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Das Projekt beschäftigt sich mit der visuellen Wirkungsdimension von Lyrik und der Möglichkeit ihrer analytischen Beschreibung. Dafür werden die Anordnung von Versen und Wörtern, Auszeichnungen und andere typographische Strukturen von nicht experimentellen Gedichten seit Ende des 18. Jahrhunderts im Rahmen von Modellanalysen untersucht.
Die hier vorgestellte Studie entwickelt eine Theorie 'lyrischer Selbstentwürfe' und leistet eine kritische Bestandsaufnahme und Evaluation diesbezüglicher Forschungspositionen. Entgegen verbreiteter literaturwissenschaftlicher Grundannahmen wird die These vertreten, dass lyrische Texte faktual sein und auf Autor:innen referieren können. Für solche Fälle liefert die Studie ein begriffliches Instrumentarium, das sie an Beispielanalysen erprobt.
Charles Cros, Erfinder technischer Reproduzierbarkeit von Wahrnehmung in Nachmärz und Moderne
(2023)
Charles Cros (1842-1888) verkörpert den Weg der französischen Lyrik von der Spätromantik über Parnass und Symbolismus zur Moderne in überraschender Dichte, anders, aber nicht weniger typisch als Verlaine, Rimbaud und Mallarmé. [...] Die naturwissenschaftlichen Erfindungen von Charles Cros sind durchweg kommunikativer Natur und zielen auf die Reproduzierbarkeit von Sinneseindrücken wie seine Poesie auf die "Wiederholbarkeit von Träumen". Der Zusammenhang von technischer Reproduzierbarkeit - hier durchaus im Sinne von Walter Benjamins einschlägigem Essay verstanden - und der lyrischen 'Chansons perpétuelles' von Cros ist indessen noch niemals untersucht worden.
Le texte part d'une réflexion sur le rapport immanent aux paroles entre les termes "local" et "global", puisque chaque mot occupe un lieu particulier dans une phrase tout en participant de la nature transmissive de la communication. De plus, chaque phrase dite véhicule un sens qui présuppose un dire en acte qui, lui, ne saurait être dit. L'attention qui réunit ces deux modalités linguistiques qualifie entre autres le langage poétique, lequel ouvre sur une temporalité non-chronologique et une spatialité qui rend compte de l'espace entre les langues, domaine propre à la traduction. Les technologies digitales, notamment l'internet, sont en mesure de réaliser le rêve utopique d'une communication immatérielle. Ainsi entrent-elles dans une certaine mesure en concurrence avec la poésie (voire p.ex. le mythe d'Orphée ou "la Divine Comédie"). Avant de procéder à une analyse d'un poème du poète autrichien Franz Josef Czernin, dans laquelle Baschera se penche sur la différence entre ces deux approches, il attire l'attention sur celle existant entre les termes de globalisation et mondialisation.
Der sizilianische Dichter und Romanautor Giuseppe Bonaviri - 1924 in Mineo bei Catania geboren und 2009 in Frosinone nahe Rom verstorben - gründete 1984 den öffentlichen Gedichtpark "Il libro di pietra" (dt. "Das Buch aus Stein") in Arpino, dem Geburtsort des berühmten Staatsmannes, Redners und Rhetorikers Marcus Tullius Cicero. Zu diesem Anlass schenkte der seit 1980 wiederholt für den Nobelpreis vorgeschlagene, sein Leben lang auch als Arzt tätige und schon früh nach Mittelitalien ausgewanderte Schriftsteller der Stadt Arpino das Gedicht "Il bianchissimo vento" (1984, dt. "Der weißeste Wind"), das dort noch heute als Gründungsgedicht in Stein gemeißelt im öffentlichen Raum permanent ausgestellt ist. Der vorliegende Beitrag untersucht Bonaviris europäisches, kollaborativ angelegtes Kulturprojekt als Blaupause eines literarischen Glokalisierungsformats unter den Aspekten seiner Transkulturalität, dekolonialisierten Literarizität, weltliterarischen Parametern und kommunikativen Transmedialität. Bonaviris lokal verwurzeltes und zugleich kosmopolitisch ausgerichtetes, postmodernes Kulturkonzept verweist durch seine vielfältigen Synergieeffekte nicht nur auf die zeitlose Relevanz von Literatur und Lyrik, sondern auch auf die Schlüsselrolle einer transkulturell wirkungsmächtigen Kreativität und zukunftsorientierten 'humanitas'.
Die Verbindung von postulierter metaphysischer Leere und einem radikal geleugneten und doch wieder herbeizitieren Gott, in deren Kontext der Gedanke erschreckender körperlicher Verstümmlung eine Rolle spielt, kennzeichnet in bewusst outrierter Weise einzelne Texte aus dem literarischen Werk, darunter der wenig bekannten Lyrik des Philosophen und Schriftstellers Georges Bataille, der wie kaum ein anderer Autor des 20. Jahrhunderts quasi unausgesetzt in immer neuen Anläufen eine Daseinserfahrung umkreist, die an Radikalität und Abgründigkeit ihresgleichen sucht. Bataille imaginiert die willentliche Selbstzerstörung des Ichs auf der Suche nach einem Absoluten, die sich speziell in rauschhaft-transgredierenden Erfahrungen von Leid, Versehrung, Obszönität und Ekel vollzieht. In einer Aufzeichnung aus der 1939-1943 entstandenen Sammlung "Le Coupable" (1944), welche zur gleichen Schaffensperiode wie die meisten seiner lyrischen Texte gehört, spricht Bataille in einer prägnanten Begriffsfügung von seiner Konzeption eines "anthropomorphisme déchiré". So wie es gelte, in jeglichem Sein "le lieu sacrificiel, la blessure" (OC V, S. 261) zu suchen, wird das in "Le Coupable" meditierende Ich (nur) in der Erfahrung des versehrten lebendigen Opfers eines Göttlichen habhaft: "Un être n'est touché qu'au point où il succombe, une femme sous la robe, un dieu à la gorge de l'animal du sacrifice" (OC V, S. 261). In der geistigen Auseinandersetzung mit einer christlichen Theologie, die "jusque dans la nuit du Golgotha" (OC V, S. 262) an der Vorstellung einer vollendeten Welt festhält, erkennt Bataille: "Il faut tuer Dieu pour apercevoir le monde dans l'infirmité de l'inachèvement" (OC V, S. 262). Die imaginierte Tötung Gottes lässt dann an die Stelle eines abwesenden Gottes einen versehrten Gott treten.
Dass Celans Gedichte schwer zugänglich sind, ist bekannt und hat vielfache Gründe, von denen einige bereits zur Sprache kamen und die er besonders im Meridian dargelegt hat, worin er schließlich auf das, was er als ein "Gegenwort" bezeichnet, zu sprechen kommt, etwas, was zu Recht als ein "dichterischer Ausbruch aus verschlissenen Metaphern und banalisiertem Vokabular" aufgefasst werden kann. So gesehen ist gerade auch das Fremde und Unzugängliche dem Gedicht eigen und gehört mit zu seiner besonderen poetischen Sprache. Vor allem auch die hebräischen Worte lassen sich in diesem Kontext als 'Gegenworte' auffassen, die die Hermetik des Gedichts zunächst noch zu verstärken scheinen. Bei genauerer Analyse erweist sich jedoch, dass diese 'Schibboleths', wie man jene in der deutschen Sprache fremden und vielleicht befremdlich wirkenden Worte auch nennen könnte, zwar die Zugänglichkeit des Gedichts erschweren und die Herausforderung an den Rezipienten erhöhen. Werden diese jedoch als Losungsworte erkannt, so sind sie zugleich auch wichtige Erkennungsmale, die einen besonderen Übergang, einen ungeahnten Zugang, mithin eine Öffnung in ein Unbekanntes und Anderes ermöglichen. Zwei Gedichte sollen nun im Folgenden genauer vorgestellt werden. Zunächst wird es um das Gedicht "Schibboleth" gehen, in dessen Titel zum ersten Mal bei Celan ein hebräisches Wort auftaucht. [...] Abschließend soll es um ein Gedicht gehen, dessen letzte Verse in diesem Fall von zwei hebräischen Worten gebildet werden. Am 3. Dezember 1967 schreibt Paul Celan ein eher kurzes Gedicht, das jedoch von einer außergewöhnlichen, zeitlichen wie sprachlichen Vielschichtigkeit ist, und das gern auch als ein 'Jerusalemgedicht' bezeichnet wird.
Este artigo apresenta o "Réquiem a uma Amiga" (tradução no final do artigo) com algumas reflexões ensaísticas sobre o lugar desse poema na obra do poeta R. M. Rilke. Iniciaremos com observações biográficas (os encontros do poeta com a escultora Clara Westhoff e sua amiga Paula em Paris em 1900) que ocasionaram o estudo da pintura de paisagem e um pequeno livro de ocasião de Rilke sobre a colônia de artistas de Worpswede, no norte da Alemanha. O forte impacto que esses encontros - e em particular a análise das telas de Paula Modersohn-Becker em 1905 - tiveram sobre a sensibilidade poética de Rilke contribuíram para a nova forma estilística ('Dingwendung') que se manifesta na obra madura de Rilke. Apresentamos assim um momento de vida e um aspecto específico do desenvolvimento da relação do poeta e de sua obra com as artes plásticas, que ilumina o papel da poesia como trabalho de luto do poeta e como prefiguração das obras da fase madura dos Sonetos e das Elegias.
Neste artigo, proponho a aproximação do poema "Engführung" (1958), do poeta Paul Celan, com o ensaio "Cascas" (2011 [2017]), do historiador de arte francês Georges Didi-Huberman, tomando como ponto de partida a ideia de percurso que atravessa ambas as obras. Para tanto, baseio-me nas leituras que Joachim Seng faz do poema de Celan (1992; 1998), nas quais lê "Engführung" como um trajeto do eu-poético pelo campo de concentração (Auschwitz) que é, ao mesmo tempo, campo da memória e linguagem. Em "Cascas", Didi-Huberman relata o percurso da sua visita a Auschwitz, enfocando o papel do olhar na realização do trabalho da memória. Nesse sentido, ao posicionar lado a lado o poema e o ensaio, estes parecem apontar para modos de olhar e dizer Auschwitz que colocam para o leitor as tensões inerentes a este movimento, não se omitem desta tarefa ética e refletem criticamente a postura individual e coletiva diante da lacuna do testemunho e do que resta do campo de concentração.
In der Forschung findet die Gattung Spam zumeist als linguistisches Phänomen wissenschaftliche Berücksichtigung; insbesondere die sprachlichen Merkmale und rhetorischen Strategien der Vorschussbetrugs-E-Mails werden in diesem Zusammenhang untersucht. Der großen Bandbreite an künstlerischen Versuchen, den digitalen Müll ästhetisch zu verwerten, zu imitieren oder zu thematisieren, wurde bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Vor allem während des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends lassen sich kreative Auseinandersetzungen mit den Werbemails beobachten; hier wirkt zum einen die zunehmende Kommerzialisierung des Internets im Zuge der Einführung des World Wide Web und zum anderen die durch die Installation von Anti-Spam-Filtern hervorgerufene Weiterentwicklung der Textform als schöpferischer Impetus. Der erste Teil der Darstellung widmet sich im Besonderen der lyrischen Verarbeitung des Spams, der zweite Teil befasst sich dann primär mit verschiedenen Formen und Funktionen einer narrativen Aneignung.
Si, dans l'opinion publique, l'oeuvre littéraire de Carl Spitteler a été reléguée au second plan par rapport à ses essais et à ses discours, sa poésie lyrique n'est pas encore reconnue à sa juste valeur. Spitteler lui-même en porte une part de responsabilité, puisqu'il a dévalorisé son oeuvre lyrique en tant qu'étude préliminaire à son oeuvre épique. Contrairement au jugement généralisé selon lequel la poésie de Spitteler ne serait pas lyrique, nous voudrions montrer ici le caractère unique de son oeuvre. Spitteler rejette la 'Erlebnislyrik' romantisante et critique la connaissance éloignée de l'expérience ('Alexanderinertum') en littérature. Ces attitudes se concrétisent dans sa collection "Schmetterlinge" par des représentations exceptionnellement fictives et anthropomorphes de variétés spécifiques de papillons, basées sur une observation botanique minutieuse. Enfin, il convient de souligner la volonté de publier des poèmes selon un principe de collection supérieur. En ce qui concerne les "Schmetterlinge", il est proposé ici d'aborder un plan atmosphérique suivant le plan d'un roman d'artiste.
In diesem Artikel wird argumentiert, dass sich Kernideen des Afropolitanismus in afrodeutscher Gegenwartslyrik wiederfinden, da die Stimmen in den Gedichten aus einem gesellschaftlich zugewiesenen 'Dazwischen' heraustreten, sich mehrfach verorten und Räume, Zugehörigkeit sowie Heimat neu verhandeln. Durch die Gedichtanalyse werden Bewegungen innerhalb der lyrischen Texte "heimatlos [versuch 984]" von Chantal-Fleur Sandjon, Oluminde Popoolas "travelling" und "Dein Land" von Philipp Khabo Koepsell sichtbar, die auf multiple Selbstverortungen der Stimmen verweisen. Die lyrischen Stimmen in den Gedichten bewegen sich aus einem 'Dazwischen' heraus, einem gesellschaftlich konstruierten Raum, der Afrodeutsche als Außenseiter festschreibt. Die Bewegungen in den lyrischen Texten führen zu Grenzüberschreitungen der Stimmen - starre Vorstellungen von Zugehörigkeit werden herausgefordert. In Hinblick auf den Heimatbegriff stellt sich die Frage, was Heimat und Zugehörigkeit für ein vielfältiges Ich in Bewegung bedeutet, das räumliche Grenzen überschreitet, sich mehrfach verortet und sich nicht mehr klar nur einem Raum zuordnen lässt. In Hinblick auf die Wissenschaften in Deutschland fällt auf, dass der Afropolitanismus bisher noch nicht mit lyrischen Texten afrodeutscher Poet*innen in Verbindung gebracht wurde. Der Artikel leistet somit gleich mehreres: Zum einen wird aufgezeigt, wie sich Kernideen des Afropolitanismus in afrodeutscher Gegenwartslyrik wiederfinden. Afrodeutsche lyrische Texte werden dadurch in den internationalen Afropolitanismus-Diskurs mit eingebracht, zum anderen wird jedoch auch die Germanistik 'internationalisiert'. Der Afropolitanismus wird dabei für eine innovative Analyse der literarischen Texte genutzt, die sowohl Teil Deutschlands als auch der afrikanischen Diaspora und der Welt sind. Marginalisierte literarische Texte rücken somit in das Zentrum der Germanistik und zeigen, dass die afrodeutsche Gegenwartslyrik einen vielfältigen und gesellschaftsrelevanten Forschungsbereich darstellt, der dazu beiträgt, die germanistischen Literaturwissenschaften im Sinne einer 'postkolonialen Germanistik' um bisher wenig sichtbare Stimmen, Perspektiven und Geschichten zu erweitern.
This essay examines Agota Kristof's use of the French language in a French-Hungarian edition of her poetry entitled "Clous / Szögek" ("Nails"). Furthermore, the close reading of her collected poems and her autobiography "L'Analphabète" ("The Illiterate") reveals the complexity of Kristof's writing and her creative way to move between the two languages. The analysis of her syntax, her dynamic choice of verbs and the modalities of negation brings to light discursive caracteristics of the Hungarian language, her mother tongue. Lexical nuances reveal the emotional dimension concealed in Agota Kristof's texts while the phonetic dimension of her poetry creates a particular poetic voice. Consulting the archives of the writer preserved in Bern has confirmed the importance of Agota Kristof's linguistic exploration. Close reading of her texts in both languages reveals how childhood memories activate her first language and how her mother tongue helps her to remember past events.
Publicada em alemão no ano de 2000, a coletânea "Post Bellum" de Dragica Rajčić trata das memórias da guerra nos Bálcãs e do princípio de alteridade experimentado pela voz lírica. Este artigo tem por objetivo discutir três poemas dessa coletânea: "suisse like home", "Hunderste gedicht ohne trenen" e "Ein Haus, nirgends". Com foco na figuração da casa, o artigo inicia com uma discussão teórica do conceito de casa e passa a discutir os poemas e as imagens da casa, com interesse, sobretudo, na questão do pertencimento.
Philipp Melanchthon (1497-1560), der heute vorwiegend als Theologe und Mitstreiter der lutherischen Reformation bekannt ist, hat ein umfangreiches Ensemble lateinischer und griechischer Gedichte verfasst, die ein breites Spektrum von Themen und poetischen Formen umfassen. Eine entscheidende Rolle kommt dabei, so das hier vorgetragene Argument, der Motivik und Metaphorik des einfachen, gewöhnlichen Lebens zu, die in Melanchthons Dichtungen stilbildend wirken. Teils im Rekurs auf antike Vorlagen, teils in Anschluss an die biblischen Schriften, entwickelt der Dichter eine Sprache des Alltäglichen, die seiner poetischen Rede ihren charakteristischen Ton des 'sermo humilis' verleiht.
Der hier edierte und übersetzte Text ist Teil einer Sammelrezension ("Poésie"), in der Teodor de Wyzewa 1887 im Februar-Heft der "Revue indépendante" neue Lyrikbände bespricht.
Sie sind ihm Anlass eines grundsätzlichen Nachdenkens über Symbolismus, insofern dieser als eine neue Schreibweise der Lyrik im Gespräch ist und, so Wyzewa, es der Klärung des Symbolbegriffs bedarf, auf den der 1887 bereits geläufige Name der neuen Bewegung verweist.
Die Zeitspanne, während der Georg Trakl lebte und dichtete (also das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert), war, eingebettet in die Hochphase des europäischen Kolonialismus und des bürgerlichen Heroenkultes, geprägt durch eine Hochkonjunktur des Magischen, Mythischen, Okkulten, wie entsprechende mentalitätsgeschichtliche Studien eindrucksvoll belegen. [...] Gegenüber der 'poésie pur' der Symbolisten, welche jenes Aufleuchten der Worte in ein hermetisches Spiegelkabinett sperrten, zeichnet Trakls Dichtung eine besondere Eigentümlichkeit aus: Mit ihren magischen Zeichen webt sie ein imaginatives Panorama jener 'mythischen Lebenswelt', macht sie diese in ihren wesentlichen Strukturen sinnlich nachfühlbar. Damit gibt sie der Sprache Augenblicke einer gleichsam körperlichen Schwere und Tiefe zurück. [...] Die folgende Reise in die Zeichenlandschaft von Trakls Dichtung, die semiologisch wie ein "einzige[s] Gedicht" zu betrachten ist, sollte nicht zuletzt zeigen, dass das Thema 'immanente Magie' dichterischer Sprache es verdient, sowohl vor einem ausgrenzenden, hybriden Rationalismus als auch vor seiner Vereinnahmung durch okkultistische Esoterik bewahrt zu werden.
In poetry, music is often mentioned to express emotions, but it also brings poetry back to its source. Through poems by Eichendorff, Droste-Hülshoff, Baudelaire, Verlaine, Lorca, Rilke and Mandelstam, this article examines a deepening of the relationship between poetry, music and emotion, through which poetry discovers itself by being attentive to what is within itself of the order of the musical or the song.
Die nachfolgende Untersuchung hat nicht nur Sabine Schos Farben-Band zum Gegenstand, sondern will Werke acht weiterer deutschsprachiger Autorinnen und Autoren auf den Gebrauch von Farbworten in den Gedichten hin analysieren. Voraussetzung für die Aufnahme in das Korpus war - bis auf Sabine Scho -, dass mindesten drei Gedichtbände vorliegen müssen, damit eine mögliche Entwicklung oder Veränderung deutlich werden kann. Beachtet werden nur Werke, die nach 2000 erschienen sind oder Autoren, deren Publikationstätigkeit erst kurz vor oder nach der Jahrtausendwende begonnen hat. Diese Kriterien erfüllen Nico Bleutge, Björn Kuhligk, Albert Ostermaier, Steffen Popp, Marion Poschmann, Monika Rinck, Jan Wagner und Ron Winkler. Ausgangspunkt bei der Lektüre ihrer Werke ist die Überlegung, dass Farben markante Adjektive sind, die den Anschein erwecken, als könne in einem schwarzweißen Druckerzeugnis bunte Sichtbarkeit hergestellt werden. Wenn es aber stimmt, dass gerade das "Sichtbare nicht zu den Stärken der Dichtung" gehört, dann können Farbworte in den - zumeist kurzen - lyrischen Texten ein besonderer Brennpunkt sein, der nicht nur eine metaphorisch-symbolische Ebene signalisiert, sondern auch Anschaulichkeit und optische Prägnanz anstreben kann. Das mit Farben ebenfalls verbundene heikle Gefühls- und Stimmungsspektrum wird in der Lyrik im 21. Jahrhundert nicht mehr unbedingt angestrebt; deswegen ist von Interesse, wie mit der emotionalen Gefahrenzone umgegangen wird. Entscheidende Fragen in diesem Zusammenhang sind: Wird Gottfried Benns Warnung vor "Wortklischees" berücksichtigt? Wie oft ist der Himmel blau, die Rose rot und der Baum grün? Werden Komposita gebildet und wenn ja, welche, und wie werden bekannte Farbbezeichnungen in unbekannte Zusammenhänge eingeordnet? Spielen synästhetische Effekte und Vergleiche eine größere Rolle? Wie wichtig ist die Stellung der Farbworte im Gedicht oder im Vers, zu Beginn, am Ende oder unauffälliger mitten im Text? Insgesamt soll über den Fokus Farbe eine allgemeinere Diagnostik gegenwartslyrischer Schreibweisen erstellt werden.
Der Beitrag untersucht die Poetik des anonymen um 1929 erschienenen pornografischen Lyrikbandes "Die braune Blume". Der Text wird im obszönen und pornografischen literarischen Diskurs kontextualisiert. Seine Poetik ist, wie die Analyse zeigt, von einer restriktiven ökonomischen Regel geleitet und von einer einzigen Metapher bestimmt. Im Rückgriff auf Slavoj Žižeks Identifizierung des MacGuffin von Hitchcock mit Lacans Objekt klein a wird die Metapher der braunen Blume als poetisches Floralobjekt gelesen
Anstatt ideengeschichtlich nach 'Motiven' von Luft und Wind zu fahnden, soll es im Folgenden um eine kultursemiotische Erkundung von Zeichenwelten des Windes, der Luft in unterschiedlichen Kulturen und Epochen gehen, mit einem Schwerpunkt auf der modernen Dichtung. Dabei ist es ratsam, sich an markanten Bruchstellen der Kulturgeschichte zu orientieren. Solche Zäsuren stellen nicht nur semantische Verschiebungen und Wechsel des Windes dar, sondern strukturelle Umbrüche der jeweiligen Zeichenformationen: So können etwa mythische Zeichen, die auf der kulturellen Konvention einer magischen Realpräsenz des Bezeichneten beruhen, zu 'Symbolen' oder - nach Peirce'scher Terminologie - 'ikonischen' Zeichen mutieren, das heißt zu Zeichen, deren Produktion "jenen Schein hervorbringt, den wir 'Ähnlichkeit' nennen". Oder 'Symbole' verwandeln sich - z.B. an der Schwelle zur avantgardistischen Dichtung - in Chiffren und Allegorien, mithin in Zeichen, die durch eine ostentative Kluft zwischen Signifikant, der Zeichenmaterie, und Signifikat, dem strukturellen Bedeutungswert, charakterisiert sind. In semiotischer Perspektive bilden die Zeichenwelten Kombinationen aus verschiedenen Bedeutungsmodalitäten, deren überindividueller Sinngehalt sich nicht in begrifflicher Allgemeinheit auflösen lässt. Nach Umberto Eco verdunkelt die isolierte "Bezugnahme auf einen Referenten" des Zeichens eher dessen Signifikat, weil dann der Referent implizit als verengendes Zeichen fungiert, das das ursprüngliche deutet. Die Signifikate einer Zeichenwelt lassen sich nur klären durch viele andere Zeichen, das heißt "durch den Verweis auf einen Interpretanten, der wieder auf einen anderen Interpretanten verweist", also durch einen "Prozeß unbegrenzter Semiose".
Contrairement à sa contrepartie visuelle, qui est ancienne, l’ekphrasis acoustique - la description littéraire d'un son - ne date que de la fin du XVIIIe siècle, moment où l'ekphrasis spécifiquement musicale commence à apparaître comme base pour l'analyse et le jugement esthétique. Son émergence est liée au développement du concept de média. De nombreux cas d'ekphrasis acoustiques dépendent de la possibilité de rendre perceptible le medium par lequel le son, et en particulier le son musical, parvient à l'auditeur. Ces mêmes descriptions ekphrastiques tendent fortement à répéter le processus qu'elles décrivent. Ce qui signifie qu'elles rendent également perceptible le medium par lequel la littérature parvient au lecteur. Ce médium littéraire, cependant, n'est pas l'écriture, du moins pas en premier lieu : il s'agit plutôt d'une condition de résonance que l'écriture partage avec le son qu'elle décrit - une condition à la fois matérielle et émotive. Le mouvement de perception conduisant des phénomènes auditifs et littéraires vers leurs médias permet d'attribuer une signification ontologique à l'esthétique du son et de sa représentation. Deux poèmes issus de mondes culturels différents, de même que leurs mises en musique, serviront à illustrer les dimensions formelles et affectives de ces relations : "Meeresstille", poème de Goethe (1787) et sa mise en musique par Schubert (1815), puis "Far--Far--Away", poème de Tennyson (1893) et sa mise en musique par Ned Rorem (1963).
Auf die als Zürcher Literaturstreit bekannt gewordene philosophisch-ästhetische Heiterkeitsdebatte um Emil Staiger Ende der 1960er Jahre folgte 1982 erneut eine Auseinandersetzung um die Möglichkeiten heiterer Literatur. Den Beginn der neuen Heiterkeitsdebatte in den 1980er Jahren bildet Hans-Jürgen Heises in der Wochenzeitung "Die Zeit" veröffentlichte Klage über die "Übellaunigkeit" der gegenwärtigen Poesie, in der er die "lebenszugewandten und sinnfrohen Verlautbarungen" vermisst. Autoren wie Günter Kunert, Peter Härtling, Karl Krolow, Michael Krüger und Adolf Muschg reagieren kritisch auf diese 'neue' Forderung nach mehr Fröhlichkeit in der Dichtung. In einer rekonstruierenden und kontextualisierenden Untersuchung wird der Frage nachgegangen, ob und inwiefern sich die Argumente der neuen Heiterkeitsdebatte von denen des durch Staigers Forderungen ausgelösten Zürcher Literaturstreits unterscheiden. Damit verbunden ist die These, dass Heiterkeit wieder nur als feuilletonistischer 'Kampfbegriff' verwendet wird, der eine differenzierte Sicht auf Heiterkeit als ästhetische Kategorie letztlich verstellt und die der Debatte eigentlich zugrundeliegende Frage nach dem Verhältnis von Lyrik und Gesellschaft unbeantwortet lässt.
Nach der Befreiung des Konzentrationslagers Theresienstadt am 9. Mai 1945 fand die dort seit Februar inhaftierte Journalistin Eva Noack-Mosse eine kleine Anzahl von Gedichten und Gedichtfragmenten auf "Fetzen armseligen Papiers [...] meist mit Bleistift gekritzelt, vielfach durchgestrichen und verbessert, oft verlöscht und schwer lesbar." Sie wurden der dort am 19. April 1945 verstorbenen Kunsthistorikerin und Dichterin Gertrud Kantorowicz zugeschrieben und gehörten zu der "unübersehbaren Flut" von Versen, die sich laut Hans Günther Adlers monumentaler Geschichte von Theresienstadt über das Lager ergoss. Er sah in den meisten nur "ein einsames Gesellschaftsspiel mit sich selbst," denn noch "ein klapperndes Versmaß verspricht mehr Schutz und Bestand als das Fristen eines zerhämmerten und gnadenlosen Daseins." Geht man aber von der persönlichen Bekanntschaft der jungen Gertrud Kantorowicz mit Stefan George und den hiermit verbundenen lange nachwirkenden Anregungen aus und wird ferner berücksichtigt, welche Rolle im George-Kreis die Antike-Rezeption gespielt hat, so ist es nicht mehr so verwunderlich, dass die meisten Theresienstadt-Gedichte Kantorowicz' in antikisierenden Versformen und im hohen Stil gehalten sind; das ist nicht nur eine unerhörte Verfremdung der herabziehenden und demütigenden Lagererfahrung, sondern auch ein Sich-Erheben über Schmutz, Gewalt und Ungeist, eine ganz persönlich geprägte poetische Selbstbehauptung und Widerstandshandlung. Diesen Zusammenhängen soll im Folgenden nachgegangen werden.
Em 2017, completaram-se os trinta anos do lançamento de Patmos e outros poemas de Hölderlin, primeiro livro de poesia traduzida assinado por Marco Lucchesi. O então jovem poeta percorre uma amostra da lírica de Friedrich Hölderlin por meio da tradução, enquanto experimenta a própria poesia e nos remete à concepção benjaminiana de Erfahrung [experiência], que, como observa Jeanne-Marie Gagnebin, entre outros, "[...] vem do radical fahr-, usado ainda no antigo alemão no seu sentido literal de percorrer, de atravessar uma região durante uma viagem" (GAGNEBIN 1994: 66). Numa reflexão sobre os elementos que vão compondo uma poíesis diferenciada, verificamos que se desenvolve uma Erfahrung como "itinerário" para o futuro percurso de Lucchesi como poeta-tradutor. O presente trabalho propõe-se expor tal "itinerário" não com o intuito de rastrear e analisar exaustivamente as referências que se enfeixam para produzir uma rede algo caótica ou interpretar toda a poesia por vezes hermética que opera essa rede, mas de apontar como, a despeito da condição de criação indomável, numa obra espécie de colagem ou mosaico, Lucchesi lançava-se a uma tentativa de diálogo com a lírica alemã, como parte privilegiada da produção lírica ocidental de diferentes épocas.
The emotional power of poetry: neural circuitry, psychophysiology and compositional principles
(2017)
It is a common experience—and well established experimentally—that music can engage us emotionally in a compelling manner. The mechanisms underlying these experiences are receiving increasing scrutiny. However, the extent to which other domains of aesthetic experience can similarly elicit strong emotions is unknown. Using psychophysiology, neuroimaging and behavioral responses, we show that recited poetry can act as a powerful stimulus for eliciting peak emotional responses, including chills and objectively measurable goosebumps that engage the primary reward circuitry. Importantly, while these responses to poetry are largely analogous to those found for music, their neural underpinnings show important differences, specifically with regard to the crucial role of the nucleus accumbens. We also go beyond replicating previous music-related studies by showing that peak aesthetic pleasure can co-occur with physiological markers of negative affect. Finally, the distribution of chills across the trajectory of poems provides insight into compositional principles of poetry.
Der vorliegende Beitrag setzt sich Zweifaches zum Ziel: erstens, Karl Dedecius' Weg zum renommierten Übersetzer der polnischen Lyrik in Deutschland sowie sein Konzept der Übersetzungskunst zu skizzieren, und daran anschließend – an zwei Gedichten von Wisława Szymborska in der Übersetzung von Dedecius ('Das erste Foto' und 'Katze in der leeren Wohnung') – aufzuzeigen, wie selbst eine große Meisterschaft an bestimmte Grenzen stößt, die dem Übertragen der Lyrik in eine andere Sprache innewohnen.
Kurt Oppert hat, vor allem gestützt auf Rilkes "Neue Gedichte", die Verbreitung der Bezeichnung 'Dinggedicht' initiiert. Obwohl die Forschung längst die Inadäquatheit der meisten Charakteristika, die Oppert unter anderem aus Rilkes Dinggedichten zu destillieren versuchte, herausgearbeitet hat, ist die Bezeichnung noch immer weit verbreitet. Aus guten Gründen, wie die folgende Analyse von "Die Flamingos" vor dem Hintergrund von Rilkes nuancierten kunsttheoretischen Reflexionen des Dingbegriffs zeigen wird.
Allerdings haften der vielfach rejustierten Typusbezeichnung 'Dinggedicht' noch immer hartnäckig und nicht immer offensichtlich Reste einer intuitiven Konstellation von 'Ding' und lyrischem Sprechen an, die einst das Zentrum von Opperts Überlegungen gebildet hatte. Es ist daher das Projekt dieses Beitrags, Rilkes Arbeit an einem neuen, andersartigen Verhältnis von 'Gedicht' und 'Ding' freizulegen. Oppert versteht das 'Dinggedicht' als einen "Gegentypus" zu Goethes "werdende[m] Gedicht mit seiner subjektiven, echt lyrischen Stimmungshandlung ", "der auf unpersönliche, episch-objektive Beschreibung eines Seienden angelegt ist".
Ein "einfach" gebautes Gedicht der 1927 geborenen Christa Peikert-Flaspöhler lässt sich "einfach" interpretieren. Es birgt doch Raum für konnotative Zwischentöne des direkt mit "du" angesprochenen Lesers. Er wird aufgerufen nicht nur mit seinen "Füßen" erdverbunden, realistisch zu bleiben, sondern mit seinen "Flügeln" dem "Lichte der Taube", also der Zuversicht zu folgen.
Erdnähe und Himmelsflug bestimmen das Mensch-Sein; auch "im Ödland" keimt die Hoffnung. Der "Riss", der "lähmt", kann und muss überwunden werden. - Es ist ein "gutes" Gedicht mit einer klaren Botschaft. Die ungekünstelte Analyse kann ebenso auf hochgestochene Begrifflichkeit verzichten, und damit eignet sich dieses Gedicht gut zur Einführung in das Verstehen von Lyrik.
Darüber hinaus kann man das Bild "Füße und Flügel" als literarische Metapher für den Zwiespalt verstehen, überhaupt Gedichte zu schreiben. Dafür werden Belege angefügt, nämlich Stellen aus einem Roman von Martin Walser (2012) und ein Gedicht von Rainer Maria Rilke (1898 / 1909). Eine Gegenposition markiert die literarische Romantik mit einem Gedicht von Joseph von Eichendorff. Gegen das Träumen der Romantiker wendet sich schließlich Ingeborg Bachmann, auf deren Gedicht von 1953 hingewiesen wird.
Der romantische Liedzyklus ist keiner, denn sein Held kehrt nicht zurück. Ausfahrt, Abenteuer und Wiederkunft, das ist das Modell, das das zyklische Denken der musikalischen Klassik strukturiert. Da geht es als Exposition, Durchführung und Coda in die Logik der Komposition ein. Wenn der romantische Held sich hingegen in die Welt begibt, neugierig, sehnsüchtig oder ausgetrieben aus dem nicht länger Erträglichen, so riegelt er das Heimische ab und treibt von nun an im Anderswo. Adornos Charakterisierung der romantischen Musik als Triumph der Variation über das Thema transponiert dieses Narrativ ins Strukturelle der Form, der nun im Sonatenhauptsatz das finale Glied amputiert wird. Noch bevor die Expressionisten sich des O-Mensch-Pathos von Nietzsches vielleicht bekanntestem Gedicht bemächtigten, hatte es schon ein Komponist für sich entdeckt. Im langsamen 4. Satz von Mahlers 3. Symphonie sträubt sich der misterioso vorzutragende Text gegen den vom Kinderchor gesungenen des darauffolgenden Satzes und produziert einen der Mahler'schen Brüche, die für den Hörer entweder eine neurotische Entgleisung oder eine lustvolle Reibungsfläche darstellen. Die Lektion der Mitternacht, die Dunkel über Tageslicht stellt und damit zum Ewigkeitsbezug führt, scheint nicht allzu weit entfernt von den Hymnen des Novalis, und in der Reihung Dunkel-Lust-Ewigkeit sind auch Tristan und Isolde nicht allzu fern.
Pascal Dusapin, geboren 1955, hat in Paris bei Xenakis studiert und ist anfänglich fasziniert von dessen, letztlich wohl von Edgar Varèse ausgehenden, Operationen mit Klangmassen, die er aber spätestens in den 1990er Jahren für deutlich filigranere Strukturen, die oftmals von Mikrotonalität geprägt sind, aufgibt. In seinen Kompositionen, die auf Textvorlagen zurückgreifen, lässt Dusapin sich wiederholt von der deutschen literarischen Tradition inspirieren. Eines seiner drei jeweils als Requiem bezeichneten Chorwerke aus den Jahren 1992-97 vertont acht mittelhochdeutsche Gedichte von Meister Eckhardt, wobei die sparsame Expansivität des Klangmaterials der intensiven Gottsuche des Mystikers nicht völlig gerecht zu werden scheint.
Die asklepiadeischen Ode Herders "Germanien" spiegelt die Zeit des ausgehenden 18. Jh. in Mitteleuropa wieder und zeigt gleichzeitig den Wunsch Herders nach einem Großgermanien. Grundlage hierfür ist das Aufkommen nationalen Gedankenguts, auslösend durch die Französische Revolution. Gleichzeitig rückt die damit verbundene Bedeutung der (National)Sprache in den Vordergrund. In seiner Schrift "Eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit" formulierte Herder die These, dass die "Mächte der Geschichte", wie Nationen, Epochen jeweils ihren eigenen Wert in sich tragen und unabhängig vom Betrachter zu beurteilen sind. Herder gilt damit als einer der Erfinder des (aufklärenden) Nationalismusbegriffs (vgl. Mende 2014). Seine Vorstellung über den Begriff Nation unterscheidet sich allerdings vom bekannten Konzept des Nationalismus im 19. Jahrhundert, denn Herder zufolge bestimmen zum Einen die Gleichwertigkeit und zum Anderen die Diversität den Charakter der Nationen. Diese sind im Besonderen durch den Genius der Volksart und der Sprache bestimmt (vgl. Mende 2014).
Dieser Beitrag befasst sich mit der Vorstellung Herders einer Nation Germaniens, das durch die deutsche Sprache zusammengeschlossen wird. Als Beleg für Herders Nationenvorstellung dient seine Ode: 'Germanien'. Diese Arbeit wird sich zuerst dem Begriff Ode (auch nach Herder), dann dem Verständnis der Nation(en) und schließlich der Interpretation widmen, die am Ende dieser Abhandlung in einem Resultat mündet.
Während seiner Zeit als Kapellmeister am Kasseler Hoftheater (1883-1885) war Gustav Mahler (1860-1911) unglücklich in die junge Sopranistin Johanna Richter verliebt. Als Wurzeln des mahlerschen Kunstschaffens lassen sich fast immer auch biografische Erlebnisse nachweisen. So ist die früheste seiner erhaltenen Kompositionen - "Das Klagende Lied" nach einem Text aus Ludwig Bechsteins seinerzeit überaus populärer Märchensammlung von 1856 - wohl durch den Abschied von seiner Geliebten Josephine Poisl angeregt.
Mahlers Liebe zu Johanna Richter blieb offenbar einseitig, und er verarbeitete seine Bitternis nach der Trennung von seiner Geliebten (Jahresende 1884) in sechs Gedichten, von deren Vertonungen allerdings nur vier erhalten sind - zunächst für Gesang mit Klavier-, später mit Orchesterbegleitung:
Wenn mein Schatz Hochzeit macht
Ging heut' morgen über's Feld
Ich hab' ein glühend Messer
Die zwei blauen Augen
Wie für sein Chorwerk "Das Klagende Lied" hat Mahler für diese Vertonungen die Texte selbst verfasst, und wie er für sein "Märchenspiel" auf einen volksliterarischen Text von Ludwig Bechstein zurückgriff, so sind auch seine "Lieder eines fahrenden Gesellen" durch ähnliche Quellen angeregt und geprägt.
Silke vom Berg liefert eine imagologische Studie, in der sie den überwiegend xenophoben Türken-Bildern in lyrischen Texten nachgeht und das nicht nur im Vormärz negative Image dieser Besatzer historisch herleitet. Mit dem 2005 erschienen Corpus "Philhellenische Gedichte des deutschsprachigen Raums", zusammengetragen und herausgegeben von Michael Busse, liegt nun eine rund 670 Gedichte, Balladen und Lieder umfassende Sammlung vor. Die Fülle mag nicht nur angesichts der thematischen Engführung auf das historische Ereignis verwundern, sondern auch hinsichtlich der zeitgenössischen Beliebtheit des künstlerischen Klein-Formats. Der vorliegende Beitrag nähert sich diesen Phänomenen auf den Pfaden philhellenischer Selbst- und Fremdbilder. Letztere figurieren in der Lyrik der Philhellenen vornehmlich als Orientalen und Türken, welche in auffälliger Häufung als Kannibalen, Dämonen und Kindsmörder verunglimpft und entmenschlicht werden. Hingegen hebt sich das zu verteidigende 'Selbst', repräsentiert durch Deutsche, Philhellenen, Hellenen und Neugriechen, als edel, tugendhaft und heldenmütig ab. Der vorliegende Beitrag soll jedoch nicht erneut dazu beitragen, dichotome Freund-Feindbilder figurativ und motivisch zu unterfüttern - das Material böte hierfür schier endlose Möglichkeiten -, sondern er richtet sein Augenmerk auf Knotenpunkte, in denen historische und zeitgenössische Diskurse zusammenlaufen und eine innerdeutsche Gemengelage in Relation zu ethnisch-kulturellen Konzepten tritt.
İngeborg Bachmann (1926-1973) en önemli Alman şairlerdendir. Seçilen şiir "Sieben Jahre später" [yedi yıl sonra] (1953) dili ve vezni bakımından dikkat çekici ölçüde doğaldır. "Açık üslubu"yla şiir giriş dersi için çok uygundur. Çok güçlü yan anlamlardan beslenmektedir: Çağrışımlı fikir bağlantıları bizi hayalimizde şairin ardından (sadece "tipik bir Avusturya problemi" olarak değilse de) Nazi ideolojisinden kendini pek az kurtarabilmiş olan memleketi Klagenfurt’a sürüklemektedir.
Buna karşılık "romantik özlem" ve klasik Goethe hatırası hemen hiç söz konusu olmuyor. Yazarın (aynı şekilde ortak düşündüğü) çağrısı çaresizlikten doğuyor. – Böyle bir metin için bilimsel yorum sanatının zahmetine girmeye de gerek yok. Bazen şiirdeki ve açıklamadaki yalın sözler daha çok şey anlatıyor. Şair kendisini toplumsal gerçeklikte bir şeyler "değiştirecek güç" olarak görmektedir. Bu 2013 yılında da güncelliğini korumaktadır.
Mein Aufsatz widmet sich einigen Gedichten des 20. Jahrhunderts, in denen Wahrnehmungserfahrungen in Städten bzw. Großstädten wie etwa Paris, Tübingen, New York, Köln oder Rom formuliert und lyrisch aufbereitet sind. Dabei geht es mir um eine kritische Prüfung des in den Literaturwissenschaften stark dominierenden Verständnisses von Großstadtlyrik. Diese kritische Prüfung vollzieht sich im Folgenden anhand der Kategorie der Stimmung. Mit dieser Kategorie verbindet sich ein in der Forschung zur modernen Großstadtlyrik bisher kaum entwickelter theoretischer Zugriff, der vorab in aller Kürze mit dem Schlagwort 'Neue Phänomenologie' zu bezeichnen ist. Ich werde also für einen theoretischen Paradigmenwechsel plädieren und den Vorschlag machen, über Großstadtlyrik neu und anders nachzudenken, als dies die germanistische und vor allem komparatistische Forschung im Grunde bis heute tut. Bisher waren und sind die einschlägigen Arbeiten zu dieser Thematik stark beeinflusst von den Baudelaire-Studien Walter Benjamins, genauer gesagt von der von Benjamin an Baudelaire untersuchten Wahrnehmungskrise als einem vermeintlichen Signum moderner Großstadterfahrung. Bekanntlich sah Benjamin in den Paris-Gedichten Baudelaires eine sogenannte Choc-Erfahrung angelegt, die vor allem in Baudelaires berühmtem Gedicht 'A une passante' artikuliert sei. Der Tenor der Forschung zur Großstadtlyrik liegt seither auf der Deutung moderner Lyrik als Ausdruck einer Wahrnehmungskrise, die insbesondere durch die Arbeiten Silvio Viettas geradezu kanonisch wurde.
Wie Projektionen der eigenen politischen Vorstellungen auf literarischem Gebiet funktionieren, wie mittels Auto- und Heteroimages in der Lyrik politisch Stellung bezogen wird, zeigt Heiko Ullrich. Von Bedeutung ist in der Literatur nicht nur der Bezug zum alten Griechenland, sondern auch zum Christentum. Mit Kreuzzug-Motiviken verleihen deutschsprachige Poeten dem griechischen Unabhängigkeitskrieg eine religiöse Motivierung und Rechtfertigung.
Albert Ostermaiers Werk nimmt eine Sonderstellung ein in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: zum einen weil sich der Autor mit großer Selbstverständlichkeit in allen Gattungen bewegt und zum anderen, weil er intertextuelle und intermediale Bezüge ungewohnt offen verarbeitet und damit offensiv ausstellt, dass die schriftliche Literatur (zumal im 21. Jahrhundert) immer auch von anderen Künsten profitiert und aus diesen 'gemacht' ist. Vergleichbare Bezüge sind schon einigen Werktiteln zu entnehmen wenn Dramen 'Tatar Titus', 'The Making Of B.-Movie' bzw. 'Radio Noir' und Gedichtbände 'Autokino' und 'Wer sehen will' heißen. Bezüge zu Shakespeare klingen damit ebenso an wie zur amerikanischen Tradition der billigeren kleineren Filmproduktion, zum Hörmedium des Radios wie auch zu der einer bestimmten Form der Filmrezeption; und nicht zuletzt zur Photokunst, wenn sich in 'Wer sehen will' alle Gedichte auf die abgebildeten Photos Donzellis beziehen. Diese Mischung aus so genannter hohen und populärer Kultur ist kennzeichnend für Ostermaiers unbefangenen Umgang mit kulturellen und ästhetischen Traditionen. Das zeigt auch der kleine Band mit dem Titel 'Der Torwart' ist immer dort, wo es weh tut. Die Populärkultur des Sports wird in diesem Band gattungsübergreifend verhandelt: Die Sammlung beginnt mit drei lyrischen 'ode[n] an kahn'; findet später ihre Fortsetzung in einer dramatisch-dialogischen Szene 'Eins mit der eins' während im Rest des Bandes so genannte epische Texte dominieren und essayistisch-philosophische Gedanken versammeln, die um den Fußballsport kreisen. Dabei schreibt sich Ostermaier mit der Ode in eine lyrische Tradition ein, die schon in der Antike begonnen hat, während er in den epischen Texten über aktuelle und alltägliche Fußballangelegenheiten nachdenkt, über einen Sport also dem massenhafte Aufmerksamkeit zuteil wird und der globale schichten- und klassenübergreifende Beachtung findet.
Das goldene Zeitalter der Hyperfiktion mit ihrer Multilinearität sei vorbei - verkündete im Jahre 2001 ausgerechnet Robert Coover, der doch zehn Jahre zuvor die Geburt der Hyperfiktion in seinem eindrucksvollen Artikel 'The End of Books' (The New York Times, 21. Juni 1992) begrüßt hatte. Der um den Jahrtausendwechsel spürbare Boom zahlreicher deutschsprachiger Mitschreibprojekte im Netz unter Schlagwörtern wie 'verknüpftes Schreiben', 'soziale Interaktivität' und 'kollektives Gedächtnis' scheint ebenfalls nur einige Jahre überdauert zu haben. Was ist von den einmal so hoch gelobten digitalen Literaturen noch geblieben? Für jemand, der trotz vieler Enttäuschungen und Misserfolge den elektronischen Raum als literarisch kreatives Medium noch nicht aufgegeben hat, könnte diesmal digitale Poesie ein neuer Hoffnungsträger sein. Digitale Poesie hat sich ungeachtet des Abstiegs anderer Formen mittlerweile als florierender Zweig erwiesen. Digitale Poesie akzentuiert nicht mehr die Initiative des Lesers durch mehrere 'Wahlmöglichkeiten', sondern konzentriert sich darauf, dem Leser den aktuellsten Stand der hypermedialen Ästhetik und Technik auf einem breiten experimentellen Feld zu vermitteln. Abgesehen von dem meist genannten Grund, dass man auf dem elektronischen Bildschirm offenbar immer noch - zumindest über einige Generationen hinweg - lieber Poesie als Prosa rezipiert, verdankt sich dieser Überlebensantrieb der digitalen Poesie einer weiteren literarhistorischen, oder besser: kunstgeschichtlichen Folie. Im Vergleich zu anderen Formen hat die digitale Poesie von Beginn an mit ihrer Anschlussfähigkeit an die literarischen Experimente in der Poetik Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Während die neuen Gattungen der Hypertexte sich eher auf eine völlig neuartige Ästhetik beziehen wollten, hat die digitale Poesie einen anderen Weg beschritten, nämlich den, sich als Erbe der avantgardistischen Moderne zu bezeichnen.
A partir da tensão entre variações do dito e do não-dito e entre figuras de luz e sombra, a obra de Paul Celan performa um certo enfrentamento da condição de silêncio e de obscuridade – de onde seu estigma como obra hermética –, rompendo, a um só tempo, com um certo modo de fazer poesia e de se relacionar com a realidade. Nesse sentido, a obra de Celan não se deixaria resumir a uma espécie de hermetismo, categoria demasiadamente vaga para dar conta da singularidade de sua obra. Em sua obra, dizer e calar seriam, antes, os termos de articulação de uma relação que instaura o espaço poético em que se inscreve o poema. Em diversas ocasiões o próprio poeta tentaria refutar a insistência de alguns críticos em rotular sua obra como obscura. A despeito de seu caráter fragmentário, o manuscrito recém-publicado de seu projeto de conferência intitulado "Sobre a obscuridade do poético" constitui uma das discussões mais extensas de Celan sobre a questão da obscuridade na poesia. Este trabalho tem por objetivo apresentar esse conjunto de fragmentos de seu projeto de conferência e apontar sua importância para a discussão da noção de obscuridade na obra de Paul Celan.
Die Szene der Einfluß-Angst und ihre Vorgeschichten : Lyrik und Poetik beim frühen Hofmannsthal
(2012)
Die vielleicht elementarste Antwort auf die Frage, warum erzählt werde, lautet, dass für das Dasein der Dinge eine Herleitung, eine aus der Genese entwickelte Begründung gegeben wird. Das factum wird auf das facere zurückgeführt, dem Sein eine Vorgeschichte gegeben. Die erzählte Vorgeschichte legitimiert einen Zustand aus seinem Gewordensein, der begründenden Hauptgeschichte wird eine begründende Vorgeschichte zuteil. Diese Erzähl- und Denkform ist offenkundig so elementar und zugleich so universell, dass sie sich auf ihre eigene Form anwenden lässt und permanent angewandt wird. Erzählt jemand eine Vorgeschichte, dann wird ihm die Frage gestellt werden, was die Vorgeschichte dieser Vorgeschichte gewesen sei. Die begründungsaffine Narrationsform der Vorgeschichte schematisiert nicht nur die Denkform der Kausalität vor, sie formiert nicht nur die Temporalität, sie öffnet vielmehr auch in grundsätzlicher Weise die symbolische Explikation des Weltverständnisses überhaupt, indem sie zu jeder Geschichte eine weitere, sie begründende Geschichte hinzufügt und so ein Gewebe von Geschichten etabliert, welches in zunehmender Verdichtung die Zusammenhänge dessen darstellt, was wir Welt nennen.
Es gibt, neben zahlreichen Bezugnahmen im Zusammenhang umfassenderer Fragestellungen, fünf größere Arbeiten, die sich ausschließlich auf Hugo von Hofmannsthals Gedicht "Ein Traum von großer Magie" konzentrieren. Reizvoll an diesen Arbeiten ist unter anderem der Umstand, dass sie in größeren zeitlichen Abständen erschienen sind, und somit auch etwas von den sich wandelnden Erkenntnissen, Modetrends und Verlegenheiten der Fachgeschichte selbst transportieren. Der frühe Aufsatz von Martin Stern gibt einen eingehenden editionsphilologischen und geistesgeschichtlichen Kommentar zu diesem Gedicht, das von der Forschung bis dahin, wie Stern betont, öfter gelobt als gedeutet [wurde]. Es gehört nach allgemeiner Auffassung zu seinen vollendetsten und dunkelsten und gilt gemeinhin als 'unausschöpfbar'.
Das Gedicht 'Verse, auf eine Banknote geschrieben' unterscheidet sich in der Formensprache derart von der frühen Lyrik Hofmannsthals, dass sich beinahe der Eindruck eines absichtsvoll Schlechten herstellt. Es handelt sich um Gedankenlyrik, die kaum etwas von der subtilen Widerständigkeit und traumhaften Hermetik aufweist, die an der Lyrik des jungen Hofmannsthal bewundert worden ist. Andererseits ist der Gedankengang so scharfsinnig und verdichtet durchgeführt, dass der Text trotz der konventionellen Form den meisten Zeitgenossen vermutlich unzugänglich gewesen wäre. Das Raffinierte des Texts besteht in einer merkwürdigen Dialektik von Mimesis an den besprochenen Gegenstand und Selbstverleugnung in einer Poetik der Nichtidentität.
Feingesponnene Gedichte, wie sie das lyrische OEuvre Hofmannsthals aufweist, erfordern vom Wissenschaftler theoretische Zurückhaltung, hermeneutische Diskretion. Deswegen nehmen nachfolgende Überlegungen ihren Ausgang nicht von Abstraktionen wie etwa dem im Titel geführten Begriff "Subjektivität", sondern von Beobachtungen, die aufgrund ihrer Textnähe leicht nachvollziehbar sein dürften. Diese gelten zudem einem Gebilde, das, obzwar intrikat gefügt, an das unmittelbare Verständnis keine allzu großen Anforderungen stellt. Gemeint ist der erstmals 1892 in den "Blättern für die Kunst" veröffentlichte Text "Vorfrühling".
Trotz seiner Abneigung gegen die lyrische Form schrieb Schmidt in den 1950er Jahren einige beachtliche Gedichte. [...] Obwohl gerade diese Gedichte mit ihrer ausgreifenden, originellen Metaphorik und ihren zahlreichen Anspielungen der Deutung bedürfen, ist bisher keines eingehend analysiert worden. Wo überhaupt einzelne Gedichte betrachtet wurden, ist dies in größeren Zusammenhängen ohne die eigentlich nötige genaue Ausdeutung geschehen. Die vorliegende Arbeit soll am Beispiel des 1950 entstandenen Widmungsgedichts zu "Brand's Haide" – "Der goldgetränkte Himmel über mir" – zeigen, dass eine tiefer gehende Analyse Schmidtscher Gedichte durchaus ergiebig sein und einen weiteren Blick auf die Werkgeschichte eröffnen kann. Auch zu diesem Gedicht liegt bisher – außer einigen Bemerkungen in zwei Überblicken über Schmidts lyrisches Schaffen bzw. über die Paratexte der Erstausgabe von "Brand's Haide – keine Interpretation vor.
Nach einem Besuch beim Ehepaar Simmel berichtet Max Weber seiner Frau, dass sie sich hinsichtlich der religiösen Autorität Stefan Georges einig seien: "[D]aß er 'Prophet' werden möchte, halten auch sie für einen Fremdkörper." Doch wie fremd nimmt sich dieser Anspruch tatsächlich aus, sei es in der Zeit um 1900, sei es im lyrischen und/oder ethischen Werk Stefan Georges? Was bedeutet es zudem, einen Gott auszurufen, der nach Friedrich Nietzsche längst tot war, und welche Folgen hat die Wiederkehr Gottes für dessen Seher? Gerade diese Frage scheint mir für Georges Prophetie zentral zu sein. Denn das exklusive Wissen von Gott, dessen wohl konkreteste Bezeichnung Maximin ist, restituiert nicht bloß die Opposition von einerseits einem Absoluten und andererseits den Menschen; es mündet zudem in der Autorisierung des einen Propheten, der einzig und allein unmittelbaren Zugang zu Gott gefunden haben will. So ist letztlich er es, über den das Göttliche seine Rückkehr in die entzauberte Welt feiert, sieht und verkündet dieser doch, was ausgehend vom Leben Maximilian Kronbergers wirkungslos geblieben war. Das Göttliche inmitten der "Mechanisierung", wie Friedrich Gundolf das "Zurücktreten der Götter aus der Zeit" um 1900 beschreibt, wird also weniger durch Maximin als durch dessen Mythos reanimiert, kraft der Erkenntnis, der Sprache und nicht zuletzt der subjektiven Kriterien Stefan Georges.
Dass dieser hierbei nicht nur initiierend auftritt, sondern vor allem auch als größter Nutznießer aus einem Maximin-Kult hervorgeht, will der Aufsatz ausgehend von Georges Auftaktgedicht zu Auf das Leben und den Tod Maximins, von Das Erste, herausstellen. Methodologisch erweist sich hierbei eine produktionsästhetische Argumentation zur Erschließung wesentlicher ästhetischer Leerstellen in Georges Lyrik als vielversprechend. Prophetische Dichtung fordert nämlich sowohl im Allgemeinen als auch im besonderen Fall Stefan Georges stets zugleich ästhetische wie soziale Implikationen zu berücksichtigen.
Die kulturhistorische Forschung hat Gertrud Kantorowicz (1876-1945) - anders als ihren Cousin, den berühmten Mediävisten Ernst Kantorowicz - nur gelegentlich beachtet. Dabei hat die Simmel-Vertraute, promovierte Kunsthistorikerin und wohl einzige Dichterin des George-Kreises ein nicht unbeträchtliches Werk hinterlassen, darunter etwa eine bislang nicht gewürdigte Reihe von Michelangelo-Nachdichtungen und die bedeutende Übersetzung von Bergsons "L'évolution créatrice".
In einem Brief vom 15.10.1907 an Clara Rilke beschreibt Rainer Maria Rilke die Zeichnungen und Aquarelle der kambodschanischen Tänzerinnen, die Auguste Rodin voller Bewunderung in Paris und Marseille im Jahr 1906 angefertigt hatte: "Da waren sie, diese kleinen grazilen Tänzerinnen, wie verwandelte Gazellen; die beiden langen, schlanken Arme wie aus einem Stück durch die Schultern durchgezogen, durch den schlankmassiven Torso (mit der vollen Schlankheit von Buddhabildern), wie aus einem einzigen langgehämmerten Stück bis an die Handgelenke heran, auf denen die Hände auftraten wie Akteure, beweglich und selbständig in ihrer Handlung. Und was für Hände: Buddhahände, die zu schlafen wissen, die nach alledem sich glatt hinlegen, Finger neben Finger, um jahrhundertelang am Rande von Schonen zu verweilen, liegend, mit dem Innern nach oben, oder im Gelenk steil aufgestellt, unendlich stilleheischend. Diese Hände im "Wachen: denk Dir. Diese Finger gespreizt, offen, strahlig oder zueinander gebogen wie in einer Jericho-Rose; diese Finger entzückt und glücklich oder bange ganz am Ende der langen Arme aufgezeigt: sie tanzend. Und der ganze Körper verwendet, diesen äußersten Tanz im Gleichgewicht zu halten in der Luft, in der Atmosphäre des eigenen Leibes, im Gold einer östlichen Umgebung."
In einer poetologisch reflektierenden und dabei, charakteristisch für den Dichter, äußerst begeisterten Sprache ("Da waren sie ... ", "Und was für Hände") holt Rilke durch den überraschenden Vergleich der lebhaften Tänzerinnen mit der Buddhagestalt das Sakrale in die Sphäre der Kunst und die Kunst in die Sphäre des Sakralen. Der Tanz als ein Ausdruck des Sakralen und Tänzer als die Beschwörer des Heiligen haben seit je in vielen Traditionen der Welt, vor allem aber im Orient, tiefe kulturelle Wurzeln. Dabei zeigt sich bereits die enge Verbindung von ästhetischer Religiosität und religiöser Ästhetik.
In dieser Betrachtung wird versucht, die Besonderheiten und Schwächen von Ehrensteins 'Pe-Lo-Thien' zu erläutern und aus einer chinesischen Perspektive zu bewerten, ob seine Nachdichtungen den ursprünglichen Stil und Wert von Pe Lo Thiens Gedichten beibehalten, ferner: durch die Analyse der Hauptthemen und des Sprachgebrauchs herauszufinden, ob seine Nachdichtungen expressionistische Elemente enthalten. Außerdem wird Pe Lo Thiens Gedicht 'In der Nacht einen Singenden hören. Übernachten in E Zhou' mit Ehrensteins Nachdichtung 'Ein Mensch weint in der Nacht' und mit Klabunds Nachdichtung 'Das nächtliche Lied und die fremde Frau' verglichen, um die Mehrdeutigkeit von Pe Lo Thiens Gedicht aufzuzeigen und einige Unterschiede zwischen der westlichen und der chinesischen Dichtung zu verdeutlichen.
Dichterische Entwürfe des Speisens, Schlemmens und Trinkens, des Kochens und Hungerns sind allerding keine neue Erfindung, vielmehr haben sie eine Tradition, die bis in die Antike zurückreicht. Zum facettenreichen Essensmotiv zählen - neben den Nahrungsmitteln selbst - zum Beispiel deren Zubereitung und Aufnahme. Die Organe des Kauens, Schluckens und Verdauens, der Hunger nach und die Verweigerung von Essen und die dem Speisen innewohnende sinnlich-erotische Komponente. Dies alles wird in zeitgenössischen Gedichten auf vielfältig Weise gestaltet. Was aber macht da Essensmotiv gerade heute so attraktiv, und in welchen Bedeutungszusammenhängen kommt es vor? Worin unterscheidet es sich vom Motiv des Essens in früheren Texten? Der vorliegende Aufsatz diskutiert drei wesentliche Kontexte des Motivs in der deutschen Gegenwartslyrik.
Das Gedicht 'Boas' erschien erstmals im Mai 1912 in der avantgardistischen Zeitschrift "Der Sturm", die Lasker-Schülers Ehemann Herwarth Walden herausgab. Gemeinsam mit den Gedichten 'Ruth' und 'Pharao und Joseph!' veröffentlichte die Autorin es 1913 erneut in der Zeitschrift Die Freistatt, wobei im vorletzten Vers statt „Ueber seine Korngärten“ die Variante „In seine Korngärten“ zu lesen war. Was auf der Oberfläche ein sentimentales Liebesgedicht (i.e. 'Boas') zu sein scheint, erweist sich bei einer näheren Betrachtung, die die biblische Rut-Novelle einbezieht und den biographischen Konnex sucht, als … mnemosynetisches Gedicht, die poetische Erinnerung an ein gescheitertes Projekt in der Literatur wie im Leben.