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In der Konstitutionsphase des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechtsschutzes in Deutschland Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts hatte Bernhard Grossfeld, rechtsvergleichend durch französisches und anglo-amerikanisches Recht inspiriert, sich 1960 für eine Renaissance der Privatstrafe als Sanktion für Persönlichkeitsrechtsverletzungen ausgesprochen. In ihrer Kieler Habilitation aus dem Jahre 2002 widmet sich Ina Ebert diesem Thema erneut und unternimmt nunmehr eine rechtshistorische Legitimation für die Wiedereinführung des Rechtsinstituts der Privatstrafe bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Sie zielt gewissermaßen auf die Wiederherstellung des Zustandes des späten gemeinen Rechts vor dem von ihr kritisierten deutschen Sonderweg des 19. Jahrhunderts. Dieser Zustand war durch das Vorhandensein von drei Sanktionen gekennzeichnet: (1) ziviler Schadensausgleich für Vermögensund Nichtvermögensschäden (gemeinrechtliche actio legis Aquiliae), (2) Privatstrafe für Ehrverletzungen (actio iniuriarum) und (3) öffentliche (Kriminal-)Strafe. ...
Rezension von: Rainer Forst (2007) Das Recht auf Rechtfertigung. Elemente einer konstruktivistischer Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 413 pp.
Endlich wird neben vielen wissenschaftlichen Veröffentlichungen ein Werk vorgelegt, das die umfangreichen Daten über Brutbestande und Entwicklungstrends von verschiedenen Vogelarten kurz, einprägsam und übersichtlich präsentiert. Nach kurzer Einführung und Erläuterung der Datengrundlagen werden in anschaulichen Tabellen und Diagrammen ausgewählte Vogelschutzaspekte vorgestellt sowie die Bestandsentwicklung von Vogelarten in verschiedenen Lebensraumen abgehandelt. Die vielen hervorragenden Fotos bereichern die Schrift in besonderer Weise. Einen Glückwunsch an die Autoren.
Die Elbe ist mit einer Länge von ca. 1.100 km und einem Gesamteinzugsgebiet von knapp 150.000 km2 einer der größten Flüsse Mitteleuropas. Bis heute wurden etwa 80 % der Auen des Flusses eingedeicht. Dennoch blieben trotz Ausbau als Wasserstraße weite Bereiche als naturnahe Kulturlandschaften erhalten, die das bestehende großflächige Schutzgebietssystem an der Elbe rechtfertigen.
Die Überwindung des postkolonialen Blicks scheint bereits in sich ein paradoxes Unterfangen zu sein, sehen sich doch viele postkoloniale Theorieansätze (zumal bei dem Begriff der Hybridität) dem Vorwurf ausgeliefert, auch noch in einem Gegenanschreiben koloniale Diskurse fortzuführen. Jochen Dubiel hat sich in seiner Dissertation gleich in mehrfacher Hinsicht diesem Problem gestellt, indem er Charakteristika und Konstanten des kolonialen Diskurses herausarbeitet und darüber hinausgehend ein poetologisches Modell zur Analyse von Hybridität entwickelt. Interessant ist in diesem Fall die Verschiebung, die weniger die Repräsentation des Fremden, sondern hybride literarische Darstellungsweisen über eine intrakulturelle Perspektive herleitet. Dabei reagiert Dubiel auf ein Forschungsdesiderat, denn im Rahmen seines literaturwissenschaftlich-komparatistischen Ansatzes wird eine postkoloniale Lektüre nunmehr auf deutschsprachige Texte (Wilhelm Raabe: "Stopfkuchen", Arno Schmidt: "Gelehrtenrepublik", Franz Kafka: "Ein Bericht für eine Akademie") angewendet, die oft genug noch von postkolonialen Fragestellungen ausgenommen werden. Getragen ist die Vorgehensweise von der Absicht nicht allein zu zeigen "wie Europa mittels diskursiver Strategien anderen Völkern Gewalt antut, sondern sich durch die Verstrickung in zahlreiche Widersprüche auch selbst hintergeht." (Dubiel, S. 24)
Rezension zu: Klaus Bringmann – Dirk Wiegandt, Augustus, Schriften, Reden und Aussprüche (2008)
(2008)
Nachdem aus der Feder von KLAUS BRINGMANN in der Reihe „Gestalten der Antike“ bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft eine neue Augustus-Biographie erst kürzlich (2007) erschienen ist, legt er nun zusammen mit DIRK WIEGANDT eine Neubearbeitung von HENRICA MALCOVATIs 1969 in fünfter Auflage erschienenen Sammlung „Imperatoris Caesaris Augusti operum fragmenta“ vor. Das Ziel der Autoren ist neben der neuerlichen Präsentation der bereits von MALCOVATI berücksichtigten Schriften, Reden und Aussprüche des Augustus die Erweiterung der Sammlung durch die seit 1969 publizierten Neufunde bzw. von MALCOVATI übersehenen Zeugnisse. In der Anordnung der Sammlung folgt die Ausgabe MALCOVATIs Einteilung in 15 Kapitel, auch wenn diese, wie BRINGMANN/WIEGANDT in ihrer ‚Einführung‘ zu Recht anmerken (21), nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar ist. Die schon von jener Forscherin einbezogenen Urkunden werden in jedem Abschnitt zuerst aufgeführt; angehängt sind alle weiteren neuen oder unbeachtet gebliebenen Zeugnisse. Neben der Hinzufügung neuer Texte haben BRINGMANN/WIEGANDT diejenigen, die ihrer Ansicht nach zu Unrecht von MALCOVATI aufgenommen worden sind, mit einem Stern versehen. Der jeweilige Kommentar erläutert ihre Bedenken. ...
Dass der Begriff 'Raum' in den gegenwärtigen Literatur- und Kulturwissenschaften eine hohe Konjunktur besitzt, belegen nicht nur Begriffe wie spatial- oder topographical turn, sondern auch eine Vielzahl von Publikationen und Tagungen, die sich mit dem Raumbegriff auseinandersetzen. Trotz dieser immensen Präsenz der Raumtheorie wird immer wieder die Frage nach deren konkreter Anwendbarkeit gestellt. Diese Frage möchte Anja K. Johannsen in einer gut zweihundert Seiten langen Monographie für die Literaturwissenschaft beantworten. Sie wählt mit W. G. Sebald, Anne Duden und Herta Müller drei AutorInnen, in deren Werken Räume nicht nur ein "Modell der Struktur des Raumes der ganzen Welt" entwerfen (Lotmann nach Johannsen, S. 7), sondern auch zum organisierenden Modell des Textes werden. Dies bedeutet einerseits, dass sich die jeweiligen Raumentwürfe durch eine starke Semantisierung auszeichnen und andererseits, dass die literarischen Texte "ihr eigenes Funktionieren anhand dieser Raumfigurationen" beschreiben und damit drei Varianten "literarischer Selbstreflexion" vorlegen, "die auf je sehr spezifische Weise die Potentiale der Gegenwartsliteratur ausloten." (S.7) Der aktuellen Diskussion folgend, besitzt auch Anja K. Johannsen einen dynamischen Raumbegriff, der diesen als Produkt kultureller Bezüge begreift und als "Effekte körperlicher Praktiken" (S. 17) versteht. Für die Analyse des literarischen Raumes beruft sich Johannsen vorerst im Wesentlichen auf Elisabeth Bronfen, die zwischen drei Raumkategorien innerhalb der Textwelt unterscheidet, nämlich zwischen "konkret vorhandenen, begehbaren Räumen, Raummetaphern und Texträumen." (S. 19). Sich an diesem Muster orientierend arbeitet Johannsen mit drei Analyseschritten. Im ersten Schritt wird der Bestand aufgenommen, d.h., es werden die unterschiedlichen Raumtypen verzeichnet. Dann folgt die Analyse des Raums im Hinblick auf seine Semantisierung, also auf die Frage, inwiefern der beschriebene Raum eine "Ordnung des Koexistierenden" (S. 23) liefert. Im dritten und letzten Schritt geht es um die Bedeutung des Raums für die Struktur und Ordnung des Textes, folglich um die Reflexion seines Selbstverständnisses und der ihm zugrunde liegenden Poetologie. Diese Analyseschritte erweisen sich für Johannsens Vorhaben als äußerst zielführend und ermöglichen nicht nur kenntnisreiche, sondern auch nachvollziehbare Analysen.
Hervorgegangen aus einem interdisziplinären wissenschaftlichen Symposion, bietet der vorliegende Band aufschlussreiche Einblicke in höchst unterschiedliche literarische sowie künstlerische Harzreisen und deren jeweilige ästhetische Reflexion in jener Epoche des Übergangs zwischen der europäischen Romantik und Moderne. Der Harz präsentiert sich den Herausgebern als ein facettenreiches regionales Kulturphänomen mit internationaler Außenwirkung und als literarischer Imaginationsraum sui generis, dessen kulturelle und metaphorische Transformationen es näher zu erforschen gilt. Dankenswerterweise setzt der Eröffnungsbeitrag von Rolf Parr gleich eingangs einen Akzent kritischer Selbstreflexion, indem er unterschiedliche historische Varianten von Regionalgeschichtsschreibung vorstellt und durchleuchtet. Auf diese Weise gelingt ihm überzeugend die Abgrenzung der gegenwärtig geläufigen und repräsentativen Neuansätze innerhalb der Erforschung von Regionalkultur von den dunklen Kapiteln völkischer Literaturgeschichtsschreibung. Ein zeitgemäßes regionalgeschichtliches Unterfangen versteht sich demzufolge vor allem als kulturwissenschaftliche Analyse, die den diskursiven Vernetzungen und Überschneidungen der Verhandlungen über die Harzlandschaft angemessen Rechnung trägt und so beispielsweise eine sinnvolle Verbindung von genuin literaturwissenschaftlichen und kultursoziologischen Fragen erlauben kann.
Staaten sind nicht gleich. Sie unterscheiden sich in Größe, innerer Verfassung und äußeren Beziehungen. Dennoch gibt es gute Gründe, auf die Fiktion der Gleichheit zurückzugreifen, wie es das moderne Völkerrecht vielfach tut. Dieses moderne Völkerrecht wiederum ist maßgeblich ein Produkt europäisch-amerikanischen Rechtsdenkens. Harald Kleinschmidt hat ein kleines, aber gehaltvolles Buch geschrieben, in welchem nicht etwa ein weiteres Mal emphatisch der Wert der juristischen Fiktion herausgehoben wird oder rechtstatsächliche Ausweitungen des Gleichheitspostulats angemahnt werden, im Gegenteil: Kleinschmidt widmet sich dem fragwürdigen Gebrauch und offenkundigen Missbräuchen dieser Gleichheitsfiktion im völkerrechtlichen Vertragswesen des 19. Jahrhunderts. Die "Ungleichen Verträge", von denen auch der Buchtitel spricht, bezeichnen dabei nicht allgemein eine Gattung im völkerrechtlichen Vertragswesen, sondern meinen speziell eine Fallgruppe ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, die die geografisch auf Fernost fokussierte Studie tatsächlich auch untersucht. Dieser inhaltliche Bezug wäre klarer geworden, wenn die Formel konsequent in Majuskeln wiedergegeben worden wäre, wie es typografisch sonst vielfach geschieht. ...
Rezensionen zu:
- BINDER, Hartmut (2007): Mit Kafka in den Süden. Eine historische Bilderreise in die Schweiz und zu den oberitalienischen Seen. Prag: Vitalis, ISBN 978-3-89919-058-8, 418 S.
- BINDER, Hartmut (2008): Kafkas Welt. Eine Lebenschronik in Bildern. Reinbek: Rowohlt, ISBN
978-3-498-00643-3, 687 S.
- JAGOW, Bettina von/JAHRAUS, Oliver (Hrsg.) (2008): Kafka-Handbuch. Göttingen Vandenhoeck &
Ruprecht, ISBN 978-3-525-20852-6, 576 S.
- KOCH, Hans Gerd (2008): Kafka in Berlin. Eine historische Stadtreise. Berlin: Wagenbach, ISBN 978-3-8031-1252-1, 136 S.
- PRINZ, Alois (2007): Auf der Schwelle zum Glück. Die Lebensgeschichte des Franz Kafka. Frankfurt am Main: Suhrkamp, ISBN 978-3-518-45894-5, 392 S.
- SALFELLNER, Harald (2007): Franz Kafka und Prag. Prag: Vitalis, ISBN 978-3-89919-077-9, 336 S.
- SELG, Peter (2007): Rainer Maria Rilke und Franz Kafka. Lebensweg und Krankheitsschicksal im 20. Jahrhundert. Dornach: Pforte, ISBN 978-3-85636-175-4, 292 S.
- STACH, Reiner (2008): Kafka. Die Jahre der Erkenntnis. Frankfurt am Main: S. Fischer, ISBN
978-3-10-075119-5, 729 S.
- WITTE, Bernd (2007): Jüdische Tradition und literarische Moderne. Heine – Buber – Kafka – Benjamin. München: Carl Hanser, ISBN 978-3-446-20845-2, 271 S. (S.141-204).
Rezension zu: George G. Szpiro : Mathematik für Sonntagmorgen : 50 Geschichten aus Mathematik und Wissenschaft, NZZ Verlag, Zürich 2006, ISBN 978-3-03823-353-4 ; 240 Seiten, 26 Euro/38 CHF George G. Szpiro : Mathematik für Sonntagnachmittag : Weitere 50 Geschichten aus Mathematik und Wissenschaft, NZZ Verlag, Zürich 2006, ISBN 978-3-03823-225-4 ; 236 Seiten, 26 Euro/38 CHF
Man erwartet einen der spannendsten Briefwechsel der deutschen Staatsrechtslehre des 20. Jahrhunderts, den zwischen der großen "bête noire" Carl Schmitt und seinem neben Ernst Rudolf Huber wohl bedeutendsten Schüler Ernst Forsthoff. Erhalten sind Briefe, Briefentwürfe, Postkarten und Telegramme, 218 von Forsthoff und 141 von Schmitt. Doch ist schon die Verteilungskurve dieser Korrespondenz merkwürdig. Die ersten 16 Nummern liegen in den Jahren 1926 bis 1934, dann folgen nur noch eine Gratulationskarte (1936) und ein Kondolenzbrief (1942). Mit anderen Worten: Fast die gesamte NS-Zeit bleibt eine große weiße Fläche. Das mag daran liegen, dass es im August 1933 eine schwere Störung des Verhältnisses gab, weil Forsthoff sich für die Unterstützung des "Halbjuden" Arnold Ehrhardt eingesetzt, Schmitt aber Hilfe verweigert hatte. Die Tagebücher scheinen dies, wie deren Herausgeber Wolfgang Schuller berichtet, zu bestätigen. Möglicherweise ist aber auch viel an kompromittierendem Material vernichtet worden. Vor allem Briefe von Schmitt fehlen, auch aus der Nachkriegszeit. Schon im ersten Brief von 1948 spielt Forsthoff auf einen vorhergehenden Brief Schmitts an ("meine Briefschuld Ihnen gegenüber"), den wir aber nicht kennen. ...
Wissenschaftliche Literatur über Serbien zählt im Westen zur Mangelware. Auf dem Büchermarkt überwogen bis vor kurzem geschichtliche Abrisse von Journalisten und dilettierenden Historikern. Montenegro ist ein noch seltenerer Gegenstand wissenschaftlicher Geschichtsschreibung. Daher weckt ein Sammelband zur Gesellschafts-, Kultur-, Politik- und Staatsgeschichte, der von einem wissenschaftlichen Institut und ausgewiesenen Kennern der serbischen Geschichte herausgegeben wurde, hohe Erwartungen. ...
Rezensionen zu: Die Religionen der Welt – Ein Almanach zur Eröffnung des Verlags der Weltreligionen. Verlag der Weltreligionen, Frankfurt 2007, ISBN 978-3-458-72000-3, 415 Seiten, 10 Euro. Jean-Pierre Wils : Gotteslästerung. Verlag der Weltreligionen, Frankfurt 2007, ISBN 978-3-458-71006-6, 210 Seiten, 17,80 Euro. Peter Sloterdijk : Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen Verlag der Weltreligionen, Frankfurt 2007, ISBN 978-3-458-71004-2, 218 Seiten, 17,80 Euro. Michael Hochgeschwender : Amerikanische Religion. Evangelikalismus, Pfingstlertum und Fundamentalismus Verlag der Weltreligionen, Frankfurt 2007, ISBN 978-3-458-71005-9, 316 Seiten, 19,80 Euro. Michael Krupp : Einführung in die Mischna Verlag der Weltreligionen, Frankfurt 2007, ISBN 978-3-458-71002-8, 223 Seiten, 17,80 Euro.
The key is in semantics, and not in philology, in the science of meaning and not of stemming (27); There is no good European History without non-European histories (46); Humanity cannot be conceived by only a part of it (49). Dieses Buch ist voll von solchen Postulaten, die banal scheinen mögen – und die dennoch von der Rechts- und Verfassungsgeschichtsschreibung kaum beherzigt werden. ...
Rezension zu Igor Sosa Mayor, Routineformeln im Spanischen und im Deutschen. Eine pragmalinguistische kontrastive Analyse. Wien: Praesens Verlag, 2006. (451 S., ISBN 13:978-3-7069-0360-8)
Vor der Neuzeit war das Empfinden für die Zeit ein anderes, das wissen wir seit den begriffsgeschichtlichen Untersuchungen Reinhart Kosellecks. Die Sattelzeit markiert den Übergang von einem zyklischen zu einem lineareren Zeitverständnis, so könnte man vielleicht einen verkürzten Merksatz seiner innovativen Forschungen formulieren. Erst aufgrund seiner Studien entdeckte die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte das Thema Zeit. Es sind die gelungenen Sprachbilder Kosellecks und seiner Nachfolger, die im Gedächtnis haften bleiben. In ihnen stehen mittelalterliche Mönche mit ihrer Aufzeichnung von Chroniken für ein auf die Ewigkeit gerichtetes Zeitverständnis, in dem so etwas wie Fortschritt oder individuelle Lebenszeitplanung keinen Platz hat. Für die beschleunigte Zeit unserer Tage stehen die Bilder von dampfenden Eisenbahnen, die zeitliche Distanzen radikal verkürzten, von Fließbändern der modernen, vertakteten Arbeitswelt und von Menschen, die sich in Tagebüchern und Autobiographien Rechenschaft über die eigene Lebenszeit ablegen. Versucht man diese Bilderfolge in eine zeitliche Ordnung zu bringen, so entsteht ein merkwürdiger Befund. Die mit dem alten Zeitverständnis verknüpften spielen im Mittelalter, die anderen debütieren im Vormärz. So betrachtet entsteht ein Vakuum von mehreren hundert Jahren. Dieser Eindruck entsteht nicht nur für den Verfasser dieser Zeilen. Bei den vielfältigen historischen Untersuchungen zur Zeit dominieren eindeutig solche zum Mittelalter und der Neuzeit. Wenn man den Gegensatz linear-zyklisch einmal gedanklich beiseite legt und nach den Akteuren bei der sozialen Konstruktion der Zeit fragt, dann entstehen andere Zäsuren. ...
Der von Ursula Kern herausgegebene Sammelband dokumentiert mit acht wissenschaftlichen Essays und einem ausführlichen Katalogteil den gegenwärtigen Stand der Forschung zu bürgerlichen Frauen in Frankfurt am Main zwischen 1750 und 1820. Der Band veranschaulicht die kulturellen, sozialen und ökonomischen Handlungsspielräume von bürgerlichen Frauen innerhalb einer städtischen Kultur, die ihnen den Zugang zur politischen Macht verwehrte.
Rezension folgender Werke: Ben Barkow, Raphael Gross, Michael Lenarz (Hg.): Novemberpogrom 1938. Die Augenzeugenberichte der Wiener Library London. Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag 2008, 933 S., ISBN: 978-3-633-54233-8, EUR 39,80. Ramona Bräu, Thomas Wenzel: „ausgebrannt, ausgeplündert, ausgestoßen“. Die Pogrome gegen die jüdischen Bürger Thüringens im November 1938. Erfurt: Landeszentrale für politische Bildung Thüringen 2008, 192 S., ISBN: 978-3-937967-41-7, kostenlos. „Reichskristallnacht“ – der Pogrom im November 1938 in Stuttgart. Ein Quellen- und Arbeitsbuch für den Geschichtsunterricht. Bearb. v. Michael Hoffmann, Jürgen Lotterer und Roland Müller. Stuttgart: Stadtarchiv Stuttgart 2008, 50 S., kostenlos. Andreas Nachama, Uwe Neumärker, Hermann Simon (Hg.): „Es brennt!“ Antijüdischer Terror im November 1938. Berlin: Stiftung Topographie des Terrors 2008, 167 S., ISBN: 978-3-9811677-4-0, EUR 15,00. Mitchell G. Bard: 48 Hours of Kristallnacht. Night of Destruction, Dawn of the Holocaust. An Oral History. Guilford, Connecticut: The Lyons Press 2008, 240 S., ISBN: 978-1-59921-445-0, $ 19,95. Martin Ruch: Das Novemberpogrom 1938 und der Synagogenprozess 1948 in Offenburg. Verfolgte berichten, Täter stehen vor Gericht. Norderstedt: Books on Demand 2008, 120 S., ISBN: 978-3-8370-5338-8, EUR 14,80. Erhard Roy Wiehn: Zum Reichspogrom 1938. Die Ereignisse in Konstanz 70 Jahre danach zum Gedenken. Konstanz: Hartung-Gorre Verlag 2008, 155 S., ISBN 3-86628-165-X, EUR 14,80. Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten NRW (Hg.): Gewalt in der Region. Der Novemberpogrom 1938 in Rheinland und Westfalen. Düsseldorf u.a.: Landeszentrale für politische Bildung NRW 2008, 135 S., ISBN: 3-9807674-8-5, EUR 5,00. Hans D. Arntz: „Reichskristallnacht“. Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande – Gerichtsakten und Zeugenaussagen am Beispiel der Eifel und Voreifel. Aachen: Helios Verlag 2008, 196 S., ISBN: 978-3-938208-69-4, EUR 29,90. Bastian Fleermann, Angela Genger (Hg.): Novemberpogrom 1938 in Düsseldorf. Essen: Klartext Verlag 2008, 443 S., ISBN: 978-3-8375-0085-1, EUR 22,95. Sven F. Kellerhoff: „Kristallnacht“. Der Novemberpogrom 1938 und die Berliner Juden. Berlin: Berlin Story Verlag 2008, 95 S., ISBN: 978-3-929829-66-2, EUR 9,80. Heft
"Nach wie vor lückenhaft ist auch die Analyse der Einflussfaktoren, die für die Entwicklung der Kinderarbeit im 19. Jahrhundert maßgeblich waren." Dieser Befund Annika Boenterts in ihrem Buch über die "Kinderarbeit im Kaiserreich 1871–1914" erstaunt zunächst, trifft aber vollauf zu. Das "Preußische Regulativ zum Schutz jugendlicher Arbeiter" aus dem Jahr 1839 ist vielleicht die am besten erforschte preußische Verordnung des 19. Jahrhunderts. Das ist kein Verdienst der Rechtsgeschichte. Sie konzentriert sich in erster Linie auf die Privatrechtsgeschichte, meist in Form von Ideengeschichte, und in zweiter Linie auf die Verfassungsgeschichte. Die Geschichte des Straf- und Verwaltungsrechts, aber auch des Völkerrechts kommen dabei genauso zu kurz wie die Betrachtung der Wechsel- und Steuerungswirkungen von Recht und sozialen Prozessen. So haben sich vor allem die an der Geschichte der Arbeiterbewegung orientierten Sozialhistoriker der Geschichte der Kinderarbeit zugewandt. Die deutsche Historiographie zu dieser verwaltungsrechtlichen Vorschrift ist zudem die Geschichtsschreibung eines ehedem geteilten Landes. Im Westen waren es die Sozial-, Wirtschafts- und Technikhistoriker, die den Beginn der Fabrikschutzgesetzgebung in Deutschland erforschten. ...
Sowohl in den 1920er als auch in den 1960er und 70er Jahren waren materialistische bzw. marxistische Ansätze Bestandteil des Rechtsdiskurses. Diese Orientierung ist seitdem etwas aus dem Blick geraten. Man kann vielleicht sogar sagen, dass die materialistischen Ansätze auf dem Terrain der Rechtstheorie eher marginalisiert sind. Im Laufe der letzten Jahre hat Sonja Buckel in einer Reihe von Artikeln1 und in ihrem vor kurzem erschienenen Buch Subjektivierung und Kohäsion. Zur Rekonstruktion einer materialistischen Theorie des Rechts diese Fehlentwicklung in der Rechtstheorie zu korrigieren versucht. Die theoretische Originalität und soziologische Umsicht, mit der Sonja Buckel auf diesem Weg die weitreichenden Ansprüche einer materialistischen Rechtstheorie zu erneuern versucht, wären sicherlich schon Grund genug, sich mit ihrer materialistischen Theorie des Rechts gründlich auseinander zu setzen. Immerhin gelingt es ihr, im Gang ihrer Argumentation auch den Stellenwert einer Reihe von zeitgenössischen Ansätzen der politischen und rechtlichen Theorie im Rahmen der sozialen Auseinandersetzungen zu klären, von denen zumindest die europäischen Länder heute geprägt sind. Aber ein weiterer und für mich wesentlicher Grund, ihre Überlegungen mit großer Sorgfalt zu prüfen, ergibt sich aus der speziellen These, die sie als einen Leitfaden ihrem Erneuerungsversuch zugrunde legt: Es ist ihre Überzeugung, dass das Recht sich in kapitalistischen Gesellschaften seine "gespenstige Eigenwelt" (9) erzeugt. Die Faszination ihrer Theorie besteht gerade im Versuch, diese "phantasmagorischen" bzw. verdinglicht-verdinglichenden Prozesse des Rechts, seine Verselbständigung also, einer sowohl theoretischen als empirischen Analyse zu unterziehen. ...
Die Allgegenwärtigkeit des Begriffs der Menschenrechte in politischen Kontexten kann leicht übersehen lassen, dass der rechtsphilosophische, rechtstheoretische und praktische Streit um die genaue Bestimmung, Begründung und Kodifizierung dieser »Rechte« alles andere als beigelegt ist. Der notorische Dissens zwischen Philosophen und Juristinnen und sogar Theologen steht in einem seltsamen Missverhältnis zur Selbstverständlichkeit, mit der politische Akteure die Notwendigkeit dieser oder jener außenpolitischen Handlung durch Bezug auf die Menschenrechte rechtfertigen. ...
Der byzantinische Bilderstreit des 8. und 9. Jahrhunderts ist ein unerschöpfliches Thema, das alljährlich mehrere Bücher und noch mehr Aufsätze generiert. Und gelegentlich schafft er es sogar – wenn auch nur en passant –, in den Feuilletons der großen Tageszeitungen Erwähnung zu finden. So etwa Anfang 2006, als (rechtslastige) Journalisten in Dänemark meinten, Muslime mit Muhammadkarikaturen provozieren zu müssen – was ihnen bekanntlich ja auch gelang. Allerdings diente der mittelalterliche Streit über die Berechtigung der Verehrung heiliger Bilder lediglich als pseudogelehrtes Ornament der geführten Debatte. Ob dies dazu führte, dass irgendjemand zu dem kurz zuvor erschienenen Band von Thümmel über die Synoden zur Bilderfrage im 7. und 8. Jh. griff, um sich weiter über diesen Themenkomplex zu informieren, vermag der Rezensent natürlich nicht zu sagen. Auszuschließen ist es nicht. Und sicher hätte man genügend Informationen gefunden, um sich ein Bild vom Bilderstreit zu machen. Man hätte erfahren können, dass dieser byzantinische Gelehrtenstreit – um einen solchen handelt es sich in erster Linie – nichts mit dem islamischen Bilderverbot zu tun hatte, wie man früher oft meinte. ...
Sammelrezension zu Konrad Gross, Wolfgang Klooß u. Reingard M. Nischik (Hg.): Kanadische Literaturgeschichte. Unter Mitarbeit von Heinz Antor, Doris Eibl, Klaus-Dieter Ertler, Albert-Reiner Glaap, Paul Goetsch, Fritz Peter Kirsch, Martin Kuester, Rolf Lohse, Hartmut Lutz, Ursula Mathis-Moser, Markus M. Müller, Andrea Oberhuber, Caroline Rosenthal, Dorothee Scholl und Waldemar Zacharasiewicz. Stuttgart, Weimar (Metzler) 2005. 446 S.
Ingo Kolboom u. Roberto Mann: Akadien: ein französischer Traum in Amerika. Vier Jahrhunderte Geschichte und Literatur der Akadier. Mit Gastbeiträgen von Maurice Basque, Sandra Eulitz, Jacques Gauthier, Ingrid Neumann-Holzschuh und Thomas Scheufler sowie einer CD-ROM mit Materialien und Dokumenten und einer DVD mit dem Film 'Die Akadier - Odyssee eines Volkes' von Eva und Georg Bense. Heidelberg (Synchron) 2005. 1014 S.
Der Band versammelt heterogene Beiträge zur "Pädagogischen Forschung im Kontext von Ethnografie und Biografie", die ihren gemeinsamen Bezugspunkt in den Forschungswerkstätten an der Kasseler Universität haben. In der Rezension werden die 14 Artikel vor dem Hintergrund der Zielsetzung des Bandes dargestellt. Diese besteht darin, die Vielfalt von ethnografischen Zugängen zu pädagogischen Feldern entlang einer methodenreflexiven Präsentation von Forschungsergebnissen zu dokumentieren und damit einen Beitrag zur Methodendiskussion in der Erziehungswissenschaft zu leisten. Die meisten Einzelbeiträge legen ihre Forschungsergebnisse entsprechend methodenreflexiv dar, wobei sie sich jedoch sehr unterschiedlich und zum Teil auch eher vage auf Ethnografie ausrichten bzw. auf pädagogische Felder beziehen. Leider wird der Ertrag dieser Kompilation von teilweise disparaten Forschungszugängen von den Herausgebern nicht systematisiert, sodass – trotz interessanter Einzelbeiträge – das Potenzial des Bandes für die methodologische "Vergewisserungsarbeit" in der Erziehungswissenschaft nur wenig sichtbar wird. Vielmehr hinterlässt die Lektüre des Bandes insgesamt eher den Eindruck einer gewissen Beliebigkeit im Gebrauch des Begriffes "Ethnografie".
Rezension zu Theodor Fontane und Wilhelm Wolfsohn - eine interkulturelle Beziehung. Briefe, Dokumente, Reflexionen. Hg. von Hanna Delf von Wolzogen u. Itta Shedletzky. Bearb. von Hanna Delf von Wolzogen, Christine Hehle u. Ingolf Schwan. Tübingen: Mohr Siebeck, 2006. XXVI, 548 S. (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts. 71).