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[...]
wie dünn ist alles Glück! ein seichtes Wasser:
Man muß sich niederknieen, daß es nur
bis an die Schultern reichen soll.
[...]
merk auf, merk auf! Einmal darf eine Frau
so sein, wie ich jetzt war, zwölf Wochen lang,
einmal darf sie so sein!
[...]
und Wangen haben, brennend wie die Sonne.
Hofmannsthal: "Die Frau im Fenster".
Dianora zu Braccio
Trotz aller seelischen Zwiespalte habe ich nie im Leben
ein stärkeres Lebensgefühl, eine wildere Lebensfreude,
ein größeres Bedürfnis, mich ganz und gar an alles
Schöne hinzugeben gefühlt, wie jetzt. Wie nahe stehen
einem in solchen Augenblicken die Verse der "Frau im
Fenster"! Man liest sie wie eigene hinaus geschrieene
Bekenntnisse.
Alfred Walter Heymel an Eberhard von Bodenhausen.
Berlin, 3. April 1912
Hofmannsthals Aufsatzentwurf "Die neuen Dichtungen Gabriele d’Annunzio’s" aus dem Jahre 1898, der hier zum ersten Male abgedruckt ist, belegt anhaltendes Interesse und eine um die Jahrhundertwende noch einmal aufllammende Sympathie, die erst 1912 in offene Ablehnung umschlagen wird. Gegenstand des ersten Teiles "Zwei Verherrlichungen der Stadt Venedig", welcher als beinahe abgeschlossen gelten kann, ist ein Bändchen von D’Annunzio mit dem Titel "L’Alllegoria dell’ autunno" (1895). Hofmannsthal kaufte es auf seiner Italienreise 1898. Über welche Dichtungen er darüber hinaus noch schreiben wollte, ist nicht bekannt. Einer genaueren Rekonstruktion der Beziehung zwischen D’Annunzio und Hofmannsthal bis zu diesem Zeitpunkt gelten die folgenden Hinweise.
Im Jahr 1895 verherrlichte Annunzio bei irgend einem festlichen Anlaß die Stadt Venedig in einer Rede, die sich nicht mit den Reden vergleichen läßt, welche man bei ähnlichen Anlässen zu halten pflegt. Er gab dieser Rede, als sie später veröffentlicht wurde, die Überschrift: "Allegorie des Herbstes", und in der That bildet ihren Inhalt die Vision und Schilderung einer hochzeitlichen Vereinigung Venedigs mit dem Herbst. Man fühlt sich an jene frostigen Personificationen erinnert, an jene Kunstform, deren sich drei vergangene Jahrhunderte bis zur völligen Erschöpfung ihres Reizes, ja über die Grenze des Erträglichen bedienten.
Und wirklich scheinen sich die gewaltigsten visionären Augen und der kühnste an unerhörten Gleichnissen reichste Freund, den die lateinischen Völker im jetzigen Zeitraum besitzen, endgültig dieser majestätischen lateinischen Kunstform zugewandt zu haben: der gewaltigen, das gesammte Dasein umschließenden Allegorie, den prunkvoll hinrauschenden Triumphzug, der aus blendenden Gleichnissen aufgethürmten Ehrensäule. Seit einigen Jahren sehe ich kein Werk von ihm entstehen, das nicht dastünde wie eine Trophäe.
Dem kürzlich von Werner Volke an dieser Stelle veröffentlichten Briefwechsel zwischen Hugo von Hofmannsthal und Alfred Walther Heymel (Teil I) kann man einen ersten Hinweis auf die Beschäftigung mit einem Gegenstand entnehmen, der Hofmannsthal offensichtlich sehr am Herzen lag. Am 28. August 1905 läßt er den Freund wissen:
Ich lese den 23ten November in einem 'Künstler-Verein' den Leuten einiges von meinen Arbeiten. Tags vorher möchte ich im Saal eines Herrn Leuwer der sich mir durch Nennung Deines Namens empfahl, vor einem kleinen Kreis über ein Thema sprechen, das mich interessiert: nämlich über die Stellung der Dichter unter den Leuten in dieser unserer Zeit. (HJb 1, 51).
Einen Monat später, am 26. September 1905, bietet er das Thema, nun etwas abgewandelt, Oscar Bie für die "Neue Rundschau" an: "[ ... ] zeigen Sie, bitte, wenn Sie wollen, einen Aufsatz an: Der Dichter und diese Zeit. Zu dem Aufsatz dieses Titels hab' ich ein starkes Material liegen [ ... ]" (B II 216). Allerdings, stellt er fest: "Ob ich das aber fertig bringe? Es vor Dezember zu schreiben, ist absolut ausgeschlossen." (Ebd.) Die Niederschrift erwies sich als langwierig und mühevoll, der Vortrag - unter dem Titel "Der Dichter und diese Zeit" - wurde erst ein Jahr später gehalten, der Druck in der "Neuen Rundschau" erfolgte im März 1907.
[…] denn bei den vielen Fehlern, mit denen mich
meine Vorfahren und das Schicksal ausgestattet
haben, habe ich vielleicht doch die Tugend der Treue
der Gefühle, einer unerschütterlichen Anhänglichkeit
an meine Freunde und eine Fähigkeit, nichts aus dem
Leben zu verlieren [...]
Heymel an Otto Vrieslander. Berlin, 22. Mai 1912
Hugo von Hofmannsthal - Robert und Annie von Lieben : Briefwechsel / herausgegeben von Mathias Mayer
(1996)
Das Gewicht, das der Begegnung zwischen dem "Naturforscher und Erfinder" Robert von Lieben und Hofmannsthal zukommt, ist ihrer hier vorgelegten Korrespondenz nicht zur Gänze zu entnehmen. Zu wenig ist über ihr persönliches Verhältnis aus Zeugnissen Dritter bekannt, zu viele Briefe - vor allem nach der Jahrhundertwende - müssen wohl verlorengegangen sein. Was aber den Rang dieser Berührung der Sphären unmißverständlich dokumentiert, ist die Rolle, die die Figur Robert von Liebens im Werk Hofmannsthals eingenommen hat. Dreimal, so scheint es, hat sich Hofmannsthal daran gemacht, Züge des Freundes entweder in einen fiktiven Kontext hinüberzuspiegeln oder - im ergreifenden Nachruf auf den Frühverstorbenen - sein "geistiges Antlitz" für die Nachwelt festzuhalten. Die Werke, in denen Liebens Physiognomie verwandelt aufscheint, sind durch mehr als dreißig Jahre getrennt und zeigen die anhaltende Faszination durch einen Mann, der nicht zu den engsten Freunden des Dichters zählte.
In der "Allgemeinen Kunst Chronik" (Wien) findet sich in der 24. Nummer (zweites Novemberheft, S. 661f.) des Jahrgangs 1891 eine Buchbesprechung Hugo von Hofmannsthals, die er in der Folge nicht wieder erwähnt hat (etwa brieflich oder in einer der Titellisten für eigene Ausgaben). Dadurch ist sie der Aufmerksamkeit der Forschung bislang entgangen und weder bibliographisch erfaßt noch jemals wieder gedruckt worden. Es handelt sich um eine Besprechung von Ola Hanssons Aufsatzsammlung "Das junge Skandinavien". Hofmannsthal hatte im Sommer desselben Jahres in der "Kunst Chronik" bereits seinen Bericht über "Die Mozart-Zentenarfeier in Salzburg" veröffentlicht.
Alle weiteren Aufsätze aus dem Jahr 1891, soweit wir von ihnen wissen, sind in der "Modernen Rundschau" erschienen. Bemerkenswert ist der hier mitgeteilte kleine Aufsatz insofern, als er das Spektrum der von Hofmannsthal schon in seinen frühesten Arbeiten mit Aufmerksamkeit bedachten nichtdeutschsprachigen Literaturen um den Bereich der skandinavischen Literaturen erweitert. Es zeigt sich, daß sich sein Blick von Anbeginn seiner kritischen Tätigkeit auf ganz Europa richtet.