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Kurz vor seinem Tod soll Max Weber einmal gesagt haben, daß er zu einer Generation gehöre, deren Denken maßgeblich durch das Werk von Karl Marx und Friedrich Nietzsche geprägt worden sei.[1] Das in der Sekundärliteratur immer wieder kontrovers diskutierte Problem, wie stark Weber selbst von Nietzsche beeinflußt war bzw. wie weit er sich sachlich von ihm abgegrenzt hat, läßt sich besonders gut anhand einer in seinen religionssoziologischen Schriften verwendeten Begrifflichkeit aufzeigen, die explizit auf das Werk von Nietzsche Bezug nimmt und deren Stellenwert innerhalb der von Max Weber entwickelten Religionssystematik im folgenden verdeutlicht werden soll. Weber gebraucht nämlich die bei ihm in einem engen Zusammenhang stehenden Begriffe "Ressentiment", "negative Privilegierung" und "Parias" sowie die aus ihnen zusammengesetzen Wortverbindungen "Ressentiment-Moralismus", "Paria-Volk" und "Paria-Ethik" im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der von Marx und Nietzsche gestellten Frage bezüglich einer möglichen klassen- und schichtspezifischen Bedingtheit von unterschiedlichen Erscheinungsformen der religiösen Ethik. Obgleich er auch die späten, zum Teil erst posthum erschienenen Schriften Nietzsches gekannt hatte, war Weber insbesondere an einer Klärung der soziologischen Relevanz von Nietzsches "Genealogie der Moral" aus dem Jahre 1887 interessiert. Dabei ist ihm offensichtlich entgangen, daß Nietzsche in seinen späten Schriften einen Vergleich zwischen der hinduistischen Kastenordnung und der jüdischen Priesterherrschaft durchgeführt hat, der Webers Beschreibung der kastenmäßigen Abschließung des Judentums von seiner Umwelt in eigenartiger Weise bereits vorweggenommen hat. Es kann in diesem Zusammenhang gezeigt werden, daß Nietzsche und Weber bei ihrer Analyse der religionsgeschichtlichen Sonderstellung des Judentums letztlich eine gemeinsame Problemstellung verfolgten, die sie in der Auseinandersetzung mit den biologischen und anthropologischen Rassentheorien des 19. Jahrhunderts entwickelt haben: nämlich die Frage, inwieweit eine ethnische Gemeinschaft durch rein kultischrituelle Vorschriften dergestalt von ihrer Umwelt abgegrenzt werden kann, daß diese ihre Identität auch ohne eigenen politischen Verband auf Dauer zu bewahren vermag. Um dies zu verdeutlichen, soll im folgenden Webers Gebrauch der Begriffe "Ressentiment", "negative Privilegierung" und "Parias" dargestellt und die dabei bestehenden Parallelen zu Nietzsches Werk verdeutlicht sowie die mit dieser Terminologie verbundene Problematik diskutiert werden.
Simmels Projekt einer "formalen Soziologie" wird der von Max Weber vertretenen Variante einer "verstehenden Soziologie" gegenübergestellt, um den Nachweis zu erbringen, daß Webers Kritik und Ablehnung von Simmels "soziologischer Methode" auf einigen grundlegenden Fehlinterpretationen von Simmels Werk beruhen. Zunächst wird Simmels Gebrauch des Begriffs der Wechselwirkung als eines „regulativen Weltprinzips" erläutert und dem von Weber vertretenen Prinzip der „kausalen Zurechnung" gegenübergestellt. Anschließend wird Simmels eigene Theorie des Verstehens im Rahmen seiner methodologischen Dreiteilung der Kulturwissenschaften in eine Erkenntnistheorie der Geschichts- und Sozialwissenschaft, in die entsprechenden empirisch verfahrenden Einzelwissenschaften bzw. "Wirklichkeitswissenschaften" im engeren Sinne sowie seine umfassende Theorie der kulturellen Moderne rekonstruiert. Schließlich wird Webers Vorwurf, daß Simmel den Anspruch auf kausale Erklärung zugunsten des Gebrauchs von quasi-ästhetischen Kategorien und Analogiebildungen aufgegeben habe, mit dem spezifischen kognitiven Status von Simmels "Philosophie des Geldes" verglichen und vor dem Hintergrund von Webers eigenem häufigen Gebrauch der Metapher der "Wahlverwandtschaft" diskutiert, welche ihrerseits eine kausaltheoretisch nicht weiter auflösbare logische Form eines gegenseitigen Beziehungsverhältnisses zum Ausdruck bringen soll, das eine nicht zu übersehende Ähnlichkeit mit dem von Simmel gebrauchten Begriff der Wechselwirkung besitzt.
Die Geschichte der akademischen Etablierung der Soziologie ist durch eine Reihe von Versuchen geprägt, den innerhalb dieser Disziplin immer wieder vertretenen Anspruch auf eine umfassende Erkenntnis der geschichtlichsozialen Welt grundsätzlich in Frage zu stellen. Zwar liegen diesen verschiedenen Ansätzen zu einer Kritik der Soziologie recht unterschiedliche Motive zugrunde, sodaß hier von vorschnellen Verallgemeinerungen eher abzuraten ist. Gleichwohl fällt auf, daß im Rahmen dieser Kritik die Absage an eine wie auch immer geartete soziologische Gesellschaftstheorie gewissermaßen als Konstante ständig wiederkehrt. Hierbei ist weniger entscheidend, ob diese Kritik von Vertretern dieser Disziplin selbst oder aber von außenstehenden Beobachtern geäußert wird. Entscheidend ist vielmehr die Frage, ob mit dieser Kritik eine grundsätzliche Infragestellung der modernen Soziologie als selbständige Einzelwissenschaft verbunden ist oder aber ob damit der Versuch gemacht wird, gegenüber einer sich als Geschichts- und Sozialphilosophie verstehenden Soziologie eine grundsätzlich andere Spielart von Soziologie zu begründen und zur Geltung zu bringen. In dieser Hinsicht kommt dem von Georg Simmel und Max Weber unternommenen Versuch, die moderne Soziologie in Abgrenzung von den Sozial- und Gesellschaftslehren des 19. Jahrhunderts als akademische Disziplin völlig neu zu begründen, eine besondere Bedeutung zu. Denn Simmel und Weber sind nicht nur die beiden soziologischen Klassiker, mit deren Namen sich die Möglichkeit einer von gesellschaftstheoretischen Ambitionen völlig freien Variante der soziologischen Forschung und Lehre verbindet. Sie sind darüber hinaus auch die ersten Soziologen, die den Versuch unternommen haben, die Konsequenzen aus Wilhelm Diltheys vernichtender Kritik an der soziologischen Tradition des 19. Jahrhunderts zu ziehen, ohne dabei den Anspruch auf Begründung der Soziologie als eigenständige akademische Disziplin aufzugeben, wie dies noch in Diltheys Theorie der Geisteswissenschaften der Fall gewesen ist. Indem im folgenden Simmels und Webers Verständnis von Soziologie in den Kontext von Diltheys Kritik an der englischen und französischen Soziologie des 19. Jahrhunderts gestellt wird, soll deshalb deutlich gemacht werden, in welchem Sinn die von Simmel und Weber begründete Richtung der modernen Soziologie zugleich eine spezifische Form von "Anti-Soziologie" darstellt. Denn nur so kann verstanden werden, warum dem Werk von Simmel und Weber auch heute noch eine herausragende Bedeutung für eine Kritik der gesellschaftstheoretischen Ansätze innerhalb der zeitgenössischen Soziologie zukommt.
Streit II
(1998)
Transformationen der Moderne
(2002)