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Es gibt Sätze, die Lächeln als physiognomische Ausdrucksform überlegener Distanz zu erzwingen scheinen. Einen solchen Satz erkenne ich in einen Diktum, das Max Weber in seiner Rede Wissenschaft als Beruf 1917 nennt und das Helmuth Plessner 1924 in seiner Schrift Grenzen der Gemeinschaft1 zitiert: "Bedenkt, der Teufel, der ist alt, so werdet alt, ihn zu verstehen."
Plessner erinnert in der gleichen Schrift auch an eine Variation des Satzes, die lautet "Wer mit dem Teufel isst, muss einen langen Löffel haben." Beide Sprichwörter sind 1919 (angesichts der Bürgerkriegssituation) und 1924 (zu Beginn der Stabilisierungsphase, wo dies eigentlich gar nicht mehr nötig ist) gegen die Ungeduld der Jugend, die revolutionäre Neigungen hegt, gerichtet. Sie unterstreichen die Notwendigkeit, sich in die faktischen Züge des Gegners zu versenken, um in kühlem Verstande und gehöriger Distanz ihre Reichweite abschätzen zu können, statt die feindliche Macht durch unbeherrschte Affekte, durch Entrüstung oder Flucht zu stärken. Es ist im Übrigen ein Lächeln, das, wie jedes Lächeln erwachsener Kombattanten, keinen ausgeprägten motorischen Impulswert ausstrahlt. Man wird bei solchen Verlautbarungen mit leicht asymmetrischen Gesichtszügen rechnen. Die Aufhebung der Augenpartie steht in einem merkwürdigen Widerspruch zu den Mundwinkeln, die sich weigern, Heiterkeit zu mimen. Der Zygomaticus-Muskel zieht diesmal den Mund nicht nach oben und zurück, wodurch normalerweise physiologisch die Bühne für ein glückliches Lächeln bereitet wird. Für Helmuth Plessner, dessen Theorie des Lächelns wir bald behandeln werden, lag diese Asymmetrie des Mienenspiels im Schiefen der Situation. Plessner vermutet sogar, dass die Physiologen Recht haben könnten, wenn sie behaupten, dass Lächeln immer dann entstehe, wenn die durchschnittliche Gespanntheit der mimischen Muskulatur nur einer Enthemmung bedürfe, um in Lächeln überzugehen. Er beruft sich dabei auf den niederländischen Wissenschaftler Buytendijk, für den das Paradox des Lächelns "in der Spannung einer Muskelgruppe, welche Spannung als Entspannung einer aktiven Ruhelage erlebt werde", besteht. In jedem Fall zeugt es davon, wie viel muskuläre Arbeit Lächeln zuweilen erfordert, um verlorene Balance wieder herzustellen – und wie viel Mühe, dieser Anstrengung den Schein des Lässigen zu verleihen.
Wie die Gesichter der Menschen, die in früheren Epochen gelebt haben, ausgesehen haben, wissen wir nicht. Wir haben keine Ahnung, welche Gesichtszüge sie hatten. Uns ist unbekannt, mit welcher Miene sie ihre Zeitgenossen angeschaut haben, wie ihr Lächeln, ihre Trauer, ihre Angst oder ihr Zorn ausgesehen haben mögen. Und wir wissen nicht, ob wir das Antlitz der früher lebenden Menschen als schön und angenehm empfänden oder uns lieber abwenden würden. Wir kennen ihre Züge nur durch bildliche Darstellungen: von Skulpturen, aus deren ebenmäßigen Gesichtern uns die steinernen Augenhöhlen wie blind anschauen, von den Abdrücken der Grabmasken mit ihren toten Blicken, denen immer etwas Fremdes oder Geheimnisvolles anhaftet, oder aus der Malerei, aus deren Geschichte die Gattung des Porträts hervorgegangen ist. In ihm verdichtet sich die Idee vom getreuen Abbild einer Person mit individuellen Gesichtszügen, so dass es zum Modell und Ideal des Bildnisses geworden ist: das Porträt als ähnliches Abbild eines lebenden Urbildes, in dem dessen Gesicht als gleichsam natürlicher Ausdruck des Charakters eingefangen ist. Doch bildet das Porträt nicht nur das Ideal von Gesichtsdarstellungen, es ist auch deren Sonderfall. Sowohl die Gesichter, die uns aus der Zeit vor dem Zeitalter der Porträts überliefert sind, als auch die medialen Gesichter und die Dekonstruktionen in der Kunst der Moderne machen deutlich, dass uns Gesichter überwiegend in Gestalt von Artefakten vertraut sind. Das Bild vom Menschen basiert nicht unwesentlich auf der Geschichte von Bildnissen.
Die Konstruiertheit und Unzuverlässigkeit der Erinnerung wird heute in der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung nicht bestritten. Aber in Rayk Wielands Roman Ich schlage vor, dass wir uns küssen ist die Erinnerung buchstäblich eine Erfindung oder, genauer gesagt, sie ist das Resultat einer phantasievollen Auslegung und "fehlgeleiteter Schnüffelphilologie" (Reents 2009). Der Träger des individuellen Gedächtnisses ist in diesem Fall nicht das individuelle Gehirn, sondern es sind die Stasi-Akten, und seine Stütze ist eine Erinnerungspolitik, die unbedingt Opfer und Heroen braucht, um ihre Vergangenheitsrekonstruktion zu legitimieren.
At first glance, "The Name of the Wind" and "The Wise Man's Fear", volumes I and II of Patrick Rothfuss' as yet incomplete trilogy "Kingkiller Chronicles", appear to fulfill many conventions of heroic fantasy. The books are set in a world called the Four Corners (of civilization), consisting mostly of feudal states, a mostly rural and agrarian landscape. This world has a distinct but slightly vague "old-timey" atmosphere – there is little technology, transport is mainly by horse-power, there seem to be no fire-arms and no media. However, a form of postal service exists, science and medicine are taught at university and women have access to university education, so it is hard to place this fictional universe within a "real-life" historical epoch.
Philip Guston (1913−1980) beginnt seine Karriere als figurativer Zeichner und Maler in Los Angeles. In den 1930er Jahren lernt er den Muralismus kennen und arbeitet als Gehilfe von David Alfaro Siqueiros bei der Ausführung von Wandmalereien in Mexiko. In den 1940er Jahren entstehen die ersten abstrakten Gemälde. Keinem Anliegen verpflichtet, das außerhalb des Malens angesiedelt ist, sind die Bilder allein in der Malerei gegeben. Die Bedingungen, denen sich diese Malerei unterwirft, sind in sie selbst hineingenommen und zu etwas Innerbildlichem geworden. Die Wahl von Malmaterial, Pinsel, Format, die Art und Weise, wie die Leinwand gespannt ist, die Grundierung und das Bindemittel sind schon malerische Entscheidungen: Sie spannen die Triebfeder der Malerei und entwinden sie zugleich dem Determinismus, den die materiellen und technischen Bedingungen ausüben. Guston setzt weder eine anderswo formulierte Bildidee um, noch steht diese in einer nachholenden oder illustrierenden Beziehung zum Begriff. Er gebraucht keinen vorgängigen Code von Farben und Formen: Statt distinkter Farbformen gibt es übergängige Zonen und Blöcke mit einer Tendenz zur losen Gruppierung. Die Farben sind aus der Arretierung in Formen gelöst und bilden Zonen, die durch eine Beziehung der Kontiguität verbunden sind; ihr Übergang und Zusammenspiel ist der Malweise selbst, nicht aber einer übergreifenden Komposition von Farbformen überantwortet.
Es ist keine sehr originelle Einsicht, dass die grundlegend neuen Perspektiven auf die Kunst des 20. Jahrhunderts, die Walter Benjamin in seinem Aufsatz über "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" skizziert hat, am Paradigma der visuellen Künste gewonnen wurden. Das lässt sich exemplarisch am Begriff der Aura demonstrieren, der für Benjamins Theorie des traditionellen Kunstwerks von zentraler Bedeutung ist. Allein das Bild, das als Unikat durch die Räume und Zeiten wandert und sich dabei mit historischer Substanz sättigt, ist Träger der Aura. [...]
Es liegt auf der Hand, dass es die Aura [...] bei akustischen Kunstwerken nicht geben kann. Musik und Theater bieten kein Identisches, das sich materiell in der Geschichte durchhält wie ein Bild und in diesem spezifischen Sinne traditionsstiftend wirkte. Wir haben bloß den Text als ein unvollständiges Gerüst, das von Aufführung zu Aufführung neu aktualisiert wird. Zwar gibt es zweifellos und gerade in der akustischen Kunst eine besondere Emphase auf dem "Hier und Jetzt" (475), von dem Benjamin im Zusammenhang des traditionellen Kunstwerks redet, aber dieses Hier und Jetzt ist grundlegend anders zur Geschichte vermittelt als das beim bildenden Kunstwerk der Fall ist. Der Begriff des Unikats, den Benjamin letztlich aus dem Kultbild herleitet (480 f.), ergibt bei der Musik (und in gewissem Sinne auch in der Literatur) von vornherein keinen Sinn. Was bedeuten 'Nähe' und 'Ferne' im Falle der Musik und der musikalischen Reproduktion? Wenn der Begriff der Aura hier überhaupt eine systematische Stelle hat, dann muss er anders gefasst und positioniert werden als in der bildenden Kunst.
Für fantastische Literatur werden neue Welten durch Autor_innen erdacht, neue Räume eröffnet. Fremdes wird dargestellt und beschrieben. Dabei sind es selten komplett "neue Welten". Es wird nichts oder nur wenig beschrieben, was uns absolut "fremd" ist. Häufig werden Symbole und Darstellungen verwendet, die auch in der primären Welt als "fremd" konstruiert werden und damit für "Fremdes" stehen, ohne uns tatsächlich fremd zu sein. Denn das, was als "fremd" gilt, wird nicht nur in oder besser für fiktive Welten konstruiert, sondern vor allen Dingen in gesellschaftlichen Diskursen. Das Fremde ist uns also – so paradox das auch zunächst klingen mag – häufig bekannt.
So wurden die verschiedenen "Anderen" in der europäischen Kulturlandschaft so häufig beschrieben, dass sich ganze Beschreibungsgebäude aufgebaut haben. Das reicht von Rosseaus "edlem Wilden" über die Darstellungen von Native Americans in sogenannten "Indianer"- oder "Wild-West-Filmen" sowie Darstellungen in Kinderbüchern wie z.B. Pippi Langstrumpf über ethnologische und biologische Abhandlungen über "die Anderen" bis hin zu Darstellungen der kolonisierten Menschen auf Keksdosen oder Schokoladenverpackungen. Diese Stereotype sind nicht in einem ahistorischen oder gar machtfreien Raum entstanden. Sie sind durch Schlagwörter wie "Verallgemeinerung" oder "historisch gewachsen" nicht ausreichend beschrieben. Diese gängigen Stereotype, die sich auch heute noch in vielen Publikationen wiederfinden, suggerieren ein "Wissen" über "die Anderen" und werden in der ideologiekritischen Rassismusforschung als Bestandteil einer Ideologie bzw. eines machtvollen "Ideensystem[s]" begriffen – nämlich des Ideensystems Rassismus.
Wie müsste ein filmisches Gegenstück zur klassischen Utopie aussehen? Dass ein Spielfilm in vielerlei Hinsicht ungeeignet ist für einen Gesellschaftsentwurf in der Tradition der morusschen "Utopia" (1516), ist im Grunde unbestritten. Es gibt denn auch kein Beispiel eines fiktionalen Films, der diesem Typus auch nur halbwegs nahe käme. Die Schlussfolgerung, dass positive Utopien im Film generell unmöglich sind, wäre allerdings voreilig, denn es existieren durchaus Spielarten des Mediums, in denen die klassische Tradition lebendig ist. So paradox es auf den ersten Blick auch scheinen mag – ausgerechnet im nichtfiktionalen Film findet die Utopie, die per definitionem von (noch) Nicht-Existierendem berichtet, einen fruchtbaren Boden.
Den grundlegenden Gedanken, dass das filmische Gegenstück zur klassischen utopischen Literatur im Dokumentarfilm zu suchen ist, habe ich bereits in meinem Beitrag zum Tagungsband der dritten GFF-Jahrestagung ausgeführt. Hier soll diese These nun genauer ausgearbeitet werden. Der Fokus liegt dabei auf dem bereits angedeuteten Widerspruch, dass eine Gattung, die sich just durch die Abbildung des Realen definiert, geeignet sein soll, um die Nicht-Orte der Utopie darzustellen. Nach einer kurzen Zusammenfassung meiner bisherigen Überlegungen wird der Schwerpunkt des Artikels deshalb auf der Theorie des Dokumentarfilms liegen.
Vor dem Hintergrund historischer wie aktueller Theoriebildung in den Sozial- und Kulturwissenschaften ist die Kategorie 'Ausdruck' ebenso fundamental wie obskur. Der Ausdrucksbegriff ist ausgesprochen vieldeutig, die Verwendung des Terminus in den jeweiligen Theoriesprachen uneinheitlich und seine theoriestrategische Platzierung durch die je verschiedenen Erkenntnisinteressen überaus heterogen bestimmt. Die erneute Konjunktur des Ausdrucksdiskurses dürfte sich indessen nicht nur einem breiten Interesse an der Materialität der Kommunikation verdanken, sondern auch der zunehmenden Skepsis gegenüber kognitivistisch verkürzten Konzepten des Geistes, die den aktuellen Lektüren Heideggers, Wittgensteins, Merleau-Pontys u.a. im praxeologischen Lager erwachsen. [...] Ich werde zunächst kurz begründen, warum der Ausdrucksbegriff für die sozial- und insbesondere kommunikationswissenschaftliche Theoriebildung so grundlegend ist. Voraussetzung der Freilegung dieser Fundamente ist allerdings die Verabschiedung cartesianischer Positionen innerhalb des Ausdrucksdiskurses sowie die Einsicht in den performativen Charakter des Ausdrucks als situierte Ausdrucksbewegung. Von dort ergeben sich dann entsprechende Einsichten in den Zusammenhang von praktisch vollzogenen Ausdrucksbewegungen und ihren Vergegenständlichungen, an denen sich dieser Vollzug orientiert. Vor diesem Hintergrund sollte einsichtig werden, dass man das die Geistes- und Sozialwissenschaften von je her beschäftigende Verhältnis von Performanz und Objektivation schließlich auch an Ausdrucksphänomen rekonstruieren kann.
Ausdruck und Verkörperung : Fritz Kortners Überlegungen zu Stimme und Geste in Film und Theater
(2013)
Bertolt Brecht hat in seinem 'Arbeitsjournal' aus dem kalifornischen Exil die Schwierigkeiten eines seiner Bekannten, des Schauspielers Fritz Kortner (1892−1971), in den Filmstudios von Hollywood beschrieben: "Kortner kann keine rolle bekommen. eisler erzählt, daß die leute in RKO [Radio Keith Orpheum, eine amerikanische Radio- und Filmgesellschaft] bei der Vorführung von Probeaufnahmen laut gelacht hätten: er habe mit den augen gerollt. nun ist eigentliches spiel hier verpönt, man gestattet es nur den negern. die stars spielen nicht rollen, sondern kommen in "situationen". Ihre filme bilden eine art von comics (abenteurerroman in fortsetzungen), welche einen typ in vielen bedrängnissen zeigen (selbst die wiedergabe der story in der presse sagt etwa: gable haßt garbo, hat aber als reporter … usw.). aber gerade seine arbeitslosigkeit veranlaßt k[Kortner], sogar im privatleben sehr viel mehr zu spielen, als er es je auf der bühne tat. ich sehe ihn mit einem gemisch von heiterkeit und entsetzen eine einfache erzählung unbedeutender vorgänge mit einem unmaß von gestik und "ausdruck" vortragen." Diese Eintragung Brechts aus dem Jahre 1942 ist über den anekdotischen Anlass hinaus aufschlussreich. Brecht notiert die unterschiedlichen Auffassungen bei europäischen Emigranten und den Gewaltigen der amerikanischen Filmindustrie hinsichtlich dessen, was es heißt, eine Rolle zu spielen. Fritz Kortner verfügt über die vokalen und mimisch-gestischen Ausdrucksmittel der expressionistischen Schauspieler-Generation vor und nach dem Ersten Weltkrieg, er weiß, wie man etwas 'mit Ausdruck' vorträgt. Doch erscheint eben dieser von ihm so virtuos verkörperte Schauspielertypus im amerikanischen Filmgeschäft der 40er Jahre nur noch als exotisch. Allenfalls wird dergleichen bei 'Negern', also den Verlachfiguren des Hollywood-Films, toleriert. Von weißen Schauspielern wird etwas anderes erwartet: Nicht die Verwandlung ist das Ziel, sondern die Wiedererkennbarkeit der Stars in unterschiedlichen Kontexten. Und gefragt ist eine unterkühlte und - gemessen an europäischen Maßstäben - anti-theatralische Art des Schauspielens mit herabgesetztem Einsatz von Mimik, Gestik und vokalen Mitteln.