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"An die Grenzen des Erzählbaren", so wird es gedeutet, gelangt Josef Winkler in seinem Roman "Friedhof der bitteren Orangen" (Harig 144-45). Mit drastischen Formulierungen wie "Horrortrip" und ''Höllenfahrt'' wird diesem Text die bittere Note in der Lektüre und Interpretation immer wieder neu zu- und eingeschrieben. Zur bitteren Note des Geschriebenen gesellt sich in den Lesarten signifikant der biografische Bezug auf die sexuelle Orientierung und wird mit dieser intrinsisch korreliert. Tendenziell ist von einem Text die Rede, indem sich "der Homosexuelle [in heiliger Obszönität] zu seinem Kreuzweg [bekennt]" (145). In der hier angebotenen Lektüre Winklers werden jedoch Fragen der Repräsentation eines schwulen Lebensentwurfs oder schwuler Erfahrungen keine Rolle spielen. Auch die Beziehung von Homosexualität und Literatur, also die Beziehung zwischen der sexuellen Orientierung Winklers und seinem Text, liegt nicht im Fokus des Interesses – was allerdings nicht bedeutet, dass jegliche Form von Wirkkraft aus dieser Orientierung komplett verneint werden soll; sie wird aber nicht Teil des hier angebotenen Arguments sein.
Argumentiert wird hier aus dem theoretischen Horizont der Queer Studies – präziser noch der Postcolonial Queer Studies – heraus, wobei die vorliegende Analyse "quer" zu einer solchen Interpretation steht. Queere und postkoloniale Terminologie überschneiden sich in diesem Unterfangen. Sowohl das queere als auch das postkoloniale Projekt zielen darauf ab, binäre Oppositionsstrukturen zu unterlaufen und zu entkräften, für Offenheit, Hybridität und Polyvalenz zu plädieren und Räume zu eröffnen, in denen vielfältige, prozesshafte Identitätskonzepte denkbar und lebbar werden.
The article engages in a close reading of Goethe's sonnet "Mächtiges Überraschen", published in the sonnet cycle of 1807. In it the poetic voice evokes a mountain river whose course is suddenly interrupted by the limiting force of a dam. Paradoxically, however, the effect of this is not stagnation, but the emergence and celebration of a "new life". This paradox will be illuminated by a discussion of Goethe's "Morphologie" as a universal scientific method. Morphology studies the infinite variety of (natural) forms while also insisting on their individual limitation. Goethe's understanding of life lingers on the co-presence of "coined form" and "living development" as he formulates it in "Urworte. Orphisch". "Mächtiges Überraschen" is read as a poem that embodies this fundamental polarity. The sonnet refers time and again to the borders and limitations of both the natural image it evokes and its own poetic properties. Simultaneously, it suggests the transgression of these limitations on both a formal (or structural) and a metaphorical level. As a poetological sonnet, "Mächtiges Überraschen" unifies the representation (of a natural event) with a reflection on representation as such. The announcement of a "new life" in the last stanza of the poem is thus read as an announcement of its own coming-into-being.
Die Poesie hat es im Streit der Künste nicht leicht, sich gegen die Macht der Musik zu behaupten. Die Überlegenheit der Musik steht mit Monteverdi schon am Anfang der Operngeschichte. Die Operngeschichte ist voller Beispiele vom Streit zwischen Dichtern und Musikern. Nur ein transdisziplinärer Meister wie Dieter Borchmeyer vermag dieses Wechselspiel zu überschauen. Immer wieder strebte die Kunst zum Gesamtkunstwerk und zur Fusion von Wort und Ton. Richard Wagner gab aller neueren Kunst das Beispiel vor. Friedrich Nietzsche nahm den ungleichen Kampf mit Wagner auf. Sein Gegenprojekt war eng mit dem Mythos von Dionysos und Ariadne verbunden. Zuletzt sah er in Cosima Wagner seine Ariadne verkörpert Im 'Ecce homo' fragte er noch: "Wer weiss ausser mir, was Ariadne ist!" (KSA 6, 348) Seine letzten Zeilen an Cosima lauteten dann wohl: "Ariadne, ich liebe Dich. Dionysos". Auf Dionysos und Ariadne lief seine Wiedergeburt der Antike im Kampf mit Wagner hinaus.
In der Wissenschaftsgeschichte des öffentlichen Rechts hat man den Glauben verloren, in scheinbar ewigen Begriffen zeitlose objektive Wahrheiten gespeichert zu finden. Die Bedeutung von Begriffen wie von Worten überhaupt ergibt sich aus wandelbaren Regeln ihrer Verwendung in konkreten Kontexten, die ihrerseits sprachlich erfasst und verstanden sein wollen. Die hiermit betonte Kontextbindung unterstreicht die kantische Erkenntnis, dass wir durch "sehr abstrakte" Begriffe "an vielen Dingen wenig" und durch "sehr konkrete" Begriffe "an wenigen Dingen viel" erkennen. Dabei hängt für Kant nicht nur das "Maximum der Erkenntnis" an der richtigen Austarierung der Abstraktionshöhe, sondern besteht hierin zugleich die "Kunst der Popularität". Die Wahl des Abstraktionsgrades und der Vergleichsebenen stellt Anforderungen auch an die Geschichtsschreibung, namentlich an die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus, der nicht einfach "Der Faschismus in seiner Epoche" gewesen ist. In Besonderheit zeigt der Holocaust, dass sich transnationale Vergleichsbildungen geradezu verbieten können. Sofern sich die Wissenschaftsgeschichte mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt, ist sie gut beraten, mit Michael Stolleis bei den zeitgenössischen Wortverwendungen ihren Ausgangspunkt zu nehmen. Da die zentralen Wörter, traditionell die "Grundbegriffe" der Wissenschaft des öffentlichen Rechts, immer wieder die Aufmerksamkeit auch anderer Disziplinen gefunden haben, insbesondere der politischen Theorie, Philosophie, Geschichtswissenschaft und später zudem der Sozialwissenschaften, geben bereits die zu gewärtigenden gegenseitigen Beeinflussungen zu entsprechenden Seitenblicken in der Geschichte des öffentlichen Rechts Anlass. ...
Die Grundlagen der heutigen modernen Wortartenklassifikationen gehen bis in die Antike zurück: Bereits zu dieser Zeit hat Dionysius Thrax ein Schema mit acht Wortarten etabliert. Die darin auftretenden Wortarten sind Substantive, Verben, Adjektive, Artikel, Pronomen, Präpositionen, Adverbien und Konjunktionen. Diese Zahl wird wiederum in den unterschiedlichen Grammatikansätzen unserer Zeit variiert. So verwendet der generative Ansatz beispielsweise vier Wortarten – Bergenholtz/Schaeder (1977) verzeichnen dagegen ganze 51 verschiedene Wortarten und zusätzlich 5 Lexemklassen. Allein diese starken Schwankungen in der angenommenen Anzahl der Wortarten verdeutlichen die allgemeinen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der Wortarten in ihren Kriterien.
Das Zitat "Denn sie gliedern sich in Stämme wie die Menschen" aus Érik Orsennas "Die Grammatik ist ein sanftes Lied" leitet den Titel dieser Arbeit ein und markiert gleichzeitig eine Schnittstelle zwischen der Literaturwissenschaft und der Linguistik und speziell der Grammatik. Als metasprachliche Erzählung setzt sich Orsennas Erzählung literarisch mit der Sprache und ihrer Grammatik auseinander. In der vorliegenden Arbeit beschäftige ich mich vorrangig mit der Analyse der Kriterien zur Klassifikation von Wortarten und ihrer literarischen Darstellung und Ausgestaltung in Orsennas Text über die Wörter, die in Stämmen in der Stadt der Wörter zusammenleben und in einer Fabrik miteinander zu Sätzen verbunden werden können. Der Originaltext von Orsenna ist eine Erzählung in französischer Sprache. Die Übersetzerin Caroline Vollmann hat den Text an die Gegebenheiten und speziellen Phänomene der deutschen Sprache angepasst. Aus diesem Grund spreche ich in der Arbeit von Orsenna und Vollmann als Verfassern.
Da die Darstellung der Wortarten bei Orsenna und Vollmann primär durch Metaphern realisiert wird und den Wörtern als "Stämmen" in einer Stadt menschliche Eigenschaften zugewiesen werden, möchte ich besonders auf die Grundlagen der kognitiven Metapherntheorie von Lakoff und Johnson eingehen. Um eine möglichst wissenschaftlich fundierte Grundlage für die Analyse von Kriterien zur Wortartenklassifikation zu gewährleisten, habe ich drei Grammatiken als Vergleichsmedium für die spätere Analyse von Orsennas und Vollmanns Text ausgewählt. Dadurch gewinne ich sowohl eine syntaktisch als auch morphologisch und semantisch orientierte Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand. Aus den Grammatiken von Hentschel/Weydt (2003), Helbig/Buscha (2005) und Boettcher (2009) soll im Verlauf der Arbeit ein Kriterienkatalog erstellt werden, der in einem weiteren Schritt auf die Analyse der Wortartenklassifikation des literarischen Textes angewendet werden kann.
"Der Beredsamkeit der Sieger den Hals umdrehen" : jüdischer Humor als Strategie zum Überleben
(2011)
Es ist kein Zufall, dass Freud ausgerechnet in der ostjüdischen Kultur ein Arsenal an Witzen entdeckt, entlang dessen er Witz-Techniken und ihre psychische Begründung darstellt. Die Vehemenz, mit der er den Umstand, dass es sich bei seinen Beispielen hauptsächlich um Witze aus der Kultur der Ostjuden handelt, als nebensächlich und erklärungsbedürftig zugleich kennzeichnet, um ihn dann aber doch weitgehend unbegründet zu lassen, legt die Annahme einer hier verschwiegenen Beziehung zwischen der Besonderheit des Witzes und jener "Herkunft" gerade nahe. In 'welchem' Verhältnis aber stehen Witz und Humor zur jüdischen Überlieferungskultur? Eine Frage, die sich auch Rabbiner und Philosophen stellten, darunter Marc Alain Ouaknin, dessen Reflexionen zum jüdischen Humor dieser Beitrag grundlegende Impulse verdankt. Seine Beobachtung einer methodischen Nähe zwischen Textstrategien von Talmud und Midrasch und gewissen Techniken des jüdischen Witzes lässt sich leicht erweitern zu der Annahme einer Koinzidenz von einem in diesen Witzen zeichenstrategisch und thematisch auftauchenden Verständnis jüdischer Überlieferungsdynamik und Vorstellungen des Zusammenhangs von Interpretation und Sinnerneuerung, wie sie in jenen Quellen der jüdischen Tradition gründen. Den Ort der Witze und humorvollen Anekdoten, von denen hier die Rede sein wird, kennzeichnen nun mindestens zwei besondere Situationen: Sie entspringen den unmittelbaren Erfahrungen jüdischen Lebens in Osteuropa, das bereits vor seiner Vernichtung fortwährend mit wechselnden Verfolgungs- und Unterdrückungssituationen konfrontiert war, und dem Kontinuum seiner kulturellen und religiösen Herkunft und Tradition.
Obgleich die Brüder Johann Friedrich (1795-1865) und Friedrich Gottlob Franckh (1802-1845) zu den wirkungsmächtigsten Verlegern in Süddeutschland gehörten und politisch bewegte Biographien aufweisen, existieren bis auf wenige kleinere Festschriften keine modernen Darstellungen, die der Bedeutung des Verlagsunternehmens gerecht würden. Es hatte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Firma profiliert, die sich mit einem neuen Selbstverständnis und spektakulären Vermarktungsstrategien nicht nur im süddeutschen Raum schnell einen Namen machte. Die Gebrüder Franckh spezialisierten sich auf preiswerte Lieferungswerke und Buchreihen, die nicht allein über den regulären Sortimentsbuchhandel, sondern vielmehr über die weit verzweigten Kolportagenetzwerke im süddeutschen Raum ihren Absatz fanden. In der Gründungsphase bemühte sich der Verlag um die Einbindung junger, noch wenig bekannter Autoren aus dem Schwäbischen Dichterkreis. Zu den namhaftesten Autoren zählten Wilhelm Waiblinger, Wilhelm Hauff, Eduard Mörike und Carl Spindler. [...] Das Spekulieren auf den schnellen ökonomischen Erfolg, kurzfristige Auf- und Zukäufe von Firmenanteilen, schnelle Inhaber- und Geschäftsführerwechsel, eine von schnellen Entscheidungen geprägte Strategie, die nach dem Ende der Napoleonischen Kriege für den süddeutschen Buchhandel zum Markenzeichen wurde, blieb dem norddeutsch-protestantischen Buchhandel zunächst suspekt. Der vorliegende Beitrag versteht sich lediglich als Forschungsskizze, gilt es das Verlagsunternehmen der Brüder Franckh im Rahmen des Editionsprojekts "Digitale Gesamtausgabe der Werke Karl Gutzkows" an anderer Stelle gründlich aufzuarbeiten. Hier soll versucht werden, den Verlag der Gebrüder Franckh als ein im Vormärz womöglich prototypisches Unternehmen zu profilieren und seine Bedeutung für die Vormärzforschung aufzuzeigen.
In seiner Rezension zur Kritischen Ausgabe der 'Einbahnstraße' schreibt Lorenz Jäger in der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung' vom 11.3.2010: "Zwischen Moskau und Paris liegt der geographische Raum dieses Buches, auch nach Süden hin ist er offen." Tatsächlich spielt der Süden Europas im Leben und Werk Benjamins eine wichtige Rolle. In Italien und Spanien hat er nicht nur längere Phasen seines Lebens verbracht, sondern bekanntlich auch zentrale, seine intellektuelle Entwicklung prägende Zäsuren erlebt. Seine autobiographischen Texte, Reisebilder und die Besprechungen einschlägiger Werke zur Kultur und Landschaft Südeuropas geben davon ein eindrucksvolles Zeugnis. Hinsichtlich der Rezeption der romanischen Literatur im engeren Sinn wird man aber von einer eher schmalen Tür nach Süden sprechen müssen, jedenfalls gemessen an den breiten Toren, die nach Westen in Richtung Frankreich bzw. nach Osten zur russischen Literatur führen. Gewiss, Benjamin kannte die italienischen Klassiker Dante, Petrarca, Boccaccio, Aretino oder Marsilio Ficino, aber sehr tiefe Spuren haben sie in seinem Werk nicht hinterlassen. Etwas anders sieht es bei den großen Autoren des spanischen 'Siglo de Oro' aus. Mit Cervantes als Erzähler, vor allem aber mit dem "Handorakel" von Baltasar Gracián und den Trauerspielen Calderons hat er sich seit den 1920er Jahren wiederholt und intensiv auseinandergesetzt. Aber auch hier fehlt, sieht man von der kurzen Rezension des spanischen Surrealisten Ramón Gómez de la Serna ab, jede nähere Beschäftigung mit bedeutenden Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts. Umso auffälliger ist vor diesem Hintergrund das Interesse, das Benjamin dem italienischen Dichter, Philologen, Essayisten und großen Aphoristiker Giacomo Leopardi (1798–1837) entgegengebracht hat. Es findet seinen deutlichsten Niederschlag in der Rezension einer deutschen Übersetzung von Leopardis 'Pensieri', die im Frühjahr 1928 geschrieben wurde und in der 'Literarischen Welt' vom 18.3.1928 erschienen ist. Größere Aufmerksamkeit hat diese Besprechung nicht gefunden. Bekannter ist der sich daran anschließende, zwei Monate später an gleicher Stelle publizierte Disput mit dem Übersetzer Richard Peters, der dem Kritiker Gelegenheit gab, zu grundsätzlichen Fragen der Übersetzungstheorie Stellung zu nehmen (WuN XIII, 144–147). Dagegen wurde die Verbindung zwischen Benjamin und Leopardi bislang in der Forschung von keiner Seite thematisiert.
Ein Dorfrichter missbraucht seine Amtsautorität, nötigt eine junge Frau sexuell, indem er ihr droht, dafür zu sorgen, dass ihr Verlobter als Soldat in einem Kolonialkrieg verheizt wird, sollte sie ihm nicht zu Willen sein. Bei seiner […] Flucht vom Tatort zerschlägt er einen Krug. Dieser […] bezeichnet die mutmaßlich geraubte Unschuld der jungen Frau. Sex and Crime also – von Kleist indes als Komödie präsentiert. Angesichts der körperlichen Schändung […] erscheint diese Gattungsentscheidung gewagt; zumal Kleists Darstellung auf den ersten Blick keine allzu große Empathie für die geschädigte Seite dokumentiert. Wie so oft bleibt nämlich die Paraderolle dem Bösewicht vorbehalten: dem Dorfrichter Adam. Frau Marthe Rull hingegen, die Mutter des vergewaltigten Mädchens und Eigentümerin des zerbrochnen Krugs, gilt nicht gerade als Sympathieträgerin […]. Ihre insistierende Klage vor Gericht, in der sie den Krug mit aller Einlässlichkeit beschreibt, weist sie in den Augen der amerikanischen Kleistexpertin Ilse Graham als überaus »schlichte Person« aus, ja lässt sie gar zu einem Musterbeispiel »törichter Besessenheit« werden. Man kann solchen Furor gegenüber einer literarischen Figur befremdlich finden, Fakt ist allerdings, dass Frau Marthe auch für den heutigen Theaterzuschauer zunächst einmal eine Nervensäge ist. Ihre langatmige Beschreibung des Krugs bringt den sonst besonnenen Gerichtsrat Walter dazu, sie ein ums andere Mal mit Einwürfen wie »weiter, weiter« zu mehr Stringenz anzutreiben.
Der Artikel thematisiert Entlehnungen, Sprachmischungen und den Umgang mit kontinuierlichem Sprachwechsel deutschstämmiger Bewohnerinnen und Bewohner aus São Bento do Sul, Bundesstaat Santa Catarina. Es geht hierbei sowohl um Entlehnungen einzelner portugiesischer Lexeme wie Interjektionen, formelhafte Ausdrücke, Negierungen, Subjunktionen/Konjunktionen und einige Sonderfälle als auch um Übernahmen portugiesischer Konstruktionen. Anhand verschiedener Gesprächsausschnitte und Kurzanalysen werden in exemplarischer Form die spezifischen Formen des deutsch-brasilianischen Sprachkontakts vorgestellt.
Tento článek je kritickým posouzením předsudku, který stále nedotčeně přetrvává při četbě novely 'Die Judenbuche' Anetty von Droste-Hülshoff. Ve většině interpretací tohoto textu je Friedrich Mergel rozpoznán a analyzován jako vrah. Předložený rozbor ukazuje, že novela obsahuje značný počet rozporuplných prvků, které nedovolují Friedrichovo odsouzení. Proto by mělo být cílem četby zamyšlení, které je v textu obsaženo, a ne rozsudek.
This article deals with the representation of motherdaughter relationships in novels by Herta Müller, Aglaja Veteranyi, Carmen Francesca Banciu and Gabriela Adamesteanu, all of them born in Romania. Herta Müller and Aglaja Veterani constantly wrote in German, while Carmen Francesca Banciu changed her language after emigrating to Germany and Gabriela Adameºteanu’s language has always been Romanian. Mother-daughter relationships are analysed in regard of female genealogy, but also considering their complexity and ambiguity. It is shown that representations of mother-daughter-relationships are depending rather on individual and psychological criteria than the author’s cultural or ethnic affiliation. Maybe a larger study, which could not be made in this article, could reveal more detailed results.
Im 48. Kapitel von Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften" lesen wir folgende Beschreibung des deutschen Finanzmagnaten und 'Großschriftstellers' Paul Arnheim: "Die Ausflüge in Gebiete der Wissenschaften, die er unternahm, um seine allgemeinen Auffassungen zu stützen, genügten freilich nicht immer den strengsten Anforderungen. Sie zeigten wohl ein spielendes Verfügen über eine große Belesenheit, aber der Fachmann fand unweigerlich in ihnen jene kleinen Unrichtigkeiten und Mißverständnisse, an denen man eine Dilettantenarbeit so genau erkennen kann, wie sich schon an der Naht ein Kleid, das von der Hausschneiderin gemacht ist, von einem unterscheiden läßt, das aus einem richtigen Atelier stammt. Nur darf man durchaus nicht glauben, daß das Fachleute hinderte, Arnheim zu bewundern." Auch wenn es so scheinen mag, als werde mit diesem Zitat der Rahmen der romantischen Schöpfungsästhetik gesprengt: Hier klingen einige Leitmotive nach, die 'um 1800' die Auseinandersetzung um den 'wahren Künstler' bestimmen. So könnte man fragen, ob der Großschriftsteller Arnheim in der zitierten Passage nicht nur als Dilettant, sondern auch als Virtuose markiert .wird. Als dilettantischer Nicht-Fachmann genügt er nicht immer den "strengsten Anforderungen", zeichnet sich aber durch ein "spielendes Verfügen" über sein angelesenes Wissen aus. Deutet der Umstand, dass ihn die Fachleute bewundern, darauf hin, dass Arnheims "spielendes Verfügen" als virtuose Verbindungsgabe Ansehen findet, auch wenn die Nahtstellen die Dilettantenarbeit erkennen lassen? Und warum wird die Dilettantenarbeit mit der Naht der Hausschneiderin in Analogie gesetzt? Ganz abgesehen davon, dass mit der Maßschneiderei generell das Problem der Angemessenheit aufgeworfen wird: Warum sollte die Hausschneiderin schlechter nähen als das richtige Atelier?
"Eigentlich ist es nichts Besonderes – und genau das ist gut so!" : Nordic Walking in der Onkologie
(2011)
Literatur ist ein Spiegel ihrer Zeit, sie ist aber zugleich auch ein Spiegel ihrer selbst. Mit anderen Worten: Literatur ist in der Umbruchsituation aufgefordert, nicht nur diese, sondern auch sich selbst im Rahmen ihrer geänderten Produktionsmöglichkeiten (und das sind nun einmal die spezifischen Darstellungsmodi der Literatur) zu reflektieren. Es scheint also ein Perspektivwechsel gegenüber der älteren Vormärzforschung angebracht. Die Literatur der Jahre zwischen 1815 und 1848 wäre dann nicht länger ein vornehmlich politischer, sondern ein poetologischer Akt, also eine durch neue Produktionsbedingungen erzwungene Form der poetischen Selbstreflexion - und zwar mit den Mitteln der Poesie selbst. Ziel einer solchen Poetologie wäre also die Darstellung der veränderten Bedingungen im Medium der Literatur: 'Dichtung' stellt sich und ihre Verfahrensweisen dar. Im Sinne einer Poetologie werden so die literarischen Reflexionsmuster der Literatur auf ihre ureigensten Produktionsverhältnisse rückbezogen, ohne in Literatur wenig mehr als einen Spiegel der gewandelten technischen und sozialen Realitäten zu sehen: Vielmehr reicht die Reflexionsfähigkeit der Literatur bis in die syntaktische und semantische Gestaltungsebene hinein.
Angesichts des Schicksals ihrer Imame ist es kaum überraschend, dass die Schia den frühesten und expressivsten Märtyrerkult im Islam entwickelte: Die mutmaßlichen Gräber des zum Herrn der Märtyrer ('sayyid al-schuhada') verklärten Husain und seiner Gefährten bei Karbala entwickelten sich schon bald zu Anlaufstätten für Trauer- und Gedächtnisrituale ihrer Anhänger. Gemeinsam mit den Grabstätten der nachfolgenden Imame sowie denen vieler weiterer, männlicher und weiblicher, Nachkommen der Familie Alis wuchs hier im Lauf der Jahrhunderte ein regional weit verzweigter Märtyrer- und Heiligenkult heran, der an den schon in vorislamischer Zeit im Nahen Osten weit verbreiteten Totenkult anknüpfen konnte und maßgeblich dazu beitrug, die Oppositionsbewegungen der Schia in der lokalen 'Volkskultur' zu verankern. Die Tatsache, dass 'Frauen', vor allem durch rituelles Weinen, gerade beim Trauerkult eine herausgehobene öffentliche Rolle spielen konnten, scheint die Breitenwirkung dieser Bewegungen ebenso begünstigt zu haben wie die bedeutende Rolle Fatimas in der Legitimitätsstruktur der Schia. Obwohl die Figur Alis der zentrale politisch-theologische Angelpunkt der Schia ist und obwohl auch sein Tod alle Ingredienzien eines Märtyrertods enthält und mehrere schiitische Feiertage das Andenken des Herrschers der Gläubigen ('amir al-mu’minin') pflegen, sind die wichtigsten Rituale der Schia dennoch auf seinen jüngeren Sohn Husain ausgerichtet, dessen heroischer Untergang bei Karbala im Irak mit 72 seiner Verwandten und Gefährten gegen eine Übermacht von mehreren tausend Soldaten des Kalifen Yazid I. (reg. 680–683) bis heute mit ausgedehnten Gedächtnis- und Trauerfeiern begangen wird. Nicht zufällig wurden die religiösen Versammlungsräume der Schia unter dem Namen "Husainiya" bekannt.
Das Thema "Fremde Menschen sprechen mir aus der Seele." ist ein freies Zitat eines Kommentars zur Ballade "Ausser Dir" der Rockgruppe "Wir sind Helden", der auf der Internetplattform YouTube zu finden ist. Die sehr persönliche Äußerung dieses Hörers bezieht sich auf die musikalische Darstellung von Liebe in diesem Stück, mit der er sich wohl emotional sehr stark identifizieren konnte. Dieses Zitat aus dem Internet, ein Beispiel aus einer Fülle ähnlicher dort existierender Äußerungen, zeigt deutlich die Intensität emotionaler Wirkung von Musik und deren zentrale Stellung im Musikerleben von Menschen. Lassen sich diesbezüglich Unterschiede zwischen Laien- und professionellen Musikern feststellen und welche Bedeutung erreicht hierbei das gemeinsame Musikerleben? In diesem Kontext erfolgt die Erhebung neuer Daten mittels stichprobenartiger Befragung der beiden exemplarischen Personenkreise. Die mit dem induktiven Verfahren erzielten Ergebnisse veranschaulichen die Bedeutung emotionalen Erlebens bei beiden Probandengruppen als Stimulus vielfältiger musikalischer Betätigung, bei der das künstlerische Niveau nicht ausschlaggebend ist. Gemeinsames Musizieren stärkt somit Menschen, unabhängig vom künstlerischen Anspruch, und kann damit in allen Altersgruppen essentiell zu positiver Lebensgestaltung beitragen.
Eines der zentralen Konzepte, auf das sich die Sowjetunion in ihrem Selbstverständnis als neue Zivilisation berief, war das Konzept der "Völkerfreundschaft" (družba narodov). Über den naheliegenden Zusammenhang mit der sowjetischen Nationalitätenpolitik (insbesondere stalinscher Prägung) hinaus verweist es auf die propagierte sowjetische Ethik – die Gleichheit aller Sowjetbürger nach der Abschaffung der Klassengesellschaft. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wird dieses Modell des gemeinschaftlichen Zusammenlebens bezogen auf den Raum der Sowjetkultur vor allem als machtpolitische Strategie bzw. in seiner mythenhaften Dimension betrachtet. Anliegen des Workshops ist es, ausgehend vom sowjetischen Freundschaftsbegriff unterschiedliche Facetten und Implikationen der Freundschaft im interkulturellen Vergleich zu diskutieren. So haben Länder und Regionen im Süden und Osten Europas (wie Georgien) beispielsweise die Gastfreundschaft als kulturelle Praktik zu ihrem "Markenzeichen" erklärt. Die Art und Weise, wie die Gastfreundschaft in Literatur und Kunst verhandelt bzw. repräsentiert wird, ist ein Indiz für die nachhaltige Bedeutung des Paradigmas, das bis in aktuelle Konflikte und juristische Diskurse (wie etwa die Frage nach dem Gastrecht oder das ethnisch begründete Restitutionsgesetz im heutigen Abchasien) hineinreicht. Gefragt wird u.a. nach den politischen Implikationen des Freundschaftsbegriffs, nach der Übertragung des interpersonellen Konzepts Freundschaft auf Völker im (sowjetischen) Konzept der Völkerfreundschaft, nach Politisierungsstrategien, nach unterschiedlichen Praktiken der (Gast-)Freundschaft (u.a. im Kontext der Derridaschen Ethik oder der Positionen von C. Schmitt, P. Klossowski oder M. Mauss) oder etwa nach der Bildung formeller und informeller Netzwerke in unterschiedlichen kulturellen und historischen Kontexten. Schwerpunktmäßig im 20. und 21. Jahrhundert angesiedelt, wird im Rahmen des Workshops auch die Genese der (sowjetischen) Konzepte und Praktiken der Freundschaft aus der Antike bzw. der Vormoderne thematisiert.
The conference paper interprets Spinoza's concept of “sola scriptura” as a reductio ad absurdum of historicalcritical approaches to text interpretation. It shows that despite Spinoza's emphasis on the revelatory function of scripture and despite his claim that there is only one method of reading it, he intently and distinctly undermines this very hermeneutics as unreliable and incompatible with both reason and truth. The text follows the central intuition that for Spinoza, this insuffiency of hermeneutics accounts for its political potential, as a means of uncoupling politics and theology.
Kleist erzählt in seiner 1808 erstmals erschienenen Novelle „Marquise von O….“ die Geschichte einer Frau, die unwissentlich vergewaltigt wird, per Zeitungsannonce den Kindsvater sucht und am Ende den Geständigen heiratet. Kleist legt in seiner Erzählung zahlreiche Fährten, eine davon führt zum christlichen Mythos der Heiligen Familie und somit zum Urbild der bürgerlichen Familienstruktur. Das zentrale Motiv der unerklärlichen Schwangerschaft rückt die Marquise in die Nähe der Gottesmutter Maria. Als sie die Hebamme fragt, ob denn »die Möglichkeit einer unwissentlichen Empfängnis sei«, erhält sie die Antwort, »dass dies, außer der heiligen Jungfrau, noch keinem Weibe auf Erden zugestoßen wäre«. Wenn Kleist seiner Novelle die Figurenkonstellation der Heiligen Familie zugrunde legt – wie sind dann die weiteren Rollen verteilt? Die Heilige Familie beschreibt zwei Figurendreiecke, ein göttliches und ein menschliches. Das göttliche Dreieck umfasst Gottesmutter, Gottvater und Gottessohn, das menschliche Dreieck Maria, Joseph und das Jesuskind. Letzteres hat somit zwei Väter: einen göttlichen, der es zeugt, und einen irdischen, der es legitimiert.
Im Marktflecken Thannhausen bei Augsburg, der in einer adligen Enklave im markgräflich Burgauischen Mindeltal lag, existierte um 1600 eine für diese Zeit beachtlich große jüdische Landgemeinde, die mit ihren etwa dreißig Haushaltungen nach der Vertreibung der Juden aus Günzburg und Burgau 1617/18 die zahlenmäßig stärkste Gemeinde in Schwaben darstellte. An Chanukka des Jahres 5372, Anfang Dezember 1611 christlicher Zeitrechnung, kam dort ein Rechtsstreit zwischen der jüdischen Gemeinde zu Thannhausen und ihrem Schtadlan Kofman vor ein jüdisches Schiedsgericht. Es ging um die Entlohnung Kofmans für eine Mission, auf die ihn die Gemeinde im Frühsommer desselben Jahres nach Prag entsandt hatte, um bei der Ortsherrschaft ihre Interessen zu vertreten. Der Prozess, der zu den wenigen Schiedsgerichtsverfahren dieser Zeit gehört, deren Protokolle weitgehend erhalten sind, soll hier untersucht werden; dabei wird jedoch weniger das Verfahren oder der Gegenstand des Prozesses als solcher, die Auseinandersetzung um Kofmans Lohn, im Mittelpunkt stehen, als vielmehr der Konflikt um die Interpretation der Rolle des Schtadlan, des Fürsprechers der Gemeinde bei der Obrigkeit, durch die beiden Prozessparteien. Die Deutungen, wie sie in den Aussagen der Prozessbeteiligten artikuliert werden, weichen in erheblichem Maße von der in der Forschung vorherrschenden Darstellung des Amtes des Schtadlan in der Frühneuzeit ab – ebenso wie die Definition der Tätigkeit, die der bekannteste Fürsprecher des 16. Jahrhunderts, Josel von Rosheim, in seiner Korrespondenz und in seiner Chronik für sich verwandte. Aussagen der Beteiligten, Auftraggeber und Funktionsträger, sollen hier also auf die Frage nach Amt, Funktion und Titel des Schtadlan im 16. Jahrhundert im Lichte ihrer jeweiligen subjektiven Wahrnehmung der Vorgänge hin analysiert werden.
Hypochonder gelten gemeinhin als Simulanten. Doch mit diesem Vorurteil
versuchen Psychologen seit Jahren aufzuräumen: Denn die Betroffenen
leiden erheblich darunter, dass sie sich intensiv mit selbst
beobachteten körperlichen Symptomen beschäftigen und oft über Jahre
Ängste oder die Überzeugung entwickeln, ernsthaft erkrankt zu sein.
Verhaltenstherapeutisch orientierte Behandlungsansätze, die sich speziell
mit diesen Formen der Angst beschäftigen, zeigen erste gute Erfolge.
Im Sinne einer Musikhistorie als "Plural von Zusammenhängen" (H. Blumenberg), deren sich überkreuzende Fäden der narrativen Bündelung durch Hörer und Chronisten bedürfen, erweist sich Schönbergs "Überlebender aus Warschau" als ein Scharnierstück der von politischen Verwerfungen durchsetzten Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Die Einbeziehung des die Dignität kultureller und religiöser Selbstbehauptung symbolisierenden Glaubensbekenntnisses setzt kompositionsgeschichtlich einerseits eine national-religiöse Tradition fort, denkt man etwa an die Schlüsselstellung, die das Zitat von Luthers Choral "Ein feste Burg" in nicht wenigen Werken des 19. Jahrhunderts einnimmt. Andererseits resultiert auch die Wirkung des 'Survivor' - wie Reinhold Brinkmann im Zeichen der um und nach 1968 leidenschaftlich ausgetragenen Diskussion der politischen Aussagekraft musikalischer Werke betonte - aus der Aktivierung des politischen Textinhalts durch eine dezidiert musikalische Konzeption: Die dem "Shema Yisrael" vorausgehende musikalische Steigerung lässt sich als kompositorisches Modell bereits im apotheotisch angelegten Schluss von Schönbergs 'Gurreliedern' ("Erwacht, erwacht ihr Blumen zur Wonne") nachweisen. Auf dynamischer Ebene ist diese Klimax der Takte 72-80, die es buchstäblich darauf anlegt, den Hörer zu überwältigen, durch das anziehende Tempo (von Viertel=60 bis Viertel=160) und ein Crescendo zum dreifachen Forte, rhythmisch durch die aus der Erzählerstimme in das Orchester überspringenden triolischen Figuren, sowie tonal durch ein chromatisches Wechselspiel zwischen den vier Ausprägungen des übermäßigen Dreiklangs und der dadurch ebenfalls erforderlichen Transposition der Reihenformen bestimmt. Schönbergs ideelle Besinnung auf die Religion stützt sich kompositorisch somit ein Stück weit gerade auf ihr säkularisiertes Gegenstück - jene musikalischen Überhöhungen, die das Zeitalter der "Weltanschauungsmusik" in Form einer bisweilen hypertrophen Kunstreligion zelebrierte. Die Erinnerung des "Überlebenden" wird so auf den "grandiose moment" des musikalischen Widerstands konzentriert, während Schönberg eine gleichwertige Einbeziehung des Erzählertexts in das motivisch- tonale Gefüge der Komposition dezidiert ausschließt. Trotz dieser historischen Verortung steht der von Adorno als "autonome Gestaltung der zur Hölle gesteigerten Heteronomie" beargwöhnte 'Survivor' zugleich aber nicht nur ideengeschichtlich, sondern durchaus auch kompositionstechnisch - wie hier an Kompositionen von Schönbergs (posthumem) Schwiegersohn Luigi Nono gezeigt werden soll - mit avancierten Beispielen einer 'musique engagée' der 1960er Jahre in Verbindung.
The Alor-Pantar Archipelago is still one of the most under-researched areas of Indonesia. However, in January 2009 I was able to collect data on anthropomorphic sculptures in the Tanjung Muna area of Pantar. The study used photographs of objects that had been purchased recently by European private art collectors in order to elicit responses regarding the local mythology. I was also able to interview local traders as well as the dealer who sold the sculptures, which allowed me to document information regarding their origin and former use, as well as the circumstances under which they had found their way on to the international art market. Traditional marriage rules as well as black magic played a central role. Furthermore, in the course of my research by chance I learned of a contemporary ancestor cult connected to the construction of a new clan house and of traditional (pre-Protestant) forms of healing.
„In doubt we publish: Wikileaks as a threat to diplomacy and democracy?“ –unter diesem Titel diskutierten am vergangenen Mittwoch im Anschluss anden WikiLeaks Workshop Wolfram v. Heynitz vom Planungsstab des Auswärtigen Amtes, Prof. Dr. Christoph Bieber von der Universität Duisburg-Essen und Guido Strack vom Whistleblower Netzwerk e.V.Unter der Moderation von Prof. Dr. Nicole Deitelhoff und Prof. Dr.Christopher Daase sollten einerseits generelle Fragen des Leakens thematisiert werden, aber auch Fragen nach dem Einfluss auf die internationale Diplomatie, dem Recht auf Geheimnis und den Möglichkeitenzur Regulierung von Leaking...
Im Wissen um eine gemeinsame evolutionäre Vergangenheit scheint die Beziehung zwischen Mensch und Tier neu erzählt werden zu müssen. Bis zum 19. Jahrhundert gestanden Autoren Tieren selten eine menschenähnliche Psyche zu […]. Weil Darwin eine materialistische […] Erklärung der Evolution anbot, in der die Menschen nur ein Tier unter vielen waren, begannen die Wissenschaftler, sich mehr mit den Ähnlichkeiten als mit den Unterschieden von Menschen und Tieren zu befassen. Das war, so Sigmund Freud, allerdings keineswegs harmlos, sondern eine "schwere Kränkung der Eigenliebe des modernen Menschen". Dieser zweiten, der biologischen Kränkung fügte er selbst noch eine dritte, psychologische, hinzu, als er behauptete, "dass das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus". Eine Reihe von Texten um 1900 wagen sich auf dieses Terrain, wenn sie das menschliche Bewusstsein selbst fremd werden lassen im Erzählen von Mensch-Tier-Verwandlungen. Es wird im Folgenden also nicht um die lange Tradition der Anthropomorphisierung von Tieren oder Zoomorphisierung des Menschen gehen; nicht um das Fortleben der Fabel, der Satire oder der erzieherischen Rollenprosa. Vielmehr geht es um Erkundungen einer Grenzfigur, des (virtuellen) Bewusstseins und der Seele eines 'Anderen'.
"Jüdische Irrlehre" oder exegetisches Experiment? : die Restitution Israels im 16. Jahrhundert
(2011)
Nachdem der erste große Krieg der Moderne Ende Juli 1914 seinen Anfang genommen hatte und innerhalb weniger Monate immer mehr Nationen in ein Kampfgeschehen von bis dahin unerreichtem Ausmaß eingetreten waren, ließ es sich – so wird in ausgewählten Puppenspielen der Zeit berichtet – alsbald auch ein altbekannter Spaßmacher und berühmtberüchtigter Spitzbub nicht nehmen, im weltumspannenden Kriegsgetümmel mitzumischen. Mit dem Kasper(l) unserer Tage, der wohl in vielen Menschen kraft seiner herzerwärmenden Kindlichkeit und seiner schalkhaften Harmlosigkeit Assoziationen an die eigene Kindheit hervorruft, hat der Lustigmacher des Ersten Weltkriegs wenig gemeinsam. Vorausgeschickt sei an dieser Stelle ein wesentlicher Aspekt: beim Kriegskasper(l) der Jahre 1914 bis 1918 handelt es sich nicht um eine für ein Kinderpublikum konzipierte Figur. In weiterer Folge differieren beispielsweise die Inhalte, die Figurenkonzeption oder die Darstellungsmittel in erheblicher, ja mitunter frappierender Weise von dem, was der unbedarfte Rezipient von heute sich vermutlich von einem Kasper(l)theater erwarten würde. Zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen wurde der Spaßmacher des Ersten Weltkriegs allerdings äußerst selten erklärt: Sowohl die Literatur-, die Theater- und die Sprachwissenschaften als auch die historisch-volkskundlichen Disziplinen schenkten diesem Randphänomen des Literatur- und Kulturbetriebs bisher spärlich Beachtung. [...] Programm und zugleich Ziel dieser Masterarbeit ist eine Annäherung an das Phänomen des Kasper(l)s der Weltkriegszeit auf mehreren Ebenen unter Rückgriff auf ein interdisziplinäres Instrumentarium, wobei der philologische Zugang zu den Primärtexten durch die zusätzliche Einbeziehung sozialhistorischer wie auch soziologischer Theorien und Methoden maßgeblich bereichert werden kann. Diese fächerübergreifende Herangehensweise wurde gewählt, da die Kasper(l)stücke der Weltkriegsjahre 1914 bis 1918 eine Fülle von Anspielungen auf politische Ereignisse und soziale Zustände in sich bergen wie auch auf ihre sehr spezifische Weise die Gesellschaft bzw. die nationale Gemeinschaft der damaligen Zeit samt ihren Charakteristika, Anforderungen und Problemen widerspiegeln.
The present study makes reference to the scientific achievements of the Romanian Germanist Horst Schuller. As a journalist, university professor and translator, he developed an extensive research work that has brought forth studies of the Romanian-German criticism as well as many studies of intercultural research. In all of his studies of literary criticism dealing with intercultural themes, Schuller holds the opinion of a bilateral exchange between the ethnic groups of a multi-ethnic state as Romania is. He regards interculturality as a plea for tolerance and communication, i.e. living-with-one-another – not living side by side or living past one another.
1902 erschien Theodor Herzls utopischer Roman Altneuland im Verlag Hermann Seemann in Leipzig, schon im selben Jahr die hebräische und ein Jahr später die russische Übersetzung. Der Journalist, Autor und Begründer des politischen Zionismus hatte – inspiriert durch seine Palästinareise im Jahr 1898, auf der er u. a. mit dem deutschen Kaiser zusammentraf – seit 1899 an dem Text gearbeitet. Herzl schildert in dem Roman eine neue zionistische Gesellschaft in Palästina und führt hier das eher skizzenhafte Bild seiner 1896 erschienenen Broschüre Der Judenstaat weiter aus. Hier soll besonders auf diejenigen Aspekte des Romans eingegangen werden, die das jüdische Gemeinwesen in Palästina als ein 'kleines Europa' im Nahen Osten schildern. Zudem sollen die topographischen Begebenheiten im Roman und deren Bezüge zur israelischen Geographie, Gesellschaft und Kultur untersucht werden.
Seit einigen Jahrzehnten wollen Biochemiker, Mediziner, Biologen und Pharmazeuten weltweit nicht mehr auf eine bioanalytische Methode verzichten, an deren Entwicklung der Frankfurter Wissenschaftler Prof. Dr. Michael Karas vom Institut für Pharmazeutische Chemie der Goethe-Universität maßgeblich beteiligt war. Die Rede ist von der Matrix-unterstützten Laser-Desorptions- / Ionisations-Massenspektrometrie – kurz MALDI-MS.
Die allegorischen Figuren Raufebold, Habebald und Haltefest aus Goethes 'Faust' sind nicht nur wegen der sprechenden Namen in die 'Dritte Walpurgisnacht' von Karl Kraus eingegangen. Das zeigt die Auswahl der Zitate, die ihren Auftritt einleiten. Er steht inmitten einer Collage aus dokumentarischen und literarischen Passagen, die mit dem Hinweis heginnt, daß "das sichere Bett der Evolution keinen ruhigen Schlaf" gewähre: "Elemente treten auf den Plan. Rütteln an der Illusion, mit der Staat gemacht wurde. Schauen nach, was dahinter steckt Faustnaturen drohen zu vollenden, wo Ungesetz gesetzlich überwaltet, und wie auch verordnet sei - 'Indessen wogt, in grimmigem Schwalle / Des Aufruhrs wachsendes Gewühl.'") Kraus verknüpft hier Textstellen aus der 'Arbeiter-Zeitung' und dem zweiten Teil der Goetheschen Tragödie. Das Zentralorgan der österreichischen Sozialdemokratie berichtete am 8. Juli 1933 von einer Rede, die Hitler bei einer Konferenz der Reichsstatthalter gehalten hatte: "Man müsse den freigewordenen Strom der Revolution", zitierte das Blatt den deutschen Reichskanzler, "in das sichere Bett der Evolution hinüberleiten." Das wichtigste Mittel für diese Kultivierung sei "die Erziehung der Menschen [...] zur nationalsozialistischen Staatsauffassung". Es ist die im Titel des Artikels genannte "Angst vor der 'zweiten Revolution'", die den Hintergrund der Krausschen Schilderung bildet, wonach die "Elemente", die großteils proletarischen SA-Männer, nicht allein die politischen Gegner, sondern auch "den Plan" der NS-Führung mit Füßen zu treten beginnen und auf der Erfüllung jener sozialistischen Versprechungen beharren, mit denen man sie in die Partei gelockt hatte. Sie, die "Faustnaturen", drohen damit, das Programm der NSDAP in einer Situation zu verwirklichen, wo ohnehin das "Ungesetz gesetzlich überwaltet", sich also kurzer Hand bzw. auf eigene Faust zu holen, was ihnen zusteht, während die Wortführer mit der Gegenseite, den Junkern und Industriellen, paktieren. In Goethes Originaltext spricht der Kanzler den eingefügten wie die abgesetzten Verse vor dem Staatsrat, um dem Kaiser ein Bild von den chaotischen Zuständen im Reich zu geben, die später, im vierten Akt, zum Bürgerkrieg führen.
"'Nichts ist wahr. Alles ist erlaubt.' Die letzten Worte von Hasan-i Sabbah . Und was ist das wahrste Kennzeichen des Menschen? Geburt und Tod. Der Alte zeigte seinen Attentätern die Freiheit von Wiedergeburt und Tod. Er schuf wirkliche Wesen, für die Raumfahrt bestimmt." Wenn wir die Reise durch den Raum hier als Metapher für die Überwindung der verlässlichen, wenngleich durch den Menschen wahrgenommenen Naturgesetze verstehen, vermittelt Burroughs uns eine recht präzise Vorstellung einer von den Assassinen ausgehenden Bedrohung, die weit über die unmittelbaren Folgen ihrer Angriffe hinausgeht. Sie sind nicht menschlich, nicht an die Endgültigkeit des Todes gebunden und immun gegen die Drohung, für ihre Handlungen getötet zu werden - dem letzten Mittel zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung - und destabilisieren damit die binären Unterscheidungen zwischen dem Weltlichen und dem Jenseits, Wahrheit und Falschheit, Gut und Böse. So bedeuten sie an sich, d.h. nicht allein durch ihre Attentate, sondern auf einer symbolischen Ebene, eine Gefährdung für die Grundlagen des Sozialen. Während solche Störungen in der Regel gerne mit einem Anderen, beispielsweise der Tradition selbstaufopfernder Gewalt im Nahen Osten oder den bösen Absichten der 'Schurkenstaaten', identifiziert werden, scheint mir, dass die Krise, die sich in den Berichten über die Assassinen und andere Selbstmordattentäter ausdrückt, nicht in erster Linie als Eindringen von etwas zu verstehen ist, das von außerhalb 'unserer' Kultur kommt, sondern vielmehr ein spezifisch westliches Problem betrifft, das mit der Aufklärung und den bürgerlichen Revolutionen einsetzt. Um diese recht gewagte These zu überprüfen, möchte ich zunächst mit Hilfe neuerer historischer Studien zu den Nizari - der ismailitischen Sekte, der der Alte vom Berg zugerechnet wird - einige der wichtigsten Behauptungen diskutieren, die über die Assassinen im Umlauf sind. Anschließend folgt ein kritischer Blick auf Joseph von Hammer-Purgstalls 1818 erschiene 'Geschichte der Assassinen', einen der zentralen Texte in der Entwicklung der modernen Assassinen-Legende.
Dichterlesungen boomen. Man muss nur in das Tagesangebot der Zeitungen schauen, man muss nur in Buchhandlungen gehen, in Volkshochschulen, in Stadtbüchereien: überall sieht man Plakate und Programme, die Lesungen zeitgenössischer Autoren anbieten. Das ist umso verwunderlicher, weil im Allgemeinen Dichterlesungen nicht allzu beliebt sind, auch bei vielen Autoren nicht. Das einschlägige Motto „Nichts ist widerlicher als eine sogenannte Dichterlesung“ stammt aus Thomas Bernhards Schimpfroman „Alte Meister“, in dem der 82jährige Musikkritiker Reger seinen typischen Wiener Schmäh über fast die gesamte österreichische Kunst, Literatur und Musik, in seitenlangen Monologen ausgießt.
Die Berliner Abendblätter faszinieren und beschäftigen noch nach 200 Jahren Leser und Literaturforscher. Und immer noch weiß man nicht genau, was den unsteten Dramatiker, Erzähler und Dichter Kleist veranlasst hat, eine alltägliche Zeitung herauszugeben. Geldnot? Brotberuf als Basis fürs Dichterdasein? Anerkennung unter den Freunden, in der Familie? Volksbelehrung? Demokratischer Pioniergeist?
The friendly relationship between the renowned Munich doctor Wilhelm Schenk von Stauffenberg and the Austrian author Hugo von Hofmannsthal can be viewed in terms of the writer's life and work. This study traces the contacts between the two men, describes their shared interests and shows how Hofmannsthal planned to depict Stauffenberg in his works. These issues are viewed against the background of Stauffenberg's and Hofmannsthal's friendship with Countess Mechtilde Lichnowsky, who introduced the two men in 1909; the paper traces the mutual contacts until Stauffenberg's death in 1918.
The paper attempts at outlining some aspects of experienced intercultural phenomena in Transsylvania starting with the late 50ies and deals with the question of cultural and linguistic choice of an individual born into a multilinguistic and multicultural family. The close connection between mother tongue and identity is analysed under the particular circumstances of the author’s biographical background. The paper should be read as an autobiographical statement which the author considers necessary for the understanding of her legitimate status within present day German literature written in Romania.
Kaum je zuvor unterlag im deutschsprachigen Raum ein ganzes Gewerbe so strenger obrigkeitsstaatlicher Kontrolle und Restriktion wie die Buchbranche zwischen Karlsbader Beschlüssen und Märzrevolution. Andererseits aber erlebte in jener Phase auch kaum ein anderer Geschäftszweig einen derartig starken Aufschwung wie das Verlagswesen und der Buchhandel - dieses Paradoxon gehört zu den vielen erstaunlichen Ungleichzeitigkeiten, die für den Vormärz so charakteristisch sind.
Božena Němcová zählt neben Hus, Comenius, Mácha und Havlíček zu den am stärksten mythologisierten Gestalten der tschechischen Kultur (SCHAMSCHULA 1996) und ist darüber hinaus die einzige Frau unter ihnen. Während sie aber bis in die 1990er Jahre hinein als Lichtgestalt dieser Kultur, ja ihr ,Stern‘, galt, mehren sich gegen Ende des 20. Jahrhunderts die Versuche, Němcová nüchtern zu sehen.
Als Dagmar KNÖPFEL 2004 auf der Grundlage der drei letzten Briefentwürfe Němcovás an Vojtěch Náprstek einen Film drehte, wurde sie als „feministisch voreingenommen“ kritisiert. Dabei könnte über diesen Film eine Diskussion eingeleitet werden, z. B. zu den Wurzeln der häuslichen Gewalt im 19. Jahrhundert. Somit könnte er zur Vernetzung von Kunst und Wissenschaft, von Bohemistik und Germanistik beitragen.
Michel Foucault zufolge ist die politische Moderne in spezifischer Weise von einer umfassenden Sorge um das physische Dasein des Menschen geprägt. Während sich das klassische Modell der pastoralen Regierungskunst durch das Recht des Souveräns über Leben und Tod von Untertanen definiert […], treibt »Biopolitik« im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert ein neues Projekt voran: […] Medizin, Psychiatrie, Schule, Polizei sind die allgegenwärtigen Institutionen eines bevölkerungspolitischen Plans, der die Tatsache der biologischen Existenz adressiert und […] unter dem Vorzeichen von Normalisierung und Regulierung ins Zentrum des politischen Handelns rückt. […] Kleist ist persönlich in diese epochalen Umbrüche involviert. Mit der Anstellung im Preußischen Staatsdienst 1804/1805 unter dem Freiherrn von Stein lernt er die Reformen Hardenbergs aus nächster Nähe kennen und besucht an der Königsberger Universität Vorlesungen bei Christian Jacob Kraus, dem Theoretiker dieser verwaltungstechnischen Reorganisation. […] Diese Anfänge einer Politik des Lebens haben in Kleists literarischen Schriften noch wenig untersuchte Spuren hinterlassen. […] Dabei sollte nicht vergessen werden, dass Kleist den vormodernen Machttyp der Souveränität keineswegs aus den Augen verliert. Paradigmatisch hierfür kann die 1808/1810 erschienene Erzählung Michael Kohlhaas gelten.
"Was weiter erfolgte, brauchen wir nicht zu melden..." : Heinrich von Kleists "Poetik der Unschärfe"
(2011)
Seit Jahren steht in der Diskussion über Heinrich von Kleists Erzählung „Die Verlobung in St. Domingo“ die Frage im Mittelpunkt, wie man mit dem latenten Rassismus umzugehen hat, der Kleists Novelle prägt. Warum beispielsweise gibt der Erzähler die komplexen historischen Ereignisse rund um den zwischen 1798 und 1807 andauernden Freiheitskampf der »schwarzen Sklaven« gegen ihre »weißen Kolonialherren« mit der tendenziösen Formel wider, seine Geschichte spiele zu jener Zeit, »als die Schwarzen die Weißen ermordeten«? Stellt diese Zusammenfassung die Historie nicht zuungunsten der »schwarzen« Freiheitskämpfer auf den Kopf? Verweigert „Die Verlobung“ der schwarzen Bevölkerung Haitis jene Rechte, welche die Aufklärung und Französische Revolution den »Weißen« zusichern? War Heinrich von Kleist ein Rassist?
'Geld regiert die Welt', so heißt ein Sprichwort, das jeder kennt, und das immer wieder aktuell ist. Wie viele Sprichworte hat es Elemente literarischer Form, und zwar nicht nur den schönen Reim und die Personifikation, die Geld zu einem Regenten macht. Seinen eigentlichen Gehalt bezieht das Sprichwort aus der Verbindung verschiedener Bildbereiche: Es ist eine Metapher, denn das Geld regiert eigentlich nichts, sondern herrscht eher, aber auch die 'Welt' passt nicht wirklich zum 'Regieren', denn grundsätzlich regiert man weniger Welten als Staaten oder vielleicht Institutionen. Noch eine 'Weltregierung' wäre eigentlich die Regierung eines Weltstaates, und wenn sich Politik um die ganze Welt kümmern muss, um das Klima etwa, so wird sie das indirekt tun - vielleicht durch Geldpolitik. Noch deutlicher wird die Verschiebung zwischen dem zweiten und dem dritten Term des Sprichworts, wenn man ein wenig der Etymologie von 'Welt' nachgeht, die nicht nur ein räumlicher, sondern auch ein zeitlicher Terminus war, nicht nur die Gesamtheit von allem bezeichnet, sondern auch das Vergängliche im Gegensatz zum Ewigen, nicht nur mundus, sondern saeculum. In der alteuropäischen Semantik regiert Gott die Welt, und das bringt ihn in beständige Spannung mit den weltlichen Regenten und erst recht mit dem Geld.
Das Sprichwort verbindet also ökonomische, politische und theologische Bedeutungen, die es in einer Figur zusammenfasst, die man nicht klar und nicht einfach paraphrasieren kann. Das ist typisch: Wenn über Geld nachgedacht wird, so geschieht das immer wieder rhetorisch und metaphorisch, und zwar oft am Grenzbereich verschiedener Semantiken. Das macht die Geldtheorie für Kulturwissenschaftler so interessant, denn diese interessieren sich eben gerade für diese Grenzbereiche, an der die säuberlich gezogenen Grenzen verschiedener kultureller Register oder gesellschaftlicher Funktionsbereiche überlappen.