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Künstlerkolonien sind ein gesamteuropäisches Phänomen: Seit der Romantik verbreiten sie sich über die Sprach- und Staatsgrenzen hinweg und vernetzen sich miteinander. Im Deutschland der Jahrhundertwende florieren kleine und große Künstlergemeinschaften, seien es städtische wie Berlin-Wilmersdorf und die Darmstädter Mathildenhöhe, seien es ländliche wie Rilkes Worpswede oder Goppeln und Hellerau bei Dresden. Vom Elan der Lebensreform getragen, werden sie zu Wiegen der Avantgarde. Die Verschränkung von sozialem Reformwillen und Jugendkult, künstlerischem Experiment im Geist der Sezession und europäischer Ausrichtung prägt das seinerzeit berühmte, bis in die 1990er Jahre jedoch eher vergessene Hellerau in besonderer Weise.
Das "Wilde" als eine Variante zahlreicher europäischer Fremdheitskonzeptionen, die in ihrer Unbestimmtheit meist nur auf ein defizitäres Anderssein verweisen, hat im Europa des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts Konjunktur. Die Literatur des kolonialen Zeitalters oder auch erste Stummfilme3 bedienen sich selbstverständlich abenteuerlich-exotischer Kulissen des "Wilden", seien es "nichtzivilisierte" Landschaften, Tiere oder Menschen und Kulturen. In zoologischen Gärten wie Hagenbecks Tierpark (1907) werden exotische Tiere in Freigehegen zur Schau gestellt, deren panoramatische Szenarien dem Besucher in nachgebauter authentischer landschaftlicher Umgebung die Illusion einer gefahrlosen Annäherung auf freier Wildbahn verschaffen. Das populäre Interesse besonders an Raubtieren schlägt sich in Deutschland noch zur Stummfilmzeit in der Produktion von Raubtier-Sensationsspielfilmen durch den Bruder des Hamburger Tierhändlers und Zoodirektors Carl Hagenbeck, John, nieder. In diesen Filmen entsteht für den Zuschauer, u.a. mit Hilfe von cut-ins aus den Freigehegen der Tierparks, die analoge Illusion eines gemeinsamen Raumes zwischen Jäger und Beute: "As the open zoo used trenches and moats, cinema also enlistened technology – that is, recording and montage – in order to efface the bars of the cage." Die neuen urbanen Schau-Plätze Zoo und Kino erscheinen im Kontext des epochalen Exotismus als Medien mit zirzensischer Vorgeschichte, die auf einer Abfolge sensationeller Nummern aufbauen und dem Zuschauer die Möglichkeit einer genußvollen Annäherung an das gefährliche oder andersartige Wilde in einem "gemeinsamen" Raum suggerieren. Damit ist eine wesentliche Facette des populären Exotismus der Jahrhundertwende skizziert, der nervenkitzelnde Illusionen von Zugänglichkeit und Authentizität des Andersartigen schafft, indem bestehende Distanzen in hochartifiziellen imaginären Räumen verwischt und negiert werden, während der Betrachter sich in Sicherheit weiß.
Hugo von Hofmannsthal ist eigenen Aussagen zufolge kein Schriftsteller, der seine Inspiration aus der Musik schöpft, wie die Autoren der Romantik oder des französisch-sprachigen Symbolismus: „Ich bin ein Dichter, weil ich bildlich erlebe“, lautet der demonstrativ-lakonische Ausspruch des jungen Literaten von 1894. Trotz seines selbst diagnostizierten Musik-Defizits avanciert Hofmannsthal in der langen Zusammenarbeit mit Richard Strauss zum bedeutendsten Librettisten seiner Zeit, dessen Texten der Komponist eine fundamentale Musikalität attestiert. Neben der visuellen Grundorientierung existieren latente, aber markante Züge einer musikalischen Poetologie. Diese ist, wie anhand der ersten drei lyrischen Dramen Hofmannsthals gezeigt werden soll, eng mit dem Begriff der „Stimmung“ liiert, dessen Ursprung in den musikalischen Kosmogonien des Pythagoreismus und Platonismus mit der Idee einer verborgen tönenden, Mensch und Natur beeinflussenden Harmonie der Sphären liegt. Spätestens seit 1800 wird das klangmetaphysische Konzept der Sphären- und Weltharmonie, das am nachhaltigsten der deutsche Stimmungsbegriff transponiert, massiv von anthropomorphen Fortschreibungen überlagert, die den kosmogonischen Kern zur Metapher oder Konnotation depotenzieren und in disparate einzelwissenschaftliche Definitionen auflösen. Daher können sich um 1900 in einem umgangssprachlich gewordenen Stimmungs-begriff musikalische, literarische, philosophische und psychophysische Diskurse kreuzen, deren Vernetzungen seinen proteischen und synästhetischen Charakter betonen. Zugleich entstehen disziplinenspezifische Prototheorien, die großteils nicht mehr ineinander übersetzbar sind.
Die Ursache für die lang anhaltende Aktualität der Winckelmannschen Kunstgeschichte und für ihre Anschlußfähigkeit in bezug auf den Weimarer Klassizismus liegt in der poetisch-emphatischen Qualität des Werks und seinem überragenden Gründungsanspruch. Künstler zu bilden und Menschen ästhetisch zu erziehen ist Winckelmanns Legat an Goethe und Schiller. Dieses wird am Ausgang der Klassikperiode durch Winkelmann und sein Jahrhundert in der prekären Balance zwischen Normativität und Historizität festgeschrieben. Verbürgt wird dieses Gleichgewicht durch das »Anschauen«, das schon Novalis in seinen Fichte-Studien und seiner »poët[ischen] Theorie der Fernröhre« über die Aporien der späten Querelle hinweg als aktive Konstruktion des Gegenstands durch den Betrachter und als epistemologisches Grundproblem der Darstellbarkeit reflektiert.
Renaissance
(1998)
Zu Lebzeiten Goethes [G.] existierte noch kein Epochenkonzept, wohl aber ein disparates, andelbares Renaissance-Bild in Philosophie, Historiographie und Literatur. Das im Laufe des 18. Jhs. aufkommende historische Denken entwickelte zunächst, bei Bayle und Voltaire, das aufklärerische Konzept der « renaissance des lettres et des arts ». Die neue Kultur der italienischen Renaissance wurde entweder mit der Exilierung Gelehrter beim Fall Konstantinopels 1435 (Katastrophentheorie) oder mit dem Import neuen Wissens durch die Kreuzzüge (Kreuzzugstheorie) erklärt und auf unterschiedliche Art mit der deutschen Reformation in Verbindung gebracht. Vorherrschend war im 18. Jh. ein unreflektiertes Gefühl der Verbundenheit mit der neuzeitlich- fortschrittlichen Kultur der Renaissance. Eine dem Epochenbegriff von Jules Michelet und Jacob Burckhardt (1855/1860) entsprechende, klare Grenzziehung zwischen Spätmittelalter und Renaissance ist noch nicht zu erwarten. „Epoche“ bedeutete zunächst Einschnitt oder Schwelle, noch keine Entität im Sinne des späten Historismus.
Die performative Ästhetik der Stimmung entsteht mit der romantischen Verlagerung der Deutungshoheit von der Vernunft zur poiesis zu Kunst, Gefühl, Einbildungskraft, und entwickelt sich im transgressiven Zusammenspiel von Wissen und Poetik. Hauptmerkmale textueller "Stimmungs kunst" sind fingierte Oralität und Polyfokalität, die sowohl das enzyklopädische Schreiben als auch der Roman aufweisen. Das zeigen die polyphonen und selbstreflexiven Strukturen der Naturbeobachtung bei Novalis und der Betrachtung von Landschaftsmalerei bei Brentano, wo man im entreferenzialisierten Kunstwerk nach Appellstrukturen sucht. Im Kontext der Schriftzentriertheit entwerfen Die Lehrlinge zu Sais in Abgrenzung von Mimesis und Rhetorik Stimmungs szenarien, die orale (rhythmisch-klangliche), szenisch-dialogische und performative Komponenten der Dichtung privilegieren, welche auf die Darstellung eines befreienden Entgrenzungserlebens zielen. Die unbegriffliche Entgrenzungsdimension der Stimmung erweist sich als programmatischer Bestandteil des absoluten Ganzheitsanspruchs, dessen Erfüllung der kosmographische Roman als Kreuzung von mathesis und poiesis und "Mischung aller Dichtarten" (p. Schlegel) im Projekt der neuen Mythologie für sich beansprucht. Enzyklopädie und Roman konvergieren in der Darstellung des Universums, die bei Novalis in der erklärten Zwecklosigkeit der Fiktion ihr symbolisch strukturiertes Aufschreibesystem findet. Insbesondere die narrative Anarchie der Märchenerzählungen sublimiert die spekulative Poetisierung der Wissenschaften zur Affektspur, die das vielstimmige "ConfusionsSystem" des Novalis zur universalen Harmonie imaginärer Ideenparadiese hetaufstimmt. Da dies ohne mannigfache "Verabgründungen" wie Märchen, Höhlenerlebnisse, Träume, Visionen, Initiationen oder absolute Bücher nicht mehr möglich ist, wird der welterklärende Roman zum Theater des kosmischen Dramas.
Im folgenden sollen Aspekte dieses ambivalenten Orientierungsrahmens beleuchtet werden, die für Goethes Beschäftigung mit dem Renaissance-Dichter Torquato Tasso im weiteren Entstehungskontext des gleichnamigen Dramas von 1789 relevant sind. Zunächst wird für die grob skizzierte deutsche Tasso-Rezeption des späteren 18. Jahrhunderts die Bedeutung zweier grundverschiedener Verbindungswege zur französischen Literatur und Philosophie nachgezeichnet, die Goethe selbst reflektiert. Diese Reflexionen verbleiben jedoch im Allgemeinen und geben keinen Aufschluß über konkretere Anknüpfungspunkte für die Gestaltung seines Tasso-Stückes, obwohl eine nähere Verbindung zu Rousseau und seiner Tasso-Rezeption zu vermuten steht. Es gilt daher, für diesen französisch-deutschen Transfer mentalitätsgeschichtliche und intertextuelle Bezüge von den philosophischen und literarischen Werken Rousseaus zu Goethe zu rekonstruieren, und zwar anband einschlägiger Texte aus dem Umkreis der Empfindsamkeit und Empfindsamkeitskritik. Auf diese Weise kann eine latente rezeptiongeschichtliche Linie aufgezeigt werden, die von Rousseaus epochemachendem Briefroman Julie ou la Nouvelle Heloise (1761) über Goethes Werther (1774) zu Torquato Tasso (1789) führt, den Goethe selbst dezidiert als »gesteigerten Werther« bezeichnet. Hierauf aufbauend wird schließlich eine Lesart des Tasso entwickelt, die der bisher für Goethe wenig beachteten Verbindung zur Entzweiungsphilosophie Rousseaus Rechnung trägt und diese Perspektive auf den Horizont der Weimarer Klassik, aber auch auf den simultanen der Romantik bezieht.
Rilkes wenig beachtete Dramen, die aus der Zeit zwischen 1894 und 1902 stammen, stellen nur einen kleinen Teil des vom Autor selbst wie von der traditionellen Rilke-Forschung ausgegrenzten frühen Werkes dar. Die unspektakulären Gehversuche auf dramatischem Gebiet orientieren sich – wie es für den jungen Rilke typisch ist – an den verschiedenen Stilrichtungen en vogue und sind daher denkbar unterschiedlicher Machart. Zeitlich parallel zur größeren Gruppe der naturalistischen Stücke entsteht eine Reihe von Versdramen, die dem lyrischen Werk zugeschlagen werden. Diese Zuordnung trägt dem Aufkommen des lyrischen Dramas im französischen Symbolismus Rechnung. Wie die Rezeptionsgeschichte der beharrlich abgewiesenen Bühnenentwürfe Mallarmés dokumentiert, erfordert seine konkrete Umsetzung die Etablierung neuartiger Repräsentationsstrategien. Damit situiert sich das lyrische Drama im größeren Kontext eines umfassenden, gesamteuropäischen Retheatra-lisierungsprozesses, in dem der mimetische, Sprache und Handlung identifizierende Bühnendialog des traditionellen Illusionstheaters im ausgehenden 19. Jahrhundert seine programmatische Toterklärung erlebt. Die Verbindung der epochalen Grundtendenz umfassender Sprachskepsis und -erneuerung mit den einschneidenden Umstrukturierungen im Verhältnis der Künste untereinander wird besonders auf der Bühne, im innovativen Konzept des Theaterkunstwerks (v. a. in Verbindung mit der Tradition der Wagnerschen Musikdramen) sinnfällig, das dem literarischen Werkbegriff entgegengesetzt ist und nonverbale Gestaltungsebenen – Tanz und Pantomime, Musik, Licht und Farbe – in den Vordergrund stellt. In diesem epochalen Entwicklungszusammenhang soll die bei Rilke marginale Gruppe der lyrischen Dramen verortet werden, deren Bedeutung, wie ich zeigen möchte, in ihrer poetologischen Relevanz liegt.
Dem literaturwissenschaftlichen Begriff der ‘Gattung’ wird seit jeher Skepsis entgegengebracht. Neben der Fundamentalkritik des italienischen Philosophen Benedetto Croce verweist in den 1960er Jahren auch der Germanist Peter Szon-di im Rahmen seiner Untersuchungen zur Zwittergattung des lyrischen Dramas im Fin de Siècle auf den Fassadencharakter von Gattungsetiketten, wenn er konstatiert, dass der Name oder Begriff einer Gattung eine Identität in der Sache vortäusche, die er mitnichten verbürgen könne. Angesichts solch pointierter Auffassungen, die Gattungskonzepte als pure Begriffsfiktionen vollständig infrage stellen, ist es sinnvoll, sich einen Überblick über die unterschiedlichen Auffassungen von dem, was Gattungen sein sollen, zu verschaffen und sich die historische Bedingtheit dieser Konzeptionen zu verdeutlichen. Spricht man von literarischen Gattungen und deren Beschreibung, so hat man es immer mit theoretischen Konstrukten sowie mit unterschiedlichen Textbegriffen zu tun. Beide sind veränderlich und in ihrer Fähigkeit, literarische Phänomene zu klassifizieren, auch in je spezifischer Weise begrenzt.
In 1912 and 1913, the Neohellenic theatre festivals of the experimental stage in Hellerau become a meeting point of the Europeen avant-gardes. The musical stage reform of Appia and Jaques-Dalcroze was a decisive for the evolution of modern drama and dance. It is, however, hardly compatible with conservative concepts of poetry, which is shown by Claudels production of his mystery play Verkündigung (L' Annonce faite à Marie) in Hellerau and by Rilke's criticism.
Fragile Idole der Moderne : die Buddha-Figur bei Victor Segalen, Fritz Mauthner und Hermann Hesse
(2004)
Das beginnende 20. Jahrhundert ist von einer ausufernden Asien und Buddhismusmode geprägt. Der Buddhismus en vogue provoziert wiederum die Fragen, was eigentlich der Europäer unter diesem Etikett versteht und was er dabei an einheimischen Zuschreibungen auf die fremde Religion projiziert. Diesen kritischen Blickwinkel illustriert eine Groteske aus dem Kunterbuntergang des Abendlandes (1922) von Klabund mit dem Titel »Die 99. Wiederkehr des Buddha«. Der Autor, der als expressionistischer Lyriker debütiert und sich als Kabarettist und durch kongeniale Nachdichtungen chinesischer, japanischer und persischer Werke einen Namen macht, nimmt die bedenklichen Züge westlicher Idolatrie aus der probaten Perspektive des begehrten Objekts ins Visier: Buddha wird wegen seiner Verse als bedeutender indischer >Poet< ins zeitgenössische »wilde Europa« importiert und dort zur Schau gestellt. In Deutschland erlebt der indische Heilige eine ihm unverständliche, besinnungslose Verklärung und Vermarktung seiner Person. Er ist dem Ansturm solch blinder Vergötterungswut nicht gewachsen. Zuletzt sinkt er weinend und erschöpft am Sokkel eines Goethedenkmals nieder. Mit dieser fragilen Buddha-Figur werden wesentliche Züge des Westbuddhismus und damit der europäischen Kultur selbst ins Visier genommen: der Glaube an die Schrift und die radikale Sehnsucht der modernen westlichen Welt nach den paradiesischen Ursprüngen, die in Asien oder in der Südsee gesucht werden. Klabunds Groteske führt dabei das mangelnde Gespür für die Eigenart asiatischer Lebensformen und die radikalen Ausschlußgesten vor, die den um 1900 entstehenden Habitus des Konsums exotischer Mentalitäten kennzeichnen.
Bei Goethes Renaissance-Rezeption handelt es sich zunächst um einen facettenreichen und heterogenen Komplex, der so unterschiedliche Phänomene wie die Konjunktur der Dichtung des deutschsprachigen 16. Jahrhunderts im Sturm und Drang, eine positive Machiavelli-Rezeption und die Begeisterung für die Malerei und Architektur des italienischen Cinquecento umfaßt. Goethe entwickelt zwei große Interessenschwerpunkte: zum einen das von ihm selbst eröffnete Genre des historischen Dramas, zum anderen das eigenständige Interesse am italienischen und deutschen 16. Jahrhundert, das sich vor allem in den historiographischen Projekten und den historischen Portraits manifestiert, die nach der Rückkehr aus Italien entstehen. Beide Bereiche erschließen sich Goethe besonders über das intensive Studium von Biographien und Autobiographien. Die konstante Aufmerksamkeit auf Gestalten des spätmittelalterlichen respektive frühneuzeitlichen Zeitraumes ist daher als sein Hauptzugang zu der von uns als Renaissance definierten Epoche zu betrachten.
Goethe und die Renaissance
(1997)
Goethes Bewußtsein für die Modernität und Zeitbedingtheit des eigenen Ichentwurfes entsteht aus dem Spannungsverhältnis zwischen der Nähe einer als Bildungsprinzip verstandenen, normativen Antike und der Ferne ihres Wiederauflebens am Beginn der neuzeitlichen Periode, in der Goethe nach einem modernen Ichprinzip sucht. Goethe antwortet darauf mit der subjektgeschichtlichen Orientierung seines autobiographisch orientierten Bildungsgedankens. Die Genese von Epochenbegriffen und die Verzeitlichung des Subjektverständnisses erscheinen in seinem Werk aus heutiger Sicht als komplementäre Prozesse.
Die sich im westeuropäischen Impressionismus und Symbolismus entwickelnde Tendenz [generiert] zur Entreferentialisierung, die vor allem in den gängigen Theorien moderner Lyrik zu Unrecht an das Kriterium der emotionalen Abstinenz gekoppelt ist, eine neuartige, synästhetische Ebene der Präsentation von Gefühlen: die der Stimmung. Diese Ebene wird nicht nur für den frühen Rilke stilbildend, sie kann im Blick auf die kontinuierliche Auseinandersetzung mit den symbolistischen Verfahren Mallarmes, Rimbauds oder Valerys als Ferment und Konstituens des Gesamtwerks bezeichnet werden. Damit kann das unpopuläre Frühwerk Rilkes gegen die gängige Reduktion auf das Epigonentum neuromantischer Stimmungsdichtung abgegrenzt weiden. Es ist vielmehr der für den deutschsprachigen Raum charakteristischen, spannungsgeladenden Verschränkung antimimetischer Verfahren mit lebensphilosophischen und monistischen Tendenzen zuzuordnen, die auf das existenzielle, Entzweiungsphänomene kompensierende Erleben einer >Ganzheit< zielt. Das hochemotionale Ganzheitserlebnis ist um 1900, im Unterschied zur Romantik, längst nicht mehr metaphysisch zu verbürgen und bringt moderne, fragile Mythen des Lyrischen ebenso hervor wie die autonom werdende Wahrnehmung des Gefühls.