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Volkmar Sigusch entfaltet in diesem Buch eine kurzweilige und vielschichtige Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Sexualwissenschaft zwischen der Mitte des 19. und dem Ende des 20. Jahrhunderts. Auf siebenhundert Seiten durchschreitet er eine ebenso umfangreiche wie lehrreiche "Ahnengalerie" der scientia sexualis – als Wissenschaftsgeschichte jedoch vermag diese Untersuchung nur bedingt zu überzeugen.
Die Autorin des präsentierten Handbuchs bietet auf 113 Seiten ein reichhaltiges, keinesfalls monotones Angebot an sprachpraktischen Spielübungen und Spielformen (verschlüsselte Sprichwörter, Puzzle, Sprichwortkombinatorik, Dominospiel, versteckte Phraseologismen in den Texten und viele andere), an, die die Lehrer davon überzeugen sollen, dass sich der Umgang mit den Phrasemen im Unterricht nicht nur auf den Umgang mit den Wörterbüchern oder auf zufälliges Auftreten in einem Text orientieren soll.
Wer sich an das gremiensichere Deutsch wissenschaftlicher Antrags- und Aufsatzprosa gewöhnt hat (oder gewöhnen musste), wundert sich. Der emeritierte Professor der Sexualwissenschaft Volkmar Sigusch stellt die Geschichte der Sexualwissenschaft in einer Weise dar, die von den einen sicherlich vorschnell als diskursives Relikt der 68er abgetan, von den anderen als wohltuende Erinnerung an die Möglichkeit kritischer Wissenschaft angenommen werden wird. Ob "mannfrau" darüber verärgert oder erleichtert ist, sei dem/der Einzelnen überlassen. In jedem Fall gehen persönliches Engagement und überragendes Fachwissen, subjektive Einsichtnahme und Materialsättigung, Verständnis für die Akteure der Sexualwissenschaften und kritische Distanzierung, Eloge und Demystifikation in diesem Werk eine anregende Verbindung ein. Siguschs subjektive Objektivität kann als Beispiel und Kennzeichen kritischer Sexualwissenschaft gelten (S. 510). Sie macht aus der Lektüre des umfangreichen Buchs eine aufrüttelnde Erfahrung. Denn sie zwingt dazu, den gegenwärtigen (und nicht allein wissenschaftlichen) Umgang mit der körperlichen Liebe aus den Versprechungen, Verdrängungen und Verfehlungen der mit ihrer Erforschung betrauten Wissenschaft neu verstehen zu lernen. Insofern ist die Geschichte der Sexualwissenschaft ein sozial- und sittengeschichtliches Unternehmen ersten Ranges und von höchster Aktualität. ...
Hypothese 1: Ein Verleger hat eine Idee. Es fehlt auf dem Markt ein handliches Buch über die antiken Theater, griechische wie römische. Ein älteres Buch mit dem Titel "Antike Theater in Attika und auf der Peloponnes" ist vergriffen, der Verlag des genannten Buchs hat seine Produktion eingestellt. Der Autor wird gefragt, ob er nicht sein Buch in erweiterter Form neu auflegen möchte. – Hypothese 2: Ein Autor hat ein Buch unter dem Titel "Antike Theater in Attika und auf der Peloponnes" 1996 beim tuduv-Verlag in München herausgegeben. Das Buch ist inzwischen vergriffen, der Verlag hat seine Produktion eingestellt. Der Autor fragt bei einem anderen Verlag an, ob Interesse an einer Neuauflage besteht. Er erhält eine positive Antwort, wird aber aufgefordert, den Inhalt des Buchs zu erweitern und Theater außerhalb der genannten Landschaften zusätzlich zu berücksichtigen.
Keine Hinweise erlauben es dem Rezensenten, sich für die Gültigkeit der einen oder der anderen der beiden Hypothesen zu entscheiden. ...
Einen nicht wegzudenkenden Bestandteil der Tätigkeit eines Hochschullehrers bildet die Veröffentlichung der Ergebnisse seiner langjährigen Forschung in verschiedenen Sammelbänden und Publikationen. Aus diesem Grund war der vorliegende Sammelband des Instituts für Germanistik an der Philosophischen Fakultät der Prešover Universität in Prešov eine große Herausforderung für alle Interessenten, die die Möglichkeit ausnutzten, sich in dieser repräsentativen Form zu präsentieren.
Die kompakte Monographie, die mittlerweile auch in englischer Sprache erschienen ist, wurde von Arvid Göttlicher verfasst, der in den vergangenen gut 30 Jahren bereits mehrere Bücher zur antiken Seefahrt vorlegte und als einer der profundesten Kenner der Materie im deutschsprachigen Raum gelten darf. Bei dem hier zu besprechenden Werk aus dem Jahre 2006 wurde allerdings ein Titel gewählt, der nicht besonders treffend erscheint. Es handelt sich hier keineswegs um eine Einführung zur antiken Schifffahrt, wie der erste Titelteil suggeriert; vielmehr steht die Auseinandersetzung mit den Teilen von Herodots Werk im Vordergrund, die diverse Aspekte der Nautik behandeln. ...
Rezension zu Erdmut Jost: Landschaftsblick und Landschaftsbild. Wahrnehmung und Ästhetik im Reisebericht 1780-1820. Sophie von La Roche - Friederike Brun - Johanna Schopenhauer (= Rombach Wissenschaften. Litterae; Bd. 122), Freiburg/Brsg.: Rombach, 2005 ; Irmgard Egger: Italienische Reisen. Wahrnehmung und Literarisierung von Goethe bis Brinkmann. München/Paderborn: Fink, Verlag ; Guntram Zürn: Reisebeschreibungen Italiens und Frankreichs im Morgenblatt für gebildete Stände (1830-1850). Frankfurt/M. [u.a.]: Lang, 2008 ; Flucht ins Land der Schönheit: Briefwechsel zwischen Georg Gottfried Gervinus und Karl Hegel auf ihrem Weg aus den politischen Konflikten des deutschen Vormärz nach Italien - und zurück (1837-1839). Aus den Beständen der Universitätsbibliothek Heidelberg/Regina Baar. (Archiv und Museum der Universität Heidelberg; 14). Ubstadt-Weiher, Heidelberg, Basel: Verlag Regionalkultur, 2008 ; Brigitte von Schönfels: Das Erlebte ist immer das Selbsterlebte. Das Reisefeuilleton in deutschen Zeitungen zwischen der Revolution von 1848 und der Reichseinigung (Presse und Geschichte: Neue Beiträge; 19). Bremen: Ed. Lumière, 2005.
Der Kulturwissenschaftler Andreas RECKWITZ beschäftigt sich in seinem Buch mit dem Titel "Subjekt" dergestalt mit einer Reihe von strukturalistischen bzw. poststrukturalistischen Autor/innen, dass er ihre Werke als Beiträge zu einer Analyse des Subjekts in der Moderne interpretiert. In dem vorliegenden Aufsatz werden nun nicht nur diese Interpretationen in groben Zügen wiedergegeben, sondern es wird auch der Versuch unternommen, ihre die Empirie aufschließende "Kraft" zu "prüfen". In dem Bezug auf einen Ausschnitt aus dem Alltag der Schule, einer Unterrichtsstunde im Fach Deutsch, zeigt sich, wie diese unterschiedlichen "subjekttheoretischen Analysestrategien" zu jeweils anderen, interessanten und aufschlussreichen Interpretationen führen können. Darüber hinaus wird aber auch deutlich, dass auf die Vorstellung von Subjektivität – und damit auch von Bildung und Mündigkeit – nicht verzichtet werden kann. Ohne diese Vorstellung wäre die pädagogische Praxis zynisch – und ihr Verständnis unmöglich.
The present article is a review of Joachim Wittstock’s last novel: Die uns angebotene Welt. Jahre in Klausenburg [The World offered to us. The Years in Cluj] printed by the ADZ Publishing House of Bucharest in the year 2007.
"Wenn irgend jemand für die Richtigkeit des Satzes einstehen kann, dass derjenige am weitesten kommt, der das Ziel des Weges nicht kennt, dann ist es Augustus." Mit diesen Worten ist die Dynamik der Lebensgeschichte des Augustus gut beschrieben. In welcher politischen Konstellation der an ihren inneren Widersprüchen zugrunde gehenden Römischen Republik der junge Gaius Octavius Erbe des Diktators Caesar wurde, wie er sich im riskanten Machtkampf gegen Marcus Antonius durchsetzte und schließlich den Prinzipat errichtete und gestaltete, wird in der jüngsten, von Klaus Bringmann verfassten Biographie des Kaisers in großen erzählerischen Linien und zugleich detailgenau dargestellt. Sein vom Umfang her knapp gehaltenes Werk konzentriert sich auf die Person und die Politik des ersten Prinzeps und lässt ihn in seinem zunächst rücksichtslosen Ringen um die Herrschaft, das dann durch eine in den Formen kompromissbereite und zugleich entschieden propagandistische Ausgestaltung der gewonnenen Macht abgelöst wurde, plastisch hervortreten. Dabei ist die Biographie immer quellennah geschrieben, besonders aber in den letzen Abschnitten, die anhand zahlreicher epigraphisch überlieferter Entscheidungen des Augustus zeigen, wie die Prinzipatsherrschaft in der Praxis funktionierte und warum das Wirken des Kaisers von den Reichsuntertanen als wohltätig und friedensstiftend erlebt wurde. ...
Der Christine Kulke gewidmete Sammelband gibt einen Überblick über verschiedene Diskussionen in der Genderforschung und konzentriert sich dabei auf die Bereiche Arbeit, Politik und demokratische Entwicklungen. Die häufig kursorischen Beiträge liefern Einsichten in so verschiedene aktuelle Themenfelder wie Partizipationsforschung, Gender Mainstreaming und Prekarisierung. Zeitgeschichtliche Erkenntnisse bieten Artikel über Bildungspolitik in der DDR und die Arbeitsverhältnisse von Dienstmädchen. Das Versprechen eines gemeinsamen Bezuges auf die Kritische Theorie und auf kritische Vernunft wird jedoch nicht eingelöst. Die Artikel eint lediglich ihre Herkunft aus der Genderforschung.
Philipp der Schöne drohte stets ein wenig unterzugehen zwischen dem Glanz seiner burgundischen Vorgänger von Philipp dem Kühnen bis Karl dem Kühnen, den Memorialleistungen seines Vaters Maximilian, des "letzten Ritters", und dem weltumspannenden Ausgreifen Kaiser Karls V. In den letzten Jahren aber wurde er zunehmend aus diesem Schattendasein befreit: Bereits 2003 erschien eine magistrale Biographie aus der Feder J.-M. Cauchies’, 2006 bot Philipps 500. Todestag den Anlass zu einer Ausstellung der Königlichen Bibliothek in Brüssel. Begleitet wurde dieses Projekt von dem hier vorzustellenden Katalogband, wobei der Rezensent die Ausstellung selbst bedauerlicherweise nicht besuchen konnte. ...
Wohl kaum ein anderes Falsifikat des Frühmittelalters, mit Ausnahme vielleicht der Falschen Dekretalen des sogenannten Pseudo-Isidor (Paschasius Radbertus), hat die Forschung derart intensiv in Atem gehalten wie das Constitutum Constantini . Seit Lorenzo Valla in seiner bahnbrechenden Studie aus dem Jahr 1440 ( De falso credita et ementita Constantini donatione ) das Dokument mit inhaltlichen Argumenten als apokryph erweisen konnte, hat die Frage nach Entstehungszeit und -ort Dutzende von Forschergenerationen beschäftigt. Da – angeblich – Konstantin der Große nach der Heilung vom Aussatz und anschließender Verlagerung seines Amtssitzes von Rom an den Bosporus die gesamte Westhälfte des Römischen Reiches dem Papst überlassen habe, damals Silvester I. (314–335), lag selbstredend die alte Frage nach dem Cui bono nahe: Aufgrund der Tatsache, dass der Apostolische Stuhl eindeutiger Nutznießer der Konstantinischen Schenkung ist, konnte folglich die Fiktion nur an einem Ort entstanden sein, nämlich in Rom. Diese Sicht der Dinge schien eindeutige Bestätigung zu erfahren durch die philologische, hier vor allem quellenkritische Analyse des Textes: Nicht wenige Passagen ähneln solchen Formulierungen, wie sie in der Korrespondenz der Päpste Paul I. (757–767) und Hadrian I. (772–795) anzutreffen sind, einer Briefsammlung, die gemeinhin unter dem Rubrum Codex Carolinus bekannt ist (Unikat: Cod. Wien lat. 449, saec. IX ca. med., nordalpine Schriftheimat, wohl direkte Kopie des Originals aus dem Jahr 791). So dominierte in der Forschung über Jahrhunderte die Position, das Constitutum Constantini sei ein Produkt der kurialen Kanzlei des späteren 8. Jahrhunderts. Nur vereinzelte Stimmen wurden laut, die fränkischen Ursprung und thematischen Zusammenhang mit dem pseudoisidorischen Fälschungskomplex postulierten, demnach eine Genese im mittleren 9. Jahrhundert favorisierten (in diesem Sinn dezidiert die wichtige Studie von Hermann Grauert, Historisches Jahrbuch 3–5, 1882–1884, dazu unten mehr). Letztere Position ließ sich vor allem deshalb nachdrücklich vertreten, weil erstens die frühesten Handschriften des Constitutum Constantini (geschrieben in den 850er/860er Jahren) gleichzeitig die ältesten Überlieferungsträger der pseudoisidorischen Dekretalen sind (u. a. Vatikan Ottobonianus latinus 93; Vatikan latinus 630; dann der noch nirgendwo gebührend beachtete Cod. Rennes 134, der keineswegs ins 11., sondern ins mittlere 9. Jahrhundert zu datieren ist (New Haven 442 enthält das CC erstaunlicherweise nicht) sowie die frühesten Zeugen der Version A2 wie etwa Aosta 102, Ivrea LXXXIII, Rom Vallicellianus D 38 und Sankt Gallen 670); und weil zweitens keinerlei zweifelsfreie Rezeption des Constitutum Constantin i vorliegt bis zu der Zeit, als es eben Eingang fand in die Sammlung falscher Papstbriefe, die ab den 830er Jahren im Kloster Corbie fabriziert wurden. Corbie, die abbaye royale an der Somme, ist demnach der überlieferungsgeschichtlich früheste Ausgangspunkt des Constitutum Constantini . Dazu gesellt sich die Abtei Saint-Denis, in deren Formelsammlung (Cod. Paris latinus 2777, der hier interessierende Teil geschrieben saec. IX 2 ) das Falsifikat ebenfalls enthalten ist. Der Version des Parisinus – dies haben eingehende Untersuchungen im Rahmen eines Oberseminars im Wintersemester 2008/09 klar bestätigt – kommt eine eindeutige textqualitative Präferenz zu gegenüber der pseudoisidorischen Traditionsform, die redigiert und sprachlich geglättet wurde. Das Constitutum Constantini , so wird man mit dem derzeit gültigen Forschungsstand (Horst Fuhrmann) festhalten können, ist kein Produkt der Fälscherwerkstatt in Corbie. Gleichwohl sollten überlieferungsgeschichtliche Spezifika (Corbie und Saint-Denis als herausragende geistige Zentren des Frankenreichs, demgegenüber aber keine frühe Präsenz des Constitutum Constantini in Rom) gebührende Beachtung finden.
An diesem Punkt setzt Johannes Fried an. ...