbitanter Wertsteigerung als dezidierte Antithese zum Konzept der Erschwinglichkeit. Als Andy Warhols 'Suppenkleid' hat es Eingang in nur wenige Sammlungen gefunden und kann hier in seiner musealen Transformation vom Gebrauchsgegenstand zum unantastbaren Kunstwerk bestaunt werden.
Von antiklassisch zu antimanieristisch : Walter Friedländers Neubewertung von Epochenbegriffen
(2023)
Ab 1921 bekleidete Friedländer eine außerordentliche Professur in Freiburg und arbeitete in dieser Zeit seine Vorstellungen über die Modifikation und Reinterpretation kanonisch gewordener Epochenbegriffe aus. In seiner Antrittsvorlesung widmete er sich als einer der Ersten der manieristischen Periode der italienischen Malerei. Sein Aufsatz "Die Entstehung des antiklassischen Stiles in der italienischen Malerei um 1520", der aus seinem Habilitationsvortrag hervorgegangen war, aber erst 1925 erschien, darf als Gründungsdokument einer Rehabilitierung des Manierismus gelten. Für Friedländers späteren Vortrag "Der antimanieristische Stil um 1590 und sein Verhältnis zum Übersinnlichen" in der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg im Curriculum 1928 /29 ist dieser Aufsatz von großer Bedeutung, und deshalb muss auf seinen Versuch der Neubewertung dieser künstlerischen Strömung kurz eingegangen werden. 'Manierismus' wurde als Epochenbegriff im 19. Jahrhundert von Jacob Burckhardt eingeführt und sowohl von ihm wie auch von seinen Nachfolgern weitestgehend pejorativ verwendet. [...] Bis heute ist der 'Manierismus' als Stil- und Epochenbegriff ein polarisierendes Streitthema in der Kunstgeschichte geblieben: Der Auffassung, der Manierismus sei eine konsequente Weiterentwicklung oder Übersteigerung der Renaissance, die schließlich im Barock resultiere, steht eine andere Position gegenüber, zu deren Lesart auch Friedländers gehört. Sie erkennt den Manierismus als eine eigene Stilepoche an, die durch einen starken Bruch mit der Renaissance im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts eingeläutet worden sei. [...] Um den negativ konnotierten Terminus des Manierismus mitsamt seiner ablehnenden Valenz zu umgehen und andererseits einen "neuen Stilwillen" zu betonen, wählt Friedländer den Begriff "antiklassisch". [...] Vier Jahre nach Erscheinen seines Aufsatzes zum Manierismus widmete sich Friedländer aus Anlass seines Vortrags an der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg der Ablösung des antiklassischen Stils. Für die erneute Gegenbewegung der Kunst um 1590, die andere vor ihm unter den Epochenbegriff des Barock subsumiert hatten, schlägt er die Bezeichnung des antimanieristischen Stils vor. [...] Friedländer war weniger daran interessiert, sich als Begriffspräger in die Kunstgeschichte einzuschreiben, als vielmehr daran, homogenisierende Epochenbegriffe kritisch ins Visier zu nehmen. Eine Zusammenfassung unter einen "Generalnenner, etwa wie Barockzeitalter" lehnte er ebenso ab wie andere "ziemlich willkürlich gesetzte und definierte Termini" wie Gotik, Renaissance, Klassizismus etc. Friedländer plädierte auch in weiteren Abhandlungen für mehr Differenzierung und für eine Betrachtungsweise, die nicht in einem monolithischen Stildenken aufgeht, sondern eine Überlagerung der Generationen und ein Nebeneinander disparater Haltungen und Schulen berücksichtigt. Er hat dabei immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass die etablierten Epochenbezeichnungen der Kunstgeschichte oft einem Begriffsarsenal der Herabwürdigung früherer Epochen entsprang. [...] Was konnte Friedländer mit seinem Vortrag "Der antimanieristische Stil um 1590 und sein Verhältnis zum Übersinnlichen" zum Erreichen der Ziele der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg beitragen? Welche methodischen Überschneidungen konnten sich möglicherweise ergeben, auch wenn theoretische und methodische Grundsatzdebatten so wenig die Sache von Friedländer wie von Warburg waren?
Im Rahmen meines Ansatzes möchte ich einen anderen Weg einschlagen und den autobiografischen Pakt (Lejeune) trotz besseren Wissens – das heißt trotz der Erkenntnis, dass es sich bei der literarischen Figur 'Felicitas Hoppe' offensichtlich um einen durch und durch konstruierten Charakter handelt – zunächst einfach akzeptieren. Deshalb soll (und muss) im Folgenden nicht trennscharf zwischen den Instanzen 'Felicitas Hoppe', 'Hoppe' und 'fh', so wie sie im Text in Erscheinung treten, differenziert werden. Vielmehr sollen diese verschiedenen, einer einzigen 'biofiktionalen' Person beziehungsweise persona zuschreibbaren Stimmen zusammengelesen werden, wobei in diesem Beitrag stets von 'Hoppe' gesprochen wird. Anders gesagt möchte ich den "Roman" – so die paratextuelle Genrebezeichnung des Titelblatts – Hoppe als mehrstimmige und traumlogische Inszenierung der Autorin Felicitas Hoppe lesen, wobei ich genauer der Rolle nachgehen möchte, die 'Hoppes' (fiktive) Mehrsprachigkeit innerhalb dieser Selbstinszenierung spielt.
Die komplexe und diffizile Frage, der im vorliegenden Beitrag nachgegangen werden soll, ist die nach Heines Eigenschaft als Selbstübersetzer, womit das Hauptaugenmerk auf die sprachlichen d. h. mehrsprachigen Grundlagen seiner Vermittlungstätigkeit gerichtet wird. Denn die Bezeichnung Heines als Selbstübersetzer kann im Gegensatz zur Assoziierung mit dem Begriff des Kulturtransfers durchaus überraschen. Mit Heines Sprachkompetenz im Französischen und dem auktorialen Status seiner französischen Schriften werden Forschungsfragen berührt, die in der Heine-Kritik von ihren Anfängen bis heute durchaus kontrovers diskutiert werden. In diesem Zusammenhang wäre auch nachzudenken über den für die Analyse von Heines Schreib- und Veröffentlichungspraxis relevanten Begriff von Übersetzung bzw. Selbstübersetzung. Kann man im Falle Heines wirklich von einem alleinigen deutschen Original sprechen und den französischen Fassungen seiner Schriften - wie oft geschehen - einen bloß sekundären Status zuweisen? In diesem Problemzusammenhang spielt neben den textgenetischen und sprachlich-translatorischen Aspekten auch die Perspektive der Selbstdarstellung bzw. Selbstvermarktung des Dichters eine bedeutende Rolle, insofern man bei Heine von einer regelrechten Inszenierung als zweisprachigem Autor reden kann. Die von mir im Folgenden vertretene These wird hierbei lauten, dass Heinrich Heines durchaus fragwürdiger Status als Selbstübersetzer über normative Übersetzungs- und Sprachkompetenzkriterien hinaus vor allem als doppelte - d. h. binationale und zweisprachige - 'auctoritas' aufzufassen ist. Anders gesagt: Über die komplexe Frage der Textgenese hinaus soll die von Heine bewusst eingenommene Rolle als direkter Akteur zweier nationaler Wissenssysteme betont werden. Unter diesem Blickwinkel wird nicht zuletzt ein bemerkenswerter Nexus zwischen den vermittelten Wissensinhalten und deren sprachlichem Transfer sichtbar. So soll gezeigt werden, dass Heines dezidiert antinationalistisches, kosmopolitisches und universalistisches Denken zwischen Deutschland und Frankreich seine formale Entsprechung in einer interlingualen Wissenszirkulation zwischen der deutschen und der französischen Sprache findet, in deren Medium die von ihm entwickelten und vermittelten Theorien und Thesen prozessual entwickelt und weitergeschrieben werden. Eine solche Sichtweise auf Heine als translingualen Schriftsteller wurde bisher nicht immer ausreichend von der Forschung berücksichtigt und gewürdigt. Wie allgemein im Zusammenhang mit bikulturellen und bilingualen Autoren sowie sprachlich hybriden Schreibverfahren wird man mit blinden Flecken der Forschung und nationalphilologischen Widerständen konfrontiert, die eine mehr oder weniger symbolische 'Vereinsprachigung' von Heines Werken befördern oder implizieren. Dieser Umstand betrifft nicht nur die deutsche Heine-Rezeption, sondern ist bedauerlicherweise auch in der interkulturell aufgestellten französischen Germanistik der jüngeren Zeit zu beobachten, wie ich in einem abschließenden Exkurs zeigen möchte.
Integrationskomik : "Odyssee" und "Wilhelm Tell" in C. F. Meyers Novelle "Der Schuss von der Kanzel"
(2016)
Für die Integrationskomik der Novelle ist das Zusammenspiel von Figuren- und Textebene ausschlaggebend. Die als fremd dargestellten, orientalisierten Figuren im Gefolge des Generals Wertmüller werden durch die Sprachkomik misslingender Kommunikation integriert (Hassan) oder aber zu imaginären Projektionen, die am realen Erscheinen der Figur vorbeigehen: Anstelle 'der Türkin' sind nur "orientalische Schemen" am Werk. Auch der General ist Gegenstand solcher Projektionen des Fremden, zugleich aber eine handlungsmächtige Mittlerfigur sowohl zwischen der sozialen Gemeinschaft von Mythikon und deren vorgestellten Fremden als auch zwischen der Figuren- und der Textebene der Integration. Über ihn läuft das Verfügbarwerden der Gründungserzählung in Mythikon; der antike Mythos, um den es dabei geht, wird speziell akzentuiert. Als Inbegriff der Reise, der Begegnung mit fremden Welten und der Heimkehr hat die 'Odyssee' einen Helden, der am Ende als Gast am eigenen Herd auftritt. So eine Gastfigur ist und bleibt auch Wertmüller, während Pfannenstiel heimisch wird. Am Ende nutzt die Erzählung die Attribute des Dunklen und Unheimlichen, mit denen die realistische Novellistik typischerweise fahrende Fremde markiert, um ihre integrative Schlüsselfigur dezidiert auszugrenzen.
Wir alle wissen, was ein Zeuge ist: Ein Zeuge ist ein Beobachter, der über das, was er gesehen oder gehört hat, möglichst wahrheitsgemäße Aussagen machen soll. Wird der Auftritt des Zeugen wiederum beobachtet, sind noch komplexere Beobachtungsverhältnisse im Spiel, es entsteht die Situation einer Beobachtung zweiter Ordnung, die in Gerichtsverhandlungen die Regel ist. Der Zeuge wird dort in den Zeugenstand gerufen, er wird befragt und macht seine Aussage vor den Augen des Gerichts und der anwesenden Öffentlichkeit.[...] Es waren die Ideale der Aufklärung, die dem geheimen Prozess ein Ende bereiteten. Aufklärung – das hieß in allen gesellschaftlichen Bereichen, auch und gerade im Recht: Nichts soll mehr unbeobachtet im Verborgenen entschieden werden. Ich komme im Folgenden auf den damit verbundenen medialen Wandel im Strafverfahren zu sprechen und will die Zeit des Übergangs vom schriftlichen zum mündlichen Prozess näher beleuchten und in einer These schürzen, die sich mit der Rolle der Literatur in dieser Übergangszeit beschäftigt. Meine These lautet kurz gefasst: Der Übergang zum öffentlich-mündlichen Gerichtsverfahren ist mit einer Dramatisierung des Rechts verbunden, die in der unmittelbaren Beobachtung des Zeugenauftritts ihre Schlüsselszene hat.
Felicitas Hoppe entwickelt in ihrer fiktionalen Autobiografie 'Hoppe' (2012) ein komplexes Spiel mit Erzähl- und Erzählerkonventionen, Gattungs- und Leseerwartungen sowie mit Fakt und Fiktion. Offensichtlich changiert der Status dieses Textes: Für Fiktionalität sprechen etwa die paratextuelle Gattungskennzeichnung als "Roman", die Umschreibung auf dem Klappentext als "Traumbiographie" sowie die Rezeption als "Metaautobiografik". Auf Faktualität wiederum deuten eine ganze Reihe von epitextuellen und habituellen Inszenierungspraktiken hin, die den Text, gerade weil er gar nicht erst versucht, bloße Fakten zu schildern, als eine 'wahrhaftige' Autobiografie der 'realen' Autorin Felicitas Hoppes markieren. Der Text ist damit – wie es in Definitionen der Debatte um 'Autofiktion' heißt – von einer "oszillierenden Ungewissheit" zwischen autobiografischem und romaneskem Pakt, zwischen Fakt und Fiktion geprägt.
„Great writers,“ those who constitute our canon (at any given moment, one should add warily, since aesthetic canons fluctuate considerably over time), have invariably been the focus of reception studies, partly because they provide the most fertile ground for research, but partly also because literary scholars (and in particular the aspiring doctoral candidate: I myself graduated with an influence /reception study of this kind) need some justification for their endeavors, and what better ticket into the ivory rower - or onto the book market - than the study of the most seminal and widely accepted authors? James Joyce is just such a „great author.“ And „James Joyce and German Literature,“ the subject of this essay, must inevitably result in some form of reception study. But just what form should it take? Within the limited space of one article, it would be impossible to survey in toto Joyce's influence on German literature; that is, the multiple receptions of Joyce by some four or five generations of authors writing in German.
Schriftsteller sind auch nur Menschen und wollen sich genauso an der jeweiligen Tagesdebatte beteiligen können und sich im Diskursgeschehen der Gesellschaft genauso Gehör verschaffen wie der 'normale' Bundesbürger (wenn sie nicht selbst schon Ursache der Tagesdebatte sind). Doch ist ein Autor 'nur' ein 'normaler' Bundesbürger? Hat er oder sie nicht eine besondere Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, gebührt seiner oder ihrer Stimme nicht ein besonderes Gewicht in der öffentlichen Debatte? So haben wir's doch seit dem deutschen Idealismus gehalten: der Dichter ab Stimme des Volkes, als Statthalter des Gewissens, als Wegweiser und Vordenker, Mahner und Warner und was noch alles mehr. […] An zwei Beispielen, Heinrich Böll und Martin Walser, will [der Autor] nicht nur prüfen, warum gewisse 'menschliche' Äußerungen, die sie taten, „durch Publizität zum Spott oder zum Skandal“ wurden, sondern auch wie sich beide Autoren nachträglich dazu äußerten, und was wir daraus wohl schlußfolgern können.
Böll on Joyce, Joyce on Böll : a gnomonical reading of Heinrich Böll's "Die schönsten Füße der Welt"
(1998)
It is my contention - but not my whole argument, as we shall soon see - that this shift or new departure can be attributed in part to Böll's introduction to the work of James Joyce, an event that took place at or around the time when Böll began travelling to Ireland in 1954. Indeed, as if in corroboration of this assumption, the earliest mentionings of Joyce that I have found occur in the second and third episodes of Böll's popular travelogue „Irisches Tagebuch“, published in 1957. It is worth noting, however, that neither of these two comments is formulated in a way that would presuppose more than a superficial knowledge of Joyce's works. And later, too, we find only the occasional allusion to or mention of the lrish writer in Böll's literary work. Nor does Joyce or his œuvre figure prominently in Böll's countless essays and interviews on writers and writing. Even in the short article „Über den Roman“ of 1960, which is devoted to the modern novel and would provide the natural occasion for an acknowledgement of this kind, Böll refers neither to „A Portrait of the Artist as a young Man“ nor to „Ulysses“, not to mention „Finnegans Wake“.
Obwohl noch nicht ausreichend geklärt ist, wie belesen Schmidt im Bereich der literarischen Moderne eigentlich gewesen ist, als er um 1950 mit ersten literarischen Veröffentlichungen und um die Mitte der fünfziger Jahre sogar mit seinen ersten prosatheoretischen Entwürfen an die Öffentlichkeit trat, läßt sich seinen Äußerungen doch soviel entnehmen, daß wir seine Kenntnis der außerdeutschen europäischen Moderne wohl eher als sehr bescheiden und lückenhaft ansehen müssen. Die Quellenlage spricht dafür, daß außer Alfred Döblin, Hans Henny Jahnn, Hermann Hesse und, im Wortspielerischen, Expressionisten wie August Stramm nur wenige andere moderne Autoren ihm für sein Werk Pate gestanden haben, am wenigsten noch die großen Vertreter der europäischen Moderne. Schmidt, vom Faschismus samt der verabscheuten Wehrmachtszeit zu einem der zahlreichen 'transzendentalen Obdachlosen' der Nachkriegszeit transformiert, siedelte seine private literarische Ahnengalerie stattdessen vorzugsweise im 18. und 19. Jahrhundert an; Vorbilder waren ihm, dem selbst erklärten "Verirrten aus dem 18. Jahrhundert", unter anderem Wieland, Fouqué, Tieck, Poe, Dickens und Stifter.
Arno Schmidt wäre nicht Arno Schmidt, wenn er bei seinen Lesern nicht anecken wollte. Er war ein Meister der Provokation. Nichts liebte er mehr als Leser egal welchen Couleurs vor den Kopf zu stoßen, in seinem Frühwerk vor allem Konservative und Gläubige, in seinem Spätwerk sogar auch seine liberalen und linken Anhänger. In seiner Essayistik und Funkessayistik über deutschsprachige und angelsächsische Autoren war solch gezielte Irritation sein Metier. Paradebeispiele sind seine Funkessays und Aufsätze über Goethe,Stifter, Karl May, Edgar Allan Poe und James Joyce. [...] Rabiat in seiner Kritik an der Gegenwartsgesellschaft suchte Schmidt Zuflucht vor den ungeliebten und ennervierenden Zeitgenossen im intellektuellen Gespräch mit seiner selbsterwählten literarischen Ahnengalerie. Diese Ahnen kamen freilich nicht immer ungeschoren davon: mal waren sie Gegenstand seines Lobes und seiner Verehrung, mal seines Zornes oder Spotts, wie wir gleich auch beim Fall Dante sehen werden.
Mit dem Beitrag "Seinfeld und das Tabu der Masturbation" betrachtet Elisabeth Werner Inszenierungen von Tabus und Tabubrüchen in audiovisuellen Formaten. Die Autorin fokussiert die (De)Thematisierung von Sexualität und Autoerotik vor dem Hintergrund der medialen Bedingungen des Formats Sitcom und des spezifischen kulturellen Zuschnitts der Sitcom "Seinfeld", die zuweilen mit ihrer Figurenkonstellation an überlieferte Narrative der jüdischen Kultur anschließt.
Klaus Werner beschreibt in seinem Beitrag die einzigartige Mehrschichtigkeit und Tiefendimension künstlerisch bearbeiteter 'schwarzer Bücher' in Li Silberbergs Installation "Bibliothek", die als unzugänglicher gläserner Raum entzogener Lektüre mit der Einrichtung von Regalfächern und Schreibplatte zugleich subtil die materielle Bedingtheit des 'Prinzips Bibliothek' ausstellt.
Lexika wie Zedlers Universal-Lexicon gehen von einer scharfen Trennung zwischen Objekt und Subjekt aus, Schreibwerkzeuge werden darin immer auf die Objektseite geschlagen. Sprechende und damit subjektivierte Federn gibt es hingegen schon, seit Federn in Gebrauch sind. Sie tun dies vor allem in literarischen Texten, wo sie als dingliche Objekte Subjektstatus einnehmen und dadurch die Dichotomie von Subjekt und Objekt unterlaufen. Wenn die Feder zum sprechenden Subjekt wird, werden die von ihr beschriebenen Menschen zum Objekt, wobei sich die Feder dann für Benachteiligte und Unterdrückte einsetzt und dadurch diese wiederum zu Subjekten erhebt. Innerhalb der It-Narratives nehmen erzählende Federn eine Sonderstellung ein, weil sie erstens die materielle Vorbedingung des Schreibens sind, weil sie zweitens den Schwellenraum von Mündlichkeit und Schriftlichkeit besetzen, indem sie paradoxerweise das, was sie sprechen, auch gleichzeitig ins Schriftliche transponieren und dort festschreiben, sowie weil sie drittens poetologisch das hinterfragen, was geschrieben wird und werden soll
Dinge in Texten haben maßgeblich an der Konstruktion imaginärer Welten teil. Sie kommen zu allen Zeiten und in allen literarischen Gattungen vor, in der Heldenepik ebenso wie in Aphorismen, im Mittelalter wie in der Moderne. Dinge treiben Handlungen voran, stören, wenn sie nicht funktionieren, und sie schaffen und zerstören Ordnungen - auch solche der Worte. Im Gegensatz zur Ethnologie oder Museologie hat es die Literaturwissenschaft stets mit Zeichen zu tun - es stellt sich also die Frage, wie das Verhältnis von res und verba analysiert und beschrieben werden kann. Der vorliegende Band versammelt Beiträge, die sich, angefangen bei der antiken Rhetorik über mittelalterliche Literatur bis hin zum 20. Jahrhundert, mit Dingen in und neben Texten beschäftigen.
Hier soll anhand einiger Beispiele aus der Geschichte der Münchner Hofoper der 1680er Jahre während der Regentschaft von Kurfürst Max Emanuel ein Perspektivwechsel vorgeschlagen werden. Dieser soll dazu dienen, der Anregung des Kulturhistorikers Peter Burke nachzukommen, dass man weniger versuchen solle, herauszufinden, "wie etwas wirklich war", sondern wie etwas die Zeitgenossen interpretiert haben. Einbezogen werden soll dabei eine Praxis des Fremdmachens, die sich in den letzten Jahren in zahlreichen Disziplinen bewährt hat und die oft als >ethnologischer Blick< bezeichnet wird.
Eine Untersuchung der Rezeption der Opera comique in Italien mag auf den ersten Blick wenig ertragreich erscheinen. Während ihre Werke im übrigen Europa die Bühnen beherrschten, konnten sie sich hier nie recht im Repertoire etablieren. Wiederholt wurden Versuche unternommen, dies zu ändern; belegt sind immer wieder Vorstellungsserien einzelner Werke, in der Regel mit Rezitativen und in italienischer Übersetzung. Kurzzeitig gab es sogar lokale Aufführungstraditionen, aber von einer auch nur annähernd flächendeckenden Verbreitung konnte nicht die Rede sein. Eines von vielen gescheiterten Experimenten war das Gastspiel einer französischen Theatertruppe im Teatro dAngennes in Turin - wo eine Tradition französisch- sprachigen Theaters bestand - im Frühjahr 1858, wobei Operas comiques in Originalsprache und mit gesprochenen Dialogen gespielt wurden. Wegen wirtschaftlicher Erfolglosigkeit fand das Unternehmen ein vorzeitiges Ende.
Das Cassandra-Projekt ist eine Anspielung auf die Geschichte jener Figur in der Ilias, die eine düstere Zukunft prophezeite und der niemand glaubte, wodurch es zur Tragödie kam. Das Projekt hat es sich hingegen zum Ziel gesetzt, auf die Botschaften der Kassandras von heute zu hören, um weitere Katastrophen zu vermeiden, was konkret bedeutet: literarische Texte, die in Krisengebieten entstehen, auf ihr Voraussagenpotenzial hin zu analysieren, um mögliche zukünftige Entwicklungen in der Gesellschaft auszuloten. Die so entstehenden Prognosen können dann als Instrumente für anstehende politische Entscheidungen dienen. Der Beitrag verschafft einen Überblick über die Hintergründe, Methoden, praktischen Anwendungsbeispiele, Probleme und noch offenen Desiderate des Projekts.
Elke Kasimir´s paper (in this volume) argues against employing the notion of Givenness in the explanation of accent assignment. I will claim that the arguments against Givenness put forward by Kasimir are inconclusive because they beg the question of the role of Givenness. It is concluded that, more generally, arguments against Givenness as a diagnostic for information structural partitions should not be accepted offhand, since the notion of Givenness of discourse referents is (a) theoretically simple, (b) readily observable and quantifiable, and (c) bears cognitive significance.
Im vorliegenden Beitrag wird der Frage nachgegangen, ob Wortschatz mit einer Sprachlernapplikation effektiv erlernt werden kann. Den Ausgangspunkt bildet die Charakteristik der Wortschatzarbeit im traditionellen Fremdsprachenunterricht. Danach wird die Sprachapplikation "duolingo" vorgestellt. Es wird dabei analysiert, wie ihre Autor/innen bei der Vermittlung des Wortschatzes didaktischen Grundsätzen und lernpsychologischen Erkenntnissen folgen. Es werden sowohl Stärken als auch Unzulänglichkeiten gezeigt, die die Qualität des Vokabellernens
beeinflussen.
In this brief excursion into the poetry of Dante and Montale, Rebecca West suggests some approaches to only a few issues that emerge out of the creation of both the primary beloveds of Dante and Montale and of those feminine figures that have been characterized as ostensibly 'antitranscendental' and more secondary in their roles and meanings. As regards Montale's primary feminine figure, Clizia, West argues that she is, to use Teodolinda Barolini's term for Beatrice, a 'hybrid' poetic character, and ultimately exceeds the limits of the poetic beloved as traditionally conceived and read, not only in the courtly tradition upon which she is modelled but well beyond it. In the case of the so-called secondary 'other women' in Dante's and Montale's poetry, West seeks to show that they are much less separable from the primary feminine figures than such binaries as major/minor, transcendent/erotic, soul/body, and traditional/experimental may lead us to believe. Lastly, West considers specifically the wife-figure, in her conspicuous absence from Dante's corpus and in her late appearance in Montale's. For both poets, there are complex intertwinings, interferences, and non-dualistic patterns that form a densely textured poetic weave, in which both the primary and the secondary feminine figures provide "fili rossi" as well as not so easily graspable dangling threads of meaning. These threads have to do with the preoccupation of both poets with the possible integration of immanence and transcendence, embodiment and abstraction, and with the very limits of poetic language. West's topic is also motivated by a feminist-oriented search for modes of deciphering the figure of the feminine beloved in lyric poetry that are not conditioned exclusively by the traditional emphasis on the male poet-creator, but which allow for a shift in focus onto the female figure who is, of course, the creature of the poet's imagination and skill, but who also often takes him into regions in which the excesses (commonly associated with the female) of non-binary thought and the mysteries of alterity - the feminine symbolic sphere, in short - do not so much allow the emergence of neatly squared-off meanings as the evolution of more oblique, circular conduits of potential significance. As a specialist of modern literature, Rebecca West concentrates on Montale more than on Dante, mainly noting the Dantesque aspects of the former's poetry.