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"Ich soll nicht zu mir selbst kommen" : Werther, Goethe und die Formung des Subjekts in der Moderne
(2006)
Die Leiden des jungen Werther: Sie gehen aus einem neuen Reflexions- uns Ausgleichungsbedürfnis hervor, aus der Suche nach einem konsistenten Ich. Werther erlebt die kognitiven und affektiven Veränderungen, die die Moderne heraufführt, und aus diesen Erfahrungen geht sein Verlangen nach Einheit hervor (...). Die Suche nach dem einheitlichen, festen, verläßlichen Ich hält den Briefroman zusammen, und die Gattungswahl korrespondiert mit der Fragestellung, denn das Medium des Briefes hat im 18. Jahrhundert seine rasante Ausbreitung erfahren, weil ein historischneuer Individualitätstyp aufgetreten ist und das Bedürfnis nach einem entsprechenden anthropologischen Diskurs vorhanden war. Die übergreifende Frage nach der Identität verbindet auch die scheinbar so verschiedenen Themen im ‚Werther’: Natur, Liebe und Gesellschaft.
"Wiederholte Spiegelungen" heißt die neue Ständige Ausstellung im Goethe-Nationalmuseum. Sie wurde durch die politische Wende Anfang der neunziger Jahre nötig und zum Weimarer Kulturstadtjahr 1999 fertig und eröffnet, ist damit nun seit sieben Jahren zu sehen. Der Titel geht - natürlich - auf Goethe selbst zurück, auf ein kurzes Dankesschreiben an einen Bonner Professor, der ihn im Jahre 1822 durch ein kleines Büchlein über Sesenheim an seine eigene Jugendzeit und Jugendliebe dort zurückerinnert hatte. ...
Zu dem umrätselten Gespräch, das Napoleon 1808 mit Goethe über den "Werther" geführt hat, kursieren zwei Auflösungen, die beide mit Goethes Äußerungen nicht zur Deckung zu bringen sind. Unbeachtet geblieben ist eine Erklärung aus dem Jahre 1902, die sich aus den Aufzeichnungen K. E. Schubarths ergibt. Sie stimmt nicht nur mit Goethes eigenen Andeutungen überein, sondern macht auch sein Schweigen über dieses Gespräch verständlich.
Die Propyläen als Toranlage, die zur Akropolis führt, gaben der Kunstzeitschrift Propyläen (1798-1800) den Namen. Goethe gab sie heraus, um durch sie – wie durch ein Tor – die Kunst der Gegenwart zur Orientierung an der Antike zu führen. Das für die Zeitschrift grundlegende Motiv des Tores spielt eine Rolle auch in einem Artikel „Ueber Etrurische Monumente“, den Goethes Freund und Mitarbeiter Johann Heinrich Meyer anonym im ersten Band der Propyläen (S. 66-100) veröffentlichte.
"Wie ein ungeheures Märchen" : Johann Caspar, Johann Wolfgang und August Goethe im Petersdom in Rom
(2006)
Die Baugeschichte des Petersdoms in Rom, wie er sich dem Blick des neuzeitlichen Betrachters darstellt, ist das Resultat eines großen Abbruchunternehmens ebenso wie eines gewaltigen Neubaus. Von „schöpferischer Zerstörung“ hat Horst Bredekamp mit Blick auf die Baugeschichte von Neu St. Peter in Rom seit 1506 gesprochen. Als Johann Wolfgang Goethe, den Spuren seines Vaters folgend, 1786 auf seiner „Hegire“ das antike Rom und den Petersdom erblickte und sich damit in die südliche Kunstwelt „initiiert“ fühlte, konnte er kaum einschätzen, dass sein Neubau der deutschen Litera-tursprache ein ähnlich gewaltiges und gewaltsames Abbruch- und Aufbauprojekt sein könnte, wie der sich über mehr als ein Jahrhundert erstreckende Neubau der Papstkirche in Rom. Die „römischen Glückstage“, deren Stimmung und Kunstgefühl sich Goethe noch 1829, bei der Edition des „Zweiten römischen Aufenthalts“, in die „kimmerischen“ Nächte des Nordens holte, versuchte sein Sohn August 1830 auch für sich zu reklamieren. Doch endete dessen zu spät unternommene Flucht in einer Tragödie. August von Goethe starb zehn Tage, nachdem er die Kuppel des Petersdoms im Glanz der Morgensonne gesehen hatte, an einem Schlaganfall in Rom. Von dem Schock, der ihn im November 1830 durch die Nachricht vom Tod des Sohnes ereilte, hat sich Johann Wolfgang Goethe nicht mehr erholt.
Goethes Naturdenken ist an jener historischen Nahtstelle anzusiedeln, an der sich die europäische Menschheit mit Hilfe von Wissenschaft und Technik aus den drückenden Zwängen der Natur zu befreien und sich ihres Verstandes in freier Wahl zu bedienen vorgenommen hat. Der spezifisch neuzeitliche Akzent, der diesem Vorhaben anhaftet, lautet: Die Entfremdung von der Natur ist die Bedingung der menschlichen Freiheit und ihrer Herrschaft über die Natur, doch versuchen schon die Menschen des späten 18. Jahrhunderts, ästhetisch wiederzugewinnen, was sie in der realen Beziehung zwischen Mensch und Natur verloren haben. Der Aufsatz versucht eine sozialgeschichtliche Einordnung von Goethes Naturdenken auch in die zeitgenössischen Erfahrungen der elementaren Naturgewalten, in Gewitter, Feuersbrunst und Hagelschlag, um die Innovationskraft dieses Denkens und ihres ästhetischen Ausdrucks zu belegen. Goethe hat sich zunächst dem Diskurs über die Theodizee angeschlossen, der nach dem großen Erdbeben von Lissabon lebhafter und heftiger wurde als je zuvor, ist dann aber rasch über diesen Diskurs hinausgeschritten, um den Menschen in seiner Glücksfähigkeit von allen anderen Naturwesen zu unterscheiden.
Zu Goethes Stellung in der Literatur um 1800 gab es vor allem bezüglich der Frage Klassik oder Romantik bzw. zwischen Klassik und Romantik schon lange Diskussionen, die alle die ästhetische Anarchie der Zeit nicht berücksichtigten. Sie kalkulierten daher nicht ein, dass der Schriftsteller, wie oben anhand der "Lehrjahre" gezeigt, nach dem Abschluss eines Werks einfach eine andere, verschiedene Poetik aufgreifen konnte und der ständige Wandel ein Grundmuster seiner literarischen Laufbahn ist. Im folgenden geht es vor allem darum, die unterschiedlichen ästhetischen Auffassungen zu zeigen, die er in dem sich allmählich verschiebenden Literaturbereich der Zeit einnahm. Und so wenig typisch oder vielmehr ausgesprochen individual und sogar goethe- und geniegemäß seine Haltung auch sein mag, sagt sie doch einiges über die Formen der Disloziierung gegenüber überlieferten, eher festen Verhaltensmustern - solchen eines Epochenstils -, die nun möglich waren und sich ergreifen bzw. nutzen ließen. Schließlich war Goethe insgesamt ein recht fruchtbarer Dichter, dessen Werk allerdings größten Schwankungen unterlag - die Spannbreite zwischen dem Besten und dem Belanglosesten (höfische Gebrauchsliteratur, Singspieltexte), ist nirgendwo so groß wie bei ihm. (Bei Tieck zeugen auch die schwächsten Werke noch von einem gewissen Naturtalent und später von großer Kennerschaft seines Metiers (Professionalität); einen "Faust" oder etwas, das Goethes schönsten Gedichten gleichkäme, hat er freilich nicht geschrieben. Hingegen versteht es Goethe, auch Texte zu verfassen, die fast amateurhaft wirken - seine Singspieltexte sind mit den Libretti von da Ponte wirklich nicht zu vergleichen; warum, ist eines der Rätsel, die man bei ihm findet.)
Es gilt zunächst den Verlauf der Freundschaft zwischen dem Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829) und Goethe wenigstens grob zu skizzieren (1), dann das Campagna-Gemälde etwas genauer in seinem entstehungsgeschichtlichen Kontext zu betrachten (2) und schließlich die Katze aus dem Sack zu lassen, nämlich das eigentliche Bild des Goetheschen Rom-Erlebnisses, das Gegenbild zum Campagna-Gemälde vorzustellen (3). In einem vierten Schritt müssen die Begründungen für ein solches Vorgehen nachgeliefert werden (4), bis dann am Ende ein kurzer Ausblick in die Zukunft geworfen werden kann (5).
Gibt es irgendeine Berechtigung, die ausgetretenen Pfade der Interpretation erneut zu beschreiten und sich den Liedern aus Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre noch einmal und immer wieder zu nähern? Uferlos erscheint die Liste der Forschungsarbeiten, die sich mit diesen Liedern und/oder der Figur Mignon beschäftigen; gerade Mignon hat in der "Deutungstradition" von Goethes Bildungsroman ihren unbestrittenen Platz. Warum also noch einmal? Ein gewisses Anrecht auf ein wiederholtes und neues Lesen der bekannten Stellen genehmigt Goethes Roman selbst, sind es doch gerade Mignons Lieder, die sich zur mehrfachen und dauerhaften "Wiederholung" bekennen, ja die eine dauernde Wiederholung sogar einfordern. Man hat schon von einem "Wiederholungszwang" gesprochen, der durch diese Lieder vorangetrieben werde. Mignons Lieder arbeiten nicht nur häufig mit der Wiederholungsfigur des Refrains; auch ihr Hörer Wilhelm kann nicht umhin, sich diese Lieder mehrfach "wiederholen" zu lassen (234). Könnte es also sein, dass in dieser Wiederholungsmanie ein Hinweis darauf steckt, wie diese Lieder zu verstehen sind?
In diesem Kapitel werden alle Darstellungen zu diesem Themenkreis aus beiden Romanen gesammelt und interpretiert. Die medizingeschichtlichen Hintergründe sollen als erstes anhand der Figur des "Harfners" erläutert werden. [...] Goethes Beschreibung des Harfners bildet eines der Hauptelemente der Romanhandlung. An mehreren Stellen treten bei dieser Figur seelische Abgründe zutage, deren Ursache erst am Ende der Geschichte sichtbar wird. Einen ersten Hinweis liefert der Harfner, als er seinen Herrn Wilhelm um die Entbindung von seinen Pflichten bittet. Er sagt: "Mein Herr, lassen Sie mir mein schaudervolles Geheimnis, und geben Sie mich los! Die Rache, die mich verfolgt, ist nicht des irdischen Richters; ich gehöre einem unerbittlichen Schicksale."
Am 1. Mai 1796 schrieb Carl Friedrich Zelter an Friederike Unger, die Frau des Verlegers Johann Friedrich Unger: "Hiermit, meine verehrungswürdige Freundin, übersende ich Ihnen meine neuesten Lieder <...>. Es sind zwei Exemplare. Eins davon soll für Sie sein und das andere haben Sie die Güte, dem vortrefflichen Verfasser des W. M. zuzuschicken <...>. Ich wünschte daß ihm meine Lieder nicht so fremd sein mögten als ihm mein Name sein muß." - Mit diesen Worten veranlaßte der Berliner Maurermeister, Bauunternehmer - und auch Komponist - die Übersendung von einigen seiner Lied-Kompositionen an Goethe. Die neuesten Lieder waren - nach einzelnen Publikationen in Almanachen - eine erste, bescheidene Ausgabe mit dem Titel "Zwölf Lieder am Klavier zu singen componirt von Carl Friedrich Zelter"; sie enthielt, neben anderen, fünf Vertonungen von Goethe-Texten aus Wilhelm Meisters Lehrjahren. Aus Goethes Antwortbrief vom 13. Juni 1796 an Friederike Unger spricht nicht nur seine Freude über das musikalische Geschenk, sondern auch der Wunsch, den Komponisten kennenzulernen: "Sie haben mir, werteste Frau" - so schrieb er - "durch Ihren Brief und die überschickten Lieder sehr viel Freude gemacht. Die trefflichen Kompositionen des Herrn Zelter haben mich in einer Gesellschaft angetroffen, die mich zuerst mit seinen Arbeiten bekannt machte. Seine Melodie des Liedes: "ich denke dein" hatte einen unglaublichen Reiz für mich, und ich konnte nicht unterlassen selbst das Lied dazu zu dichten, das in dem Schillerschen Musenalmanach steht. <...> und so kann ich von Herrn Zelters Kompositionen meiner Lieder sagen: daß ich der Musik kaum solche herzliche Töne zugetraut hätte. Danken Sie ihm vielmals und sagen Sie ihm daß ich sehr wünschte ihn persönlich zu kennen, um mich mit ihm über manches zu unterhalten".
In der vorliegenden Sammlung sind nicht nur die altbekannten, doch immer wieder neu zu entdeckenden Zitate, nicht nur viele geistgeschliffene Sentenzen, die 'den höchsten Sinn im engsten Raum' zusammenfassen, nicht nur allerlei Lebensweisheiten und -wahrheiten in schlichter, einprägsamer Formulierung enthalten, sondern darüber hinaus alle Äußerungen Goethes über die Frau, die für ihn und auch für seine Epoche bedeutungsvoll und charakteristisch sind. Das Belegmaterial ist den Werken (unter Heranziehung von frühen Fassungen und Entwürfen), den naturwissenschaftlichen Schriften, den amtlichen Schriften, den Tagebüchern, Briefen und Gesprächen entnommen, so daß Goethe hier als Dichter, als Wissenschaftler, als Staatsbeamter und nicht zuletzt als Mensch in seinen vielfältigen, öffentlichen und privaten Lebensbezügen, auch im vertraulichen Umgang zu Wort kommt.
Zu Goethes „Erlkönig“ („Wer reitet so spät durch Nacht und Wind ...“), einer der volkstümlichsten und darum auch am häufigsten parodierten Balladen, finden Sie über 20 Bilder, auf Postkarten, aus Büchern, als Wandgemälde. Darunter von so bekannten Künstlern wie Schwind oder Schnorr von Carolsfeld und Randzeichnungen von Neureuther. Beigeben sind die Texte von Goethe und Herder sowie Weblinks.
Die von einem unbekannten Künstler, der mit E. Schütz signiert, im Jugendstil gestalteten Karten wurden von den Brüdern Kohn in Wien, einem führenden Postkartenverlag, herausgegeben. Illustriert werden Goethes Gedichte "Der Fischer", "Der Gott und die Bajadere", „Die Spinnerin“, „Der Rattenfänger“, „Der Zauberlehrling“ und das „Hochzeitlied“. Die Texte sowie Erläuterungen sind den Illustrationen beigegeben.
Johann Heinrich Ramberg (1763 – 1840), seit Chodowieckis Tod der gesuchteste Illustrator in Deutschland, hat eine „Gallerie zu Göthe’s Werken“ geschaffen, von denen das Goethezeitportal die Bilder zu Goethes Drama „Götz von Berlichingen“ publiziert. Die Folge erschien in „Minerva, Taschenbuch für das Jahr 1824“, einem der zwischen dem späten 18. und der Mitte des 19. Jahrhunderts überaus beliebten kleinformatigen Sammelpublikationen. Ähnlich wie die Musenalmanache dienten auch die literarischen Taschenbücher der literarisch-geselligen Kommunikation. Sie kamen rechtzeitig vor Weihnachten auf den Markt und wurden gerne als Geschenke, vor allem für Frauen verwendet. Da Musenalmanache und Taschenbücher ein breites Publikum erreichten, spiegeln sie in der Auswahl der Texte und Bilder den Geschmack der gebildeten Öffentlichkeit. Die Illustrationen zum „Götz“ geben überdies einen Einblick in die Ausgestaltung dramatischer Szenen auf der damaligen Bühne und in der Fantasie zeitgenössischer Rezipienten.
Die Kunst des Schattenrisses, die in der Goethezeit populär war, erreicht mit Paul Konewka (1840-1870) einen Höhepunkt: „Das Geheimnis der Silhouette, das in der bewegten Linie beruht, hatte sich ihm vollkommen erschlossen,“ heißt es in einer Monographie. „Es ist erstaunlich, wie er im Umriß seiner Gestalten die verschiedensten Situationen und die ganze Skala der Empfindungen auszudrücken vermochte. Holde Naivetät, Grazie, jugendliche Anmut, Geckenhaftigkeit des Stutzertums, Witz und Laune lustiger Narren, bedächtige Würde des Alters, Lust und Leid, alles klingt aus der langen Reihe seiner Silhouetten bestrickend heraus.“ Das Goethezeitportal publiziert die „Gestalten aus Faust“, eine Serie von 12 Silhouetten in Wiedergaben auf Postkarten. Die Kritik hob insbesondere „die gestaltenreiche, köstlich anmutende Darstellung“ des Osterspaziergangs hervor.
Goethes »Faust«, dessen erster Teil unter dem Titel »Faust. Eine Tragödie« zur Ostermesse 1808 erschien, regte bald Illustratoren an. Der junge Peter Cornelius zeichnete ab 1809 Blätter zu diesem Werk und ließ sie durch Sulpiz Boisserée – einem der frühesten Sammler altdeutscher Malerei und Verfechter der Vollendung des Kölner Domes – Goethe zukommen, der die glückliche Verschmelzung von Form und Inhalt lobte, jedoch vor Überschätzung der altdeutschen Kunst warnte. Die 12 Blätter eschienen mit einer Widmung an Goethe 1816 bis 1826 im Verlag von F. Wenner in Frankfurt. Das Goethezeitportal publiziert alle Zeichnungen und fügt Dokumente zur Entstehungsgeschichte wie zur Aufnahme durch Goethe bei. Die Kompositionszyklen von Cornelius, Moritz Retzsch und Eugène Delacroix, die bedeutendsten zu Goethes Lebzeiten, können nun miteinander verglichen werden.
Goethe-Motive auf Postkarten : eine Dokumentation ; Arthur von Ramberg ; Hermann und Dorothea
(2006)
Goethes "Hermann und Dorothea" (Erstdruck 1798) ist eine "idyllisch-epische" Dichtung in Hexametern, deren neun Gesänge nach den Musen benannt sind. Sie spielt in einem rechtsrheinischen Städtchen und schildert einen Flüchtlingszug im Gefolge der Revolutionswirren. Im Mittelpunkt steht die Brautwahl: Hermann, der Sohn der Wirtsleute, und das Flüchtlingsmädchen, die ebenso schöne wie tüchtige und mutige Dorothea, werden ein Paar. Im 19. Jahrhundert wurde die Dichtung überaus hoch geschätzt, weil sie bürgerliche Lebensvorstellungen, nicht ohne Ironie vonseiten des Erzählers, in klassischer Form gestaltet. Von den zahlreichen Illustrationen fanden die Kompositionen von Arthur von Ramberg (1819-1875) „durch die Anmut der Darstellung“ besonderen Beifall.
Goethe-Motive auf Postkarten : eine Dokumentation ; Faust und Gretchen ; Stukenbrok – Fotopostkarten
(2006)
August Stukenbrok baute um 1900 in Einbeck eine Fahrradfabrik auf, die im Versandhandel tätig war. „Der Markenname >Deutschland-Fahrrad< mit dem bekannten Slogan >Mein Feld ist die Welt< wurde zum Begriff für solide und elegante, aber erschwingliche Fahrräder für jedermann.“ Mit der Erweiterung der Produktpalette entstand das erste deutsche Versandhaus. „Vom Automobil bis zur Zinkbadewanne wurden Gegenstände des täglichen Gebrauchs genauso wie Luxusartikel aus Einbeck in alle Welt verschickt.“ Die großen Versandkataloge, eine kulturgeschichtliche Quelle, liegen im Reprint vor. Die kolorierten Fotopostkarten mit Faust und Gretchen, die für „Deutschlands größtes Spezialhaus für Fahrräder und Sportartikel“ warben, sind im Goethezeitportal anzusehen.
„Recht interessante und gestreiche Umrisse zu Faust von Retzsch habe ich in Dresden gesehen. Wenn er sie ebenso auf die Platten bringt, so wird es ein gar erfreuliches Heft geben,“ schreibt Goethe 1810 an Cotta. Auch später hat er sich mehrfach lobend über diese Illustrationen geäußert, obschon er den Faust, als „zu poetisch“, „wenig für die bildende Kunst geeignet“ hielt (Gespräch mit Stieler, 1823). Das Goethezeitportal publiziert die gesamte Folge von 26 Umrissen, ergänzt um die referierten Textauszüge.
Der von Goethe geschätzte Maler und Zeichner Johann Heinrich Ramberg (1763-1840) war der beliebteste Lieferant von „Almanachküpferchen“ für die Taschenbücher seiner Zeit. Sein Talent gilt als „fruchtbar, beweglich, liebenswürdig“ (Max von Boehn), die Almanachkupfer werden als gefällig, launig und schalkhaft gelobt, manchmal mit vorzüglichen Charakterisierungen und bildnerischen Einfällen (wie dem aus dem Pudel sich entwickelnden Mephisto). Von den 16 Faust-Illustrationen für „Minerva. Taschenbuch für das Jahr 1828“ und 1829 werden hier 9 aus einer bibliophilen, einer Handschrift nachgebildeten, in Pergament gebundenen Ausgabe von Goethes Faust publiziert. Mit einer Kurzbiografie und 2 Bildnissen von Ramberg sowie einer Würdigung der Illustrationen durch den Kulturhistoriker Max von Boehn.
Unter den Liebigbildern, den berühmtesten und am weitesten verbreiteten Sammelbildern, erschien 1911 eine Serie von Illustrationen zur Symphoniekantate „Fausts Verdammung“ von Hector Berlioz (1803-1869). Für Berlioz, „eine künstlerische Vielfachbegabung von äußerstem Anspruch und Raffinement“ (Hans Joachim Kreutzer), wurde Goethes Faust zu einem entscheidenden Bildungserlebnis. Sein Frühwerk, „Huit scènes de Faust“ ließ er Goethe zukommen, aber der wandte sich an Zelter, der ein vernichtendes Urteil abgab. Mit „La damnation de Faust“, 1869 uraufgeführt, schuf Berlioz eine eigenständige romantische Deutung des Faust-Mythos. Das Goethezeitportal publiziert diese Bilder mit Hinweisen und Dokumenten zur Entstehung und Aufnahme des Werkes.
Goethe-Motive auf Postkarten : eine Dokumentation ; Walpurgishalle ; Gemälde von Hermann Hendrich
(2006)
Die Walpurgishalle wurde auf dem Hexentanzplatz in Thale / Harz errichtet und ist heute ein Museum. Sie wurde von dem Berliner Architekten Bernhard Sehring als Blockhaus im altgermanischen Stil 1901 erbaut. Die Idee zu der Halle stammt von dem Maler Hermann Hendrich (1854-1931), der für den Innenraum fünf große Gemälde schuf. Seinen Freund Ernst Wachler, der ein germanisches Heidentum propagierte, regte Hondrich an, ein Freilichttheater auf dem Hexentanzplatz zu bauen; als Harzer Bergtheater wurde es 1903 eröffnet. Das Goethezeitportal zeigt Ihnen die Bilder zur Walpurgisnacht in Goethes „Faust“, stellt den Referenztext bei und gibt Hinweise zur weiteren Beschäftigung mit dem ideologischen Hintergrund.
Zu Goethes idyllischem Epos „Hermann und Dorothea“ publiziert das Goethezeitportal – nach der Bildfolge von Arthur von Ramberg und der Postkartenserie aus dem Verlag Paul Fink – die Illustrationen von Emil Klein (1865-1943). Wie sein Lehrer Liezen-Mayer, der bekannte Faust-Illustrator, befaßte sich auch Klein mit Illustrationen literarischer Werke. Seine historisierenden Bilder zu „Hermann und Dorothea“ orientieren sich stark an Rambergs populärer Folge. Gemüthaftes Erzählen und Liebe zum Detail kennzeichnen seine malerisch gehaltenen Blätter.
Die einer Handschrift nachgebildete bibliophile Faust-Ausgabe im Askanischen Verlag von 1924 enthält eine umfängliche Sammlung von Illustrationen zum Werk. Daraus publiziert das Goethezeitportal 5 wenig bekannte Holzschnitte nach Zeichnungen von Gabriel Max (1840-1915), die 1879 bzw. 1886 erstmals erschienen sind. Darunter eine hinreißende Komposition zum „Hexen-Einmaleins“. Max, der einige Jahre als Professor der Historienmalerei an der Münchner Akademie tätig war, wurde durch seine „mystische Richtung“ bekannt. Die Kritik bescheinigt ihm, dass er „das Sentimentale mit dem Grauenhaften und Nervenerregenden geschickt zu mischen versteht“. Beigefügt sind die Bezugstexte und eine Kurzbiografie von Gabriel Max.
Friedrich (Fred) Kaskeline, geb. 1863 in Prag, war Schüler der Akademie in Wien unter dem Historien- und Porträtmaler Christian Griepenkerl. Er arbeitete als Illustrator des humoristisch-satirischen Wiener Arbeiterblattes "Glühlichter" (1889/90-1915) und war in Berlin Repräsentant und Spezialzeichner der illustrierten Journale "The Graphic" und "The Daily Graphic" (London). Im Ersten Weltkrieg schuf er Propagandagraphik, in den 20er Jahren stammen von ihm zahlreiche, sehr unterschiedliche Postkarten: modische, teils witzige, teils frivole Künstlerpostkarten, die auch in England Erfolg hatten, sowie Silhouetten mit diversen Themen (z.B. "Mein schönes Fräulein, darf ich's wagen?"). Aus dieser Schaffenszeit stammen wohl auch die Faust-Illustrationen.
Die Faust-Illustrationen erschienen 1828 mit der französischen Übersetzung von Albert Stapfer. Im November 1829 zeigte Eckermann Goethe zwei Skizzen dieser Lithographien: Faust und Mephisto auf den Sturmpferden und die Trinkszene in Auerbachs Keller. „Goethe war von Delacroix’ ungestümem Strich mehr beeindruckt als begeistert, blieb aber durchaus verbindlich: Der Zeichner sei >ein großes Talent<, sagte er zu Eckermann, „das gerade am >Faust< die rechte Nahrung gefunden hat. Die Franzosen tadeln an ihm seine Wildheit, allein hier kommt sie ihm recht zu statten.<“ (Die Gazette, Nr.17, September 1999)
August von Kreling (1819-1876), ein vor allem in München und Nürnberg tätiger, zu seiner Zeit hoch angesehener Maler, schuf in seinen letzten Lebensjahren einen Zyklus von Kompositionen zu Goethes „Faust“, die durch Photographien und Holzschnitte weit verbreitet waren. Das Goethezeitportal publiziert die effektvollen Bilder auf Postkarten aus mehreren Verlagen und setzt damit die Folge von Serien mit Faust und Gretchen fort.
100 Foto- und Kunstpostkarten zur Figur Mignon aus Goethes Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ und der Oper „Mignon“ von Thomas: ein italienisches Mädchen, von Zigeunern verschleppt, von Wilhelm freigekauft, Gefährtin des wahnsinnigen Harfners, singt das Sehnsuchtslied „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn“. Eine einzigartige Sammlung von Dokumenten zur populären Goethe-Rezeption aus der Zeit der Jahrhundertwende und der Weimarer Republik.
Die Serie von sechs Prägedruckkarten stammt vom Postkartenverlag Paul Fink Berlin. Der Verlag hat vor dem Ersten Weltkrieg weitere Dichter-Serien (z.B. Theodor Körner, Schiller) herausgegeben. Von den Karten, die keinen Künstler ausweisen, sind einige 1902 gelaufen. Die teilweise dilettantisch wirkenden Bilder greifen die traditionell ausgewählten Szenen auf. Reizvoll sind die Farben dieser Chromolithos (Steindrucke in Farben), die an Aquarelle erinnern.
Wertherschriften
(2009)
Das Erscheinen von Goethes Briefroman "Die Leiden des jungen Werthers" 1774 wurde zum Medienereignis und Skandalon. Es erschienen Rezensionen, die das Werk überschwenglich lobten oder – vor allem als Verteidigung des Rechtes auf Freitod – skandalisierten, es kamen Nachbildungen, Umbildungen und Parodien auf den Markt, die Geschichte wurde zum Stoff von Gedichten und Dramen, Non-books – wie man heute sagen würde – ergänzten das Angebot: Werther in Bildern als Wandschmuck, auf Porzellan, als Feuerwerk etc. Werther wurde zur Kultfigur: Man kleidete sich wie Werther, wallfahrte zu seinem (bzw. Jerusalems) Grab, manch einer ließ das Büchlein seinen Freund sein und schied gar aus dem Leben mit ihm in der Tasche.
Goethes Werther im gesellschaftlichen Kontext : Rezeptionsdokumente als Interpretationshilfen
(2009)
In seinem Werther-Aufsatz von 1936 hat Lukács ein bis heute häufig wiederholtes Interpretationsmuster skizziert: Werther als »Repräsentant einer >progressiven Bourgeoisie< in der >revolutionären Periode< ihrer frühen ideologischen und ökonomischen Entwicklung«. Das Werk wird von der DDR-Germanistik einem umfassenden Geschichtsprozeß eingeordnet, der Aufklärung, Sturm und Drang und Klassik umfaßt, und bei dem es »um den Aufstieg bürgerlichen Selbstbewußtseins, das Wachstum gesellschaftlicher Einsichten und die Eroberung immer neuer poetischer Provinzen« geht. Reuter betrachtet den Roman in diesem Sinn als »Brennspiegel des gesamten sozialen und politischen Zustandes in Deutschland« des späten 18.Jahrhunderts, wobei Werther im Streben nach allseitiger Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit ein »fortgeschrittenes bürgerliches Selbstbewußtsein« vertritt.
Die neuen Leiden des jungen W. wurden »bewußt auf Auslegbarkeit geschrieben« und irritierten die Kritiker durch »die ungeheure Breite der Assoziationsmöglichkeiten«. Durch die vier »strukturtragenden Schichten« oder Informationsebenen des Textes kommt es zu interferierenden Perspektiven: 1. die voranstehenden Dokumente (Zeitungsnotiz, drei Todesanzeigen), 2. »die szenisch-dialogisch objektivierte Erinnerungsperspektive der Eltern und Arbeitskollegen«, 3. die Kommentare Edgars »von jenseits des Jordans«, 4. »die Brechung und Verfremdung der gesellschaftlichen Beziehungen des Helden im Spiegel des Werther-Zitats und der Werther-Fabel«. Plenzdorf führt »seinen Edgar Wibeau gegen Edgar Wibeau« vor, indem er ihn aus dem Jenseits kritisch und ironisch zu sich Stellung nehmen läßt. Der Leser / Zuschauer wird vom Autor geschickt in »eine Mittelstellung zwischen Identifikation (Verständnis) und Distanz (Kritik)« manövriert, sein »Beurteilungs- und Wertungspotential« wird aktiviert.
Als Goethe Ende Februar 1788 eine Art Resümee seines Aufenthaltes in Italien zieht, entwirft er auch ein Programm für die Zukunft: "Ich bin fleißig und vergnügt", schreibt er an Johann Gottfried Herder, "und erwarte so die Zukunft. Täglich wird mir's deutlicher, daß ich eigentlich zur Dichtkunst geboren bin, und daß ich die nächsten zehen Jahre, die ich höchstens noch arbeiten darf, dieses Talent excoliren und noch etwas Gutes machen sollte, da mir das Feuer der Jugend manches ohne großes Studium gelingen ließ. Von meinem längern Aufenthalt in Rom werde ich den Vortheil haben, daß ich auf das Ausüben der bildenden Kunst Verzicht thue. / Angelica [Kauffmann] macht mir das Compliment: daß sie wenige in Rom kenne, die besser in der Kunst sähen als ich. Ich weiß recht gut, wo und was ich noch nicht sehe, und fühle wohl, daß ich immer zunehme, und was zu thun wäre, um immer weiter zu sehn. Genug, ich habe schon jetzt meinen Wunsch erreicht: in einer Sache, zu der ich mich leidenschaftlich getragen fühle, nicht mehr blind zu tappen."
Die "Werther"-Allusionen in zwei repräsentativen Dramen des Naturalismus – Arno Holz’ und Johannes Schlafs "Familie Selicke" und Gerhart Hauptmanns "Vor Sonnenaufgang" – dienen zum einen dazu, Milieu und Protagonisten zu charakterisieren und ihre Prägung durch bürgerliche Moralvorstellungen zu illustrieren. Zum anderen zeigt eine intensive Kontextualisierung der punktuellen Anspielungen, dass die naturalistischen Dramatiker damit programmatisch gegen die bürgerliche Goethe-Verehrung der Zeit und die Dominanz traditioneller Kunstanschauungen opponieren, die ihrer sozial-analytischen Dramatik im Wege stand.
Der Begründer der Neuen Phänomenologie, Hermann Schmitz, rückt anläßlich einer Erläuterung des für ihn zentralen Begriffs der "implantierenden Situation" Goethes Gedicht Über allen Gipfeln ist Ruh ... in die Nähe der Haiku-Lyrik. Das von Schmitz nur beiläufig Konstellierte erweist sich bei näherem Hinsehen als aufschlußreich für das Verständnis der Naturlyrik aus Goethes erstem Weimarer Jahrzehnt. Denn es ist in der Tat die Haiku-Tradition, an der wir unseren Blick für manche Eigenheiten der lyrischen Sprache Goethes in jener Werkphase schulen können – einer Werkphase, die ich als "vorkritisch" bezeichne, da sie noch nicht unter dem Einfluß der kritischen Philosophie Kants steht und daher noch frei ist vom didaktisierenden Zug transzendentaler Subjektivität. Der japanische Blick auf den "vorkritischen" Goethe ist nicht nur von philologischem Interesse. Er zeigt uns, sehr viel weiter reichend, die Möglichkeit eines Sprechens über Phänomene, bei dem es kein die Erfahrung begleitendes und in seine Gewalt bringendes "Ich denke" zu geben scheint. ...
Eine lettische Sage, Die Rose von Turaida, erzählt von dem Mädchen Maija, das sich einem Gärtner versprochen hat und tapfer allen anderen Werbern widersteht. Als sie aber, von einem zudringlichen Ritter mit Hinterlist in eine Waldgrotte gelockt, diesem wehrlos ausgesetzt ist, wahrt sie ihre Integrität durch eine heroische Opferbereitschaft: Im Moment der Überwältigung gibt sie ein rotes Tuch, das sie um den Hals trägt, als Zaubermittel aus, das die Fähigkeit habe, unverwundbar zu machen, und sie fordert den Ritter auf, sich davon zu überzeugen, indem er nur einmal versuchen solle, ihr den Kopf abzuschlagen. Von seiner Machtlüsternheit verführt, tut der Ritter, wie ihm geheißen – und erhält eine traurige Lektion über die Macht der Treue. ...
Das gelehrte Übermenschentum bekam schon immer einen steifen Nacken, wenn es galt, auf die Niederungen des Gretchenschicksals hinabzublicken. Noch heute wissen die Faustforscher nicht so recht, worin er eigentlich besteht, der "tragische Gedanke". Sie ahnen nur, daß die alten Erklärungen überholungsbedürftig sind – Erklärungen, die noch aus der Zeit des kalten Geschlechterkrieges stammen. Auch in diesem Krieg war Deutschland geteilt. ...
Unter den Werken Goethes sind insbesondere die "Wanderjahre" und der "Faust II" immer wieder als Ratgeber für das rechte Fortschrittsbewußtsein herangezogen worden. So etwa vom ersten deutschen Reichspräsidenten in seinem Plädoyer für einen demokratischen Neubeginn: Nach dem Ersten Weltkrieg beschwor Friedrich Ebert den "Geist von Weimar", der "die großen Gesellschaftsprobleme" so behandeln müsse, wie "Goethe sie im zweiten Teil des Faust und in Wilhelm Meisters Wanderjahren erfaßt" habe; d.h. nach der Devise: "mit klarem Blick und fester Hand ins praktische Leben hineingreifen!" ...
Mit seinem hymnischen Gedicht ‘Harzreise im Winter’, in dem Goethe auf seine im Dezember 1777 unternommenen „Ritt“ durch den Harz und die Besteigung des verschneiten Brocken rekurriert, hat er zwei für die romantischen Versionen winterlicher Reisen konstitutive Diskurse vorgeprägt: Zum einen ist ihnen die Reflexion über ihre poetische Gestaltung eingeschrieben, zum andern vermittelt die Schilderung frostiger und lebloser Landschaften eine (wie auch immer geartete) krisenhafte Situation und melancholisch-weltschmerzliche Stimmung. Diese wird in Goethes Gedicht mit der Frage nach dem einsamen ‚Menschenfeind’ hervorgerufen, der sich in die Öde zurückgezogen hat. Die ihm gewidmeten Strophen V-VII hat Brahms 1869 in seiner Rhapsodie vertont und mit seiner Komposition die Gewissheit einer Erlösung aus unglückseliger „Selbstsucht“ zum Ausdruck gebracht. Hingegen deutet Goethe nur die Möglichkeit einer Heilung der zur Werther-Zeit grassierenden „Empfindsamkeits-Krankheit“ in den vielschichtigen Bildern seiner ‚Harzreise’ an, mit denen er die Symbolik seiner klassischen Dichtung antizipiert
Renaissance
(1998)
Zu Lebzeiten Goethes [G.] existierte noch kein Epochenkonzept, wohl aber ein disparates, andelbares Renaissance-Bild in Philosophie, Historiographie und Literatur. Das im Laufe des 18. Jhs. aufkommende historische Denken entwickelte zunächst, bei Bayle und Voltaire, das aufklärerische Konzept der « renaissance des lettres et des arts ». Die neue Kultur der italienischen Renaissance wurde entweder mit der Exilierung Gelehrter beim Fall Konstantinopels 1435 (Katastrophentheorie) oder mit dem Import neuen Wissens durch die Kreuzzüge (Kreuzzugstheorie) erklärt und auf unterschiedliche Art mit der deutschen Reformation in Verbindung gebracht. Vorherrschend war im 18. Jh. ein unreflektiertes Gefühl der Verbundenheit mit der neuzeitlich- fortschrittlichen Kultur der Renaissance. Eine dem Epochenbegriff von Jules Michelet und Jacob Burckhardt (1855/1860) entsprechende, klare Grenzziehung zwischen Spätmittelalter und Renaissance ist noch nicht zu erwarten. „Epoche“ bedeutete zunächst Einschnitt oder Schwelle, noch keine Entität im Sinne des späten Historismus.
Goethe und die Renaissance
(1997)
Goethes Bewußtsein für die Modernität und Zeitbedingtheit des eigenen Ichentwurfes entsteht aus dem Spannungsverhältnis zwischen der Nähe einer als Bildungsprinzip verstandenen, normativen Antike und der Ferne ihres Wiederauflebens am Beginn der neuzeitlichen Periode, in der Goethe nach einem modernen Ichprinzip sucht. Goethe antwortet darauf mit der subjektgeschichtlichen Orientierung seines autobiographisch orientierten Bildungsgedankens. Die Genese von Epochenbegriffen und die Verzeitlichung des Subjektverständnisses erscheinen in seinem Werk aus heutiger Sicht als komplementäre Prozesse.
1932 befindet sich die Weimarer Republik an ihrem politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Tiefpunkt. Was ließe sich angesichts des angeschlagenen Selbstbewußtsein der Nation besser instrumentalisieren als der hundertste Todestag des Olympiers Goethe, als die Epiphanie des Unsterblichen, als ein "Ehrenjahr des deutschen Menschen und der deutschen Kultur". Nicht nur in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Goethes Werk und den gigantischen staatlichen Feierlichkeiten, mehr noch in den populären Medien, in allen Radiosendern, in sämtlichen Zeitungen, in allen politischen Lagern, von Nationalsozialisten und Katholiken, von Juden und Kommunisten wird Goethe auf fatale Weise ideologisch vereinnahmt.
Die Melancholie bildet im ausgehenden 18. Jahrhundert das Gravitationszentrum zahlreicher moralphilosophischer Debatten und polarisiert die Intellektuellen. „Wie hältst Du’s mit der Melancholie“, lautet die Gretchenfrage unter rationalistischen Aufklärern und deren empfindsamen Gegnern. Der 1774 publizierte Werther-Roman thematisiert mit besonderer Intensität die unterschiedlichen Facetten der Melancholie – er schildert die von ihr ausgehenden Gefährdungen ebenso wie ihre inspirierenden Wirkungen und bringt damit die Melancholie in ihrer ganzen Bandbreite zur Darstellung. Die der Aufklärung verpflichtete Psychopathologie steht neben dem eigenwilligen Melancholiekult der Empfindsamkeit.