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Fanny Hensel unternahm die Reise mit ihrem Mann und dem neunjährigen Sohn Sebastian. Planung und Verlauf wurden im Wesentlichen durch die beruflichen Interessen Wilhelm Hensels bestimmt. Für seine z.T. an historischen Vorbildern ausgerichtete Malerei war es wichtig, die Bilder der großen Maler der Vergangenheit zu sehen, aber auch mit Maler-'Kollegen' Kontakt zu suchen, nach Möglichkeit in Form von Atelierbesuchen; und natürlich wollte er selbst auch malen und - vielleicht noch wichtiger - möglichst viele Skizzen aus dem Alltagsleben anfertigen, die er für spätere Bilder würde verwenden können. Während er arbeitete, schrieb Fanny, für die dies eine Kunst- und Bildungsreise war, Briefe, führte Tagebuch, komponierte oder war 'unterwegs' - allein, mit dem Sohn oder mit Freunden. Besichtigungen von Galerien und bei anderen Künstlern haben sie in der Regel gemeinsam unternommen. Obwohl sie bestrebt war, ihre Familie in all ihre Aktivitäten einzubeziehen, entwickelte sie doch in allem ein großes Maß von Eigenständigkeit.
Die Literatur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts reagiert auf die dynamisierte Fortbewegungsform der Eisenbahnfahrt. Zwei mögliche Reaktionen konkurrieren miteinander: eine euphorische, die in ihrer Darstellung die neuerfahrene Dynamik in die Textgestaltung einzuholen versucht; und eine kritische, die die neue Dynamik als Gefahr einer Entfremdung fasst. Beide Formen der Auseinandersetzung stehen in einem dialektischen Verhältnis zueinander, unterscheiden sich jedoch in ihrem poetologischen Reflexionspotential. Die poetologisch reflektierten Texte bilden zugleich ein Korrektiv zum Fortschrittsoptimismus. [...] Die durch die poetologischen Reflexionen gewährleistete Entschleunigung des Textes wirkt als Korrektiv der euphorischen Vorstellung einer "Beschleunigung als Heilserwartungsrest".
Dieser Aufsatz leistet einen Beitrag zur Erforschung des Reisehandbuchs von weiblichen Autorinnen. Spezifisch bezieht sich Karin Baumgartner auf das Werk von Helmina von Chézy, die zwischen 1816 und 1833 zwei Reisehandbücher herausgab. Zur Diskussion steht hier die These von Irmgard Scheitler, die sagt, dass Reiseliteratur von Frauen das weibliche Schreiben thematisiert und als ein autobiographisches Dokument mit hohem Authentizitätsanspruch gelesen werden muss. Die Reisehandbücher Chézys widerlegen eine solche These jedoch, da es sich bei diesen um Auftragsarbeiten handelt, die vor allem aus finanziellen Gründen geschrieben wurden und die Autorin als professionelle Schriftstellerin zeigen. Die subjektiven Erfahrungen, die in Chézys Reisehandbüchern prominent verarbeitet werden, haben nicht die Aufgabe das eigene weibliche Schreiben zu thematisieren, sondern erlauben dem Leser eine authentisch-individuelle Reiseerfahrung durch die Identifikation mit der Erzählerstimme. Die Reisehandbücher Chézys lehren den Leser, eine präformierte als eine subjektive Erfahrung zu erleben und tragen damit zu einer radikalen Abwendung der Gattung von der Apodemik - und zu deren Modernisierung - bei.
This essay focuses on Malwida von Meysenbug's (1816-1903) rebellious 'travel diary' entitled "Eine Reise nach Ostende" (1849) and her 'extravagant' travels to the Belgian seaside resort, which she undertook together with her girlfriends Anna Koppe and Elisabeth Althaus during June and July 1849. This text, which was written during the late summer and early autumn of 1949 and published posthumously in 1905 by Gabriel Monod, is both a very personal, almost intimate representation of the failing revolution and a performance of transgression by an unmarried 33-year old female member of the lower ranks of aristocracy.
In Louise Astons Roman "Revolution und Contrerevolution" steht die Eisenbahn als Metapher für die revolutionären Hoffnungen von 1848. Das langgezogene Pfeifen kündigt nicht nur den Zug, sondern auch die anrollende, unaufhaltsame Revolution an. Die ganze Erzählung hat das neue Tempo der Eisenbahn, das der 'aus dem Rahmen gefallenen', revolutionären Zeit entspricht: Die Information über die ausgebrochene Revolution wird von den Protagonisten wie selbstverständlich durch ihre rasche Eisenbahnreise weitergereicht. Die Geschwindigkeit der Eisenbahn bietet einen Vorsprung, der mit der politischen Beschleunigung, d.h. mit den revolutionären Ereignissen korrespondiert. Louise Aston inszeniert die Eisenbahn an den revolutionsentscheidenden Orten: die räumliche Geschlossenheit der Orte wird aufgehoben - die Revolution breitet sich überall hin aus. Die Zwischenräume zwischen den revolutionären Zentren Wien, Berlin und Frankfurt schnurren durch die Zugreise zusammen. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Eisenbahn als Motiv im Roman inszeniert wird, spiegelt die Hoffnung der Autorin, dass die neue Mobilität auch gesellschaftliche Neuerungen und Freiheiten mit sich bringt.
Das eigentliche Spezifikum von Therese von Bacherachts Texten ist darin zu suchen, dass sie den Reisebericht vornehmlich zur Thematisierung von Innerlichkeit nützt, ihn also als Gattung einsetzt, die eine öffentliche Auseinandersetzung mit und Reflexion der eigenen Befindlichkeit ermöglicht. Ihre Texte zielen weniger auf Beschreibung der Reise selbst, sondern vielmehr auf Darstellung und Auseinandersetzung mit weiblicher Subjektivität. [...] Aufgrund der Dominanz des subjektiven Anteils zerfallen Bacherachts Texte bisweilen nachgerade in zwei inhaltliche Ebenen oder Teile. Dabei tritt gegenüber den ausführlichen Erkundungen der eigenen Emotionen, die mit Reflexionen über das Leben, die Vergänglichkeit allen Glücks und die Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens verbunden sind, die Beschreibung der eigentlichen Reise in den Hintergrund. Diese Ausrichtung der Texte auf eine gefühlsbetonte Thematisierung von Subjektivität ist der Forschung oft genug Anlass und Argument für deren Abwertung als pathetisch. In dem vorliegenden Aufsatz soll dagegen der sentimentale Anteil der Texte in seinen vielschichtigen Funktionen ernst genommen und analysiert werden. Im Folgenden wird, nachdem kurz die Bedeutung sozialer Fragen in Bacherachts Reiseberichten untersucht wurde, vor allem auf diesen Aspekt weiblicher Selbstdarstellung und die damit einhergehende besondere Tonlage eingegangen werden.
Die skandalumwitterte und erfolgreiche Schriftstellerin Ida Gräfin Hahn-Hahn (1805-1880) war ihr Leben lang auf Reisen; sie war im ständigen Grenzenüberqueren zu Hause. In ihren Romanen und Reiseberichten hat sie Spiegelbilder ihrer eignen Seele und ihrer Zeit entworfen. "Ich reise, um zu leben" hat sie behauptet und sich damit ein wesentliches Motiv ihres Daseins bewußt gemacht. - Angesichts ihres ungewöhnlichen Lebenslaufs und ihrer unzähligen vorübergehenden Aufenthalte an unterschiedlichsten Orten ist man gleichwohl verblüfft und fühlt sich angehalten, wirkliche Erklärungen zu finden. Persönliche Sinnsuche scheint in diesem Fall ein lebenslänglicher Leitfaden gewesen zu sein. Die biographischen Hintergründe der Hahn-Hahnschen Reiselust liefern den Beleg.
"Es ist hier vieles ganz anders, als man bei uns glaubt…" : Fanny Tarnows Reise nach St. Petersburg
(2009)
Auch die hier behandelte Fanny Tarnow, eine der Wegbereiterinnen weiblichen Berufsschriftstellertums in Deutschland, hat die Verbindlichkeit zeitgenössischer Geschlechternormen am eigenen Leib erfahren müssen, doch sie verstand es wie wenige, den männlichen Weiblichkeitsdiskurs für das eigene literarische Schaffen nutzbar zu machen. Sie hat sich in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts als Autorin sentimentaler Frauenromane etabliert und wurde als solche viel gelesen. In ihren Büchern stellt sie die Weiblichkeitsideale ihrer Zeit nicht ausdrücklich in Frage, denkt aber differenziert über das Spannungsverhältnis, das zwischen ihnen und den tatsächlichen Lebens- und Schaffensbedingungen der Frauen besteht, nach. Im Fokus des Interesses der germanistischen Forschung steht vor allem dieser Aspekt, zu den schriftlichen Zeugnissen ihres Russland-Aufenthaltes gibt es bisher keine umfangreicheren Untersuchungen.
Albert Dulk (1819-1884) war ein rebellischer Student der Chemie aus Königsberg, der während seines Studiums in seiner Heimatstadt und in Breslau, Berlin und Leipzig in den 1840er Jahren an den politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit engagiert teilnahm und sich 1849 vor einem "Scherbenhaufen enttäuschter Hoffnungen" sah. Dulk verließ am 30. Mai 1849 Königsberg, um sich nach längeren Fußreisen durch Österreich und Italien am Ende des Jahres nach Ägypten einzuschiffen. [...] Sein eigener Selbstfindungs-Prozess, um den es Dulk auf seiner Ägyptenreise gegangen war, hat zum einen in der Verankerung seiner Religionskritik im Denken der Aufklärung seinen Niederschlag gefunden, ihn aber zum anderen direkt auf das weite Feld des Darwinismus und der Anwendung der darwinistischen Theorien auf die menschliche Gesellschaft geführt. [...] Hier verbindet sich Dulks vor- und nachmärzliches Denken, aber er verfehlt zugleich eine gedankliche Eindeutigkeit, die die Klärung und den Durchbruch seiner Ideen hätte fördern können. In seinem Konzept von der "Kindheit der Menschheit" nimmt er dabei - vor dem Hintergrund seiner politischen Ideen für unsere heutige Wahrnehmung erstaunlich unbefangen, aber sonst zeittypisch - eine Überlegenheit der Europäer über die zeitgenössischen Ägypter als gegeben an und kommt zugleich in Bezug auf die altägyptische Kunst zu ganz eigenständigen und originellen Ansätzen, die so erst wieder am Ende des 20. Jahrhunderts diskutiert wurden. Dulk kann als ein Beispiel dafür stehen, wie sich die darwinistischen Ideen im europäischen Denken durchsetzten und aus den hier untersuchten Schriften lässt sich ersehen, wie sich dieser Prozess bei jemanden vollzog, der nach eigener Wahrnehmung seinen vormärzlichen politischen Idealen treu geblieben war.
Die 1848er Revolutionen haben die hier beschriebene Salongeselligkeit und die aus ihr resultierenden Vermittleraktivitäten erst möglich gemacht. In einem Europa, in dem Nationalstaatlichkeit eine immer wichtigere Rolle spielte, stiftete das gemeinsame 1848er Erlebnis somit den Ausgangspunkt eines über Sprach- und Landesgrenzen hinausgehenden Kommunikationsnetzes. Dieses Fazit entspricht allerdings der Vogelperspektive der globalen historischen Betrachtung. Im realen Lebenszusammenhang fungierte der Salon als Ort, an dem die in diverse Länder verstreuten 1848er Aktivisten, von denen viele auch nach Amnestien nicht mehr dauerhaft in Deutschland leben mochten, noch einmal zusammen kommen konnten, er war so Schauplatz des progressiven Gedankenaustauschs und Amusements, der Lebenshilfe wie der Kultur- und Politikvermittlung, fungierte auch als postrevolutionäre Kontaktbörse. Die internationalen Nachmärzsalons sind so zur paradoxen Nachwehe der überwiegend national argumentierenden 1848er Bewegung geworden. Sie waren schließlich eine ausgesprochen international und europäisch agierende Kulturform, womit sie faktisch, wenn auch den Akteuren nicht unbedingt bewusst, zunehmend in krassen Gegensatz zum Zeitgeist in Deutschland und Italien gerieten. Deshalb verwundert es nicht, dass die internationalen Nachmärzsalons in den nächsten 150 Jahren wenig Wertschätzung und keine wissenschaftliche Aufarbeitung fanden. In der Überwindung dieser Denkbarrieren und intellektuellen Nationalismen liegt eine interessante Forschungsperspektive, die viele neue Facetten und Aspekte des Vor- wie des Nachmärz zu Tage fördern könnte.