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Den Menschen als vernunftbegabtes Wesen, als animal rationale, zu begreifen heißt, ihn als rechtfertigendes Wesen anzusehen. Die Vernunft ist die Fähigkeit, sich anhand rechtfertigender Gründe in der Welt zu orientieren. Denn „ratio, raison, reason bedeutet“, wie Tugendhat hervorhebt, „ebenso sehr ‚Grund‘ wie ‚Vernunft‘. Das Vermögen der Vernunft ist die Fähigkeit, für seine Meinungen und für seine Handlungen Rede und Antwort stehen zu können; lat. rationem reddere, griech. logon didonai.“ Dieses Rede-und-Antwort-Stehen ist eine soziale Praxis kulturell und historisch situierter Wesen, die einerseits frei sind, ihre Gründe zu wählen und zu prüfen, andererseits aber daran gebunden, welche Gründe ihnen zur Verfügung stehen und welche als gut oder rechtfertigend gelten. Der Raum der Gründe ist ein Raum der Rechtfertigungen, die nicht nur Einzelhandlungen, sondern auch komplexe Handlungsordnungen, also soziale Verhältnisse und politische Institutionen, legitimieren.
Menschen sind aber auch erzählende Wesen. Der Raum der Gründe, in dem sie sich orientieren, ist kein nackter Raum einzelner Sätze oder gar Normen, sondern bevölkert von Narrativen.
Rezension zu: Claudia Bruns: Politik des Eros. Der Männerbund in Wissenschaft, Politik und Jugendkultur (1880–1934). Köln u.a.: Böhlau Verlag 2008. 546 Seiten, ISBN 978-3-412-14806-5, € 44,90
Abstract: Quer zur Standardrezeption analysiert Claudia Bruns in ihrer Dissertation Blühers Konzeption von Mann, Männlichkeit und mann-männlicher Beziehung unter besonderer Berücksichtigung damit einhergehender Ausschlüsse. Zentral legt sie das Konzept des Männerbundes zugrunde, das den Dreh- und Angelpunkt der vorliegenden Untersuchung bildet, und zieht die Theorien Blühers als paradigmatisches Beispiel dafür heran. Dieses Vorgehen ist aus verschiedenen Gründen klug gewählt und vorteilhaft. Bislang ist kaum der ideologisch vielschichtige Gehalt von Diskussionen, wie sie Blüher führte und führen konnte, in die Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften eingegangen. Zudem gab es bislang kein Gesamtverzeichnis der Schriften Blühers, wodurch die Rezeption erschwert wurde, und das sich nun im Anhang der Arbeit dankenswerterweise findet.
Auf Grundlage von acht Interviews und der Methodologie der Objektiven Hermeneutik geht diese professionssoziologische Studie sequenzanalytisch folgender Forschungsfrage nach:
„Inwieweit werden die Selbstbilder der Zootierpflegenden durch den Umgang mit Tieren bestimmt und welche expliziten oder auch impliziten Berufsphilosophien lassen sich bei ihnen finden?“
In den analysierten Interviewtranskripten spielen im erzählten Selbstverständnis der Befragten die Auswirkungen der täglichen Mensch-Tier-Interaktionen eine zentrale sinnkonstituierende Rolle. Aus den Interaktionen mit Tieren (mit entsprechenden kognitiven Fähigkeiten) entwickeln Zootierpflegende eine intuitive Hermeneutik und oft eine von Fachkundigkeit getragene Du-Evidenz, die ihnen auf einer prä- und paraverbalen Ebene ein Verstehen des tierlichen Gegenübers ermöglicht. Dieses Verständnis lässt sich weder auf naive Anthropomorphisierungstendenzen zurückführen noch gut Dritten vermitteln, da es sich auf einer unmittelbaren Erlebnisebene realisiert. Diese intuitive Hermeneutik stellt eine zentrale Kompetenz der Zootierpflegenden dar und prägt die Selbstbilder der Zootierpflegenden maßgeblich.
Ein solcher Phänomenzusammenhang lässt sich soziologisch bisher nur schwer erfassen, da unter anderem die Frage nach tierlicher Akteurschaft die Disziplin spaltet und nach wie vor eine konzeptionelle Konfusion auslöst. So wird sie beispielsweise in der sinnverstehenden Soziologie bisher nur in Form von „Als-Ob“-Ansätzen angegangen. (Wiedenmann)
Um die in den Analysen herausgearbeiteten Phänomene einordnen zu können, wird in dieser Arbeit ein sozial-theoretisches Fundament ausgebreitet, welches das Sinnverstehen ‚tiefer hängt‘, also für solche situierten, vorsprachlichen, präsymbolischen Stimmungen und Empfindungen öffnet, die für basalste Verständnisse unter anderem zwischen Tieren und Menschen kandidieren.
Diese Konzeption erhellt einige Grenzbereiche der Sinnstrukturiertheit sozialer Wirklichkeit, indem sie aufzeigt, wie sich das Kontinuum von natürlicher wechselseitiger Wahrnehmung (Georg Herbert Mead und Daniel Stern) hin zur kulturellen Sinnstrukturiertheit (Oevermann) soziologisch erschließen und verstehen lässt. Demnach können sich aus den unmittelbaren Interaktionen zwischen empfindungsfähigen Lebewesen in wechselseitiger Affektabstimmung Protosinnstrukturen realisieren, welche wiederum erst die Bedingung der Möglichkeit von Vermittlung darstellen.
Die Ergebnisse dieser Arbeit ermöglichen ein tiefgehendes Verständnis des bisher oft verkannten Kompetenzprofils der Zootierpflegenden und darüber hinaus lässt sich in Bezug auf die tierliche Akteurschaft mit dem entwickelten Ansatz der immer wieder erhobene menschliche Exklusivitätsanspruch auf Sinn, Bewusstsein und Identität aus einer soziologischen Perspektive hinterfragen.
Zivil-militärische Beziehungen in Demokratisierungsprozessen : Argentinien und Uruguay im Vergleich
(2001)
Neuere Geschichten des Völkerrechts zeichnen sich dadurch aus, dass sie das Recht und dessen Wirksamkeit nicht losgelöst von sozialen und historischen Kontexten betrachten. In seinem beeindruckenden Buch "Frieden durch Recht?" über den Friedensschluss nach dem ersten Weltkrieg zeigt Marcus M. Payk (vgl. die Rezension in diesem Band), dass das Recht zwar über eine eigene Form und Logik verfügt, dessen Bindungswirkung aber nicht ohne dessen Kontexte verstanden werden kann. ...
Genauso wie die zentralen materiellen Güter unserer Gesellschaft sozial ungleich verteilt sind, ist auf einer zeitlichen Ebene die Zeit sozial ungleich verteilt. Kann die Zeit als eine zentrale Ungleichheitsdimension bezeichnet werden? Um dieser Antwort auf die Spur zu kommen, wird ein besonderer Untersuchungsblickwinkel gewählt, der an eine bestehende Debatte in der Ungleichheitsforschung anschließt. An die Entstrukturierungsthese anknüpfend, die das Verschwinden vertikaler Strukturen beschreibt, wird davon ausgegangen, dass soziale Schichten als klassisches Konzept der Soziologie noch immer eine wichtige Bedeutung im gesellschaftlichen Leben aufweisen. In einer Sekundäranalyse mit einem Datensatz der amtlichen Statistik (Zeitbudgeterhebung 2001/02) wird deshalb die ungleiche Verteilung auf der Ebene der Alltagszeit mit einem Schichtungsansatz verbunden. Die Zeit äußert sich im Lebensalltag der Menschen vor allem als abstrakte Zeit, sie ist die in homogene Einheiten eingeteilte Zeit. Die zentrale Hypothese dieser Arbeit lautet: Die Zeiten der alltäglichen Routine - Schlafenszeit, Erwerbsarbeitszeit, Hausarbeit, Freizeit und Wegezeit - sind ungleich in verschiedenen sozialen Schichten verteilt. Neben Zeitlängen werden auch die Uhrzeiten, wann etwas getan wird, und der Ort, wo etwas getan wird, theoretisch und empirisch in die Analyse integriert. Geschlecht und Alter ergänzen als horizontale Dimensionen die Forschungsperspektive. Weil Frauen und Männer keine homogene Gesamtheit darstellen, werden schichtspezifische Differenzierungen innerhalb der Geschlechter bei der (un)gleichen Verteilung der Zeiten der alltäglichen Routine untersucht. Die mittleren sozialen Schichten weisen in der "Durée der Alltagserfahrung" oft Konvergenzen auf, während vor allem die Unterschicht und Oberschicht kontrastreich in vielen Aspekten der Zeiten im Alltag sind. Am Wochenende haben die Akteure der "Unterschicht und unteren Mittelschicht" die längsten Erwerbsarbeitszeiten, die Akteure der "Oberschicht und oberen Mittelschicht" die geringsten. Weil ihre Arbeitszeit in einer Zeitinstitution liegt, die für Regeneration steht, sind die Akteure der "Unterschicht und unteren Mittelschicht" bei der bezahlten Arbeitszeit in diesem Aspekt benachteiligt. Für Frauen gilt: Je niedriger die soziale Schichtzugehörigkeit, desto kürzer sind die bezahlten Erwerbsarbeitszeiten an einem Werktag. Die schichtspezifische Regionalisierung der bezahlten Arbeitszeit macht die soziale Ungleichheit deutlich: Die Arbeitszeiten sind für soziale Schichten in Zonen am Tag eingeteilt: Die erwerbstätigen Akteure der "Unterschicht und unteren Mittelschicht" beginnen die Alltagsroutinen der Erwerbsarbeit viel früher am Morgen - im Durchschnitt 2 Stunden früher - und beenden diese auch früher am Tag. Ihre Mittagspause ist in einer anderen Zeitzone verortet (12 Uhr) als die Mittagspause der Erwerbstätigen aus "Oberschicht und oberen Mittelschicht" (13 Uhr). Männer der Oberschicht haben weitläufigere Zonen bei Freizeiten und bezahlten Arbeitszeiten. Dadurch eröffnen sich ihnen neue Interaktionsrahmen, in denen Wissen und Macht vermehrt werden können. Im Vergleich zu anderen Dimensionen sozialer Ungleichheit lassen sich Vor- und Nachteile sozialer Zeit schwieriger bestimmen. Während mit höherem materiellem Wohlstand, zunehmender Macht, Bildung und zunehmendem Prestige die Vorteile und Begünstigungen in der Gesellschaft ansteigen, so gilt diese "Je mehr desto besser" Regel bei der Zeit nicht unbedingt.
In der vorliegenden Arbeit wird die enge Verbindung von Zeitvorstellungen und gesellschaftlicher Zeitorganisation zu gesellschaftlichen Zukunftsvorstellungen und individuellen Lebensperspektiven herausgearbeitet. Erfasst und analysiert werden auch jene Faktoren, die die Manipulationsmacht des Menschen und der gesellschaftlichen Systeme bei temporalen Gestaltungsvorhaben begrenzen. Kernaussage und zentrale Fragestellungen: Zeitbewusstsein und Zeitvorstellungen prägen die Vorstellungen von Zukunft. Bestimmte Formen von Zeit und gesellschaftlicher Zeitorganisation können die Entstehung und Entwicklung von Zukunftsvorstellungen hemmen oder fördern. Damit ragen Zeitbewusstsein und Zeitorganisation in die Wahrnehmung und Entwicklung von Zukunft hinein. Zentral ist u.a. die Form, in der Zeit zur Verfügung steht. Sind es immer nur kurze Momente, die für Reflexion, Retrospektion oder Prospektion zur Verfügung stehen oder längere zusammenhängende Sequenzen? Stehen solche Zeiten nur dem auf sich gestellten Individuum oder ganzen gesellschaftlichen Gruppen gemeinsam zur Verfügung? Liegen diese Zeiten so und sind sie so gestaltet, dass sie sinnvoll zur Entwicklung und Gestaltung von Zukunft genutzt werden können? Aufbau der Arbeit: Im ersten Kapitel wird das Thema expliziert und werden Aufbau, Methode und Grenzen der Fragestellung werden. Im zweiten Kapitel werden verschiedene Formen des Umgangs mit Zukunft und unterschiedliche Methoden der Vorausschau beschrieben. Dabei liegt der Fokus auf den zeitlichen Voraussetzungen für individuelle und kollektive Entwicklung von Zukunftsvorstellungen und für die demokratische Gestaltung von Zukunft. Im dritten Kapitel werden auf Basis naturwissenschaftlicher, medizinischer und psychologischer Quellen die zeitlichen Strukturen und Bedürfnisse des Menschen erläutert. Es wird dargestellt, wie diese bewusst und unbewusst auf Zeitvorstellungen und den Umgang mit Zeit und Zukunft einwirken. Der Bogen wird gespannt von der Naturzeit bis zu einer von Menschen in unterschiedlicher Form wahrgenommenen und gestalteten Zeit. Herausgearbeitet werden die negativen Folgen und die positiven Möglichkeiten unterschiedlicher Formen des Umgangs mit Zeit. Zugleich wird verdeutlicht, wie die Gestaltung von Zeit das Denken über Zukunft beeinflussen, ermöglichen oder blockieren kann. Im vierten Kapitel wird gezeigt, wie sich die gesellschaftliche Zeitorganisation und das Zeitbewusstsein historisch verändert haben, während Zukunftsvorstellungen und Zukunftsentwürfe sich gleichzeitig wandelten. Die historische Spanne reicht dabei von den handlungsorientierten Zeitvorstellungen primitiver Gesellschaften, über zyklische, naturnahe Zeitvorstellungen der Agrargesellschaften, bis zur Entstehung linearer Zeitvorstellungen in der Religion und weiter über die entwickelten linearen Zeitvorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft hin zur fragmentierten oder digitalisierten Zeit der Gegenwart. Diese Entwicklung verläuft parallel zur Entwicklung der Zukunftsvorstellungen von einer klaren Handlungsorientierung, über Paradieseskonzeptionen und große gesellschaftliche Utopien, zu einer zunehmend individualisierten und verkürzten Vorstellung von Zukunft. Im Mittelpunkt der Analyse steht die enge Verbindung zwischen diesen beiden Elementen. Es wird betrachtet, wie auf frühere Phasen der Geschichte, in denen Zukunft in einem diesseitigen Sinn kaum eine Rolle spielte, Phasen folgen, in denen Zukunft als langfristige Gestaltung der Welt und des eigenen Lebens das Denken der Menschen präge, während heute die kurzfristige Gestaltung des individuellen Lebens im Vordergrund steht. In einem kurzen Schlusskapitel werden zwei zentrale Ergebnisse formuliert: 1. Der Mensch ist in zeitlicher Sicht grundsätzlich abhängig von den Zeiten der Natur. Die Natur (die innere und die äußere) ist rhythmisch strukturiert und diese Rhythmen sind gekennzeichnet durch eine Vielfalt von Zeitformen und Bedürfnissen. Die Gesellschaft muss auf diese Vielfalt Rücksicht nehmen und sie in ihre Zeitorganisationsentscheidungen integrieren, um eine Balance von Stabilität und Flexibilität zu entwickeln. 2. Zeitvorstellungen und Zukunftsvorstellungen sind epochal unterschiedlich. Dabei prägt die jeweilige Zeitvorstellung zentral die Vorstellungen von Zukunft. Auch wenn heute immer mehrere Zeitvorstellungen nebeneinander existieren, die individuelle Wahl- und Orientierungsentscheidungen ermöglichen, gibt es doch dominante Vorstellungen von Zeit und eine gesellschaftliche Ordnung der Zeit, die diese Optionsvielfalt wesentlich verringern. Abschließend werden kurze Hinweise auf einen zukunftsfähigen Umgang mit Zeit und Zukunft unter den Stichworten Zukunftsgestaltung, Zeitbrachen, Chillout, individuelle Reflexion und Zukunftsoffenheit gegeben.
Yaratıcı endüstri kavramı, aşırı-teknik-kapitalist toplumların bir zorunluluğu olarak 1990’lı yıllarda gerek gündelik yaşama gerekse bilimsel yazına yerleşmeye başlamıştır. Habermas’ın çift değerlilik yaklaşımı doğrultusunda düşünüldüğünde, yaratıcı endüstrilerin, yaratıcılık ve kültürü kullanarak ürettikleri ürünlerin olumlu yanları kadar olumsuz yanlarının da olacağı açıktır. Bu çalışma yaratıcı endüstrilerin, toplumsal alanda anlaşma yönelimli iletişimsel eylemi koordine eden kültürel-normatif yapılar üzerindeki olası bozucu etkilerine dikkat çekmeye çalışmıştır. Çalışma, bu düşünceyi temellendirmek için, Husserl tarafından geliştirilen “yaşam dünyası” ve Habermas tarafından kuramsallaştırılan “yaşam dünyasının sömürgeleştirilmesi” kavramları doğrultusunda ilerlemiştir. Çalışmamızda kısmen Frankfurt Okulu’nun düşüncelerine başvurulmuştur. Çalışmamız özetle, yaratıcı endüstrilerin, yaşam dünyasının temel bileşenlerinden kültürel yeniden üretim, toplumsal bütünleşme ve toplumsallaşma süreçlerini nasıl etkileyeceğine, iletişimsel eylemi ne şekilde koordine edeceğine ve yaşam dünyasını potansiyel olarak nasıl sömürgeleştireceğine odaklanmıştır.
Germany has experienced a rise in xenophobic attacks since it began to welcome refugees from Syria and elsewhere. Sebastian Jäckle and Pascal D. König have mapped these attacks and drawn some striking conclusions about their causes. They were more common in regions with a strong far-right presence and fewer migrants. One attack also tended to spark others – as did condemnation of xenophobia by national leaders, and Islamist terror. Britain saw a similar spike in xenophobic crime after the referendum. The authors ask whether the UK can learn from Germany’s painful experience.
"Die Goethe-Universität ist eine weltoffene Werkstatt der Zukunft mitten in Europa. 1914 von BürgerInnen für BürgerInnen gegründet, hat sie seit 2008 als autonome Stiftungsuniversität an diese Tradition wieder angeknüpft. Ihrer wechselvollen Geschichte kritisch verpflichtet, ist sie geleitet von den Ideen der Europäischen Aufklärung, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit und wendet sich gegen Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus. Die Goethe-Universität ist ein Ort argumentativer Auseinandersetzung; Forschung und Lehre stehen in gesellschaftlicher Verantwortung."
Dieses Leitbild strahlt an einem Freitagabend im Januar 2018 zwei Stunden lang über einem voll besetzten, unruhigen Hörsaal. Der groß an die Wand projizierte Text richtet sich an das Publikum einer Veranstaltung der "Frankfurter Bürgeruniversität" mit dem Titel "Diskurskultur im Zwielicht – Wie viel Meinungsfreiheit verträgt die Uni?" Die Atmosphäre ist für eine öffentliche Abendveranstaltung ungewöhnlich angespannt: Menschen mit unterschiedlichen politischen Einstellungen sitzen dicht beieinander, ein paar Burschenschaftler mit Schärpe nehmen die Mitte des Saales ein, es gibt Gerüchte, die AfD habe zu der Veranstaltung mobilisiert. ...
Warum ist die Entwicklung des Hochhausbaus in Deutschland anders verlaufen als in den USA? Warum hat Frankfurt im Gegensatz zu den übrigen deutschen Großstädten eine Skyline ausgebildet? In den USA waren Hochhäuser schon in den 1920er Jahren Symbole für den prosperierenden Kapitalismus. In Deutschland versuchte man einen anderen Weg: Hochhäuser ja, aber keine Zusammenballung in den Innenstädten. Was Städten wie München und Hamburg gelang, Hochhäuser nur ausnahmsweise zu genehmigen, führte in Frankfurt zu einer gegenläufigen Entwicklung – durch eine Politik, die unter dem Druck wirtschaftsstarker Unternehmen und Spekulanten immer wieder die Ausnahme von der Ausnahme genehmigte.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den Wohnungsbau der letzten 15 Jahre im Frankfurter Europaviertel mit Hilfe David Harveys Raumökonomie des Kapitals zu betrachten. Dazu wird der Frage nachgegangen, inwiefern sich die im Europaviertel zu betrachtenden Urbanisierungs- und Investitionsprozesse mit Hilfe Harveys gesellschaftstheoretischer Raumökonomie erklären lassen. Zur Beantwortung dieser Frage wird eine Recherche und Analyse diverser Datenquellen aus Wissenschaft, Medien und Politik vorgenommen. Die Analyse der Quellen zeigt, dass Harveys an Karl Marx angelehnte Theorien der Urbanisierung des Kapitals und einer ‚uneven geographical development‘ aufschlussreiche Erklärungsmöglichkeiten für die Investitionsprozesse vor Ort liefern können. Die Betrachtung findet dabei auf einer makroökonomischen Ebene statt und bezieht die Finanzialisierung von Immobilien sowie die Miete von Wohnraum als mögliche Aspekte zur Sicherstellung der Kapitalzirkulation ein.