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Simmels Projekt einer "formalen Soziologie" wird der von Max Weber vertretenen Variante einer "verstehenden Soziologie" gegenübergestellt, um den Nachweis zu erbringen, daß Webers Kritik und Ablehnung von Simmels "soziologischer Methode" auf einigen grundlegenden Fehlinterpretationen von Simmels Werk beruhen. Zunächst wird Simmels Gebrauch des Begriffs der Wechselwirkung als eines „regulativen Weltprinzips" erläutert und dem von Weber vertretenen Prinzip der „kausalen Zurechnung" gegenübergestellt. Anschließend wird Simmels eigene Theorie des Verstehens im Rahmen seiner methodologischen Dreiteilung der Kulturwissenschaften in eine Erkenntnistheorie der Geschichts- und Sozialwissenschaft, in die entsprechenden empirisch verfahrenden Einzelwissenschaften bzw. "Wirklichkeitswissenschaften" im engeren Sinne sowie seine umfassende Theorie der kulturellen Moderne rekonstruiert. Schließlich wird Webers Vorwurf, daß Simmel den Anspruch auf kausale Erklärung zugunsten des Gebrauchs von quasi-ästhetischen Kategorien und Analogiebildungen aufgegeben habe, mit dem spezifischen kognitiven Status von Simmels "Philosophie des Geldes" verglichen und vor dem Hintergrund von Webers eigenem häufigen Gebrauch der Metapher der "Wahlverwandtschaft" diskutiert, welche ihrerseits eine kausaltheoretisch nicht weiter auflösbare logische Form eines gegenseitigen Beziehungsverhältnisses zum Ausdruck bringen soll, das eine nicht zu übersehende Ähnlichkeit mit dem von Simmel gebrauchten Begriff der Wechselwirkung besitzt.
Ausländer sind für die kulturelle Entwicklung der Bundesrepublik von großer Bedeutung. Auch sie müssen deshalb das Recht haben, sich umfassend politisch zu betätigen, fordert Seyed Shahram Iranbomy. Doch das bundesdeutsche Recht trennt nicht nur bei der Möglichkeit zu wählen scharf zwischen Deutschen und Ausländern, sondern auch in vielen anderen Bereichen. Wo dies der Fall ist und zu welchen Konsequenzen dies führt und noch führen kann, schildert Iranbomy einem Aufsatz, den wir im Wortlaut, aber ohne Fußnoten, dokumentieren. Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
In den Kämpfen vom Juni/Juli 1960 in Genua war der Dissens zur klassenversöhnlerischen und abwiegelnden Haltung der Italienischen Kommunistischen Partei (PCI) deutlich zu Tage getreten. Dabei waren Jugendliche als besonders militant aufgefallen. Die Medien nannten sie die "Jugendlichen mit den gestreiften Trikots". Die Bezeichnung machte deutlich, daß sie keine Arbeiter waren, zeugte aber auch von der Unfähigkeit, sie einzuordnen. Diese Generation von Jugendlichen war geprägt von einer Unzufriedenheit mit den rigiden Normender italienischen Nachkriegsgesellschaft. Die PCI war zwar auch für sie, in Ermangelung von Alternativen, der einzige Bezugspunkt. Doch ihre Vorstellungen standen im krassen Widerspruch zu der von der PCI propagierten Arbeitsmoral. Sie fanden sich ehr in der Haltung der aus Süditalien stammenden Arbeiter wieder. Allein von Ende der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre waren es nahezu anderthalb Millionen, die aus dem bäuerlichen Süden in den Norden auswanderten und ihren Platz am Band einnahmen. Für diese Massenarbeiter stellte sich Arbeit nicht wie von der PCI propagiert als "Befreiung" dar, sondern als Plackerei. ...
In Genua war bereits im Oktober 1969 die bewaffnete Gruppe "22. Oktober" als Reaktion auf die Kämpfe 1968/69 entstanden. Sie hatte die "Auslösung eines revolutionären Partisanenkrieges" zum Ziel. Um den Großverleger Feltrinelli bilden sich, kurz nach dem Mailänder Anschlag, die Partisanenaktionsgruppen GAP. Sie versuchen an die Tradition der Partisanen anzuknüpfen und vertreten ein klassisches Guerillakonzept. Im November 1970 entstehen die Roten Brigaden (BR) aus Teilen der Organisation "Proletarische Linke" und der Einheitsbasiskomitees (CUB) der Mailänder Fabriken. Sie sind vor allem bei Pirelli aktiv, greifen mit Anschlägen auf Autos von Abteilungscapos unterstützend in die Arbeiterkämpfe ein und agieren zunächst relativ offen. ...
Marco Revelli, eine der zentralen Figuren der Unibesetzung in Turin 1967, lehrt heute an der Fakultät für politische Wissenschaften der selben Uni. Revelli forschte und publizierte verschiedene Bücher zu Faschismus sowie zum Postfordismus, unter anderem auch einen Beitrag über Fordismus und Toyotismus für das Buch "Verabredungen zum Jahrhundertende" von Rossana Rossanda und Pietro Ingrao. In der deutschen Ausgabe wurde der Beitrag Revellis allerdings nicht veröffentlicht, er erschien im April ‘97 als Beilage zu der Zeitschrift "Sozialismus".
Im ersten Teil des Interviews mit dem italienischen Politologen Marco Revelli (Arranca! Nr. 12) ging es um die Funktionsweise der fordistischen und postfordistischen Fabrik, um die neuentstehenden und in die Gesellschaft verlagerten Konflikte sowie um die tendenziell überflüssige Rolle der Gewerkschaften. Im vorliegenden zweiten Teil nimmt Revelli zu der Frage nach Widerstandsmöglichkeiten Stellung.
Theorie-Wegweiser (Teil 1) : Nation: Begriffsklärung und Darstellung verschiedener Analyseansätze
(1998)
"Nation", "Nationalismus", "ethnischer Konflikt" usw. sind häufig verwendete Formulierungen. Hier soll ein Überblick über verschiedene Definitionen und Analysen erfolgen. Die Darstellung bleibt auf Ansätze beschränkt, die Ethnizität als Form sozialen Handelns analysieren, da Ansätze, die sich auf biologische Erbfaktoren, "Charaktereigenschaften" etc. berufen, für Linke sicher keinen Wert darstellen. Die beschriebenen Ansätze können zwei Funktionen erfüllen: Zum einen als analytisches Handwerkszeug dienen, zum anderen die Handlungsgrundlage, d.h. das bewußte theoretische Fundament, von Akteuren bilden. Bei der Anwendung auf politische Bewegungen und historische Situationen muß jedoch immer bedacht werden, daß politische Kultur und Verwendung bestimmter Begriffe nur vor dem konkreten historischen Hintergrund und der spezifischen Erfahrungswelt nachzuvollziehen sind. Der eigene Maßstab darf nicht zum einzig verbindlichen erklärt werden. ...
Im Westen nichts Neues : zur Tauglichkeit des Imperialismus-Begriffes für die aktuelle Analyse
(1999)
Rund um den Krieg gegen Jugoslawien erlebte der bereits etwas angestaubte Begriff "Imperialismus" eine erneute Renaissance. Der NATO-Angriff wurde als "imperialistischer Eingriff" tituliert und ganz Hartgesottenen hielten die Lektüre Lenins für unausweichlich, um den Werdegang der Welt zu verstehen. Wir gehen allerdings davon aus, dass der Begriff "Imperialismus", die Realität nicht mehr zu erfassen vermag und folglich auch kein Analyseinstrument mehr darstellt, das Handlungsoptionen aufzeigen kann. Angesichts der weitreichenden Veränderungen der Produktionsformen und politisch-ökonomischen Regulationsmechanismen im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte haben sich die militärischen Interventionen in ihrer Qualität grundlegend verändert. Dies macht sie weder besser noch schlechter als den altbekannten Imperialismus, doch ihre Andersartigkeit verlangt zur Kenntnis genommen zu werden, da es sonst schwer fällt politische Gegenstrategien zu entwickeln.
Kurz nach ihrem Wahlsieg im Herbst 1998 verständigten sich die neuen Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Rahmen der Koalitionsverhandlungen darauf, die Friedens- und Konfliktforschung verstärkt zu fördern. Die Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 formulierte im Kapitel Außenpolitik die Absicht der designierten Bundesregierung, sich "für den Aufbau einer Infrastruktur zur Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung" einzusetzen, wozu unter anderem die "finanzielle Förderung der Friedens- und Konfliktforschung" gehören sollte.
Besprechungsessay zu: Volkhard Krech, Georg Simmels Religionstheorie (= Religion und Aufklärung, Band 4). Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) 1998, 306 S. Friedemann Voigt, "Die Tragödie des Reiches Gottes?" Ernst Troeltsch als Leser Georg Simmels (= Troeltsch-Studien, Band 10). Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1998, 330 S.
Max Webers Beitrag zum "Grundriß der Sozialökonomik" ist uns in zwei verschiedenen Fassungen überliefert worden. Ihnen entsprechen zugleich zwei unterschiedliche Fassungen seiner soziologischen Grundbegriffe, die beide auf Ferdinand Tönnies' Hauptwerk "Gemeinschaft und Gesellschaft" Bezug nehmen. Ausgehend von dem bei Tönnies beschriebenen Gegensatz von Gemeinschaft und Gesellschaft wird zum einen Webers Gebrauch der Begriffe "Vergemeinschaftung" und "Vergesellschaftung" rekonstruiert, wie er sich in seinem Aufsatz "Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie" von 1913 und im älteren Teil von "Wirtschaft und Gesellschaft" niedergeschlagen hat. Zum anderen werden die Veränderungen aufgezeigt, die Weber an diesen Kategorien im Rahmen der Neufassung seiner soziologischen Grundbegriffe 1920 vorgenommen hat. Es wird dabei der Nachweis erbracht, daß es Weber erst mit der endgültigen Fassung seiner Grundbegriffe gelungen ist, die Marktvergesellschaftung und die anstaltsmäßige Vergesellschaftung im Rahmen einer einheitlichen Terminologie zu beschreiben.
Dass Arbeit und Produktion seit einigen Jahrzehnten einem rasanten Wandel in Form und Inhalt unterliegen, ist mittlerweile schon ein Allgemeinplatz. Doch die Reaktionen der Linken auf diese Veränderungen sind nach wie vor erschreckend. Die alte staatsfixierte Linke, also alle Kinder der Sozialdemokratie, von den Gewerkschaften bis hin zu den Parteikommunisten jeglicher Couleur, hat sich im Groben auf zwei Positionen verteilt: auf der einen Seite die "besseren Modernisierer", die Sozialdemokraten, mit denen wir es in fast allen Staaten der EU zu tun haben und deren "Neoliberalismus" sich vom us-amerikanischen Modell nur darin unterscheidet, dass diese den Sozialstaat (noch stärker als bisher) in eine Zwangsgemeinschaft verwandeln, um so das wegfallende Disziplinierungsmoment "Lohnarbeit" durch andere zu ersetzen und gleichzeitig Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse zu deregulieren. So wird das Bild des "aktivierenden Staates" propagiert, d.h. eine Abkehr vom früheren Wohlfahrtsstaat im Rahmen dessen - mal ganz abgesehen von seiner Disziplinierungs- und Kontrollfunktion - die Unterstützung ein Recht darstellte und die EmpfängerInnen in erster Linie alimentiert wurden. Das führt zu einem Modell staatlicher Förderung, in dem für Unterstützung eine Gegenleistung erwartet wird und die EmpfängerInnen von Unterstützung "animiert" (besser gesagt: gezwungen) werden sollen, die Leistungen nicht mehr in Anspruch zu nehmen und sich "Arbeit zu suchen". Da dies auf dem regulären Arbeitsmarkt kaum noch möglich ist, wird die "Selbstständigkeit" als Allheilmittel und Chance propagiert. So zahlt etwa das Arbeitsamt an "Arbeitslose", die eine selbstständige Aktivität in die Wege leiten, die Unterstützung sechs Monate weiter - danach erlöschen aber jegliche Ansprüche. Dass es sich hierbei um die Durchsetzung von Maßnahmen handelt, die darauf abzielen, Arbeitsverhältnissse weiter zu deregulieren und die in einen ideolgogischen Rahmen eingebettet sind, ist offensichtlich. Die hierin propagierten Anforderungen stehen aber im Widerspruch zur Selbstwahrnehmung vieler selbstständig Beschäftigter. ...