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Anführungszeichen als Symptom : zum historischen Bedeutungs- und Funktionswandel einer Zeichenform
(2013)
In diesem Beitrag möchte ich mich mit einer Zeichenform befassen, die auf den ersten Blick unscheinbar und trivial zu sein scheint: den Anführungszeichen, die man salopp auch Gänsefüßchen oder Hasenöhrchen nennt. Für die Historische Semantik und Begriffsgeschichte ist die Bedeutung dieser Zeichen längst erkannt. Wie Martin Wengeler im Anschluss an Ludwig Jäger und Dietrich Busse herausgestellt hat, handelt es sich bei der Verwendung von Anführungszeichen um eine sprachreflexive Äußerung, der insbesondere für die Analyse des politischen Sprachgebrauchs eine Anzeigerfunktion zukommt - wird doch an ihnen eine bewusste Distanzierung von bestimmten Sprachgebräuchen und Wortverwendungsweisen greifbar. Nach Wengeler lösen explizite Wortthematisierungen zumindest ansatzweise das Problem des Auffindens von Belegstellen, die das Auftauchen neuer oder den Plausibilitätsverlust älterer Bedeutungen anzeigen. Mit ihrer Analyse werden Schwellen vom okkasionellen zum usuellen Wortgebrauch sichtbar und die Erfassung des Auftretens semantischer Innovationen stärker objektivierbar. Besonders in den sprachgeschichtlichen Forschungen der Düsseldorfer Schule ist deshalb das Aufsuchen von in Form von Anführungszeichen explizit gemachten Sprachthematisierungen zu einer "zentralen 'Findungsmethode'" gemacht worden. So weit ich sehe ist diese Methode punktuell in Bezug auf die Verwendung einzelner Wörter in Anschlag gebracht worden, was sich mit dem besonderen Interesse am politischen Sprachgebrauch und insbesondere am Einsatz 'brisanter Wörter' begründen lässt. Im Unterschied dazu geht es mir im vorliegenden Beitrag nicht primär um die Analyse einzelner Verwendungen, sondern - auf einer verallgemeinernden Ebene - um die Herausarbeitung eines grundlegenden historischen Bedeutungs- und Funktionswandels des Einsatzes dieser Zeichenform. Im ersten Teil gehe ich kurz auf deren (Vor-)Geschichte ein, um mich dann im zweiten Teil zwei Feldern zuzuwenden, in denen diese Zeichen nicht nur häufig, sondern, worauf es mir ankommt, in einem epistemisch neuen Sinne eingesetzt worden sind, nämlich im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit den Folgen der Shoah und der Entwicklung der Atomwaffen. Ausblickhaft möchte ich dann noch die Frage aufwerfen, was es mit der zu beobachtenden Generalisierung der neuen Funktionen der Anführungszeichen auf sich haben könnte.
Am Ende seiner 'Archäologie der Humanwissenschaften' hat Michel Foucault darauf gewettet, dass der Mensch - diese "junge Erfindung" - "verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand." Gemeint war damit nicht die Möglichkeit der physischen Auslöschung der Gattung, die zur Zeit der Erstveröffentlichung des Buches im Jahre 1966 - unter den Bedingungen des Kalten Krieges - immerhin breit diskutiert wurde. Vielmehr erwartete Foucault eine grundlegende Transformation der Episteme, in deren Gefolge 'der Mensch' seine zentrale Stellung zur Erklärung der Gesellschaft und der Geschichte wieder verlieren würde - eine Depotenzierung und Dezentrierung des Menschen, die Foucault in den Arbeiten von Marx, Nietzsche und Freud angebahnt sah. Die aktuelle Konjunktur des Begriffs 'Anthropozän' verdient vor diesem Hintergrund besondere Beachtung.
Die Begriffsgeschichte befindet sich seit einigen Jahren in der Phase einer grundlegenden Transformation, die sich vor allem in ihrer zunehmenden Internationalisierung und Interdisziplinarisierung sowie in ihrer Verbindung mit der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte dokumentiert. Eine besondere Herausforderung bildet dabei die Erschließung der naturwissenschaftlichen Semantik. Referenzpunkte für die gegenwärtige inhaltliche und methodische Neuausrichtung bilden unter anderem die Ansätze zu einer Historischen Epistemologie (Gaston Bachelard, Ludwik Fleck) sowie Georges Canguilhems methodische Fundierung der Wissenschaftsgeschichte in der Begriffsgeschichte. In diesem Aufsatz möchte ich einige Aspekte einer interdisziplinären Begriffs- und Wissenschaftsgeschichte anhand der Analyse der Entstehungsphase des Konzepts vom 'Survival of the fittest' diskutieren. Dieses Konzept hat sich im Zeitraum der 1860er bis 1870er Jahre zu einem Deutungsmuster entwickelt, das mit eminent politischen Folgen im Spannungsfeld biologischer, philosophischer, soziologischer, ethnologischer und ökonomischer Theoriebildung sowie zwischen verschiedenen nationalen Wissenschaftskulturen zirkulierte. Ich möchte betonen, dass die von mir fokussierte wissenshistorische Konstellation nur einen kleinen Ausschnitt aus der komplexen und weit verzweigten Geschichte des Überlebensbegriffs bildet. Insbesondere seit den 1970er Jahren im Zusammenhang der ökologischen Krise und als Effekt der Diskursmacht der von Foucault entwickelten Konzepte der Biopolitik bzw. Biomacht lässt sich eine neue Konjunktur des Überlebensbegriffs ausmachen, die bis in unsere Gegenwart reicht und die überhaupt die Voraussetzung für das Bedürfnis bildet, die Bedeutungs- und Gebrauchsgeschichte des Überlebensbegriffs, oder einzelne Etappen und Knotenpunkte derselben, zu rekonstruieren.
Im Bereich der Mode bilden die 'auf alt' gemachten, absichtsvoll zerschlissenen, mit Löchern, künstlichen Schmutzspuren oder in ausgewaschenen Farben präsentierten Kleidungsstücke eine besondere Variante, die als 'Used Look' bezeichnet wird. Vor dem Hintergrund einer langen Tradition des Schonens, Flickens, Ausbesserns schadhafter Stellen erscheint diese Modeform als historische Exzentrizität und als ein Extrem, von dem her zugleich der Normalfall der Mode kenntlich wird. Zu ihrem Begriff gehört der Aspekt der Kurzlebigkeit und des permanenten Wandels. Er ist gebunden an die moderne Gesellschaft, die sich von den vorbürgerlichen Gesellschaften grundsätzlich durch ihre dynamische Grundstruktur unterscheidet.
In der von Adorno häufig gebrauchten Periodisierung 'Nach Auschwitz' artikuliert sich das Bewusstsein einer historischen Zäsur, die zu einer Revision der überkommenen Grundbegriff e und kulturellen Leitvorstellungen nötigt. Die Tiefe des zivilisatorischen Einschnitts lässt sich daran ermessen, dass er sogar die vermeintlich unverrückbare Relation von Leben und Tod fundamental verändert hat. Im Folgenden möchte ich verschiedene Formen der Zerrüttung dieser Relation durch den Nationalsozialismus untersuchen. Ich thematisiere das nationalsozialistische Programm der Vernichtung durch Arbeit, den Umgang der Nazis mit den Körpern der Ermordeten, die Gestalt des Muselmanns, die medizinischen Menschenversuche der Nazis sowie die Spätfolgen und Nachwirkungen der Konzentrations- und Vernichtungslager. Es versteht sich von selbst, dass im Rahmen eines Aufsatzes keines dieser Themen auch nur annähernd detailliert ausgeführt werden kann. Ein Ziel meiner Ausführungen liegt in der Analyse verschiedener Formen und in der Darstellung der spezifischen Charakteristika und Folgewirkungen der Formen, in denen die Nazis traditionelle Bestimmungen des Verhältnisses von Leben und Tod verändert oder zerstört haben.
Vorwort
(2016)
Archive verändern sich heute. Überall entstehen neue Archive und die bestehenden wandeln vor allem durch die Möglichkeiten der Digitalisierung rasch ihre Form. Zugleich sehen sich die offiziellen Archive zunehmend einer Vielzahl von Sammlungen von Daten und Bildern gegenüber, von denen keineswegs ausgemacht ist, ob man sie noch als 'Archiv' bezeichnen kann. Durch die Virtualisierung scheinen die Dinge zu verschwinden oder an Kompaktheit zu verlieren; gleichzeitig entsteht immer mehr 'Archivgut' – alles wird archivierbar und unser Leben unterliegt zunehmend der Selbstarchivierung, die alle unsere Äußerungen und Erlebnisse in einem 'Profil' sammelt, das wir vielleicht niemals mehr löschen werden können. Insgesamt ist die fortschreitende Archivierung von allem und jedem vielleicht eines der auffälligsten Komplemente zur wachsenden Beschleunigung spätmoderner Gesellschaften – und es ist alles andere als klar, ob man sie als Zeichen einer Erosion 'des' Archivs oder eher als dessen Universalisierung verstehen kann.
Mehr Dissonanz wagen!
(2016)
Überleben
(2016)
Der Begriff des Überlebens hat im 20. Jahrhundert eine steile Karriere erlebt, die es rechtfertigt, von ihm als einem neuen geschichtlichen Grundbegriff zu sprechen. Eine besondere Auffälligkeit ist dabei die Veränderung des Zeitsinns dieser Kategorie, die nicht mehr nur retrospektiv, sondern zunehmend auch prospektiv in Form der Antizipation drohender Gefahren verwendet wird. Der sachliche Grund für diese semantische Innovation liegt in der – im Zusammenhang mit neuen Formen politischer Herrschaft und technologischer Entwicklungen gemachten – Entdeckung von Neben- und Spätfolgen, die über den Horizont der Gegenwart hinausreichen. Die Futurisierung des Überlebensbegriffs zeigt ebenso wie das neue Schlagwort der 'Überlebensgesellschaft' an, dass am Eingang in die Spätmoderne das Verhältnis von Mensch und Natur, Vergangenheit und Zukunft, gegenwärtigen und kommenden Geschlechtern grundsätzlich prekär geworden ist.
[Rezension zu:] Benoît Godin: Innovation contested : the idea of innovation over the centuries
(2016)
Rezension zu Benoit Godin: Innovation contested : the idea of innovation over the centuries
Über die Auseinandersetzung mit den Innovation Studies hat sich Godin seit Ende der 2000er Jahre verschiedenen Aspekten der Geschichte des Innovationsbegriffs zugewandt und in renommierten Zeitschriften (darunter in 'Redescription, Minerva' und zuletzt in den 'Contributions to the History of Concepts') bereits zahlreiche Aufsätze zu diesem Gegenstand publiziert. Einige davon sind eingeflossen in das Buch 'Innovation Contested', das im Jahre 2015 im Rahmen der Reihe Routledge Studies in Social and Political Thought erschienen ist.
Es war nicht das erste Mal, dass der Begriff des Überlebens in die Welt des Entertainments eingeführt wurde, aber Gloria Gaynors Disco-Hit "I Will Survive" aus dem Jahr 1978 markiert doch eine Zäsur. Wie Titel, Leitmotiv und Formsprache des Songs verweist auch das Vokabular, in dem sein durchschlagender Erfolg beschrieben worden ist, auf die Aktualität eines unheimlich gewordenen Erbes. Der Beginn der modernen Geschichte, die den Konnex von Fun und Survival stiften hilft, lässt sich datieren auf Darwins Ersetzung der Bezeichnung "natural selection" durch den Ausdruck "survival of the fittest", der ihm "besser und zuweilen ebenso bequem" wie jener erschien. Dies wird für lange Zeit das letzte Mal gewesen sein, dass die Verwendung des Ausdrucks "survival" als "bequem" angesehen wurde.