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Ausgehend von Šalamovs Poetik und mit Blick auf die Positionen von Solženicyn und Semprún sollen im Folgenden einige Aspekte des vielschichtigen Problemfeldes 'Überleben und Schreiben' diskutiert werden. Dabei geht es mir, das sei betont, nicht um einen Vergleich zwischen dem sowjetischen GULag und den nationalsozialistischen Konzentrations- beziehungsweise Vernichtungslagern. Ein solcher Vergleich war auch von keinem der drei Autoren intendiert, selbst wenn sich deren Refl exionen mitunter auch auf die europäischen Terrorpraktiken des 20. Jahrhunderts insgesamt erstreckten. Die Art und Weise, wie das Überleben in literarischen Texten thematisiert wird, hängt eng mit der Frage nach den poetologischen Konsequenzen zusammen, nach Möglichkeiten und Grenzen des Sprechens über das Erlebte, nach der Modellierung des Lagers in fiktionalen Räumen. Mit Ausnahme von Solženicyns 'Archipel GULAG', in dem gestützt auf zahlreiche mündliche und schriftliche Berichte von Überlebenden der "Versuch einer künstlerischen Untersuchung" des GULag-Systems als Ganzes unternommen wird, handelt es sich bei den nachfolgenden Beispielen um literarische Darstellungen des Lagers aus der Perspektive eines Einzelnen. Die literarische Rekonstruktion des im Lager Erlebten verlangte jedem Schreibenden ethische und ästhetische Entscheidungen ab.
Die Machtergreifung der Bolschewiki 1917 führte zu einer jahrzehntelangen tiefen Spaltung der russischen Literatur und Kultur, viele Vertreter von Literatur und Kunst verließen das Land oder wurden in die Emigration getrieben. Epochen- und Biographiebrüche, Kriege, Terror- und Gewaltexzesse hatten zur Folge, dass zahlreiche literarische Archive und persönliche Sammlungen geplündert, vernichtet, in alle Winde verstreut wurden oder gänzlich verloren gegangen sind. Die rigide ideologische Kontrolle, die in den ersten Jahren der Sowjetmacht vorrangig für das gedruckte Wort galt, betraf zunehmend auch jegliches unveröffentlichtes literarisches Wort. Jegliche schriftliche Äußerung einer eigenen Weltsicht kam in dieser Kultursituation einem Wagnis gleich. Das Aufbewahren unveröffentlichter Manuskripte in einem privaten, mitunter (insbesondere in den Jahren des Terrors unter Stalin) aber auch in einem staatlichen Archiv, konnte lebensbedrohlich sein.