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Der Aufsatz vergleicht das barocke Trauerspiel 'Catharina von Georgien' mit der spanischen comédia 'El principe constante' in Hinblick auf ihren Anspruch universaler Geltung und setzt beide von der antiken Tragödie 'Antigone' ab. Besonderes Augenmerk wird dabei der Rolle sprachlicher Ambivalenz sowie der Figur des Gespenstes gewidmet.
It has long been observed that subjects cross-linguistically have topic properties: they are typically definite, referential and/or generic (Givón 1976). Bantu languages are said to illustrate this generalization: preverbal position for NPs is equated with both subject and topic status and postverbal position with focus (and non-subject). However, there is a growing body of work showing that preverbal subjects are not necessarily syntactically or semantically equivalent to topics. For example, Zerbian’s (2006) careful study of preverbal position in Northern Sotho shows that preverbal subjects meet few of the semantic tests for aboutness topics. The study of restrictions on preverbal subjects in Durban Zulu presented in this paper builds on Zerbian (2006) and Halpert (2012). In particular, we investigate the interpretational properties of preverbal indefinite subjects. These subjects show us that preverbal subjects carry a presupposition of existence. We explore an analysis connecting the "strong reading" of preverbal subjects with how high the verb moves in Zulu (following Tsai’s 2001 work on Mandarin).
Locative inversion in Cuwabo
(2014)
This paper proposes a detailed description of locative inversion (LI) constructions in Cuwabo, in terms of morphosyntactic properties and thematic restrictions. Of particular interest are the use of disjoint verb forms in LI, and the co-existence of formal and semantic LI, which challenges the widespread belief that the two constructions cannot be found in the same language.
Introduction
(2014)
Bantu languages have been at the heart of the research on the interaction between syntax, prosody and information structure. In these predominantly SVO languages, considerable attention has been devoted to postverbal phenomena. By addressing issues related to Subjects, Topics and Object-Verb word orders, the goal of the present papers is to deepen our understanding of the interaction of different grammatical components (syntax, phonology, semantics/pragmatics) both in individual languages and across the Bantu family. Each paper makes a valuable contribution to ongoing discussions on the preverbal domain.
In der emotional geführten Sprachverfallsdebatte wird besonders die Apostrophsetzung vor dem Genitiv- und dem Plural-s, vulgo Deppen-Apostroph, kritisiert und als vermeintliche Entlehnung aus dem Englischen stigmatisiert. Erst seit kurzem liegen mit Scherer (2010, 2013) korpusbasierte Untersuchungen vor, die eine angemessene Interpretation dieses graphematischen Wandels erlauben, der weitaus älter ist als gemeinhin vermutet. Generell erweist sich, dass viele als neu und bedrohlich empfundene Sprachveränderungen bereits vor über hundert Jahren meist ebenso emotional gegeißelt wurden. Der Beitrag befasst sich hauptsächlich mit der diachronen Entwicklung des phonographischen Apostrophs zu einem morphographischen, dessen Funktion nun nicht mehr darin besteht, nicht-artikulierte Laute zu markieren, sondern morphologische Grenzen (Uschi's, Joseph K.'s, CD's ). Deutlich wird, dass der Apostroph der Gestaltschonung komplexer Basen dient, deren Gros aus Eigennamen besteht. Anschließend wird in einem kürzeren Teil nach der Entstehung und Beschaffenheit dieser s-Flexive selbst gefragt. Diese sind ihrerseits Ergebnis flexionsmorphologischer Umstrukturierungen und garantieren maximale Konstanthaltung des Wortkörpers. Abschließend wird noch die neueste Entwicklung gestreift, die in der Deflexion ebendieser s-Flexive besteht und die sich wieder am deutlichsten bei den Eigennamen manifestiert. Diese haben als Quelle all dieser Entwicklungen zu gelten (vgl. des Irak, des Helmut Kohl, auch des Perfekt, des LKW, des Gegenüber ). Insgesamt ist festzustellen: Nicht nur die Apostrophsetzung vor s-Flexiven, sondern auch die s-Flexive selbst sowie ihr derzeitiger Abbau dienen ein und derselben Funktion: Der Schonung durch Konstanthaltung markierter Wortkörper, worunter mehrheitlich Eigennamen fallen, daneben auch Fremdwörter, Kurzwörter und Konversionen. Damit sind es die Eigennamen, die Ausgangspunkt und Ursache tiefgreifenden flexionsmorphologischen und graphematischen Wandels bilden.
„Zu viel Musik“ lautet der Titel eines Aufsatzes des Pianisten, Komponisten, Dirigenten und Musikschriftstellers Ferdinand Hiller (1811-1885) über die Musikbelästigung eines musikalischen Bürgers durch unterschiedlichste Quellen in seinem Umfeld im Laufe eines Tages, sicherlich auf eigenen Erfahrungen fußend.1 Er wird als Titel für diesen Beitrag im übertragenen Sinne zitiert, weil der Nachlass Hiller in der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main beim ersten Sichten bisher sehr unübersichtlich erschien. Der Nachlass umfasst 74 Bände Musikhandschriften, davon 21 Sammelhandschriften, dazu 9 Mappen mit Stimmen, 59 Bände Musikdrucke eigener Werke, davon 29 Sammelbände, dazu eine dicke Mappe mit Stimmen. Weitere Handschriften wurden nachträglich erworben. In verschiedenen Sammlungen sind darüber hinaus Briefe und Bildnisse Hillers überliefert.
Dieser Beitrag hat das Ziel, eine strukturierte Übersicht über die enthaltenen Werke zu geben: Der Inhalt der im Druck überlieferten Sammelbände wird anhand einer Tabelle dargestellt. Den Hauptteil dieses Beitrages bildet eine nach musikalischen Gattungen gegliederte Liste der in Frankfurt überlieferten Musikautographe, die als Register zu dem mittler weile digital verfügbaren Nachlassverzeichnis von Christine Ihl genutzt werden kann.
Säkularisierung und die Souveränität der Moderne. Ein Kommentar zur Agamben-Lektüre Jürgen Mohns
(2014)
"Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es werden wie ein Fest." In seinem Gedichtband "Mir zur Feier" (1897/98) fordert Rainer Maria Rilke, das Leben zu feiern anstatt es zu verstehen. Diejenigen, die verstehen wollen, haben nichts zu lachen. Stimmungstöter, die das Fest des Lebens stören. Verstehen oder Feiern? So einfach ist es wohl nicht. Zunächst wäre zu klären, was man unter Verstehen versteht: Verstandesmäßiges Erkennen. Sinnliches Erfassen. Existenzielles Ergründen. Rilkes Aversion richtet sich vor allem gegen das Streben, durch rational-wissenschaftliche Analyse das große Rätsel der Existenz lösen zu wollen. Davon unbenommen kreist er selbst lebenslang jenes Rätsel ein, versucht schreibend, das Leben nicht nur zu feiern, sondern auch seinen Sinn zu verstehen, zu erfassen – in poetischer Form.
Irene Heim in unpublished work proposed a new syntax-semantics interface for propositional attitude reports based on an ontology without transworld individuals, but counterpart functions instead. We show that the approach can capture the 'de re'/'de dicto' distinction, but makes different predictions from accounts with transworld individuals. Specifically, the account uses a non-invertible counterpart functions: a single individual in an alternative world can be the counterpart of many individuals of the real world. The directionality of counterpart functions predicts that a 'de dicto' interpreted DP cannot be an argument of a 'de re' interpreted predicate. We show that the predicted restriction is corroborated by existing work on restrictions on 'de re' interpretation. The derivation of constraints on 'de re' interpretation argues empirically for the counterpart ontology and Heim’s implementation thereof.
Decomposing coordination
(2014)
Natural languages display a surprising diversity of expression of elementary logical operations. The study of this variation is emerging as an important topic of cross-linguistic semantics. In this paper, we address the expression of coordination from this perspective, especially coordination of individual denoting expressions such as "John and Mary". We argue that there is an underlying universal structure for individual coordination, and that the cross-linguistic variation can be explained by assuming that languages pronounce different morphemes of this universal structure. In particular, we argue that there two main types of system for the expression of individual coordination: the J-type and the μ-type. In μ-type languages the morpheme used for individual coordination also has uses a quantificational or focus particle, while in the J-type languages it doesn't. Instead at least in many J-type languages the same morpheme is used for individual and propositional coordination. The evidence we present for our model comes from two sources: new data from specific data of the J-type and μ-type languages, and from a study of the historical development of the expression of individual coordination in Indo-European which switched from a μ-type to a J-type system.
André Gide, Rainer Maria Rilke, Franz Kafka und Robert Walser haben den verlorenen Sohn literarisch in der Moderne beheimatet: Gides "Le retour de l’enfant prodigue" erschien 1907, Rilkes "Legende vom verlorenen Sohn" 1909/10 als Schlusskapitel des "Malte Laurids Brigge" im Vorabdruck in der "Neuen Rundschau". Dort las Kafka den Text noch bevor der Roman im Mai 1910 im Inselverlag vorlag und ehe auch Rilkes Übersetzung von Gides "Rückkehr des verlorenen Sohns" 1913 erschien. Kafkas "Heimkehr" entstand im Winter 1923/24 in Berlin, blieb allerdings unpubliziert im Nachlass. Von Robert Walser sind zwei "Verlorene Söhne" überliefert: 1917
erschien eine "Geschichte vom verlorenen Sohn" in der "Neuen Zürcher Zeitung", 1928 das Prosastück "Der verlorene Sohn" im "Berliner Tageblatt". All diesen Texten ist gemeinsam, dass sie das biblische Gleichnis (Lukas 15,11-32) neu erzählen. Sie lösen Erzählverlauf, Erzählsituation und Handlungskette auf und knüpfen sie neu. Damit errichten sie jeweils unterschiedliche, von der Vorlage ganz verschiedene Bezüge
des Subjekts im Verhältnis zu seiner Umwelt. Die Versionen von Gide, Walser und Rilke sollen im Folgenden vergleichend betrachtet werden.
Die Frage nach der Erkenntnisleistung der Psychoanalyse wird im Kontext aktueller Debatten leicht, vielleicht allzu leicht gegen Freud und seine Nachfolger entschieden. Der fast schon stereotyp erfolgende Hinweis darauf, dass Freuds Leistung in der Entdeckung des Unbewussten lag, Lacans in der These, dass das Unbewusste wie eine Sprache strukturiert sei, reicht allein nicht aus, um diese Frage beantworten zu können. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, geht Lacan in seiner Rückkehr zu zugleich über Freud hinaus, indem er die wissenschaftliche Grundlage der Psychoanalyse nicht auf ein positives Wissen zurückführt, und sei es das um das Schibboleth der Psychoanalyse, den Ödipuskomplex, sondern auf eine spezifische Form des Nichtwissens, die der Psychoanalyse als einer neuen 'docta ignorantia' vorsteht. Mit dem Ausweis der Psychoanalyse als einer Lehre des Nichtwissens, der Unwissenheit und des Nicht-Wissen-Könnens vollzieht Lacan auf einer anderen Matrix als sein Vorbild jene Subversion des Wissens, die bereits Freuds Entdeckung des Unbewussten bedeutete, und damit eine Aktualisierung der Psychoanalyse zu einer - paradoxen - Grundlagenwissenschaft, die ihr noch immer eine herausragende Stellung im Feld der Geisteswissenschaften und der Verhältnisbestimmung von Natur- und Kulturwissenschaften sichert.
Das Bibliothekssystem der Goethe-Universität in Frankfurt am Main wurde in den Jahren 2003 bis 2008 komplett umstrukturiert. Während es vorher eine fast lupenreine Mehrschichtigkeit aufwies, ist es nun funktional einschichtig aufgebaut und organisiert. Aufgezeigt werden neben den Grundprinzipien der Entstehung die Prozesse, die diese Entwicklung ausgelöst haben, wobei einmal die Veränderungen im Zusammenhang mit der Errichtung neuer Gebäude sowie die Einführung des Instruments von Zielvereinbarungen zwischen den Fachbereichen und der Bibliotheksleitung besonders berücksichtigt werden.
Die Volkshochschulen sind der größte Bildungsanbieter in Deutschland. 2013 startete eine VHS-Initiative den vhsMOOC: eine offene Online-Veranstaltung zum Thema selbstbestimmtes Weblernen. Auf mehreren Plattformen wie Google+, Facebook und Twitter wurde gleichzeitig gepostet und kommentiert, auf YouTube entstanden 48 Videos zum vhsMOOC, in denen sich VHS-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Weblernen, neue Lehr- und Lernformate, unterstützende Tools und die Entwicklung der Volkshochschulen äußern. Der Band fasst den Verlauf, die Argumente und die Ergebnisse der achtwöchigen Online-Lehrveranstaltung zusammen. Passend zum offenen Format des vhsMOOC sind die Inhalte des Bandes auch auf wbv Open Access verfügbar.
Dem Sternbild in Rilkes Sonetten an Orpheus soll im Folgenden sich über die Formel der "Rettung der Phänomene" genähert werden. Das Motiv der Sterne sowie des Weltraums findet sich an zentralen Stellen innerhalb des Zyklus. Der Anordnung der Sterne zur Konstellation kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. In Rückbezug auf die antike Direktive der Rettung der Phänomene lassen sich so das erkenntniskritische Potenzial von Konstellationen sowie deren geschichtliche und poetologische Relevanz innerhalb der Sonette aufzeigen. Die Theorie Walter Benjamins wird hierfür die entscheidenden Termini bieten.
Die Bedeutung dieser Gegenstände ist an ihre Besitzerin geknüpft, nach ihrem Tod sind sie wertlos geworden. Malte setzt sich mit der für ihn schmerzlichen Notwendigkeit auseinander, dass sich demgegenüber das, was er schreibt, mit neuen Bedeutungen füllen wird, weil es etwas "Großes" ist, ein zusammenhängender Text, ein "Gewebe". Er selbst fühlt sich bei dieser Vorstellung "zerbrochen", denn dauerhaft scheint er selbst kein fester Teil seines Werks zu sein.
Wassergefiltertes Infrarot A (wIRA) stellt eine spezielle Form der Infrarotstrahlung im Bereich von 780–1400 nm dar, die aufgrund ihrer sehr guten Verträglichkeit in der Medizin zur Prävention und Therapie verwendet wird.
wIRA steigert Temperatur, Sauerstoffpartialdruck und Durchblutung im Gewebe. wIRA mindert indikationsübergreifend Schmerzen, Entzündung und vermehrte Sekretion und verbessert die Infektabwehr und Regeneration, insbesondere auch nach sportlicher Belastung. Zudem kann wIRA als kontaktfreies Verfahren simultan mit Bewegung und Training kombiniert werden.
Die klinische Anwendung von wIRA kann präventiv, therapeutisch, regenerativ oder rehabilitativ erfolgen.
Der hier vorliegenden Übersicht liegen u.a. 6 sportmedizinische Studien mit wIRA zugrunde.
So nahmen beispielsweise 25 Probanden an einer prospektiven, randomisierten, kontrollierten Studie mit stufenweise ansteigender ausbelastender Fußkurbelergometrie teil, an einem Tag mit anschließender Bestrahlung der ventralen Oberschenkelmuskulatur mit wIRA (bzw. am Kontrolltag stattdessen Pause) in Ruhe über 20 Minuten. Am Tag mit Bestrahlung verbesserte sich das Befinden der belasteten Oberschenkelmuskulatur auf einer visuellen Analogskala (umsetzbar in 0–100) von 36 auf 71 signifikant mehr (p=0,0138) als am Kontrolltag in Ruhe ohne Bestrahlung (von 34 auf 54). Erstaunlicherweise erreichte das Befinden nach 20 Minuten Bestrahlung wieder den Ausgangswert vor der Ergometrie von 70. Nach den 20 Minuten Ruhe (mit Bestrahlung bzw. Pause) folgte eine zweite Ergometrie, in der die Leistungsfähigkeit am Tag mit Bestrahlung signifikant weniger (p=0,0128) als am Kontrolltag absank.
Es werden ausführlich die Anwendungsmöglichkeiten von wIRA in der Sport- und Präventivmedizin dargestellt.
Im 18. Jahrhundert waren die Varietäten des Menschen aus zwei Gründen kein ganz neues Thema mehr. Zum einen griff die Aufklärung auf eine umfangreiche Literatur der Weltumsegler. Missionsreisenden und Abenteurer zurück, die seit dem 15. Jahrhundert von der Vielfalt der Völker, der sie umgebenden Natur und ihren Gebräuchen zu berichten wussten. Das beginnt bei der Historia nalural y morals de las Indias des spanischen Jesuiten José de Acosta (1539/1540-1599/1600) von 1590, die schon die Vermutung formuliert hat, dass auch die Indianer mit den anderen Völkern verwandt und über eine Landbrücke aus Nordasien nach Amerika gelangt seien, und reicht dann bis zu Rousseau, Voltaire, Diderot und Helvétius. Die andere Tradition ist die der Philosophie, für die Descartes' Ableitung der Einheit des Menschengeschlechts aus den physiologische Gemeinsamkeiten einschließlich der menschlichen Seele steht, wie er sie in seinem Traité de I'homme formuliert hat, 1632 geschrieben und 1662 posthum unter dem Titel De homine veröffentlicht und die ihrerseits auf die Nachwirkungen der aristotelisch inspirierten Scholastik und im 16. Jahrhundert entstandenen Physiologie zurückgeht. Das Menschengeschlecht war eines, das entsprach der biblischen Vorstellung ebenso wie der aristotelisch angeleiteten Wissenschaftssystematik, nicht unnötig viele Theorien zu nutzen. Von den Varietäten war also so viel die Rede wie von der Einheit der Menschheit.
This volume contains the papers presented at the First International Workshop on Rewriting Techniques for Program Transformations and Evaluation (WPTE 2014) which was held on July 13, 2014 in Vienna, Austria during the Vienna Summer of Logic 2014 (VSL 2014) as a workshop of the Sixth Federated Logic Conference (FLoC 2014). WPTE 2014 was affiliated with the 25th International Conference on Rewriting Techniques and Applications joined with the 12th International Conference on Typed Lambda Calculi and Applications (RTA/TLCA 2014).
Was lässt sich also vorerst über eine mögliche Rilke-Rezeption bei Thomas Bernhard sagen? Am ehesten kann man das Verhältnis der beiden Autoren darstellen, indem man Rilkes "Auftritte" in Bernhards Werk mit dem Dasein der verstorbenen Christine Brahe in Urnekloster vergleicht. Wäre er leibhaftig dort, er würde sich selbst sicherlich nicht in einem Spiegel erkennen, zu unterschiedlich sind Formen und Inhalte. Auch fehlt das Rilke-Portrait jedenfalls in Bernhards selbst gewählter Ahnengalerie. Es gibt allerdings einzelne Momente in den Texten, bei denen man vermeint, Rilke durch eine an sich "stets verschlossene Türe" in Bernhards Werk hineinschreiten zu sehen, gemessenen Schrittes geht er an den Figuren vorbei und verschwindet fast durchsichtig, fast unbemerkt wieder. Nur ein Geist, in dieser Welt gestorben und nicht mehr verlässlich zuhaus, ein Nachhall von einem vergangenen Zustand, dadurch aber dennoch, zumindest zwischen den Buchstaben, Zeilen und Seiten, zwischen den Buchtiteln und Klappentexten, vorhanden.
Heute kann man eine ambivalente Tendenz beobachten: Zum einen wird in soziologischen, aber auch in literatur-und kulturtheoretischen Ansätzen der Aspekt der Differenz stark gemacht. Zum anderen ist ein anti-dichotomischer Denkstil zu beobachten, der, wie Zygmunt Bauman in seinem Buch Moderne und Ambivalenz schreibt, "das Prinzip der Opposition selbst, die Plausibilität der Dichotomie, die es suggeriert, und die Möglichkeit der Trennung, die es fordert", in Frage stellt (80).
In eben diesem Sinne erklärt Bruno Latour in seinem Buch Wir sind nie modern gewesen, Kultur solle nicht länger als ein Artefakt begriffen werden, das wir "durch Ausklammern der Natur produziert haben". Latours These lautet daher: "Es gibt nur Naturen/Kulturen" (138). Das heißt, eine durch Binde- respektive Schrägstrich verbundene, historisch variable Vernetzung von Naturen und Kulturen. [...]
Ich möchte vorschlagen, den Bindestrich durch das Modell der Aufpfropfung zu beschreiben, genauer gesagt: als Interferenz von Pfropfungs- und Hybridmodell Um es vorweg zu nehmen: Ich gehe davon aus, dass das Modell der Pfropfung eine zweifach codierte Wissensfigur ist: Die Pfropfung steht zum einen für ein Ensemble kulturtechnischer Verfahrensweisen, durch die Naturdinge auf spezifische Weise in Kulturdinge transformiert respektive im weitesten Sinne des Wortes 'übersetzt' werden; zum anderen steht sie für ein Ensemble kulturtheoretischer Denkweisen, die diese Transformations- respektive Übersetzungsprozesse als Kulturmodell beschreiben: als Verbindungs-, als Vernetzungsformen zwischen Natur und Kultur, aber auch zwischen Kulturen. Vor dem Hintergrund dieser Annahmen, möchte ich im Folgenden zwei Fragekomplexe skizzieren, die mich momentan beschäftigen- im Rahmen eines größeren Forschungsprojekts, das den Arbeitstitel: Greffologie trägt.
Säkularisierung
(2014)
Blumenbergs Kritik an der Kategorie der Säkularisierung hat schon zu Lebzeiten große Aufmerksamkeit erfahren und wird bis heute mit seinem Namen verbunden. Sie betrifft verschiedene für Blumenbergs Werk zentrale Problemzusammenhänge: die Deutung der Neuzeit ebenso wie die Logik historischer Entwicklungen, die Erörterung rhetorischer Funktionen von Theorie ebenso wie die Selbstbehauptung gegen den theologischen Absolutismus. Im weiteren Sinn steht Blumenbergs Krititk der Säkularisierung dabei im Kontext der in der Forschung höchst kontrovers diskutierten Frage, welche Bedeutung seiner gleichermaßen konstanten wie kritischen Bezugnahme auf die religiöse Tradition und auf theologische Diskurse für sein Denken zukommt.
FRAUEN.SCHREIBEN. So hieß das Thema des Symposiums, in dessen Zusammenhang dieser Text entstand. Die Frage, wie "Frau" in Texten von Schriftstellerinnen aus Österreich und China "geschrieben" wird, sollte dabei in den Blick genommen werden - Elfriede Jelinek stand dabei mit im Fokus der Analysen und ist auch meine Wahl im nachfolgenden Text. Diese Frage, nach dem "Wie-Frauen-Schreiben", die zunächst scheinbar recht simpel und unproblematisch gestellt werden kann, evoziert eine komplexe Auseinandersetzung mit Themen und Problemen, die der Literaturwissenschaft und Literaturtheorie konstitutiv zugrunde liegen - Fragen etwa nach einer potentiellen ('weiblichen') Autorschaft, einer 'weiblichen' Ästhetik, Fragen der Repräsentation 'von Frauen', hier im Besonderen 'in Texten von Frauen'.
In the present paper, we concentrate on (selected) Bantu and Nilotic bare-passive strategies and lay out the basis for a typology of transitive passive constructions in these languages. We argue that bare-passives constitute an optimal strategy to change prominence relations between arguments, in languages that strongly hold to the default mapping between the highest thematic role available and the grammatical subject (i.e. Spec,TP). The Nilotic and Bantu languages discussed here differ in their way of satisfying this default mapping. In particular, impersonal bare-passives satisfy it by resorting to an agentive place-holder (an indefinite subject marker) and realizing the logical agent as a lower thematic/semantic role (e.g. instrument or locative). Left-dislocation and so called 'subjectobject' reversal bare-passives realize the default matching between agent and subject in a more straightforward way, but locate the patient in a higher argument position within the inflectional domain (Spec,TopP). As argued in Hamlaoui and Makasso (2013) and Hamlaoui (2013), and in line with Noonan (1977), the present languages display a clauseinternal split between subjecthood (being the grammatical subject in Spec,TP) and topicality (being the subject of the predication, in an inflectional-domain internal Spec,TopP).
Der ,Neue Mann' zwischen Familie und Beruf : Erkundungen bei Hans Fallada und Joseph Breitbach
(2014)
Falladas „Kleiner Mann“ gehört zu den Erfolgstiteln der späten Weimarer Republik und darf bis heute mit uneingeschränktem Publikumsinteresse rechnen. Empathisch, realitätsnah, detailreich, aber wenig politisch engagiert, rief die Darstellung der absinkenden Mittelschicht schon in der Weimarer Republik den Vorwurf der „linken Melancholie“ hervor, der neben Fallada auch Kästner traf. Noch 1970 diente diese Kategorie dem Literaturwissenschaftler Helmut Lethen als Kampf- und Abwehrbegriff gegen einen vorgeblich „weißen“ Sozialismus, dem er die Absicht sozialer Pazifizierung zuschrieb. Die Farbwahl deutet auf die Langlebigkeit des politisch-literarischen Topos hin, hatte doch Kurt Tucholsky schon 1926 die deutsche Sozialdemokratie in dem Gedicht „Feldfrüchte“ als „außen rot und innen weiß“ charakterisiert. Joseph Breitbach greift in seinen Erzählungen „Rot gegen Rot“ und „Das Radieschen“ von 1928/29 diese Metaphorik ebenso auf wie die mit ihr assoziierten widerstreitenden Positionen. „Rot gegen Rot“ lautet auch der Titel seines 1929 bei der Deutschen Verlagsanstalt erschienenen ersten Erzählbandes. Im Gegensatz zu den politischen Kampffronten sind diejenigen zwischen den Geschlechtern erst spät, dafür aber mit eindeutigem und nachhaltigem Interesse an der „Neuen Frau“ ins Blickfeld der Literaturwissenschaft geraten. Es scheint geradezu, als habe das Erlöschen der politischen Utopie, die sich zunächst in der Weimarer Republik, dann für zahlreiche, vor allem angloamerikanische, Forscher in der DDR verkörperte, die vorherigen Hoffnungen nun auf eine grundlegende Neudefinition des Geschlechterverhältnisses verlagert: Die „Neue Frau“ sollte im Privaten und Öffentlichen realisieren, was politisch eben nicht gelungen war. […] Parallel wäre zu wünschen, dass der Literarisierung des „Neuen Mannes“ die gleiche differenzierte Aufmerksamkeit zukäme - selbst wenn er massenmedial weit weniger präsent ist als seine Geschlechtsgenossinnen. Zeichen seiner Schwäche sind schon in den 20er Jahren unübersehbar. Der „Neue Mann“ ist zumeist – ob im wörtlichen oder übertragenen Sinne – der „Kleine Mann“.
Ende
(2014)
Das Ende ist einer der Orte, an denen sich bei Blumenberg verschiedenen Argumente und Diskurse auf höchst spannungsreiche Weise verbinden und an denen sich daher zeigen lässt, dass sein Denken nicht in der einen oder anderen These aufgeht, sondern gerade auf die Verbindung abzielt. Wenn er etwa einmal seinen eigenen Ansatz als "Phänomenologie der Geschichte" charakterisiert, so zeigt die Frage nach dem - zugleich denknotwendigen und unzugänglichen - Ende der Geschichte, wie wenig selbstverständlich jene Zusammensetzung von Phänomenologie einerseits, Geschichte andererseits ist. Sie impliziert nicht nur, auch nach dem Ende der Geschichtsphilosophie über das Ganze der Geschichte nachzudenken, sondern emphatisiert auch die Erinnerung als die zentrale Fähigkeit, mit der eigenen Endlichkeit umzugehen.
Abseits : Nachwort
(2014)
In der Einleitung wurde bereits dargelegt, dass und warum es nicht einfach ist, philosophischer und anderer Kehrseiten so habhaft zu werden, dass sie Kehrseiten bleiben. Wendet man sich einer Kehrseite zu, erscheint das vormals Abgekehrte zugewandt. Aus der verdeckten Kehrseite ist eine Ansichtsseite geworden, die ihrerseits eine neue, abgewandte Kehrseite haben wird und haben muss. Was Luhmanns Systemtheorie 'Zwei-Seiten-Form' nennt, bei der sich jede Unterscheidung aus einer markierten Innen- und einer nicht markierten Außenseite zusammensetzt, wird für den, der sich für Kehrseiten interessiert, schnell zum Dilemma
Gibt es einen epischen Modus? : Käte Hamburgers "Logik der Dichtung" evolutionspsychologisch gelesen
(2014)
Es geht mir im Folgenden nicht um die konkreten Details von Hamburgers Theorie oder eine fachgeschichtliche Rekonstruktion der sich daran anschließenden Diskussionen, sondern um das Problem, das Hamburger gesehen hat und bei dem ich aus evolutionspsychologischer Perspektive noch einmal neu ansetzen möchte. Zu heuristischen Zwecken sei mir gestattet, Hamburgers Vorgehensweise vereinfachend in drei Aspekte aufzufächern:
1. Hamburger hat die regelmäßige Intuition, dass mit bestimmten unterschiedlichen Formen von Literatur auch kategorial unterschiedliche Vorstellungskomplexe verbunden sind.
2. Sie versucht diese unterschiedlichen Vorstellungskomplexe sprachtheoretisch zu modellieren, um sie systematisch voneinander unterscheiden zu können.
3. Sie sammelt objektivierbare "Symptome" dieser unterschiedlichen Vorstellungskomplexe auf der Ebene des sprachlichen Ausdrucks.
Aspekt 1 bezeichnet Hamburgers eigentliche 'Entdeckung', an die ich im Folgenden anknüpfen möchte. Ihre theoretische Modellierung (Aspekt 2) ist prinzipiell gegen andere geeignete theoretische Modelle austauschbar, ich sehe dafür jedoch keine Notwendigkeit, denn Hamburgers sprachlogisch-phänomenologischer Ansatz leistet, was er ihrer Darstellungsabsicht nach leisten soll. Meine folgenden evolutionspsychologischen Überlegungen stellen in gewisser Hinsicht ebenfalls eine Form der theoretischen Modellierung dar, haben allerdings eher explanative als deskriptive Funktion und sind insofern ergänzend, nicht alternativ zu Hamburgers Modellierung gedacht.
Aspekt 3, das heißt Hamburgers Versuch, ihre Theorie an der besonderen Faktur von literarischen Er-Erzählungen (vornehmlich des Realismus) nachzuweisen, ist derjenige Aspekt ihrer Theorie, der am meisten Kritik hervorgerufen hat. Eine besondere Rolle spielte darin immer wieder Hamburgers Annahme, dass das Präteritum in seiner 'epischen' Verwendung seine grammatische Funktion der Vergangenheitsanzeige verliere und die von dem "raunende[n] Beschwörer des Imperfekts" dargestellten Sachverhalte vielmehr zeitlos 'vergegenwärtigt' würden (und deshalb auch ebenso gut z.B. im 'historischen Präsens' dargestellt werden könnten). Dagegen wurde zu Recht festgehalten, dass innerhalb der imaginären Kommunikationssituation trotzdem eine gewisse Vorzeitigkeit ausgedrückt werde, das Präteritum seine grammatische Bedeutung also keineswegs völlig verliere.
Aspects and abstracta
(2014)
Philosophers of perception and psychologists first studied 'multistable' or 'reversible' figures, 'Kippbilder', in the nineteenth century. The earliest description of the phenomenon of a 'sudden and involuntary change in the apparent position' of a represented object occurred in a letter written by Louis Albert Necker in Geneva to Sir David Brewster on 24 May 1832 and published six months later in the "Philosophical Magazine". The picture in question would become known as the Necker cube.
KippCity
(2014)
On 28 April 2011, on the Rathausplatz of Neukölln, Christine Hentschel's puzzlement vis-à-vis Neukölln's liberation met the neighbourhood's flickering urbanity, which she seeks to capture in a project called KippCity. KippCity is an experiment in tracing urban change while it happens. If space is the 'event of place', as Doreen Massey holds, the space of KippCity is the transformation of Neukölln. This chapter explores the potentials of multistable figures (Kippbilder) for conceptualizing urban change. This potential, Hentschel argues, lies in the flip-moment itself, in the space-time of urban transformation. In Berlin-Neukölln, a neighbourhood long branded as poor and failing, multiple and partly conflicting flip-scenarios have begun to inspire and haunt the neighbourhood and its self-reflective talk. KippCity Neukölln is thus a flickering figure. But unlike an artefact Kippbild, which flickers between duck and rabbit, for example, KippCity Neukölln does not simply tip into a new pre-fabricated form, but rather wavers between different future scenarios. Neukölln's flickering urbanity is thus nervous, full of uncertainty, frustration and enthusiasm. The article shows how the neighbourhood seeks escape from the dystopia of two dominant flip scenarios of ghettoization and gentrification by digging its claws into its 'Now'.
Introduction
(2014)
The experience of multistable figures or so-called Kippbilder - the sudden and repeated 'kippen' of perception as the same object is seen under different aspects - is fascinating in its own right. However, what animated the year-long discussion leading to this volume was a critical exploration of the proposition that such figures may offer a helpful model for thinking through the intercultural and interdisciplinary effort of productively negotiating between conflicting positions.
In his major theoretical work on experimentation, "Towards a History of Epistemic Things" (1997), Hans-Jörg Rheinberger writes: 'If experimental systems have a life of their own, precisely what kind of life they have remains to be determined.' Rheinberger is alluding to the slogan Ian Hacking gave to the post-Kuhnian 'practical turn' in the history and epistemology of science.
In 1989 the triumphant discourse on the 'end of history' brought the death of socialism and the expansion of liberal democracy. The proclamation of the end of history could also be read literally, as the death of 'history' as a discipline with a homogenized narrative. It is in the same year that Pierra Nora wrote a groundbreaking article, which disentangled the fundamental opposition between history and memory, and at the end assumed the standpoint of memory. The article departs from the diagnosis of post-Yugoslav contemporary accounts of Yugoslav and partisan events. The critique of nationalist and Yugonostalgic discourses discloses shared assumptions that are based on the 'romantic' temporality of Nation and on history as a closed process. In the main part of the article the author works on the special, multiple temporality of partisan poetry that emerged during the WWII partisan struggle. The special temporality hinges on the productive and tensed relationship between the 'not yet existing' - the position of the new society free of foreign occupation, but also in a radically transformed society - and the contemporary struggle within war, which is also marked by the fear that the rupture of the struggle might not be remembered rightly, if at all. The memory of the present struggle remains to be the task to be realized not only for poets, but for everyone participating in the struggle. This is where the revolutionary temporality of the unfinished process comes to its fore, relating poetry to struggle, but again producing a form of poetry in the struggle.
Identity politics redux
(2014)
Pornography reappropriated by feminist and queer pornographers is being reimagined as a site of activist productions, be it through the reshaping of desire or engaging with wider discussions of representational politics. Here, K. Heintzman takes up Shine Louise Houston's feature length film, "The Wild Search", as a unique case study for addressing the relationship between debates of identity politics and queer activist practice.
The notion of ambivalence currently seems to be an invigorating figure with heuristic potential in political, social, and art theory. It refers to a plurality of possibilities, a paradoxical multiplicity, and a complex relationality. It foregrounds thinking in terms of indeterminacy and incommensurability, as well as in terms of the possible. Ambivalence has been deployed in positive ways, as offering political promise, while, at the same time, being regarded with suspicion.
This paper deals with the general topic of subjectivity and subjectivation, considered through a philosophical tradition opposed to the 'philosophies of consciousness': that is, a philosophical tradition, from Spinoza to Althusser, that rejects as a myth the supposed primacy and presocial character of subjective identity.
The children's book "Duck! Rabbit!" dramatizes the lesson that just because one is right, others don’t have to be wrong. An endless dispute is quickly settled once the quarrellers experience an aspect change or gestalt switch and thereby realize that the same picture can be seen in different ways. This simple scenario offers an intriguing model for arbitrating between conflicting positions by going back and forth between different aspects and thereby realizing that conflicting accounts can be equally valid.
Der Goldregen im Park von Ulsgaard ist nicht nur eine ("schön blühende, giftige") Pflanze. In der bildenden Kunst (Tizian, Rembrandt, van Dyck, Klimt) ist die auf Ovid zurückgehende Geschichte der Königstochter Danaë oft dargestellt worden.
Die von ihrem Vater in einen Turm Verbannte wird von Zeus in Form eines Goldregens besucht und wird die Mutter des berühmten Helden Perseus. Rilkes Anlehnung an die mythische Tradition wird durch die kreative Anverwandlung besonders
gewinnend und die Begegnung der Liebenden erhält geradezu hintergründig eine erhebende Weihe. Der zurückhaltende Anschluss an den Mythos ist einer Erfahrung angemessen, die sprachlich allenfalls vergleichsweise ("wie"), im Kontrast ("nichts") oder als Möglichkeit ("vielleicht") fasslich erscheint. Die Begegnung von Mutter und Sohn am Fenster des Hauses in Ostia feiert Augustinus als Werk der göttlichen
Vorsehung, die Begegnung des Neffen und der Tante verklärt der Rilkesche Malte zu einem alle Erwartung übertreffenden aber willkommenen Glück: "Schöne, schöne Abelone." Die Deutung der Briefe als Liebesbriefe ergab sich für Malte nachträglich ("wie ich es jetzt sehe") und sie war die Konsequenz aus der Begegnung im Park schließlich.
"Heiter und verteilt" : zyklische Ordnung und metrische Metamorphose in den Sonetten an Orpheus
(2014)
Die Sonette an Orpheus bilden ein poetisches Universum für sich, wie es schon der bestimmte Artikel – "Die Sonette" – sagt: Es gibt diesen einen Sonetten-Zyklus, der an Orpheus gerichtet ist; es gibt keine anderen Sonette an Orpheus. Eine verbindliche Deutung der zyklischen Komposition dieser Gedichte scheint bisher nicht gelungen zu sein, auch wenn ein äußerer Rahmen unschwer festzustellen ist: Die Sonette an Orpheus, "[g]eschrieben als ein Grab-Mal" für die frühverstorbene Tänzerin Wera Oukama-Knoop, bestehen aus einer Reihe von 55 Gedichten, die sich in zwei Gruppen aufteilt: in einen ersten Teil zu 26 und in einen zweiten zu 29 Sonetten. Beide Teile lassen eine Rahmung erkennen.
Poetik der Gelassenheit. Zur mystischen und poetologischen Fundierung von Rilkes Armut-Konzeption
(2014)
Blickt man auf Rilkes Künstlerbild des armen und unbehausten Mystikers, Mönchs und Propheten, wird das Wechselspiel von Armut und Reichtum im übertragenen Sinn bestimmend: In der Nachfolge Nietzsches kennzeichnen den heiligen Künstler einerseits sein Arm- und Verlassen-Sein und seine Demutsgesten; andererseits
erfährt er gerade im Zustand der Armut den inspirativen Anstoß für ein kreatives Wirken und durch seine reichhaltige, gottgleiche Kunstproduktion eine Nobilitierung.
Die Gleichgültigkeit der Natur gegenüber der menschlichen Existenz wird bei Rainer Maria Rilke in seiner letzten Schaffensphase in der Schweiz mit einer ähnlichen Radikalität sprachlich-dichterisch kompensiert wie er früher das restlose Hineinbilden (nicht Abbilden!) der Welt in das Sprachkonstrukt nach den Vorbildern von Baudelaire, Rodin und Cézanne – um hier nur die wichtigsten zu nennen – vom eigenen Sprachinstrument forderte. Ich nehme an, daß Rilkes späteste Dichtung und Poetologie nur in engster Verbindung mit dem Konzept des Verzichts ausgelegt werden kann. Exemplarisch für die Poetik dieses lyrischen Ausgleichs im Kontext des spätesten Werkes ist die Sinnfigur der Fontäne, die Produktionsweise und Funktion der dichterischen Bilder illustriert und eine immanente Reflexion auf den Sinn und die Zielvorstellungen des dichterischen Schaffens enthält.
"Des Armen Haus ist wie des Kindes Hand". Gefäß und Getränk oder Leere und Fülle in Rilkes Dichtung
(2014)
Die Kinderhand als das Bild für das "allerleiseste Empfangen", für das Offensein für einen Anspruch, den niemand herausfordern und niemand erwarten kann, hat eine Tradition in Rilkes Werk, das vor dem Stunden-Buch entstanden ist und es spinnt sich bis ins Spätwerk hinein fort. Die Gleichzeitigkeit von Leere und Fülle als von Gefäß und Getränk immer zugleich ist wohl nirgends so spielerisch und daher dauernd umgesetzt wie in den Sonetten an Orpheus, wo Wein, Kelter und
derjenige, der trinkt, alle eins und in sich doch unterscheidbar sind. Im Bekenntnis zum Hier darf die Unterscheidung nicht aufgegeben werden. Diese lebt aber vom Ununterschiedenen: die Erfahrung des Ununterschiedenen
als eine Erfahrung der "inspiratio" fasst Rilke mit der Gefäß-Metapher.
Rezensionen verschiedenener Veröffentlichungen, u.a. 1) Blätter der Rilke-Gesellschaft 31 (2012). Hrsg. von Erich Unglaub und Jörg Paulus. Göttingen 2012; 2)Rainer Maria Rilke. Quarto. Zeitschrift des Schweizerischen Literaturarchivs 35 (2012). Verantwortlich für diese Nummer: Franziska Kolp in Zusammenarbeit mit Benedikt Tremp; 3) Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Das Manuskript des "Berner Taschenbuchs". Faksimile und Textgenetische Edition. Hrsg. von Thomas Richter und Franziska Kolp. Mit einem Nachwort von Irmgard M. Wirtz. Göttingen 2012
1897/98 lernten sich Rainer Maria Rilke (1875-1926) und Anna von Münchhausen kennen. Ein engerer Kontakt zwischen Anna von Münchhausen und Rilke entstand durch den Sohn, der nach dem Abitur im November 1911 nach Paris ging und an der École de Droit sein Studium aufnahm. Thankmar besuchte den zeitgleich in Paris wohnenden Rilke zum ersten Mal im Mai 1913. Es entwickelte sich zwischen beiden ein freundschaftliches Verhältnis. Thankmar wurde einer der wenigen Freunde, mit denen sich Rilke duzte. In diesem Jahr setzt der Briefwechsel Rilkes sowohl mit Thankmar als auch mit dessen Mutter Anna von Münchhausen ein.
Rilkes Brief vom 30. Oktober 1926 an Eduard Korrodi (1885-1955), mit dem der Dichter seine Übertragung von Paul Valérys Prosatext "Tante Berthe" der Neuen Zürcher Zeitung zur Publikation anbot, mag manchen bekannt sein. Er befindet sich in Privat-Besitz, doch gelangte ein Teil davon aus einem Auktions-Katalog in die Rilke-Chronik. Der Adressat des Briefes hatte in Zürich und Berlin Germanistik studiert und 1912 mit einer Arbeit über Conrad Ferdinand Meyer promoviert. Von 1914 bis 1950 war er Feuilletonchef der Neuen Zürcher Zeitung. Obwohl Korrodi für eine weltoffene Schweiz eintrat, stand er literarischen Innovationen und der Emigrierung deutscher Autoren in den Jahren 1933-45 kritisch gegenüber, was bei einigen Intellektuellen auf Widerstand stieß. Mit Rilke, dessen Werk er schon früh kommentierte und dessen "Doppelzüngigkeit" er gegen Angriffe aus dem deutschen Sprachraum vehement verteidigte, verband ihn indes eine ungetrübte Freundschaft. Sie kam u. a. in seiner Grabrede und seiner späteren "Erinnerung an einen Dichter" zum Ausdruck. Hier der vollständige Inhalt von Rilkes letztem Brief an ihn, der im handgeschriebenen Original zwei Seiten einnimmt und die Unterschrift in einen schwungvollen "Kometenschweif" münden lässt.
Unter den Schweizer Freunden Rilkes ist der Basler Historiker und Diplomat Carl Jacob Burckhardt (1891-1974) eine durchaus bemerkenswerte Gestalt. Die Entwicklung einer Beziehung zwischen dem jungen Mann aus Alt-Basler Familie und dem zunehmend vereinsamenden Prager Dichter zeigt auch der Briefwechsel zwischen beiden, der ganz im Kontext der "Schweizer Freunde" der zwanziger Jahre angesiedelt und zu lesen ist.