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Wir lesen die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge wieder und finden Rilke hinter jeder Zeile, so wie ihn Rudolf Kassner beschreibt: den zartesten, reinsten Bogen der Brauen, zwei Augen blauesten Blaus, Augen zugleich des Knaben und des Sehers, die slawische und spürende Nase, den blonden Schnurrbart … Kassner fügt hinzu: Rilke war Dichter, auch wenn er sich nur die Hände wusch. [...] Patrick Modiano: "Préface". In: Rainer Maria Rilke: Les Cahiers de Malte Laurids Brigge. Récit. Traduit de l'allemand par Maurice Betz. Paris: Éditions du Seuil 1980
Die Sonette an Orpheus sind in vieler Hinsicht verschlüsselt und treiben damit bestimmte Züge Rilkescher Dichtung auf einen Höhepunkt. In den hier behandelten zwei Sonetten wird die existentielle Fragestellung in poetologische Überlegungen überführt: in den "Übergangsjahren" zu den späten großen Zyklen experimentierte Rilke auch schon mit einer besonderen Natur- und Raumerfahrung bzw. mit der Setzung eines neuen Objekt-Subjekt-Verhältnisses, in dem ihre Übergänge und ihre gegenseitigen Wandlungen eine tastende Artikulation erfahren und damit die sich von konkreten Bezüglichkeiten immer mehr entfernenden Formulierungen, wie sie dann in den Sonetten an Orpheus auftreten, allmählich einleiten.
Im Ganzen gesehen verfügen Rilkes verstreute Widmungsgedichte nicht über eine defizitäre, sondern über eine andere Poetik als die in Gedichtsammlungen veröffentlichten, aber auch als die verstreuten nicht-gewidmeten Texte. Gründe genug also, im Folgenden einmal genauer nach einer Typologie und der Poetik von Rilkes verstreuten Widmungsgedichten zu fragen - zumal sich die Rilke-Forschung bisher weder mit diesen noch mit anderen Widmungen näher beschäftigt hat.
So schnell der Dichter und die Schauspielerin sich gegenseitig schätzen lernen, so kurz währt die Freundschaft. Nach einer kurzen, intensiven Beziehung bleibt nur eines übrig: die zwei Gedichte, die Rilke in der Nacht des 4. Juli in Geschenkexemplare des "Buch der Bilder" beziehungsweise des "Stunden-Buchs" eingetragen hat. Man kann zwar die zwei Gedichte als Denkmäler einer flüchtigen, dafür aber intensiven Begegnung begreifen, doch führt dieser hier kurz skizzierte biographische Kontext bei einem so innigen Dichter wie Rilke in die Irre. Denn das erste, längere Gedicht hat mit der vermeintlichen Geliebten gar nichts zu tun; wie so oft in seinem Leben nimmt Rilke die Beziehung zu einem anderen vielmehr zum Anlass, seine eigenen Gefühle zu erkunden. Was Sigmund Freud wohl als narzisstische Selbstliebe bezeichnet hätte, mag man etwas wohlwollender als die nötige Selbstbesessenheit des lyrischen Dichters verstehen. Wie dem auch sei: dem ersten Gedicht bleibt das Zwiegespräch, das "Du", vorenthalten. Dafür wendet sich das zweite, knappere Gedicht direkt an die Geliebte. Dass dieses Gedicht mit "Rainer", jenes mit der formelleren Unterschrift "RM Rilke", unterzeichnet ist, scheint die These einer Zuspitzung der Liebesgefühle, einer Öffnung des solipsistischen Ichs zugunsten einer wahren 'Begegnung', zu bestätigen. Was geschieht also im Übergang vom ersten zum zweiten Gedicht? Wie sind diese beiden Gedichte - sowohl innerhalb als auch außerhalb ihres unmittelbaren biografischen Kontextes - zu verstehen?
"Mais pourquoi, Madonna, ma pensée était-elle souvent inquiète de vous et sou-cieuse, bien que je fisse effort pour imaginer que vous étiez auprès de cette femme admirable, dont le visage s’est associé malgré moi dans mon âme au souvenir de grandes oeuvres d’art!" So heißt es in einem Brief, den Rilke Madeleine Annette de Broglie im August 1906 von der Sommerresidenz seines Gönners Karl von der Heydt aus zukommen ließ. Mit feiner Feder ist ihm eingeschrieben, wie die Adelige mit italienischen Wurzeln auf den Dichter gewirkt haben mag, sie, die "Madonna", wie Rilke sie nannte. Über mehrere Jahre – die Korrespondenz erstreckt sich von 1906 bis 1909 – stand Rilke mit ihr, deren zweite Ehe mit Prince Robert de Broglie 1906 gerichtlich für ungültig erklärt wurde, in Verbindung.
"… lebe fleißig Dein gutes neues Leben" : Rainer Maria Rilke als Gesundheits-Ratgeber seiner Mutter
(2012)
Im Gespräch Rainer Maria Rilkes mit seiner Mutter scheint deren körperlich-seelisches Befinden zu allen Zeiten eine zentrale Rolle gespielt zu haben, zumindest enthalten nahezu alle Briefe, die der Dichter an seine Mutter zwischen dem 5. Dezember 1896, einen Tag nach seinem 21. Geburtstag, und dem 29. November 1926, einen Monat vor seinem Tod, schrieb (wie übrigens auch die noch unveröffentlichten Jugendbriefe) Reaktionen auf dieses 'Befinden', das überwiegend wohl ein zu wünschen lassendes war. Es mag der allein lebenden Sophie Rilke ein besonderes Bedürfnis gewesen sein, sich über ihren Gesundheitszustand mit ihrem Sohn auszutauschen, doch auch Rilke selbst ermunterte, ja ermahnte seine Mutter, ihm hierauf bezogen nur nichts zu verschweigen: "ich bitte Dich immer ausführlich und aufrichtig davon zu erzählen", schrieb er ihr, denn "schließlich" sei das Befinden "die Grundlage von allem und der Hintergrund für jedes Ereignis und jede Freude".
Das Hauptinteresse dieses Beitrags gilt - nach einer biographischen Einbettung - dem brieflichen Austausch zwischen Catherine Pozzi und Rilke, der bis heute nur in französischer Sprache vorliegt. Im Anschluß daran wird ein wichtiger Aspekt des Verhältnisses Rilke-Valéry wenigstens kurz berührt. Angeregt wurde der Beitrag durch eine Bemerkung des Dichters und Übersetzers Philippe Jaccottet, wonach es sich bei Rilkes schrankenloser Bewunderung für Paul Valéry um einen gewissen Mangel an Klarsicht ('lucidité') handle; er, Rilke, habe den Abgrund übersehen, der ihn, im Wesentlichen, vom französischen Dichter trenne. Dies kann man auch anders sehen.
Rezension zu Rainer Maria Rilke: "Im ersten Augenblick". Bildbetrachtungen. Herausgegeben von Rainer Stamm. Berlin: Insel Verlag 2015. Insel-Bücherei Nr. 1407. 96 Seiten, 75 farbige Abbildungen. ISBN 978-3-458-19407-1 und Rainer Maria Rilke: "Gesammelte Werke". Herausgegeben von Annemarie Post-Martens und Gunter Martens Stuttgart: Reclam 2015. 1006 Seiten. ISBN 978-3-15-011009-6
Aus Close Readings von drei Gedichten Rilkes ("Der Ball", "Tanagra" und "Jugend-Bildnis meines Vaters") generiert der Beitrag von Johannes Ungelenk ein Konzept von Figur, dessen 'modus operandi' in mehrfacher Hinsicht das Berühren ist. Begriffliche Resonanzen ergeben sich dabei zum Denken der Figur bei Erich Auerbach, Gilles Deleuze und Walter Benjamin. In metapoetischer Lesart, also übertragen auf das Kunstwerk als 'Figur', wird so auch von den Rezipient*innen eine berührende Näherung eingefordert.
Begegnung mit Rilke 1925
(2010)
Rainer Maria Rilke hatte die Prinzessin Marthe Bibesco (1888-1875) am 23. Januar 1925 in ihrer Pariser Wohnung besucht. Anlaß war die Rückgabe eines Bändchens von Racines Werken. Die Prinzessin hatte es während des Ersten Weltkriegs bei einem Besuch der Fürstin von Thurn und Taxis in ihrem böhmischen Schloss Lautschin aus der Bibliothek ausgeliehen und auf eine Gelegenheit gewartet, das Werk zurückgeben zu können. Nun sollte Rilke der Überbringer sein. Die französische Schriftstellerin und Tochter des rumänischen Außenministers Jean Lahovary hatte ihre Erinnerung an den Besuch im Oktober 1951 formuliert. Rilke hat ihre Werke mehrfach empfohlen.
[...]
Der französische Literaturkritiker und Übersetzer Charles Du Bos (1882-1939) aus dem Umkreis der Zeitschrift "Nouvelle Revue Française", ein Bekannter von Rudolf Kassner, hatte sich seit 1923 für Rilkes Werk begeistert. In seinem Journal hielt er den Eindruck eines Besuchs fest.
Kein Thema, so scheint es, ist bei einem Rilke-Kolloquium in Paris besser angebracht als das der Beziehung Bonnefoys zu Rilke. Yves Bonnefoy, Jahrgang 1923, der bereits 1953 mit dem Gedichtband "Du mouvement et de l'immobilité de Douve" auftrat, ist die heute bedeutendste Dichterfigur Frankreichs. Sein Werk ist weit über die Nationalgrenzen hinaus gedrungen. Im Besonderen genießt es einen hohen Ruf in Deutschland, wo es in großem Umfang übersetzt wurde. Es besteht nicht nur aus Gedichten, sondern auch aus zahlreichen Essay-Bänden zur Kunst- und Literaturkritik, Monographien zu Giacometti oder Goya und einer nicht geringen Zahl an Übersetzungen. Damit steht er an Rang und Breite Rilke zur Seite. Befaßt man sich nun mit seiner Lyrik und Dichtung, so wird man vieler Parallelen mit Rilke gewahr. Um nur einige davon zu nennen: Bei beiden nimmt das "Offene", das "Einfache", gar der Tod einen zentralen Stellenwert ein, beide Lyriker lehnen die Erlöserfigur des christlichen Gottes ab, messen dem Unsichtbaren hohen Wert bei und bekennen sich entschieden zum Hiesigen. Beinahe neigt man zu der Annahme, daß die Frage der Beziehung von Yves Bonnefoy zu Rilke sich aus seinen Gedichten und seinem Werk geradezu aufdrängt.
Busfahrt mit Rilke
(2016)
Gedicht über Rainer Maria Rilke von Luca Buonaguidi
Rilke hat die Nähe des Mittelmeers biographisch und lyrisch immer wieder gesucht, wie in seltener Verschmelzung von Schreib- und Lebensraum die auf Schloss Duino an der Levante bei Triest anspielenden "Duineser Elegien" (1923) zeigen. Auch verdankt er dem Mittelmeer poetologische Impulse, die seine Lyrik seit den "Neuen Gedichten" (1907) prägen, etwa das Nachdenken über die fragile Beziehung zwischen dinglich-konkreter Anschauung und deren sprachlicher Entsprechung und Benennung. Das im Januar 1907 auf Capri entstandene "Lied vom Meer" bündelt derartige Impulse, um sie in der raffinierten Synthese sprachlicher Figuren zugleich auf den Prüfstand zu stellen.
Die "Neuen Gedichte" von 1907 und "Der Neuen Gedichte anderer Teil" von 1908 bilden einen Einschnitt in Rilkes Lebenswerk. Auf der einen Seite stehen die großen Arbeiten der früheren Jahre: "Das Stundenbuch" (1899-1903) und "Das Buch der Bilder" (1902-1906), auf der anderen aber weht ein neuer Wind: härter vielleicht, ein wenig schärfer, jedenfalls aber ein Wind, der von der Vergangenheit in die Zukunft weht. Am Ende, vierzehn Jahre später, stehen die vollendeten "Duineser Elegien" und die "Sonette an Orpheus" und mit ihnen ein anderer Geist. Doch die "Neuen Gedichte" bildeten schon lange vorher einen Unterbau für das Gebäude mit einer neuen Architektur der dichterischen Sprache. [...] Die sich nun entwickelnde Weltanschauung in Rilkes Werk, die zu dieser Zeit Gestalt annahm, kann unter anderem durch seine neue Auffassung der bildenden Künste erklärt werden.
Rippoldsau ist nicht nur biographisch bedeutungsvoll als einer der vielen Orte, an denen Rilke Erholung suchte. Das Kurbad im Schwarzwald zählt auch zu jenen Fluchtpunkten einer räumlichen Ordnung, die die Forschung als 'innere Geographie' namhaft gemacht hat. Im Folgenden soll diese Topographie von Fluchtlinien unter dem Aspekt ihrer Modellhaftigkeit in den Blick genommen werden - allerdings nicht im Hinblick auf poetologische Aspekte, auf die vieldiskutierte, komplexe Verräumlichung in Rilkes lyrischen Szenarien. Am Leitfaden von Rilkes 'innerer Geographie' lässt sich auch sein Konzept von Autorschaft erschliessen. Denn Rilke ist in vielerlei Hinsicht repräsentativ für ein bestimmtes Autorschaftsmodell; ein Modell, das so erfolgreich ist, dass es nicht nur die klassische Moderne über weite Strecken prägt, sondern auch den unüberschaubaren Kunstbetrieb des 20. Jahrhunderts.
Natürlich wäre es ein vergebliches, möglicherweise unzulässiges Unterfangen, dem Bekenntnis der Kolmar, Rilke habe sie "vielleicht" durch die "Plastik" seiner "späteren Gedichte" und mit "Einzelheiten aus [seinem] Werk beeinflußt", nun nachzugehen und es gar belegen zu wollen. Allein und dennoch: legitimiert wäre man mit jenem Eingeständnis schon und sich selbst der Subjektivität bei solchem Versuch durchaus bewußt.
Das Gedicht "Die Liebenden" wurde wahrscheinlich im Sommer 1908 in Paris verfasst und war als Widmungsgedicht für Walter Heymel für den zweiten Teil der "Neuen Gedichte" vorgesehen. Seinem Freund und Gründer der Zeitschrift "Die Insel" hatte Rilke schon 1907 ein anderes Gedicht gewidmet, "Tage, wenn sie scheinbar uns entgleiten", das im ersten Teil der "Neuen Gedichte" seinen Platz hätte finden sollen. Beide Texte zählen heute, wenn auch in den "Sämtlichen Werken" unter zwei verschiedenen Kategorien eingeordnet, zu den "verstreuten und nachgelassenen" Gedichten, die Rilke zwischen 1906 und 1911 verfasst hat. "Die Liebenden" wurde als Pendant zu dem berühmten "Liebeslied" in den "Neuen Gedichten entworfen", vom Autor aber vielleicht als zu subjektiv und darum als nicht geeignet für die Sammlung betrachtet. Das im Titel des Zyklus markierte "Neue" sollte dennoch das Subjektive nicht völlig verbannen, sondern ein Zusammenspiel zwischen sinnlicher Wahrnehmung und subjektiver Reflexion entstehen lassen.
Rilkes Gedichtband "Das Buch der Bilder" wird allgemein von der Forschung als eine Art Übergangswerk gesehen. Ihm folgen die - weitaus höher eingeschätzten - "Neuen Gedichte", die noch heute als ein Höhepunkt in Rilkes Schaffen gesehen werden und "den Dichter mit seiner neuen […] poetologischen Orientierung zu einem der bedeutendsten Vertreter der literarischen Moderne mach[en]." Daß trotzdem auch einem "Übergangswerk" ein nicht zu unterschätzender poetischer Wert innewohnen kann, zeigt unter anderem Rilkes Beschäftigung mit der Liebesthematik im "Buch der Bilder". In diesem Zusammenhang kann das Gedicht "Die Liebende" als eine Art Zäsur in Rilkes poetischer Gestaltung der Weiblichkeit angesehen werden. [...] Das Gedicht "Die Liebende" im "Buch der Bilder" markiert eine Umkehr von der motivbehafteten Darstellung des Weiblichen hin zur poetischen Darstellung einer Theorie der intransitiven Liebe, die - entgegen gesellschaftlichen Vorstellungen - nicht auf Erwiderung zielt.
Es fing mit Erstaunen an. Fast noch bevor unser Lastwagen der amerikanischen Armee die Stadt erreichte, war alles vorbei. Alles war dagewesen, das uns an Rilke erinnerte: die Ponte Santa Trinità war da – oder sie war nicht mehr da. Alle Brücken waren im Krieg gesprengt worden – außer der Ponte Vecchio, der es, wenn auch auf beiden Seiten zerschlagen, erlaubt war zu leben. Der Arno – Rilkes Arno – floss nicht mehr voll und tief. Es war Hochsommer, und er floss enttäuschend flach.
Die französischen Gedichte Rilkes können trotz einiger Interpretationen, die ausschließlich die späteren Gedichte betreffen, noch weitgehend als oeuvre inconnue bezeichnet werden, dies gilt im besonderen Maße für die vor 1923 entstandenen Gedichte, die im Allgemeinen als wenig interessant gelten. Dass das 1920 in Bern entstandene Gedicht "Nénuphar" durchaus literarische Qualitäten hat, soll im Folgenden
gezeigt werden.
Der Bettler und das stolze Fräulein ist eine der 13 Erzählungen, die in dem – der schwedische Freundin Ellen Key gewidmeten – Prosaband "Geschichten vom lieben Gott" enthalten sind. Alle entstehen in dem Zeitraum zwischen dem 10. und 21. November 1899 und werden erstmals zu Weihnachten 1900 unter dem Titel "Vom lieben Gott und Anderes. An Große für Kinder erzählt" und 1904 in überarbeiteter Form mit dem schon genannten endgültigen Titel veröffentlicht. [...] Das ganze Werk hat dialogischen Charakter mit teilweise belehrendem Ton. Die zwölfte Erzählung, "Der Bettler und das stolze Fräulein", besteht aus einer Rahmen- und einer Binnenerzählung. Hier ist es jedoch nicht der Meister, sondern der Ich-Erzähler, der in der Rahmenerzählung die Rolle des Lehrers spielt: Er erzählt dem Meister eine Binnengeschichte, die als Lehre gelten sollte, um eine Parallele zur Rahmenhandlung zu schaffen.
An Ostern 1923 erhielt Rainer Maria Rilke auf Château de Muzot Besuch vom "Burgherrn", seinem Freund und Gönner Werner Reinhart (1884-1951). In dessen Begleitung erschienen zwei weitere Gäste, der Maler Edmund von Freyhold sowie eine Rilke damals noch unbekannte Musikerin: die australische Violinistin Alma Moodie (1898-1943). Nach dem österlichen Treffen entspann sich zwischen dem Dichter und der Musikerin ein loser Briefwechsel, der mehrere Jahre andauerte. Rilkes Briefe an die Geigerin wurden nie publiziert. Mindestens zwei davon sind auf Auktionen aufgetaucht, die meisten jedoch haben bislang als verschollen gegolten. Ein Teil des Briefwechsels befindet sich jedoch im Besitz von Frau Heidi Spengler-Bickel, der Schwiegertochter Alma Moodies, die es ermöglicht hat, ihn hier zu veröffentlichen. Die insgesamt zwölf Briefe - fünf davon stammen von Rilke - können nicht nur den Briefwechsel des Dichters um einige Teilstücke vervollständigen. Seine Beziehung zu der australischen Musikerin erhält durch die Briefe genauere Konturen - darüber hinaus ermöglichen sie einige seltene Einblicke in das Tourneeleben einer jungen Berufsmusikerin zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Rilkes Begegnung mit Alma Moodie wird im Folgenden in groben Zügen nachgezeichnet; dabei erschien es sinnvoll, die Briefe in den Lauftext einzurücken, so dass der Zusammenhang des in ihnen Besprochenen aus der Chronologie der Ereignisse hervorgeht. Ergänzt wird der Briefwechsel durch Auszüge aus bislang ebenfalls unveröffentlichten Briefen Alma Moodies an Werner Reinhart.
Rilkes Brief vom 30. Oktober 1926 an Eduard Korrodi (1885-1955), mit dem der Dichter seine Übertragung von Paul Valérys Prosatext "Tante Berthe" der Neuen Zürcher Zeitung zur Publikation anbot, mag manchen bekannt sein. Er befindet sich in Privat-Besitz, doch gelangte ein Teil davon aus einem Auktions-Katalog in die Rilke-Chronik. Der Adressat des Briefes hatte in Zürich und Berlin Germanistik studiert und 1912 mit einer Arbeit über Conrad Ferdinand Meyer promoviert. Von 1914 bis 1950 war er Feuilletonchef der Neuen Zürcher Zeitung. Obwohl Korrodi für eine weltoffene Schweiz eintrat, stand er literarischen Innovationen und der Emigrierung deutscher Autoren in den Jahren 1933-45 kritisch gegenüber, was bei einigen Intellektuellen auf Widerstand stieß. Mit Rilke, dessen Werk er schon früh kommentierte und dessen "Doppelzüngigkeit" er gegen Angriffe aus dem deutschen Sprachraum vehement verteidigte, verband ihn indes eine ungetrübte Freundschaft. Sie kam u. a. in seiner Grabrede und seiner späteren "Erinnerung an einen Dichter" zum Ausdruck. Hier der vollständige Inhalt von Rilkes letztem Brief an ihn, der im handgeschriebenen Original zwei Seiten einnimmt und die Unterschrift in einen schwungvollen "Kometenschweif" münden lässt.
Im Herbst 1938 und im Frühjahr 1939 weilte Ernst Zinn (geboren 1910 in Berlin, gestorben 1990 in Tübingen), damals Hilfsassistent am Institut für Altertumskunde der Universität Berlin und gleichzeitig von Anton Kippenberg mit der Herausgabe der Werke Rainer Maria Rilkes im Insel-Verlag betraut, auf Duino. Er kollationierte dort eine Handschrift, die den Anfang der "Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" in einem früheren Zustand enthält und teilweise wohl auch für das Diktat der Satzvorlage im Januar 1910 in Leipzig verwendet wurde. Rilkes Manuskript (ein Taschenbuch) vom Rest des Ersten Teils der "Aufzeichnungen" gilt als verschollen; vom Zweiten Teil ist seine Handschrift nahezu vollständig erhalten (Taschenbuch des Schweizerischen Literaturarchivs in Bern; eine Faksimile-Ausgabe erschien 2012 im Wallstein Verlag, Göttingen).
Die Werke Ralph Waldo Emersons und die seines Schülers und Freundes Henry David Thoreau (1817-1862) hat Rilke schon vor der Jahrhundertwende kennengelernt und studiert und sie haben ihn in entscheidenden Positionen seiner Lebensführung, seiner Weltsicht und seiner Dichtung mindestens bestätigt und bestärkt. Dass Rilke auf die "amerikanischen Transzendentalisten" aufmerksam wurde, ist nicht verwunderlich, denn die führenden Köpfe, allen voran Emerson, waren um die Jahrhundertwende beinahe unübersehbar. [...] Wer Rilke und den "dichterischen Prediger" aus Boston nebeneinander liest oder auch nacheinander, wird immer wieder von dem einen auf den anderen verwiesen.
Im Hinblick auf den Zugriff auf Rilkes Poesie kommt den filmischen Zeugnissen von Wenders und Schmerberg keine sekundäre Rolle zu. Ohne die Gedichte zu entstellen oder zu verfremden, entwickeln sie auf unterschiedliche Weise eigenständige Positionen: Während Wenders einen eher freien Dialog mit der Vorlage eingeht, auf der Ebene von Anspielungen, Modernisierung und Fortschreibung operiert, setzt der Regisseur von "Poem" auf eine künstlerisch anspruchsvolle Übersetzung des Textes in das audiovisuelle Medium. Obgleich sich Rilkes poetische Konstruktionen
aufgrund ihrer Vieldeutigkeit und Offenheit spezifischen Bedeutungsfixierungen entziehen, scheint doch gerade ihr Reichtum an Bildern sowie deren bewegliche Verknüpfung für filmische Zugriffe prädestiniert. Das Zusammenspiel aus visuellen und auditiven Eindrücken verhilft der performativen Anlage der Lyrik noch zu weiterer Entfaltung.
Von den drei Aufenthalten Rilkes in der toskanischen Hauptstadt ist der erste von 1898 umfangreich dokumentiert durch das Florenzer Tagebuch, das in der Vision vom einsamen Schöpfer, vom alleinstehenden Künstler-Übermenschen kulminiert. Diese Vision stellt gleichsam ein Lebensprogramm für den jungen, angehenden Dichter dar, der sich auch vor der Geliebten, Lou Andreas Salome, als Poet ausweisen will. Der viel kürzere zweite Aufenthalt von 1903 erfolgt zusammen mit Clara Westhoff auf der Reise nach Rom, wo Rilke dann bis Juni 1904 bleiben wird. Nur am Rande erwähnt werden soll der dritte Aufenthalt im Jahre 1909 – mit nur wenigen Stunden Fahrtunterbrechung in der Stadt handelt es sich eher um eine Durchfahrt.
Die Sonette II 9 bis II 11 der Sonette an Orpheus werden in der Forschung als Gruppe bezeichnet. Man gibt der Gruppe gern ein Etikett, das diese Behauptung rechtfertigen soll. Die Argumente lauten "Neuzeit", "Modernisierungskritik" und
"Disparatheit der Welt". Allen gemein ist die Annahme eines Bezugs zu einer außerliterarischen Wirklichkeit.
Das Rilke Projekt polarisiert: Einem beachtlichen Publikumserfolg steht eine Philologie gegenüber, die das Projekt weitgehend ignoriert. [...] Das Rilke-Projekt ist ein popmusikalisches Phänomen, dessen ästhetische Grundidee darin besteht, seinen Autor als Cover aus dem literarischen Kanon auf das ihm fremde Gebiet der Unterhaltungskultur zu überführen.
Die Bedeutung dieser Gegenstände ist an ihre Besitzerin geknüpft, nach ihrem Tod sind sie wertlos geworden. Malte setzt sich mit der für ihn schmerzlichen Notwendigkeit auseinander, dass sich demgegenüber das, was er schreibt, mit neuen Bedeutungen füllen wird, weil es etwas "Großes" ist, ein zusammenhängender Text, ein "Gewebe". Er selbst fühlt sich bei dieser Vorstellung "zerbrochen", denn dauerhaft scheint er selbst kein fester Teil seines Werks zu sein.