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Es ist eine besondere Pointe der Theorieschöpfung Thomas S. Kuhns, dass man im Wissenschaftsdiskurs nach schnellem Abschied vom "Fortschrittsdenken" nunmehr in den "Paradigmenwechsel" geradezu vernarrt zu sein scheint – fast täglich kippen die Paradigmen wie die Pappkameraden, Paradigmenwechsel ist immer und überall. ...
Wie lässt sich ein gemeinsamer Grund formen, der eine heterogene Gesellschaft verfassen kann? Ein Grund für alle. Keiner soll mehr dürfen, sein (haben) als der andere. Seit den Anfängen des Konstitutionalismus gewinnt der Gleichheitssatz an Fahrt und Gerechtigkeit wird nach und nach zu einer An-, Auf- und Abrechnungssache. Wer wem was und wie viel in Rechnung stellt, ist eine Frage, die an der jeweiligen Begründung hängt. Hierum kümmern sich die je befugten Teilsysteme des Rechts- qua Rechenbetriebes, wobei sich die dem Entscheid folgende gefährliche Begründung durch eine "Berechtigkeits"-Buchhaltung ergänzt bzw. – etwa nach dem Wegfall der peinlich gewordenen Schuldfrage im Scheidungsrecht – sogar beinahe ersetzt sieht. Begründungen sind nämlich immer prekär, provozieren den Widerspruch der Gegenseite, anstatt die Wogen zu glätten. ...
Dass die Gegenüberstellung von Naturrecht und Rechtspositivismus kein sinnvolles Gegensatzpaar zur Analyse der rechtswissenschaftlichen Positionen um 1900 ist, sollte mittlerweile Gemeingut geworden sein. Wie man stattdessen argumentieren könnte und zugleich der Forschung ganz neue Untersuchungsfelder erschließt, illustriert die ausgezeichnete Arbeit von Sigrid Emmenegger, die hohen wissenschaftlichen Ansprüchen genügt und in ihrer Klarheit und Dichte für andere Qualifikationsschriften vorbildlich sein sollte. Sie untersucht in ihrer Freiburger Dissertation die reizvollen, aber wenig bekannten Diskussionen über "gute Gesetzgebung", die in den Jahren um 1900 in der deutschen Rechtswissenschaft stattgefunden haben. Diese Diskussionen umfassten – mit verschiedenen Akzentuierungen – sowohl Strafrecht, Zivilrecht als auch das öffentliche Recht. Emmenegger systematisiert den zeitlichen Verlauf und die Anliegen der Autoren. Ihre Argumentation ist dabei sehr transparent, sie zitiert ausgiebig und treffend. Überhaupt staunt man über die Dichte und Reichhaltigkeit des Materials, das sie gesammelt und analytisch durchdrungen hat. Bereits auf diese Weise widerlegt sie so ganz nebenbei das Vorurteil, eine Gesetzgebungslehre sei erst in den 1970er Jahren entstanden. Zugleich erhellt sie vielfach grundlegende inhaltliche und methodologische Differenzen der damaligen Diskussion gegenüber heutigen Stellungnahmen. ...
Das rhetorische Ensemble
(2006)
Auf dem Tisch liegt die zweite Auflage von Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz (1968) von Claus-Wilhelm Canaris, erschienen Berlin 1983. Die schriftliche Fassung basiert auf einem rhetorischen und mündlichen Ereignis, seinem Habilitationsvortrag. Spuren davon finden sich noch im Text. Das gilt für die Spuren, die Rhetorik immer schon in nicht-mündlichen Texten wie der Schrift hinterlassen hat, also etwa in den Kompositionsregeln und den Regeln des Umgangs mit Figuren und Stil. Die rhetorische Spur findet sich darüber hinaus an herausragenden Stellen in den kurzen Hinweisen und Adressen, die scheinbar außerhalb der eigentlichen Schrift selber stehen. In einem Fall findet sich z. B. in Kursivschrift eine Widmung an den verehrten Lehrer Karl Larenz, in einem anderen erinnert der Autor daran, dass der Vortrag am 20. Juli gehalten wurde. Es sind kurze und knappe Hinweise auf denMoment, an dem ein Jurist eigenständig, zu seinem autonomen System wird und eine eigene Lehrbefugnis erhält. Sie sind noch rhetorisch, weil sie in ihrem Aufspüren von Referenzen an den Lehrer und an historische Daten vollziehen und reflektieren, was sich in solchen Augenblicken geziemt. Sie begegnen einem an der Schwelle des Textes – also kurz bevor man sich auf die sachliche Ordnung des Textes einlässt. An der Schwelle wird die letzte Gelegenheit ergriffen, dem Text eine genealogische Adresse zu verleihen. Es sind (um selbst rhetorisch zu werden) letzte Tankstellen vor der Autobahn. Sie markieren keine Systembrüche, sie markieren den Eingang in den Text, der sich in einer rhetorischen Transmission positioniert. In der Architektur der Argumentationsführung sind diese Stellen der Bogen, der durchschritten wird, unmittelbar bevor die Lektüre beginnt – oder mit denen die Lektüre beginnt. Das hängt schon davon ab, wie man Rhetorik vom System abgrenzt. ...
Luciano Canforas Buch "La democrazia. Storia di un’ideologia" ist in Deutschland bereits wegen seines Titels in Misskredit geraten. Demokratie als "Geschichte einer Ideologie" zu präsentieren, deute – so die FAZ vom 21. November 2005 – auf ein "Pamphlet" hin, denn die Demokratie sei, zumindest nach "unserer Alltagswahrnehmung", gerade der "Sieg über alle Ideologien". Weil Canfora den ideellen Stellenwert der Demokratie unserer Alltagswahrnehmung ganz offensichtlich nicht anzupassen gedenkt und die Begriffe Freiheit, Demokratie, Diktatur in einem eigenwilligen historischen Kontext interpretiert, hat sich der Verlag C.H. Beck geweigert, seinen mit Canfora abgeschlossenen Verlagsvertrag einzuhalten. Eine Vertragsauflösung hat im Rechtsleben durchaus nichts Dramatisches; im vorliegenden Fall bekommt sie allerdings dadurch ein spezifisches Gewicht, dass Canforas Geschichte der Demokratie zur Publikation in der vom französischen Historiker Jacques Le Goff herausgegebenen Reihe "Europa bauen" vorgesehen war und das Buch (in der jeweiligen Landessprache) in Frankreich, Italien, Spanien und England bereits erschienen ist. Ein deutscher Sonderweg also, dieses Mal im Verlagswesen? ...
Thomas Horstmann und Heike Litzinger haben ein bemerkenswertes Buch mit dem – zunächst irritierend – weit gefassten Titel "An den Grenzen des Rechts" herausgegeben. Erst der Untertitel "Gespräche mit Juristen über die Verfolgung von NS-Verbrechen" konkretisiert das Thema. Es geht um die Frage der strafrechtlichen Behandlung von Systemunrecht: ob und inwieweit NS-Verbrechen mit rechtsstaatlichen Instrumentarien abgeurteilt werden können. ...
Das 2. UmwG-ÄndG bringt hinsichtlich der grenzüberschreitenden Verschmelzung einen erheblichen Gewinn an Rechtssicherheit. Weil die §§ 122a ff. UmwG-E weitgehend eine getreue Umsetzung der IntVRiL darstellen, werden künftige transnationale Verschmelzungen erleichtert; dies jedenfalls dann, wenn auch die anderen EU-Mitgliedstaaten die Richtlinie alsbald umsetzen. Anders als bei innerstaatlichen Verschmelzungen sind die für die Arbeitnehmer wesentlichen Informationen nicht im Verschmelzungsvertrag bzw. -plan, sondern im Verschmelzungsbericht enthalten. Dementsprechend ist dieser nicht verzichtbar. Sofern ein Verhandlungsverfahren über die künftige Mitbestimmung nach MgVG stattfindet, können sich die Anteilseigner die Bestätigung der dort erzielten Ergebnisse vorbehalten (§ 122g Abs. 1 UmwG-E), wenn die Verhandlungen im Zeitpunkt der Zustimmung zur Verschmelzung noch nicht beendet sind. Für die Bestätigung können andere Beschlussmodalitäten vorgesehen werden als für den Verschmelzungsbeschluss selbst. § 122c Abs. 2 Nr. 11, 12 UmwG-E ist dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass die dort geforderten Angaben entfallen können, wenn sie für die Umsetzung und bilanzielle Abbildung der Verschmelzung nach den beteiligten Rechtsordnungen nicht erforderlich sind. Eine Zustimmung der Anteilseigner ausländischer Rechtsträger zur Durchführung eines Spruchverfahrens wird regelmäßig nicht zu erlangen sein. In diesem Fall sind die Gesellschafter des deutschen übertragenden Rechtsträgers – abweichend von § 14 Abs. 2 UmwG – auf die Anfechtungsklage verwiesen. Findet demgegenüber ein Spruchverfahren statt, insbesondere weil alle beteiligten Rechtsordnungen ein solches vorsehen, wird die vom Gesetzgeber gewünschte Zuständigkeitskonzentration kaum je zu erreichen sein. Regelmäßig werden nämlich die Gerichte in den Sitzstaaten sowohl des übertragenden als auch des übernehmenden Rechtsträgers international zuständig sein. Die Vorschrift des § 6c SpruchG-E ist dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass ein gemeinsamer Vertreter nur für solche Anteilseigner zu bestellen ist, deren Zustimmung nach § 122h Abs. 1 UmwG-E zur Durchführung des Spruchverfahrens erforderlich ist. Auch in den vom 2. UmwG-ÄndG nicht geregelten Fälle internationaler Umwandlungen (insbesondere Verschmelzung unter Beteiligung von Personengesellschaften und Spaltung) kann weitgehend auf die in §§ 122a ff. UmwG-E enthaltenen Rechtsgedanken zurückgegriffen werden.