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"Übersetzungsfabriken" : das deutsche Übersetzungswesen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
(1989)
Wenn der Anbruch des Zeitalters der Weltliteratur auch noch auf sich warten ließ - was die deutschen Buchhändler und Übersetzer betrifft, so folgten sie Goethes Aufruf zur "Beschleunigung" dieser Epoche nur allzu eifrig. Neben französischen Romanen und Theaterstücken waren zum Zeitpunkt von Goethes Diktum v.a. die Romane Walter Scotts Gegenstand hektischer Übersetzungstätigkeit. Ebenfalls im Jahre 1827 ließ Wilhelm Hauff in seinen satirischen Bildern Die Bücher und die Lesewelt seiner Phantasie in Bezug auf die Herstellung von Übersetzungen freien Lauf. Hauff richtet seine Satire gegen den in Zwickau ansässigen Verlag der Gebrüder Schumann, die sich maßgeblich an dem Geschäft mit den Übersetzungen der Romane Scotts beteiligten.
Der Band mit ausgewählten Werken Arthur Schnitzlers, der 1922 in japanischer Übersetzung erschien und den ein Antiquariat in Tokyo noch vor wenigen Jahren im Angebot hatte, war an sich keine Rarität. Seit der ersten Übersetzung im Jahre 1908 sind Schnitzlers Werke häufig und in den unterschiedlichsten Ausgaben auf Japanisch erschienen. Ungewöhnlich war dagegen der photomechanisch reproduzierte Brief Schnitzlers an seine japanischen Übersetzer, der vom 28. Mai 1922 datiert. Das Vorwort des Übersetzers Masao Kusuyama (1884-1950) erläutert die Geschichte dieses Briefes, der ein Licht auf die Editionsgeschichte des Buches wirft. Zu Beginn der zwanziger Jahre war Schnitzler in Japan ein anerkannter Autor, mehrere seiner Stücke waren bereits aufgeführt worden. Das Bild, das die japanischen Medien damals vom Deutschland und Österreich der Nachkriegszeit vermittelten, war geprägt vom Zusammenbruch des alten Europa, von politischen und ökonomischen Krisen, von Instabilität und Inflation. Angesichts der Nachrichten von der prekären Wirtschaftslage in Deutschland vermuteten Schnitzlers Übersetzer, Kusuyama und Yuzo Yamamoto (1887-1974), den über 60jährigen Autor in ökonomischen Schwierigkeiten und konzipierten eine neue Werkedition, aus deren Gewinnen Schnitzler finanziell unterstützt werden sollte.
Als ein Werk des Deutschen Ordens wurde die 'Mitteldeutschen Hiob-Paraphrase' im Jahre 1338 vermutlich in PreuBen vollendet. Die Hiobgeschichte wird hier Vers um Vers nacherzählt, wohl mit dem Ziel, das schwierige Bibelbuch dem noch lateinunkundigen Klosternachwuchs zugänglich zu machen. Alle 42 Kapitel des biblischen Hiobbuches werden hier vollständig in deutsche Verse übersetzt und ausgelegt. Unser Dichter hatte eine lateinische Bibel vor sich mit der 'Glossa ordinaria' am Rand, und die Glosse ist stellenweise mitparaphrasiert worden. Teilweise steht die Exegese in deutlich abgegrenzten, den Text unterbrechenden Einschüben, in denen die Stimme des Dichters den Leser unmittelbar unterrichtet, teilweise aber verschmilzt sie mit den Bibelworten, wobei Hiob und seine Freunde sich selbst kommentieren. Der Text ist aus mehreren Gründen wesentlich länger geworden als die biblische Vorlage. Fast jedes Wort des Bibeltextes wird übersetzt, und die Versform erschwert eine knappe Formulierung. Wichtiges wird zwei- oder dreimal wiederholt und neuer Stoff hinzuefügt. Aber vor allem die Erklärungen und Auslegungen des Dichters tragen dazu bei, daB sich das Werk zu einer Länge von mehr als 15 000 Zeilen ausdehnt und an die Stelle der Poesie des hebräischen Werkes, die noch die lateinische Fassung prägt, ein durchaus lehrhafter Ton tritt. Die außerordentliche Vielfalt des Wortschatzes mit seinem relativ hohen Anteil an 'hapax legomena' macht das Werk für Sprachwissenschaftler besonders interessant, ein Charakteristikum übrigens, das es mit dem hebräischen Urtext gerneinsam hat. Der langatmige didaktische Stil hat jedoch dazu geführt, daß es von Literaturwissenschaftlern kaum untersucht worden ist.
Das schöne Wort "Weltliteratur" verdanken wir zwar nicht Goethe, wie immer wieder behauptet wird, sondern Wieland. Goethe aber verdanken wir einen Begriff von Weltliteratur, der sich nicht auf den Kanon ihrer Meisterwerke beschränkt, wie es sowohl bei Wieland als auch im heutigen Sprachgebrauch konnotiert wird. Seine Verwendung des Begriffs umfaßt alles, was durch die Beschleunigung von Handel und Verkehr an Gedrucktem grenzüberschreitend Verbreitung findet. Dazu gehört sowohl die mit der Internationalisierung der Märkte unvermeidlich ausufernde Massenware als auch das Pretiose; die "englische Springflut" genauso wie der chinesische Sittenroman des Yü-chiao-li. Das entscheidende Definitionskriterium für Goethes Begriff der Weltliteratur ist die weltweite Rezipierbarkeit. Und was das Bedeutende vom Unbedeutenden unterscheidet, ist dennoch von denselben kommunikativen Voraussetzungen abhängig. ...
Rezension zu Übersetzte Literatur in deutschsprachigen Anthologien. Eine Bibliographie. Hg. von Helga Eßmann und Fritz Paul.
Erster Teilband: Anthologien mit Dichtungen aus aller Welt. Unter Mitarbeit von Heike Leupold hg. von Helga Eßmann. Stuttgart (Anton Hiersemann Verlag) 1997 (= Hiersemanns bibliographische Handbücher; Bd. 13.1). 455 Seiten.
Zweiter Teilband: Anthologien mit russischen Dichtungen. Unter Mitarbeit von Christiane Hauschild und Heike Leupold hg. von Ulrike Jekutsch. Stuttgart (Anton Hiersemann Verlag) 1998 (= Hiersemanns bibliographische Handbücher; Bd. 13.2). 185 Seiten.
Die Übersetzung aus dem Mittelhochdeutschen als Hinführung zum Verständnis des Originals ist nicht nur das tägliche Brot in der mediävistischen Lehre, sie hat mittlerweile auch den Buchmarkt erobert. (…) Es scheint sich ein Konsens herausgebildet zu haben, wie dafür zu übersetzen ist: textdienlich, ohne Nachahmung der poetischen Form, v.a. der Reime, jedoch zeilengetreu, seltener sogar in reimlogischen Versen (…).
"Übersetzt", "eingeleitet", "herausgegeben von Marie Herzfeld" - so oder ähnlich steht es auf zahlreichen Titelblättern der Jahrhundertwende. Was sich dahinter verbirgt, ist eine kleine Bibliothek literarischer und kulturhistorischer Texte aus verschiedenen Sprachen, welche die Schriftstellerin Marie Herzfeld (1855-1940) einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat; vornehmlich skandinavische Literatur und Texte der italienischen Renaissance. Wenn der Name Jacob Burckhardts für eine "große Erzählung" der Renaissance steht, so betreibt Herzfeld mit ihren "Quellentexten zur Geschichte der italienischen Kultur", zwischen 1910 und 1927 im Eugen Diederichs Verlag erschienen, eine Art kleine kulturgeschichtliche Archäologie. Sie präsentiert frühneuzeitliche Originale und bietet den Lesern einen unverstellten Blick auf deren Fremdheit; andererseits gibt sie Verständnishilfen, holt das Vergangene gleichsam zoomartig heran und "verlebendigt" es durch ihren Kommentar. Ihr Focus ist ein kulturwissenschaftlicher - auch im heutigen Sprachgebrauch. Die Spurensicherung dieser Imellektuellen ohne akademische Ausbildung im engeren Sinn und ohne institutionellen Status wirft die Frage auf, wie kulturwissenschaftliche Gegenstände von Positionen der Randständigkeit entstehen können. So gefragt, ist es weder naiv noch vermessen, Marie Herzfeld für die Anfänge der Kulturwissenschaften in den Dienst zu nehmen. Allerdings bleibt das Problem, mit einem Begriff hantieren zu müssen, der nicht nur unscharf ist, sondern auch oder gerade deswegen gegenwärtig beinahe inflationär gebraucht wird – ein Schicksal, das er mit dem der "Cultur" im "fin de siècle" teilt.
Rezension zu Tippner, Anja: Alterität, Übersetzung und Kultur. Čechovs Prosa zwischen Russland und Deutschland. Frankfurt/M. u.a. (Peter Lang) 1997 (= Slawische Literaturen. Texte und Abhandlungen. Hg. von Wolf Schmid; Bd. 13).307 Seiten.
Es geht um Čechov auf deutsch. Und zur Debatte stehen die Vorurteile der Übersetzer beim Übersetzen. Behandelt wird ausschließlich Čechovs erzählende Prosa, nicht sein Bühnenwerk.
Hugo von Hofmannsthal, dessen Rezeption in Frankreich durch die Übertragungen von Charles Du Bos in den 20er Jahren entscheidende Anstöße erhielt, war bereits vor dem Weltkrieg im Nachbarland kein Unbekannter. Wie eine Reihe früher Erwähnungen in Zeitschriften und literarhistorischen Darstellungen belegen, waren Gedichte Hofmannsthals und einige seiner dramatischen Arbeiten zumindest einem Kreis von Kennern vertraut. Einem breiteren Publikum dürfte sein Name vor allem als Librettist von Richard Strauss geläufig gewesen sein - seit der im Januar 1909 uraufgeführten Oper "Elektra“, seit dem "Rosenkavalier" (1911) und der "Ariadne auf Naxos" (1912). Dass sich französische Leser auch von den Gedichten und lyrischen Dramen Hofmannsthals eine Vorstellung machen konnten, war das Verdienst eines jungen Autors, dessen Name, in den Jahren nach dem Weltkrieg einer breiteren Öffentlichkeit vertraut, heute in Vergessenheit geraten ist: Henri Guilbeaux.
Seit Jahrhunderten zieht sich die stereotype Klage deutscher Schriftsteller, insbesondere deutscher Bühnenautoren, über zu Unrecht bevorzugte ausländische Konkurrenz durch Korrespondenzen und Publikationen. Ein Blick auf die Produktionszahlen des Buchgewerbes, die sich zwischen 1820 und 1845 explosionsartig von 3 772 Büchern auf 13 008 Bücher entwickeln, bestätigt zumindest die erhebliche Bedeutung der Übersetzungen für den deutschen Buchmarkt: 1845 waren ca. 48% der in Deutschland herausgebrachten Romane Übertragungen aus anderen Sprachen. Der Buchmarkt reagiert damit selbstverständlich nur auf die veränderte gesellschaftliche Situation. Einerseits wird das Bürgertum in immer stärkerem Maße zur Zielgruppe des literarischen Marktes, der so erst seine Dynamik entwickeln kann; andererseits ist diese Zielgruppe verstärkt an unterhaltsamer, spannender Literatur interessiert, die ihr vorrangig in Form der französischen und englischen Romanliteratur geboten wird. Im Bereich des Theaters ist die Entwicklung durchaus mit der auf dem Buchmarkt vergleichbar. Auch hier entwickeln sich die reinen Zahlen mit einer enormen Rasanz: Gab es 1836 kaum 50 Theater in Deutschland, so sind es 1840 bereits ca. 100, am Ende des Jahrhunderts dann weit über 300. Auch diese Entwicklung ist den Veränderungen im Publikum geschuldet.
Rezension zu Peter Goßens: Paul Celans Ungaretti-Übersetzung. Edition und Kommentar. Heidelberg (Winter) 2000 (= Neues Forum für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft; Bd. 9). 381 Seiten.
Goßens hat sich in seiner vorliegenden Arbeit ein sehr hohes Ziel gesetzt. Es geht ihm darum, sowohl einen "Beitrag zu einer philologisch orientierten Komparatistik" zu leisten, als auch die "Editionswissenschaft auf ihrem Weg von werk- und autorbezogenen Modellen zu einer dynamischen, textreflexiven 'critique génétique'" zu befördern. Es sei sofort gesagt: der Verfasser erfüllt die Erwartungen, die seine ambitionierte Intention im Leser wachruft.
Die Identitätssuche des Dichters Paul Celan findet, wie wir sehen, in seinen literarischen Texten genauso Ausdruck wie im Text, welcher der Text seines Lebens war. Mögen die Person eines Dichters und das lyrische Ich seiner Gedichte auch so eng zusammengehören, dürfen sie dennoch nicht verwechselt werden, wobei die Entfernung zwischen ihnen groß oder klein sein kann. Bei Paul Celan ist sie so klein, dass wir seine Gedichte mit vollem Recht "sprechende Zeugen seiner Existenz" nennen können, sowie auch der Existenz all derjenigen, denen er nahe stand und die für die seine Gedichte Zeugnis ablegen. So hängt die Identität seiner Gedichte mit seiner eigenen Identitätssuche als Person und als Poet zusammen. Paul Celan übersetzte aus sechs Sprachen: aus dem Russischen, Englischen (auch aus dem amerikanischen Englisch), Italienischen, Rumänischen, Portugiesischen und Hebräischen. Seine Übersetzungen aus diesen Sprachen machen sowohl vom Umfang her als auch hinsichtlich ihrer Qualität einen gewichtigen Teil seines literarischen OEvres aus. Darüber hinaus übersetzte er aus dem Ukrainischen und muss auch mit dem Jiddischen und Polnischen vertraut gewesen sein. Celan spielte weder seine literarischen Übersetzungen zugunsten seiner eigenen Gedichte noch umgekehrt herunter. Im Gegenteil, mit hochentwickeltem Bewusstsein betrachtete er sowohl seine eigenen, als auch die von ihm übersetzte Lyrik als Teile seines Werks.
Von der Poetik und Rhetorik des Fremden zur Kulturgeschichte und Kulturtheorie des Übersetzens
(2004)
Der "grosse Kenner der Deutschen Ottave Rime" : Wielands Autorität bei Tasso-Übersetzern um 1800
(2004)
Ausgehend von einer zentralen Programmschrift romantischer Übersetzungskunst, die vor allem Ariosts "Orlando furioso" gilt, können zunächst Thesen zu Wielands Bedeutung für deutsche Stanzenübertragungen entwickelt werden. Zugleich sind die unterschiedlichen formalen Ansprüche zu bestimmen, die für die Übersetzung Ariosts auf der einen und Tassos auf der anderen Seite erhoben werden. In chronologischer Folge ist sodann Wielands jeweiliger Einfluß auf die Tasso-Übersetzungen seiner Zeit darzustellen und zu untersuchen, ob Wieland auch nach den epochalen Leistungen der Romantiker noch zu den Autoritäten in der Frage einer deutschen Stanze zählt. Vorliegende Studie soll damit eine Phase der deutschsprachigen Stanzendichtung näher bestimmen und einen Beitrag zur ungeschriebenen Geschichte der deutschen Stanze leisten.
Seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zieht die Übersetzung im Fremdsprachenunterricht (FSU) das Interesse der Fremdsprachendidaktiker auf sich. In den anhaltenden Diskussionen über den Stellenwert der Übersetzung im FSU bestehen aber immer noch verschiedene Meinungen. Die Meinungsverschiedenheiten beruhen vor allem auf diversen miteinander konkurrierenden Lerntheorien und damit auch auf unterschiedlichen methodischen Prinzipien. Im Zusammenhang mit den herrschenden didaktischen Richtungen und mit den unterschiedlichen Lernzielen, die im Fremdsprachenunterricht verfolgt werden können, wird auch die Übersetzung unter mehreren Gesichtspunkten betrachtet und bewertet. Hinsichtlich der Funktion der Übersetzung ist es inzwischen üblich geworden, zwischen zwei Verwendungsweisen zu unterscheiden: Einerseits wird die Übersetzung als ein methodisches Mittel zur Festigung, Erweiterung und Prüfung sprachlicher Fertigkeiten angewendet, andererseits ist sie als eine eigene Fertigkeit selbst ein Übungs- und Unterrichtsziel.