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Anfang Juli 1797 hat Schiller das von ihm für den nächsten Almanach zur Publikation vorgesehene Gedicht "Nadowessische Totenklage" an drei Freunde zur Beurteilung geschickt, an Wilhelm von Humboldt, [...] an Körner in Dresden und an Goethe in Weimar. [...] Als Grund für diese Art von Netzwerkbildung lässt sich ein Orientierungsnotstand bezeichnen. Da Schiller unentwegt poetisches Neuland betreten wollte, war er neben theoretischer Reflexion auf die bestätigend-kritische Absicherung durch das Urteil seiner Freunde angewiesen. Schiller überraschte seine Freunde immer wieder mit neuartigen poetischen Versuchen. Auch dieses Mal im Fall der "Nadowessischen Totenklage" hat Goethe sofort erkannt und anerkannt, dass hiermit der "Kreis der poetischen Gegenstände" erweitert worden sei.
Andenken
(2009)
Wilhelm von Humboldt leistet zweierlei: I. Er überträgt die Grundfigur des Klassizismus, das Eigene am Fremden zu verstehen, vom Altertum auf die modernen europäischen Nationen mit Hilfe seines Konzepts einer vergleichenden Anthropologie. 2. Er stellt die anthropologisch und geschichtsdiagnostisch zugleich intressierte Frage nach dem Potential, den Voraussetzungen, Bedingungen und Grenzen einer Nation, sich Fremdes aufzuschließen und anzuverwandeln. Damit gelang ihm gegenüber der dem Nationalgeist huldigenden Romantik zwar kein breitenwirksamer, aber ein für die deutsche Klassik richtungweisender Beitrag zur kulturellen Identitätsfindung. Er sollte bis in Goethes Weltliteraturvorstellung fortwirken.
Der historische Index für die in der Titelformulierung zum Ausdruck kommenden kontrast-und spannungsreichen Freundschaftskonstellationen in einem um 1800 sich bildenden urbanen Umfeld wird ersichtlich, wenn man die Unterscheidung von empfindsam geprägten Bekenntnisfreundschaften und diplomatisch geführten Freundschaftsnetzwerken einführt.
Die Arabeske ist ein Nachkömmling. Sie ist die jüngere Schwester
der Groteske. Die Gemeinsamkeiten wird man schwer übersehen können. Beide, Groteske und Arabeske, kennen keine strikte Trennung zwischen 'hohen' und 'niederen' Künsten, beide entwickeln sich gleichermaßen in 'klassischen' wie in Print-Medien, beide haben Teil an der Ausbildung der Künstler als Experten in Spezialbereichen. Gemeinsam ist ihnen vor allem, dass ihre Entstehung überschattet ist von Infragestellungen. Die Pointe freilich ist, dass Kritik und Abwehr der Groteske zur Geburt der Arabeske führen. Es liegt also nahe, die Ketten von Polemiken zunächst zu benennen, zumal da die Antworten und Gegenmaßnahmen auf die Kritik die ästhetischen Spielräume der Grotesken und Arabesken erst eigentlich eröffnen.
Die meisten Maler und Zeichner der Romantik haben von den in dem erzählten Märchen wachgerufenen Innenbildern berichtet und von ihnen bei ihrer Arbeit profitiert. [...] Bekanntlich rehabilitieren die romantischen Künstler nicht nur die erzählenden volkstümlichen Gattungen, die Legende, das Märchen, die Anekdote und das Volksbuch, sondern auch die volkstümlichen Formen der bildenden Kunst: die Scherenschnitte, die Silhouetten,
die Schattenrisse etc. [...]
Wissenspopularisierung
(2013)
Hauffs Werk und Erfolg wurden in der Forschung immer wieder aufs neue und variantenreich durch drei Topoi charakterisiert. [...] Die Wirkmächtigkeit dieser drei Topoi, Eklektizismus, Marktanpassung
und virtuose Technik, scheint so stark und umfassend zu sein, daß das Interesse der Forschung an Hauffs spezifischer Literarizität gegenüber der fast ausschließlichen Konzentration auf die soziologische Analyse eines Erfolgsautors marginalisiert wurde. [...] Vielmehr deutet vieles darauf hin, daß hinter den Marktstrategien Hauffs ein literaturästhetisches, ja sogar ein literaturpolitisches Konzept steht. Eine Voraussetzung für eine diesbezügliche neue Sicht auf Hauff und sein Werk dürfte allerdings sein, daß die spezifische politisch-publizistische Sondersituation Württembergs in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts in den Blick genommen wird.
Die Zuspitzung der Problemkonstellation Virtuosentum versus Kunst im
Vormärz läßt sich plausibilisieren an Balzacs Roman "Les Illusions perdues". Hier wird nämlich die kunstkritische Kontroverse um Virtuosentum und Künstlertum und gleichzeitig das produktionsästhetische, narratologische Problem Feuilletonismus und Kunst zusammen- und enggeführt.
[...] Die dialektische Begriffsentfaltung schöner Kunst in ihren Momenten des Häßlichen, Komischen, Erhabenen ist nicht, wie das Vorurteil will, sophistische Begriffsspielerei; sie ist der angestrengte Versuch, die Möglichkeit bzw. Ermöglichung schöner Kunst unter den ihr "ungünstigen", "prosaischen" Lebensverhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft zu entwickeln. Alle ästhetischen Theorien des Häßlichen greifen ein in die Debatte über den Vergangenheitscharakter schöner Kunst; sie melden sich zu Wort als Theorie gegenwärtiger Kunst; sie übernehmen präventiv die Gewährleistung schöner Kunst im Status ihrer drohenden Verabschiedung: sie behandeln sie als suspendiert. [...]
Als 1789 der gerade berühmt gewordene Philosoph Johann Gottlieb Fichte über den Sprachgebrauch "Empfindung" nachdachte, prägte er das treffende Wort "in - sich - Findung". Man hat einmal die Vermutung geäußert, diese "in sich Findung", diese "Reise ins Innere" sei als Pendant und "Äquivalent der Erschließung neuer Welten im Zeitalter der Entdeckungen" zu werten. In der Tat ist die Empfindungsfähigkeit, die "sensibilité", die von der Empfindsamkeit zu unterscheiden ist, keineswegs, wie man früher glaubte, erst eine Begleiterscheinung des sich emanzipierenden Bürgertums, sondern viel früher einsetzend ein Begleitphänomen der schon in der frühen Neuzeit einsetzenden Modernisierungsphänomene.
Heinrich Heines Lyrik folgt einem doppelten Impuls: sie setzt erstens in destruktiver Absicht Parodie, Travestie und Satire ein, um in einer Art Härtetest Tonqualität und ästhetische Wahrheit bisheriger Lyrikbestände zu filtern und auszukühlen; zum zweiten aber sucht sie poetisches Neuland zu gewinnen, indem sie eine extreme Erweiterung lyrischer Sagbarkeiten und Tonlagenhöhen und zwar nach unten und nach oben anstrebt, - nach unten zur größten Farce und hässlich-komischen Burleske, und nach oben zur sublimsten Poesie.
[...] der Chor ist einerseits in seiner dramatischen Funktion gleichsam im Dienst seines jeweiligen Herrn Partei; – er ist andererseits, von Herkunft und Tradition her gebunden, episch betrachtend und urteilend ausgerichtet. Man hat Schillers Tragödie viel zu sehr menschheitsgeschichtlich abstrakt interpretiert; stattdessen ist sein dramatisches Stück kulturgeschichtlich präzis "geerdet". Sein Rückgriff auf die formale Simplizität antiker Tragödienelemente ist nicht historistisch gedacht, sondern experimentell. Aus heutiger Sichtweise kann dieser Rückgriff begrifflich beschrieben werden als "Komplexitätsreduktion" zum Zwecke einer "Komplexitätssteigerung".
Immermann betont, er habe mit diesem Roman eine "sonderbare" Komposition geschaffen. Er habe zunächst nur vorgehabt, einen Spaßmacher vorzustellen, eine Satire auf die Modetorheiten zu schreiben, unter der Hand sei ihm aber eine tragische Gestalt daraus geworden. [...] Am Ende der Kunstperiode findet dieser ganz unheroische Fabulant zu einer fast heroischen Größe. Die
Arabeske feiert damit ihr dionysisches Fest [...]
Die romantischen Schriftsteller haben in einer gleich bleibenden polemischen Stoßrichtung, nämlich in Bezug auf Schillers ironielose Idealisierung, rhetorische Sentimentalität und "sentenzenreiche" Manier dessen Darstellungsweise scharf, ja überscharf herauspräpariert. Sie haben dabei Eigenheiten Schillers treffsicher karikiert; aber auch entscheidende ästhetische Innovationen übersehen und abgedunkelt.
[Dem] Wechsel vom Erhabenen ins Komisch-Lächerliche ist eine Komik unzugänglich, die im Innersten des Erhabenen hervorbricht und dazu korrespondierend ein Erhabenes, das durch und durch komisch durchtränkt ist. Umso mehr mag erstaunen, dass eine spekulative Ästhetik der Hochromantik, nämlich Karl Wilhelm Ferdinand Solgers "Erwin" und ein oft aus der Sicht der Entwicklung zur Moderne eher randständiger Lyriker - Eduard Mörike - diese moderne Erfahrung des Erhabenen als Komisches und des Komischen als Erhabenes auf je eigentümliche und doch korrespondierende Weise theoretisch und lyrisch erfasst haben.
Ein Blick auf die klassizistischen Plastiken um 1800 - verfertigt von Dannecker, Canova oder Thorwaldsen - verweist trotz aller Verschiedenheit auf einen gemeinsamen Charakterzug: den Kult der Jugend. [...] Der Blick ist nach innen gerichtet; körperliche Gegenwart steht in Spannung zur seelischen Ferne. Diese Blickweise ist unantik, ein Zeichen für das Sentimentalische des modernen Klassizismus. Die Antike kennt nur den abgewandten Blick, der gesenkte Blick ist ihr unbekannt. Es gilt zunächst hervorzuheben, daß diese markante Differenz zwischen Antike und Klassizismus keineswegs nur einer neuartigen Kunstauffassung geschuldet ist. Der Klassizismus ist, und das hat Goethe im Sinn, wenn er Winckelmann mit Columbus vergleicht, eine Ethik, Ästhetik, ja die Lebensweise umfassende Konzeption, er ist ein Weltentwurf. Der zivile Klassizismus schuf nicht nur ein bisher unbekanntes Antikebild, eine eigenartige Kunstanschauung, eine innovative Wahrnehmungs- und Schreibweise, er kreierte vor allem einen neuartigen Habitus, eine neue Identität des Gebildeten. Ins Zentrum dieses sich neu konstituierenden Habitus' tritt der Kult des schönen Jünglings. Um diese Identität durchzusetzen, wurden die bisherigen Zuwendungsformen zur Antike und damit zugleich die traditionellen Italienreisen abgelehnt und destruiert.
Jugend sei eine "Erfindung" des 18. Jahrhunderts - wurde in der Forschung behauptet. Diese These bestreitet nicht, daß auch schon früher 'Jugend' als Altersstufe bekannt und anerkannt war. Mit rhetorischer Selbstverständlichkeit wurden seit Aristoteles gewisse anthropologische Grundmuster von Jugendlichkeit, z.B. Unbekümmertheit, Unbeständigkeit, Draufgängertum, Übertreibung, Zukunftsorientierung, Schamhaftigkeit und Freundschaftsfähigkeit unterstellt, repetiert und zitiert. Die forcierte These, das Konzept Jugend sei erst im 18. Jahrhundert entstanden, akzentuiert, daß Jugend als selbständige Lebensform ein Kennzeichen der Moderne ist.
Research has contended youth is an "invention" of the 18th century. This thesis does not contest the fact that youth was already known and accepted as a stage in life even earlier. Certain basic anthropological patterns of youthfulness, for example nonchalance, instability, recklessness, exaggeration, bashfulness looking forward to the future and the ability to make friends have been rhetorically implied, repeated and cited as a matter of course since the time of Aristoteies. The pointed thesis that the concept of youth only arose in the 18th century accentuates that youth as an autonomous way of life is a characteristic of the Modern Age.
[...] "der Artushof" ist eine Passage, die als Verbindung zweier belebter Straßen in einem Hauptgeschäftsgebiet einer Stadt liegt, sie ist nur dem Fußgänger zugänglich und schützt ihn vor Witterungseinflüssen. Auch wenn im Artushof noch keine, die Passage des 19. Jahrhunderts prägende, nach Innen gekehrte Ladenstraße verwirklicht ist, so ist doch seine seit den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts nachweisbare Umwidmung vom Festsaal zur Börse ein Zeichen dafür, daß auch schon in der Danziger Passage "die Kunst in den Dienst des Kaufmanns" getreten ist.
Diderots "Le neveu de Rameau" gilt heute als einer der explosivsten Texte des 18. Jahrhunderts. Mitten im Spätabsolutismus und mitten im Herz der Aufklärung war ein Text in Manier des radikalen Zynismus eines Diogenes entstanden. Der zynische Protest hatte sich einst in der griechischen Antike gegen die Polis, eine substantialistische Philosophie und den universalistischen Anspruch eines Staates gerichtet. Nun, inmitten der modernen Widrigkeiten und Widerstände der großen Stadt Paris und ihren kulturellen "Verkehrsformen", kämpft Rameaus Neffe als "bedürftiger Mensch" um soziale Anerkennung. Es ist eine zynisch-animalische Selbstbehauptung nach der Art des Diogenes mit allen Schrecken und aller Willkür von Selbst- und Gesellschaftsentblößungen.
Ich rekonstruierte die Geschichte, wie es Steffens gelang, in kürzester Zeit berühmt zu werden und danach über vierzig Jahre sich im Gespräch zu halten, obwohl der Ausgangspunkt und die Basis seiner Berühmtheit, die Naturphilosophie, längst obsolet geworden waren [...]. Statt wie Steffens ideologisch auf einer organischen Gestaltung seines Lebenslaufes zu bestehen, beobachte ich die kunsthandwerklich ausgefuchste, märchenhafte, novellistische, Reisebild schreibende, manifestartige Technik seiner Autobiographieschreibung und den virtuosen Einsatz von Effekten der Wendepunkte, Epiphanien, von schnellen Wechseln von Höhe- zu Tiefpunkten und umgekehrt.
Im Folgenden ist also zu klären:
1. warum die Romantiker mit ihrer Entdeckung, dass die Idee der Poesie Prosa sei, eine poetische Forminnovation in zweierlei Hinsicht angestoßen haben, und zwar einmal im Bereich der schreibpraktisch relevanten Poetisierung der Prosa und Prosaisierung der Poesie und zweitens im Bereich der ,Wiederaufbereitung' vergangener Poesie.
2. warum der kritischen Darstellung des prosaischen Kerns im Werk als eines "ewig nüchternen Bestandes" ästhetische und religiös-mystische Implikationen zukommen.
3. warum die Entdeckung, dass die Idee der Poesie Prosa sei, diagnostischen und resistenten Wert für die eigene Gegenwart Benjamins hatte und daher seine Fortsetzungsarbeiten (d.h. der Wahlverwandtschaften-Essay und Dichtung und Wahrheit) nachhaltig prägte.
[Es] […] wird gezeigt wie die romantische Arabeske die vom Klassizismus gesetzten Schranken allmählich überschreitet, einerseits bei Runge mit den Mitteln der Intermedialität, andererseits bei Tieck im Blick auf die erfahrungsseelenkundlich erforschten "Wirbel der Dinge", das heißt die zufallsbedingten und unberechenbaren Brüche in der Biographie eines Helden. Eine derartige Entgrenzung von Subjektivität wird verfolgt bis zu dem in Poes Werk erreichten Punkt, an dem Wahrnehmungsirritationen in Halluzinationen übergehen. […] Gleichwohl kommt auch der klassizistischen Arabeske um 1800 eine eigenständige Dynamik zu. Die klassizistische ästhetische Theorie nutzt die in der Aufklärung sich abzeichnende Dissoziierung des Arabesken vom Grotesken (wobei letzteres ins Komische abgedrängt wird), um die Arabeske zur autonomen anmutigen Formbewegung weiterzuentwickeln. Im Spiel zwischen Ornament und Arabeske eröffnet sich der klassizistischen Arabeske eine von der Romantik sich unterscheidende Provokation des Vertrauten, eine in Konkurrenz zum Erhabenen sich abzeichnende Möglichkeit, Staunen zu erwecken.
Um Grenzen und Gemeinsamkeiten zwischen bildender Kunst und Poesie, Schrift und Bild aus der Perspektive des Umrisses soll es im folgenden gehen. Speziell steht die Frage an, welche Bedeutung dem Umriß bei der Differenzsetzung von klassizistischen und romantischen Kunstkonzeptionen zukommt. Auffällig ist nämlich, daß der im Neoklassizismus zur Leitreferenz aufgestiegene Umriß in der Romantik eine zwar anders ausgerichtete, aber nicht weniger wichtige Funktion für die Trennung und Verbindung der Künste spielt.
Einläßliche Untersuchungen zur Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte Lichtenbergs fehlen bislang. Sie würden zunächst ein disparates Rezeptionsfeld aufweisen: Lichtenberg als Naturwissenschaftler, Lichtenberg als Physiognomikkritiker, Lichtenberg als Literatursatiriker , Lichtenberg als Stifter eines neuartigen ästhetischen Bildreservoirs, eines Orbis Pictus, den seine Hogarth Kommentare erschließen, schließlich Lichtenberg als Autor der Sudelbücher, die ihn als Selbstdenker zu erkennen geben. Darüber hinaus wäre das Besondere von Lichtenbergs Wirkungsweise methodisch zu bedenken und zu verwirklichen.
Betrachtet man die gesamte Breite ästhetischer Tonarten, die Annette von Droste-Hülshoff in ihren Gedichten erprobt hat, von der Ironie, dem Sarkasmus, der Satire, der Parodie, dem Humor bis zum Schauer, Horror, Dämonischen, Unheimlichen und Erhabenen, so ist eine asymmetrische Bewertung auffallend. Obgleich sie in ihrer Jugend "durchbohrend witzig" gewesen sein solll und obgleich in der gleichzeitigen zeitgenössischen ästhetischen Theorie - von Selger bis Ruge und Vischer - die Gleichursprünglichkeit des Erhabenen und Komischen als innovative Einsicht geltend gemacht wurde, scheint es bis zur aktuellen Rezeption und Erforschung der Lyrik der Droste
ausgemacht zu sein, dass die Modernität dieser Dichterin in der "bedrohlichen Abgründigkeit", das heißt in ihrer das Unheimliche, Schaurige darstellenden Lyrik zu finden sei.
Ausgegangen wird von einer Kontinuität struktureller Vorgaben durch die Frühromantik mit erkennbaren Umakzentuierungen Mitte der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts, die im Vormärz experimentell erprobt werden. Die neuere Vormärzforschung tendiert dazu, in Abgrenzung zum späteren poetischen Realismus die Literatur, d.h. keineswegs nur die politisch progressive, durch ihre kühnen literarischen, die Innovationen der Wissenchaften aufgreifenden Experimente zu charakterisieren. Aus dem Gesichtswinkel literarischer Experimmtierfreudigkeit, die Herausforderungen der Modet+rnisierung und Temporalisierung annimmt und zugleich bestreitet, wird eine paradoxale poetologische Grundfigur erkennbar, die für Romantik und Vormärz gleichermaßen gilt, nämlich: sich in den Krisenbrennpunkt der eigenen Zeit hineinzuschreiben, um sich zugleich in ästhetische Distanz zu begeben. Die Ausfaltung dieser paradoxalen poetologischen Grundfigur in Romantik und Vormärz sei in vier Durchgängen problematisiert:
1. Strukturelle Vorgabe: "Führungswechsel der Zeiten"
2 Archivierung und Aktualisierung 'doppelbödiger' Schreibweisen
im Spannungsverhältnis von Poesie und Publizistik
3. Wechselverwiesenheit: Vormärz in der Romantik und Romantik
im Vormärz
4. Die Austreibung des Romantischen im Vormärz
5. Reflexive Gegenwart als zentrale Bezugszeit. Akzentverlagerung von der Romantik zum Vormärz
Das Merkmal der Vielstimmigkeit mag für Rühmkorfs auf Rede und Gegenrede angelegtes essayistisches, kritisches und polemisches Schreiben, das sich mitunter als sprechendes Fechten im literarischen Handgemenge zeigt, unstrittig sein; zu Anfang seines lyrischen Schaffens jedoch war für die Lyrik Dialogizität ein mehr als ungewöhnliches Ansinnen; es war geradezu provokant. Denn Lyrik, vornehmlich moderne Lyrik, war festgelegt auf "poetische Monologizität".
Im Folgenden soll die Interferenz von Kunst und Mode, von Poesie und Publizistik, von Dichtung und sozialer Gestik thematisiert werden. Zu Hilfe kommt dabei eine Eigenart ästhetischen Begriffsgebrauchs, die, recht genutzt, den Nachteil der wissenssoziologischen Trennung zwischen einer ästhetischen und soziologischen Begriffsreihe behebt. Der Gebrauch ästhetischer Begriffe geht sprachgeschichtlich zum Teil weit über den ästhetisch definiten, engen Bereich des schönen und der Kunst hinaus in außerästhetische Felder des Anthropologischen, Medizinischen, Psychologischen und Sozialen. So lebt z.B. das Poesieideal von Anmut und Grazie begrifflich fort in den sozialen Bereichen der Mode und des Benehmens; so dient die Unterscheidung von Lächerlichem und Häßlichem gleichermaßen der Artikulation von Grenz- und Tabuverletzungen in polemischer Poesie einerseits und in Psychologien und Psychopathologien andererseits. Die Konzentration auf die Vielstimmigkeit eines poetischen Werkes schließt die Untersuchung nur eines für das Sozialverhalten relevanten Bereichs, etwa der Anstandsbücher, der Modejournale, der Diätetiken, der Psychopathologien, der Mentalitäts- und Sprachgeschichte zugunsten eines Interferenzspiels aller dieser
Spezialdiskurse aus.
Jüngst wurde die These vertreten, was in den 60er und 70er Jahren der Begriff der Entfremdung und Utopie bedeutet habe, sei heute der der Erinnerung und des Gedächtnisses. Mit dem Rückgang einer ausschließlich futuristisch ausgerichteten Utopieforschung und einer die Vergangenheit häufig instrumentalisierenden Rezeptions-und Erbeforschung hat sich im Gegenzug Erinnerung als ein Schlüsselbegriff der Kulturwissenschaften etablieren können. In drei Kürzeln lässt sich diese Konjunktur skizzenhaft plausibilisieren. Erinnerung ist erstens theoriefähig und empirisch, zweitens aktuell und tief in die Geschichte oder die Geschichten zurückreichend und drittens interdisziplinärfähig und die einzelnen Disziplinen neben den Literaturwissenschaften die Soziologie, Philosophie, Kunstgeschichte herausfordernd. Erinnerung avancierte zum Faszinationstyp, weil sie - um auch hier wiederum die Dreizahl beizubehalten - in drei Arbeitsfeldern besondere Schwerpunkte zu setzen erlaubt: ersten im Bereich komplexer Modalisierung von Zeiten, zweitens im Bereich der Kulturalität und drittens in der Komparatistik länderspezifischer Erinnerungsmodi.
Ausgangspunkt der hier vorgenommenen Zusammenstellung einer ästhetischen Theorie, einer kunstgeschichtlichen Analyse und einer poetischen Darstellung des niederländischen Genres war eine Faszination. Annette von Droste-Hülshoff hatte in einem Prosafragment ein ästhetisches Experiment mit einer Gattung durchgeführt, deren ästhetische Besonderheiten theoretisch erst in jüngster Zeit und durch eine neuartige kulturgenetische Vorgehensweise von Hegel und Schnaase exponiert worden waren. Staunenswert dabei ist nicht nur, dass und wie Droste-Hülshoff die verschiedenen Bestimmungsstücke des Genres, die Ästhetik des Flüchtigen, die Ästhetik des Zweideutigen und die ästhetische Theorie des Interieurs, im sprachlichen Medium erprobt; verblüffend ist mehr noch, dass sie die implizit zwischen Hegel und Schnaase sich abzeichnende Differenz in der Einschätzung der ästhetisch lizenzierten Darstellung des Bösen narratologisch zu nutzen weiß und folgerichtig das niederländische Gesellschaftsbild in eine "Kriminalgeschichte" überführt.
Meine Überlegungen zielen [...] nicht nur spezifisch auf eine Anfang der 80-er Jahre des 20. Jahrhunderts führende Interpretationsrichtung, die damals bis auf den Kommentar einer Historisch-kritischen Ausgabe durchschlug. Meine Bemerkungen richten sich darüber hinaus auf die Problematik eines positivistisch ausgerichteten Kommentars angesichts eines Œuvres, das bei genauerem Hinsehen nicht nur eine gewisse Nähe zum Positivismus aufweist, sondern zugleich auch Kritik und Distanz. Eine Historisch-kritische Edition trägt von ihrer wissenschaftsgeschichtlichen Genese her positivistische Züge. Der "Detailrealismus" und der dokumentarische Zug in Annette von Droste Hülshoffs Werk kommt dem entgegen.
Es existieren zahlreiche Gattungsgeschichten zur Autobiographie; es gibt neuerdings in der Literaturwissenschaft endlich auch eine Geschichte der Biographie; es fehlt aber eine Untersuchung zu dem komplexen Verhältnis von Autobiographie und Biographie, diesen beiden Grenzgängern zwischen Geschichtsschreibung, Wissenschaft und Kunst. Und doch liegt hier ein methodisch, gattungstheoretisch und ästhetisch ungemein interessantes Beziehungsnetz vor, das, wenn es ausgelegt werden könnte, Rückwirkungen auf die Gattungsgeschichte der Biographie und Autobiographie haben würde.
Öffentlichkeit bedarf, um zu gedeihen, einerseits bestimmter staatlicher und rechtlich abgesicherter Außenbedingungen [...] anderereits bestimmter kommunikativer und urbaner Binnenbedingungen. Öffentlichkeit ist und wird aber auch geprägt von bestimmten Erfahrungs- und Wahrnehmungsformen. Eine Gelehrtenöffentlichkeit kann z.B. lokalitätsüberschreitend durch Schrift [...] und vor Ort in bestimmten Formen der Oralität, etwa der Vorlesung oder Disputation, stattfinden. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Physiognomie der Öffentlichkeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht mehr dominant von einer exzessiven Lese- und Schreibsucht geprägt wie noch im 18. Jahrhundert, sondern von einem unersättlichen Bilderhunger. Geht man auf die Suche nach den eigentümlichen Konstitutionsbedingungen literarischer Öffentlichkeit in der Epoche der Spätromantik und des Vormärz, so darf man nicht bei der Literatur stehen bleiben, sondern muß von der Interferenz von Literatur und Bild (wie in anderer und paralleler Weise von Literatur und Lied) ausgehen.
Mit der Trias "Neue Zeit - Neue Kunst - Neue Technik" sind die Leitideen vormärzlicher Kunsttheorie und -praxis päzis umschrieben. Zunächst schien es so, daß mit der neuen Zeit, dem in der Julirevolution sichtbar gewordenen Bündnis von König und Volk eine schöne, bedeutungsvolle Zeit anbrechen würde, [...]
Dieser Enthusiasmus sollte allerdings nicht lange anhalten. An die Stelle der Schöheit trat bekanntlich die Karikatur des Bürgerkönigs, an die Stelle des Pathos die Farce, an die Stelle von Geist das Geld, ein Umstand, der freilich nicht auf Frankreich besschränkt blieb [...]
Schreibszenen des Billets
(2015)
Es ließe sich unschwer eine veritable Bibliothek aus Briefwechseln, Briefstellern, Briefforschung zusammenstellen. Zum Billet, "Briefgen", "Zedul" oder "Blättchen", also zur Vorgeschichte der SMS, könnte man gerade mal einen kleinen Schuber füllen. Diese Asymmetrie ist erklärungsbedürftig und im Blick auf ganz andere als in sogenannten "ordentlichen" Briefen praktizierte Schreibszenen auch aufschlussreich.
Die deutsche Romantik ist eine Zeit des Aufbruchs, der kühnen und spielerischen Anfangsexperimente; aber sie ist auch eine Zeit der Krise. Zwar herrscht sowohl in der literaturwissenschaftlichen Forschung wie in den weiter gespannten Versuchen einer kulturellen Diagnostik Einverständnis darüber, daß "Modernen" sich in wiederholten Schüben ereignet haben [...] und daß jede dieser neu erscheinenden Modernen an den Errungenschaften der vorangehenden partizipiert. Doch könnte man behaupten, daß die Krise, die sich in der deutschen Romantik abzeichnet, zu den
differenziertesten gehört, und daß sie in den Umbrüchen, die aus ihr resultierten, alle Felder des Wissens, des Imaginierens und des Darstellens nachhaltig affizierte und transformierte.
Als methodisches Rüstzeug bieten sich im Falle des hier verfolgten Themas vier Zugänge an: Erstens eine ideengeschichtliche Rekonstruktion der jüdischen Neuromantik, gegliedert nach verschiedenen Phasen (Vorgeschichte, zionistische Auslegung, ästhetische Kontroversen). Zweitens ein kulturwissenschaftlich ausgerichteter Konstellationsforschungsansatz. [...] Drittens bietet sich das Thema jüdische Neuromantik geradezu dafür an, die jüngst im englisch-amerikanischen Theoriefeld wieder aufgegriffenen methodischen Überlegungen zu kulturwissenschaftlich ausgerichteten "translation studies" einzubeziehen; [...] Und schließlich erscheint eine begriffliche Differenzierung nützlich. Im Blick auf die kulturpolitisch ausgerichtete zionistische Bewegung dürfte es angemessen sein, von einer "Wiederaufnahme" romantischer Vorgaben aus der Zeit um 1800 zu sprechen. Der zeitgenössische kulturpoetisch-ästhetische Versuch einer genaueren Charakterisierung neuromantischer Gattungen und Schreibweisen dürfte allerdings treffsicherer mit dem Begriff "gesteigerte Wiederkehr" umschrieben werden können.
Die erste Voraussetzung für eine Neuausrichtung des Verhältnisses der Künste und Medien zueinander bestand darin, dass jede und jedes von ihnen Eigenständigkeit und Gleichwertigkeit beanspruchen konnte. Keine Kunst und kein Medium sollte als zweitrangiger Dienstleister begriffen und missbraucht werden. Illustration von Texten wurde infolgedessen genauso abgelehnt wie eine schlichte Beschreibung einer malerischen Vorgabe.
Im einleitenden Teil soll an drei markanten Beispielen die kulturpraktische Bedeutung ästhetischer Mystifikation und Verstellung in der Romantik vorgeführt werden. Im zweiten Teil soll ein Problemaufriss gegeben werden, auf welche Weise aus der Kulturpraxis der artistisch eingesetzten Mystifikation Camouflagetechniken entstehen können.
Ich will versuchen, an einem Spezialfall der Ornamentästhetik zu zeigen, wie die Arabeske, damals auch Arabeskgroteske genannt, aufgrund ihrer traditionellen Disposition zu einem der bedeutendsten Grenzgänger innerhalb der klassizistischen Ästhetik wird: Sie ist hervorragend geeignet zum autonomen Spiel. Daher avanciert sie auf der einen Seite zum Favorit klassizistischer Ornamentästhetik, gefährdet aber auf der anderen Seite durch die ihr eigene, unbändige Einbildungskraft beständig den Ordnungsgedanken des Klassizismus. Die Arabeske als Grenze einer Grenzziehungskunst scheint mir geeignet, die Spielregeln klassizistischer Ästhetik und die Notwendigkeit oder wenigstens Möglichkeit des Übertritts zur Romantik plausibel zu machen.
Es besteht ein weitgehender Konsens darüber, dass die Literatur an der Herausbildung des kulturellen Gedächtnisses entscheidend mitwirkt. Dies gilt nicht nur in archaischen Zeiten, in denen die 'res gestae' dem Gedächtnis künftiger Generationen anvertraut werden, sondern es gilt auch für die Moderne, in der literarische Texte Teil eines Traditionszusammenhangs sind, mittels dessen eine Gesellschaft sich selbst eine kulturelle Identität zuschreibt. Insbesondere jene Elemente gesellschaftlicher Interaktion, die normativen Erwartungen ausgesetzt sind [...], werden Gegenstand bewahrenswerter Kommunikation und können dadurch als aktualisierbarer Sinn (bzw. Semantik im Luhmann'schen Verständnis) jederzeit verwendet werden. Eine so verstandene Konzeption des kulturellen Gedächtnisses beruht auf dem Gedanken der Kontinuität. Im Extremfall wird solche Kontinuität durch Rituale oder durch die Religion über Jahrhunderte hinweg aufrechterhalten bzw. es wird suggeriert, dass es eine solche Kontinuität gebe. Diese Kontinuität überschreitet auch den Tod des Einzelnen.
Was aber geschieht, wenn aufgrund einer Katastrophe eine ganze Gesellschaft vernichtet wird?
Sucht man in den als "Kompendium der romantischen Schule" apostrophierten 'Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst', die August Wilhelm Schlegel in Berlin 1801 gehalten hat, nach der Einschätzung und systematischen Einordnung der Tanzkunst in die Kunstlehre der Romantik, so findet man eine zwiespältige Konstellation vor. Auf der einen Seite gehört die Tanzkunst durch ihre exzeptionelle Verbindung von Wort, Ton und Gebärde zur "Ur-Kunst", ist also somit zugleich durch ihr Bündnis mit Poesie und Musik "der Kern der sämtlichen Künste"; auf der anderen Seite ist die Tanzkunst genau durch diesen "unheilbaren Akt" der "untrennbaren" Anbindung an Poesie und Musik zu der Rolle einer "untergeordneten Kunst" verdammt. Denn, so die Argumentation Schlegels, die Tanzkunst hat "die Wortsprache nötig", genauso wie sie "nie der Musik entraten kann". Kurz: aus der Sicht August Wilhelm Schlegels ist die Tanzkunst als Einzelkunst nicht autonomiefähig, sodass sie trotz ihrer Ursprungsaura nicht zu den höchstfavorisierten Künsten um 1800 zählt.
Wilhelm Raabe gehört zu den literarischen Experten, die dem durch beschleunigte Temporalisierungsprozesse bedingten neuen Stellenwert von Kuriositäten schreibend ihre Aufmerksamkeit widmen und dem Plunder bzw. Abfall eine bislang wenig bekannte poetische Seite abgewinnen. Raabe ist ein historistisch geschulter Virtuose in der Adaption und Transformation vorgegebener literarischer Dingdarstellungen. Er weiß die im Rokoko geschulte Koketterie mit dem Minutiösen und Seltenen, mit der Enthüllung und Verhüllung der Dinge zu nutzen, er greift auf die in der Empfindsamkeit betriebene emotionale Aufladung der Dinge zurück, er bedient sich der Traditionen exotischer Amulette und Fetische und er reizt das Erinnerungspotential der Dinge aus. Rezeptionspsychologisch kennt er die poetischen Möglichkeiten des Spiels und Widerspiels von Projektion auf die Dinge und Resonanz der Dinge, das heißt er weiß den Appell- und Signalcharakter der Dinge einzusetzen. Insbesondere vermag er die Dinge als narrative Kerne zu inszenieren, das
heißt sie so erzählerisch zu arrangieren, dass das noch nicht Erzählte oder nicht Erzählbare vom Leser substituiert wird. Zusammenfassend kann man sagen, Wilhelm Raabe ist ein virtuoser erzählerischer Choreograph, der die gesamte Breite an poetischen Dingsuggestionen vom Gebrauchsding zum Fetisch und von der Kuriosität bis zum Abfall, von der traditionellen Locke und dem empfindsamen Taschentuch bis zur modischen Vase aufzurufen weiß.