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Sündenkleid und letztes Hemd
(2015)
Teufelsmaske, Nebelkappe, Narrenkleid, Panzer der Rebellion - die barocken Geistlichen und Dichter werden nicht müde, Synonyme für das zu finden, was der Gläubige auszuziehen hat, wie ja überhaupt Variation zu den Grundprinzipien barocker Dichtung gehört, welche die Sprache als 'Einkleidung' von Gedanken betrachtet und auf den Reichtum von Epitheta größten Wert legt - und in seinen Poetiken regelmäßig für 'Buße tun' auch die Umschreibung 'das Sündenkleid ablegen' vorführt.
"Aber ein Sturm weht vom Paradiese her", schreibt Walter Benjamin bekanntlich in seinen geschichtsphilosophischen Thesen, "während der Trümmerhaufen [...] zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm." Bei Zola heißt dieser Fortschritts-Sturm "Windstoß des Jahrhunderts, der den bröckligen Bau der alten Zeiten" davonbläst. Aus welchen Bestandteilen ist 'dieser' Windstoß, der vom "Paradies der Damen" her weht, zusammengesetzt? Anders gefragt: Wie konnte es Octave Mouret gelingen, innerhalb kürzester Zeit ein "millionenreicher Modehändler", zum "Bahnbrecher des neuen Handelswesens" zu werden? Genau davon handeln die 513 Seiten des Romans.
Als Christian Krachts Roman 'Faserland' 2013 in Niedersachsen Abiturstoff werden sollte, fand Heike Schmoll diesen Umstand geradezu skandalös. Neben der ostentativen Oberflächlichkeit der Hauptfigur kritisierte sie in der FAZ den mangelhaften Realismus des Romans: "Wie unglaubwürdig die Erzählung in sich ist, zeigt sich daran, wenn er seine Barbour-Jacke im Flughafengebäude entzündet, ohne dass irgendjemand davon Notiz zu nehmen scheint." In 'Faserland' wird jedoch keineswegs so realistisch erzählt, wie es die Journalistin annimmt. Vielmehr blendet Schmolls Feststellung aus, was schon im Deutschunterricht im Hinblick auf realistisches Erzählen geschult wird: nämlich die Frage, ob die Dinge, von denen erzählt wird, eine Bedeutung jenseits des Realistischen transportieren – man denke nur an Effis Schaukel in Hohen-Cremmen. Dies bedenkend, stellt sich freilich die Frage, ob die Barbourjacke, die der namenlose Ich-Erzähler in 'Faserland' verbrennt, im Roman die Funktion solch eines Dingsymbols einnimmt.
Kleidung verweist im Märchen auf bestimmte Eigenschaften der Protagonisten. Innere und äußere Schönheit stimmen überein. Die entsprechende Kleidung bewirkt, dass im Märchen auch immer das Gute, der/die edelmütige Held/in siegt. Es zeigt aber auch, dass nur die 'Guten' die ihnen zustehenden schönen Kleidungsstücke verdienen. Oft ist es so, dass die Helden zu Beginn des Märchens als von der Umwelt verachtete, in armseligen Kleidern und auf der niedrigsten sozialen Stufe stehende Figuren beschrieben werden. Held und Heldin machen ihr Glück, was stets auch mit einem sozialen Aufstieg verbunden ist. Aber auch die Realität zeigt, dass Menschen oft den Wunsch hatten und noch haben, eine andere Identität anzunehmen, um ihre Lebenssituation bzw. ihre Lebensumstände zu verbessern. Als wichtiges Medium solch eines Identitätswandels dient die Kleidung. Ein prägnantes Beispiel dafür ist der 'Hauptmann von Köpenick'.
Die passende Hose und die Dramatik Shakespeares, diese Konstellation ist - einerseits - ein Witz Thomas Bernhards, der Stoff und Sujet, Schnitt und Stil in seinem Dramolett 'Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen' (1986) in eins denkt und damit die Theaterversessenheit des Regisseurs Claus Peymann in Szene setzt. Die Verbindung von Hosenkauf und Dramatik eröffnet aber - andererseits - auch eine sehr plastische Auseinandersetzung des Autors mit der eigenen Beziehung zum Theater. Diese Auseinandersetzung verrät nicht nur einiges über Thomas Bernhard und das Theater, über das Burgtheater und das 'Theater Österreich'. Sie verrät auch einiges über die Moden und Modernisierungen des Theaters in der 'Postmoderne'.