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Freund und Favorit: Begriffliche Reflexionen zu zwei Bindungstypen an spätmittelalterlichen Höfen
(2015)
Am Anfang der folgenden Überlegungen steht eine Irritation: Sie resultiert aus der Bourdieu’schen Theorie von der Existenz unterschiedlicher Kapitalformen – des ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapitals –, die im sozialen Miteinander mehr oder weniger konvertierbar sein sollten und vom Individuum zur sozialen Positionierung eingesetzt werden können. Zur Erklärung der sozialen Dynamik spätmittelalterlicher Höfe ist dieses Modell gleichermaßen einleuchtend und hilfreich. Es weist aber mindestens eine Bruchstelle auf: So gut es viele (wenn auch nicht alle) Prozesse und Strategien des Handelns im höfischen Kontext erklärt, ist die Dynamik erst einmal angelaufen, so lässt es doch die Frage nach dem Eintritt in das Spiel offen. Woher kommt das Kapital, das Bewegung über die ständige Konvertierung hinaus ermöglicht? Oder anders gefragt: Wie gelingt Neuankömmlingen der Eintritt? ...
Wer ist Margherita Salicola? Man erfährt über sie in den einschlägigen Lexika nur, sie sei die Schwester der Sängerin Angiola (oder Angela) Salicola und die berühmtere der beiden gewesen, daß aber sich kaum Nachrichten über sie erhalten hätten, außer jener daß sie, wie ihre Schwester, in den Diensten des Herzogs Ferdinando Carlo (IV.) Gonzaga von Mantua gestanden habe und dann mit Johann Georg III. nach Dresden gegangen sei. Schon Lorenzo Bianconi und Thomas Walker hatten in einem langen Artikel, der noch heute die Grundlage aller sozialgeschichtlichen Arbeiten zur Operngeschichte des 17. Jahrhunderts ist, herausgearbeitet, daß die ca. 1660 geborene Sängerin in den 1680er Jahren zu den international berühmtesten italienischen Sängerinnen gehörte und ihr Ruhm auch jenseits der Alpen noch am Anfang des 18. Jahrhunderts nicht verblaßt war. 1682 begegnet Salicola zum erstenmal als Sängerin am Teatro San Salvatore in Venedig in einer Oper Giovanni Legrenzis und trat im folgenden Jahr in Pietro Andrea Zianis "Il talamo preservato dalla fedeltà d’Eudossa" in Reggio Emilia auf. Kurz darauf sang sie in Venedig, wo ihr der sächsische Kurfürst begegnete, der sie - davon handelt der folgende Text - mit nach Dresden nahm, wo sie, die erste Primadonna jenseits der Alpen wurde. 1693, nachdem sie Dresden verlassen hatte, trat sie in Wien auf und ist ab 1696 erneut in Italien nachweisbar. [...] War Salicola bei den Zeitgenossen berühmt wegen ihres Gesangs, so wurde sie musikhistorisch vor allem bekannt durch ihre angebliche Entführung aus Venedig, die noch im 19. Jahrhundert und bis heute immer wieder erzählt wurde. Aber auch außerhalb der musikwissenschaftlichen Literatur werden die im folgenden dargestellten Ereignisse anekdotisch erzählt und mit der "Theaterbegeisterung der höfischen Gesellschaft" erklärt. Im folgenden soll dem, im Detail gelegentlich verwirrenden, "Salicola incident" erneut nachgegangen werden, um ihn dann innerhalb des politisch-kulturellen Rahmens zu erklären.