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Während Kästner und Schwabe die damals als relevant betrachteten Reiseliteraturen verzeichnen, beginnt sich diese Textgattung ihrerseits fundamental zu wandeln. Sie wird zu Literatur in einem engeren schönen Sinn, der mit den praktischen Anforderungen an diese Gattung nur noch wenig zu tun hat. Die Unwägbarkeiten der Reise treten zurück. Das Stichwort, unter dem dieser Wandel zumeist verzeichnet wird, ist das der Subjektivierung. Gemeint ist jener Moment im Übergang zur Neuzeit, an dem es scheint, als sei die Literatur der herausragende Ort, an dem der Mensch ganz bei sich selbst ist. Während er sonst überall nur entweder Standesbürger ist, Wirtschaftssubjekt oder Untertan, ist er in den Künsten und besonders in der Literatur nur Mensch. Paradigmatisch dafür steht ein Buch, das Erfolgsbuch des r8. Jahrhunderts neben Jean-Jacques Rousseaus Jahrhundertroman Nouvelle Héloïse: Gemeint ist Laurence Sternes Roman A Sentimental Journey Through France and ltaly, 1768 zum ersten Mal erschienen und in die europäischen Sprachen zumeist noch im selben Jahr übersetzt, so auch ins Deutsche durch Johann Joachim Christoph Bode. Anders als es der Titel erwarten lässt, tritt in Sternes Roman die Reisewirklichkeit hinter die angedeuteten, zumeist amourösen Begegnungen des Helden zurück. Kutschfahrten sind hier ebenso wie Gasthäuser Anlässe für verliebte Treffen und empfindsame Andeutungen, haben aber mit den praktischen Fährnissen des Reisens kaum mehr etwas zu tun. Alles ist hier ins Subjektive gewendet. Diese Wendung der Reise nach innen ist die eine Seite der Veränderungen in der Gattung der Reiseliteratur.
Im 18. Jahrhundert waren die Varietäten des Menschen aus zwei Gründen kein ganz neues Thema mehr. Zum einen griff die Aufklärung auf eine umfangreiche Literatur der Weltumsegler. Missionsreisenden und Abenteurer zurück, die seit dem 15. Jahrhundert von der Vielfalt der Völker, der sie umgebenden Natur und ihren Gebräuchen zu berichten wussten. Das beginnt bei der Historia nalural y morals de las Indias des spanischen Jesuiten José de Acosta (1539/1540-1599/1600) von 1590, die schon die Vermutung formuliert hat, dass auch die Indianer mit den anderen Völkern verwandt und über eine Landbrücke aus Nordasien nach Amerika gelangt seien, und reicht dann bis zu Rousseau, Voltaire, Diderot und Helvétius. Die andere Tradition ist die der Philosophie, für die Descartes' Ableitung der Einheit des Menschengeschlechts aus den physiologische Gemeinsamkeiten einschließlich der menschlichen Seele steht, wie er sie in seinem Traité de I'homme formuliert hat, 1632 geschrieben und 1662 posthum unter dem Titel De homine veröffentlicht und die ihrerseits auf die Nachwirkungen der aristotelisch inspirierten Scholastik und im 16. Jahrhundert entstandenen Physiologie zurückgeht. Das Menschengeschlecht war eines, das entsprach der biblischen Vorstellung ebenso wie der aristotelisch angeleiteten Wissenschaftssystematik, nicht unnötig viele Theorien zu nutzen. Von den Varietäten war also so viel die Rede wie von der Einheit der Menschheit.
Den Menschen als Abbild Gottes aufzufassen, war mehr als nur eine theologische Richtungsentscheidung im spätantiken Europa. Sie betraf auch die Literatur. Grundsätzlicher als bisher von den Literaturgeschichten in den Blick genommen, ist die Bedeutung der christlichen Anthropologie für die europäische Literatur – das ist die These, die hier plausibilisiert werden soll. Doch nicht so, als dass diese europäische Literatur seit der Spätantike einfach christlich in ihren Themen noch in ihren Formen geworden wäre. Das ist sie sicherlich auch vielfach der Fall, man denke nur an die Durchsetzung etwa des Codex anstelle der Buchrolle, der Entfaltung neuer Gattungen wie der Legenden oder christlicher Moralvorstellung in den Büchern von Sebastian Brant bis Dostojewski. Vielmehr so, dass die europäische Literatur eine andere geworden ist, weil sie sich mit der christlichen Auffassung vom Menschen als Abbild Gottes auseinanderzusetzen hatte. Denn diese Lehre stellt die Literatur und andere Künste grundsätzlich in Frage, eben weil sie den Menschen so radikal in Frage stellt.
Wer wüsste nicht, was ein Märchen ist, eine irgendwie sehr alte, mündlich überlieferte und formelhaft erzählte Geschichte von kleinen Helden, die inmitten von selbstverständlichen Wundern und bösen Widersachern groß herauskommen und am Ende belohnt werden. Märchen, das sind für uns vor allem Zaubermärchen, die dem Wunderbarem ganz beiläufig Raum lassen und dem Prinzip der poetischen Gerechtigkeit folgen, wo der Beste die Schönste bekommt und alles gut ausgeht. Sie haben etwas, das sie mit Mythen und Träumen verbindet, schon weil ihre Figuren aus alter Zeit zu stammen scheinen, stark typisiert sind und entweder arme Leute oder gleich König und Königin darstellen. Mit den immer selben Figuren und Handlungsmotiven erzählen Märchen einfach und meist knapp entlang des Geschehensverlaufs. Ereignis reiht sich an Ereignis;psychologische Begründungen fallen hier aus. Alles passiert auf der Oberfläche der Handlung geradezu unmittelbar. Und die, die in solchen einfachen Formen erzählen, das sind Leute aus dem Volk, besonders die Frauen, genauer noch eher die alten und die vom Lande. Schließlich sind Märchen für Kinder da. "Kinder brauchen Märchen" wurde die deutsche Ausgabe des Erfolgsbuchs des deutsch-amerikanischen Psychoanalytikers Bruno Bettelheim überschrieben, und das haben dann viele bis heute übernommen. Weil Märchen gut ausgehen und das Wunder wie eine Selbstverständlichkeit behandeln, fördern Märchen die kindliche Kreativität und Moralität wie keine andere Gattung. Märchen sind also gut und machen ihre kleinen wie großen Leser glücklich. Von alledem sind wir überzeugt.
Der Beitrag erläutert den Forschungsstand zur Entdeckung der Spiegelneuronen und fragt nach den Folgen dieser Entdeckung für die alte Frage nach dem Grund unseres Wohlgefallens an nachgeahmten Handlungen. Der Beitrag argumentiert, dass die Spiegelneuronen mindestens einer der zentralen neuronalen Mechanismen sind, die erklären, warum der Mensch Literatur hat. Diese Hypothese hat ihrerseits Folgen für einen präziseren Begriff der Literatur. Literatur besteht demnach aus Nachahmungsgeschichten. Sie ist Nahrung für unseren Nachahmungsinstinkt. Die Spiegelneuronen erklären, warum wir diese Nahrung brauchen und welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Literatur diese Funktion erfüllen kann.
Die Poesie beim Wort genommen : das ganz unwunderbare Leben des Dichters Gottfried August Bürger
(2004)
"Zu berichten ist von der ganz unwunderbaren Lebensreise eines Dichters im Göttingen des 18. Jahrhunderts, die fast geglückt wäre, dann von der ´schönen Unordnung´, die im 18. Jahrhundert in die Poesie und in die Köpfe gekommen ist, schließlich von den wunderbaren Ausfahrten der Fantasie und ihren Folgen. Die Rede ist von dem Göttinger Kommilitonen, späteren Amtmann zu Gelliehausen, Landwirt auf Appenrode, Extraordinarius der Georgia-Augusta und dabei immer Dichter - Gottfried August Bürger."
Auch Erdbeben haben ihre Geschichte. Obgleich Erdbeben nur kurze Ereignisse sind, die Erdstöße oft nicht länger als ein paar Sekunden dauern, haben sie eine lange Geschichte ihrer Deutung. Sie geht den Beben voraus und folgt ihnen noch lange nach. Von einer solchen Geschichte der Deutung handelt dieser Beitrag. Er nimmt ein Ereignis zur Vorlage, das wie kaum ein zweites Erdbeben in der Geschichte Europas Epoche gemacht hat: das Erdbeben von Lissabon 1755. Von dieser Katastrophe gibt es fast nur Deutungen, kaum Augenzeugenberichte, die nicht schon von den philosophischen und theologischen Diskursen überschrieben wären.
[D]ie hier skizzierten Überlegungen zum Epochenbegriff [sollen] verständlich machen, warum eine Untersuchung der Klassik als Epochenstil mindestens für die deutsche Literaturgeschichte noch aussteht. [...] Eine Literaturgeschichte der Klassik [...] wäre eine Aufgabe, die nicht weniger, sondern mehr Literaturgeschichte der literarischen Kommunikation erfordert. Dieses Mehr an Literaturgeschichte ist aber nicht endlos, sondern eben dadurch begrenzt, dass auch die kompliziertesten Texte zwischen Autor und Leser kommuniziert werden müssen. Es gibt daher Epochenstile. Ihre Erforschung steht am Anfang. Und sie lohnt, weil erst so jener Zauber >prinzipiell< verstehbar ist, weswegen vergangene Zeiten Literatur gelesen haben und wir Literatur auch vergangener Zeiten noch lesen.
Das Internet eignet sich wie kein zweites Medium als Archiv von Wissensbeständen und kulturellen Zeugnissen. Fotis Jannidis, Gerhard Lauer und Andrea Rapp skizzieren mit dem Beitrag zum »Forschungsprogramm einer computergestützen Buch- und Narratologiegeschichte des Romans in Deutschland (1650–1900)« ("Charikleia") die sich für die neuere Literaturgeschichte abzeichnenden Perspektiven. "Charikleia" ist selbst Teil eines größeren Langfristvorhabens mehrerer deutscher Universitäten und außeruniversitärer Forschungseinrichtungen, dem Projekt "DeutschDiachronDigital" (DDD). Ziel des DDD-Vorhabens ist die Erstellung eines für die deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft zentralen Korpus von den althochdeutschen und altsächsischen Anfängen bis zum älteren Neuhochdeutsch um 1900. Dieses Korpus wird wissenschaftlichen Ansprüchen auf Textgenauigkeit bzw. Diplomatizität und Historizität entsprechen müssen, außerdem allen Anforderungen an statistische Validität und große Erschließungstiefe der Textauszeichnungen. Gewährleistet sein muss dabei die Kompatibilität mit den international gängigen Standards (vor allem XML, TEI), wie sie andere Projekte bereits etabliert haben. DDD wird als digitales Korpus ein Forschungsinstrument von einer Art sein müssen, wie es keines der Massendigitalisierungen der großen Information Retrieval-Firmen sein kann. Seine Logik der Annotierung und seine Erschließungstiefe werden allein wissenschaftlichen Vorgaben folgen und im geglückten Fall selbst wiederum Modellcharakter für weitere wissenschaftliche Korpora haben. Für "Charikleia" gelten die gleichen Anforderungen, andere kommen hinzu. Denn die Literaturwissenschaft hat noch nicht wie etwa die Korpuslinguistik etablierte Auszeichnungen entwickelt. Wie man narratologisch, buch- und kulturgeschichtlich Texte auszeichnet, wie ein historisch differenziertes Tagset zur Annotierung erzählerischer Texte aussieht, ist eine Forschungslücke der Literaturwissenschaft. Valide literaturwissenschaftliche Forschungsinstrumente für das digitale Zeitalter zu entwickeln, wird daher eine der vordringlichen Aufgaben des Forschungsprogramms "Charikleia" sein müssen. Sein Gegenstand sind die blauen Bibliotheken und die hohen Romane, sind Bachstrom und Goethe. Was heißt das im Detail, digitale Annotierungsverfahren und die Kulturgeschichte des Romanlesens zusammenzuführen?
Die Auffassung, der Autor sei für die Erklärung der Bedeutung seiner Texte relevant, wurde in den letzten Jahrzehnten aus ganz unterschiedlichen theoretischen Haltungen heraus in Zweifel gezogen. […] Vor dem Hintergrund dieser Positionen und ihrer aktuellen Fortführungen ist die Verwendung des Autorbegriffs bei der Interpretation literarischer Texte heute dem Vorwurf theoretischer Naivität ausgesetzt. Gleichzeitig ist der Autor in der Interpretationspraxis der Literaturwissenschaft weiterhin von großer Bedeutung. […] Diese Diskrepanz mag hie und da in einer Ignoranz gegenüber vergangenen und aktuellen Theoriedebatten begründet sein oder in einer mangelnden Konsequenz, als richtig akzeptierte Theoriepostulate auch de facto für die eigenen Textlektüren zu berücksichtigen. Aber solche Erklärungen reichen nicht aus. Der Verdacht drängt sich auf, daß die theoretische Reflexion über den Autor zentralen Formen des wissenschaftlichen Umgangs mit literarischen Texten nicht gerecht wird. Die Praxis der Interpretation(en) literarischer Texte demonstrieren vielmehr legitime, ja notwendige Verwendungsweisen des Autorbegriffs. die von der Theoriediskussion nicht angemessen wahrgenommen werden. Diese Verwendungsweisen lassen sich nicht nur historisch rekonstruieren. Sie können und sollten, so meinen wir, auch systematisch gerechtfertigt werden.
Der Bedeutungsbegriff in der Literaturwissenschaft : eine historische und systematische Skizze
(2003)
Unser […] Überblick zeigt […] [z]unächst […], dass ›literarische Bedeutung‹ ein sehr viel grundlegenderer Begriff ist, als aus der Aufmerksamkeit zu schließen wäre, mit der er in den Theoriedebatten bedacht wird. Der Überblick zeigt auch, dass mit der Rede von der Bedeutung literarischer Texte sehr unterschiedliche Sachverhalte bezeichnet werden. Es gehört zu den besonderen Schwierigkeiten im Umgang mit dem Bedeutungabegriff, dass er sich auf kein einzelnes Phänomen bezieht, welches durch unterschiedliche Theorien je unterschiedlich erklärt würde; vielmehr erfassen die unterschiedlichen Bedeutungsbegriffe verschiedene Phänomene. Diese Phänomene lassen sich zudem nicht ohne weiteres aufeinander beziehen, da sie jeweils in ganz unterschiedliche Großtheorien über sprachliche Kommunikation, Kunst, Gesellschaft etc, eingebettet sind. […] Bedeutungszuweisungen […] folgen zwar unterschiedlichen, aber durchaus explizierbaren Regeln, die im jeweiligen theoretischen Rahmen verbindlich sind. Regel und Bedeutung gehören daher enger zusammen, als es dem dominierenden Selbstverständnis der Literaturwissenschaft entspricht. Die offensichtliche Pluralität der in der Literaturwissenschaft verwendeten Bedeutungsbegriffe mag es verbieten, auf der alleinigen Gültigkeit eines bestimmten Bedeutungsbegriffs zu insistieren. Das aber schließt mindestens die Möglichkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit ihren Konzeptualisierungen der Bedeutung nicht aus.
Über die Diskussionen zum Autor lässt sich ein Überblick gewinnen, wenn man das Problemfeld danach einteilt, wie Autor, Text und Leser zueinander in Beziehung gesetzt werden. Wir gehen im Folgenden zunächst auf solche Positionen ein, die den empirischen Autor in die Interpretation literarischer Texte einbeziehen. Dann stellen wir Positionen vor, die den empirischen Autor aus dem Umgang mit Literatur ausschließen und sich lediglich auf Aspekte des Textes stützen wollen. Von diesen sind noch einmal jene Positionen abzusetzen, die ebenfalls auf den empirischen Autor für Zwecke der Interpretation literarischer Texte verzichten, nun aber nicht den Text, sondern die Position des Lesers in den Vordergrund stellen. Der Akzent liegt also entweder auf dem Autor, auf dem Text oder auf dem Leser.
The ability to permeate accross the blood brain barrier (BBB) is essential for drugs acting on the central nervous system (CNS). Thus, systems that allow rapid and inexpensive screening of the BBB-permeability properties of novel lead compounds are of great importance for speeding up the drug discovery process in the CNS-area. We used immortalized porcine brain microvessel endothelial cells (PBMECICl-2) to develop a model for measurement of blood-brain barrier permeation of CNS active drugs. Investigation of different cell culture conditions showed, that a system using C6 astrocyte glioma conditioned medium and addition of a cyclic AMP analog in combination with a type IV phosphodiesterase inhibitor (R020-1724) leads to cell layers with transendothelial electrical resistance values up to 300 Ω.cm2. Permeability studies with U-[14C]sucroseg ave a permeability coefficient Pe of 3.24 + 0.14 × 10−4 cm/min, which is in good agreement to published values and thus indicates the formation of tight junctions in vitro.
Stirbt das Buch? Kein Zweifel, dass die digitale Welt unser Lesen verändert. Nur wie tut sie das? Stimmt es, dass der Computer und das Internet zu einem Verfall des Lesens und dem Verschwinden der Bücher führen? Andere sagen, unsere Kinder werden vor dem Computer unvermeidlich dick und dumm. Der Vortrag zeigt, dass dieser Eindruck täuscht. Es wird viel gelesen, ja mehr gelesen und viel Verschiedenes gelesen und geschrieben. Der Vortrag analysiert, wie sich die modernen Weisen zu lesen im digitalen Zeitalter vervielfältigen und warum wir dennoch glauben, Lesen und Buch seien an ihr Ende gekommen.
Im Sommer 1794 verschickte Schiller eine in Folio gedruckte Einladung zur Mitarbeit für seine geplante Zeitschrift "Die Horen", Schillers letztes und bedeutendstes Zeitschriftenprojekt. Programmatisch teilt Schiller dort die Welt in die politische Welt und in die des Schönen auf. "Vorzüglich aber und unbedingt", schreibt Schiller, werde die Zeitschrift "sich alles verbieten, was sich auf Staatsreligion und politische Verfassung bezieht. Man widmet sie der schönen Welt zum Unterricht und zur Bildung und der gelehrten zu einer freien Forschung der Wahrheit und zu einem fruchtbaren Umtausch der Ideen; und indem man bemüht sein wird, die Wissenschaft selbst, durch den innern Gehalt, zu bereichern, hofft man zugleich den Kreis der Leser durch die Form zu erweitern".
Die Last der Revolutionen ergibt sich aus dem Umstand, dass sie das Leben verändern können. Die Digitalisierung ist eine solche Revolution. Sie verändert ziemlich viele Lebensbereiche, das auch noch sehr schnell und ohne dass ein Ende abzusehen wäre. Sie verändert auch die Geisteswissenschaften. Mit dem Label „Digital Humanities“ wird dieser Wandel ausgeflaggt, aber wie in vielen ähnlichen Fällen ist auch dieser Begriff eher ungenau. Die Unschärfe der Bezeichnung hat zunächst damit zu tun, dass man ab dem Aufkommen des Computers in den sechziger Jahren üblicherweise von „Humanities Computing“ sprach; erst seit der Jahrtausendwende setzte sich dann im Zusammenhang mit der Verbreitung des Internets der Begriff „Digital Humanities“ zur Beschreibung der computergestützten Geisteswissenschaften durch. Hießen entsprechende Publikationen in den achtziger Jahren noch The Humanities Computing Yearbook, kamen sie nach 2000 mit Titeln wie A Companion to Digital Humanities auf den Markt. Mit dem Namenswechsel wird auch die Klammer größer, sie umfasst nun nicht länger allein textwissenschaftliche Fächer, sondern auch Disziplinen wie die Geschichte oder die Archäologie, die Musik- und die Kunstwissenschaften.
Auch Erdbeben haben ihre Geschichte. Obgleich Erdbeben nur kurze Ereignisse sind, die Erdstöße oft nicht länger als ein paar Sekunden dauern, haben sie eine lange Geschichte ihrer Deutung. Sie geht den Beben voraus und folgt ihnen noch lange nach. Von einer solchen Geschichte der Deutung handelt dieser Beitrag. Er nimmt ein Ereignis zur Vorlage, das wie kaum ein zweites Erdbeben in der Geschichte Europas Epoche gemacht hat: das Erdbeben von Lissabon 1755. Von dieser Katastrophe gibt es fast nur Deutungen, kaum Augenzeugenberichte, die nicht schon von den philosophischen und theologischen Diskursen überschrieben wären.
Gerhard Lauers Beitrag […] beschreibt den besonderen Fall eines romantischen Dichters, dem die „romantische Kunst selbst […] zum Problem [wird]“ weil sie seiner Meinung nach zu wenig Religion beinhalte, und der sich deshalb entscheide, nicht mehr autonomer Dichter zu sein, sondern als „Schreiber […] nur noch Religion zu betreiben.“ Das Ergebnis dieser Tilgung der Kunst zugunsten der Religion seien dann Brentanos über viele Jahre „in Dülmer Abgeschiedenheit“ angefertigten Aufzeichnungen der „gottseligen Anna Katharina Emmerick über das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi“. Doch kehre [a]uf der Rückseite des Wunsches kein Autor mehr zu sein, kein Werk mehr zu schreiben und keine Kunst mehr zu betreiben, sondern nur noch der Religion zu dienen, […] die spezifische moderne Ästhetisierung nur wieder. Im Rahmen einer sozialgeschichtlichen und literatursoziologischen Kontextualisierung von Brentanos Text weist Lauer auf die umfassende Ästhetisierung und Verbürgerlichung der Lebenswelt hin, die auch eine Ästhetisierung der Religion umfasse. Doch brauche nicht nur die Religion die Kunst, „um im Staat die vergesellschaftende Wirkung zu entfalten“, ebenso brauche die Kunst auch die Religion, „um gesellschaftlich bedeutsam sein zu können. Das ist das neue Muster des 19. Jahrhunderts und auch das Muster Clemens Brentanos.“
"Der rote Sattel der Armut ist ein rätselhaftes Bild insofern, als hier nicht nur eine fremde Metapher aufgerufen wird, sondern auch noch für ihre Entschlüsselung auf den Talmud verwiesen wird. Der aber galt im 19. Jahrhundert als enigmatisches Buch. Sowohl der Traditionskritik der Aufklärung als auch den Emanzipationsbestrebungen des bürgerlichen Zeitalters war die Ablehnung des Talmuds gemeinsam, die Kenntnis seiner Bücher für die meisten Leser Bettine von Arnims nicht vorauszusetzen. Bestenfalls als historisches Dokument einer im Vergehen begriffenen Kulturstufe konnte der Talmud noch Aufmerksamkeit für sich beanspruchen. Warum also wird dann an dieser Stelle der Talmud bemüht, wo doch das Bild durch den Verweis noch zusätzlich verrätselt wird?"
Das folgende Glossar ist aus mehreren Einführungskursen in die Neuere Deutsche Literaturwissenschaft hervorgegangen. Dort hat es im Anhang des Seminar-Readers der raschen Orientierung im Seminar, aber auch für die Vor- und Nachbereitung gedient. Daher seine Gliederung entsprechend der Seminarsitzungen. Seine Begriffe sind einer Liste entnommen, auf die sich die Dozentinnen und Dozenten des Instituts für Deutsche Philologie an der Universität München verständigt haben. Diese Liste ist als Orientierungswissen für das Grundstudium der Neueren deutschen Literaturwissenschaft konzipiert worden.