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Die Écriture automatique des Surrealismus ist ein Schreibverfahren, das sowohl seine Anleihen aus der experimentellen Psychiatrie des ausgehenden 19. Jahrhunderts wie auch die Differenzen zu dieser wissenschaftlichen Ausrichtung deutlich inszeniert: Sich dem Schreibprozess seiner Reflexe zu überlassen, dient bei Breton und Soupault nicht, wie bei Janet und Binet, dem Zweck, in der Therapie die pathologische Dissoziation des Subjektes zu überwinden und die verlorene Einheit der Person zurück zu gewinnen. Vielmehr wird gefordert, sich auch noch von den letzten Resten einer individuellen, vernünftigen und bewusstseinsgesteuerten Persönlichkeit zu verabschieden. Ziel dieser Selbstentleerung ist die Vereinigung mit einem überindividuellen universalen Automatisme, der das Schreiben, ohne dass es noch eines Eingriffs von Seiten des Menschen bedürfte, selbstständig und sicher lenkt. — All dies natürlich nur unter der Voraussetzung, dass man an den rhetorischen Mythos glaubt, den Breton und Soupault in den "Champs magnétiques" mit heiligem Eifer kreieren.
Mit dem Entschluss, aus der Sünde eine Tugend zu machen bzw. aus dem Faustischen oder Teuflischen heraus, aber ohne diese Ebene je vollständig zu verlassen, spielerisch zum Guten zu gelangen, unterläuft der Erzähler des Simplicissimus Teutsch die beschriebene manichäische Unterscheidung des Erzählers des Faustbuchs, die besagt, dass man nur entweder ein Glied Gottes sein oder zur Partei des Teufels gehören könne — und damit auch die Negation einer Entschuldung. Das Besondere an dieser Widerlegung des lutherischen 'Tertium non datur' des Faustbuchs-Erzählers besteht nun darin, dass sie aus dem Faustbuch heraus entwickelt wird. Denn Grimmelshausens Erzähler macht in der Schwarzkünstler-Episode nichts anderes, als die Vorgaben für einen ökonomisch gedachten Teufelspakt aus den Schwank-Partien des Faustbuchs konsequent zu Ende zu denken. Auch wenn es dem lutherischen Erzähler, zumindest in seinen moralisierenden Kommentaren zu den Exempeln der Faust-Geschichte, bitter ernst ist, lässt es sich Grimmelshausen nicht nehmen, aus den exempelhaften Schwank-Episoden mit teuflischem Humor den Funken der Moralität zu schlagen und damit das Grundprinzip satirischen Erzählens zu entwickeln.
Die "Prinzessin Brambilla" ist die Geschichte eines medizinischen Heilungsprozesses, genauer: einer "Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerriittung" — so der Untertitel eines der einflussreichsten psychiatrischen Werke des frühen 19. Jahrhunderts, das auch Hoffman bekannt war: Johann C. Reils "Rhapsodieen". Wer eine Geschichte als Heilungsgeschichte inszeniert, bedarf eines erfahrenen Psychiaters, der die Therapie leitet: Im Falle der Prinzessin Brambilla ist das Meister Celionati,er, wie sich am Ende der Geschichte herausstellen wird, nicht nur einen Ciarlatano auf dem Römischen Karneval gibt, sondern zugleich ein Kenner der zeitgenössischen "Wissenschaft der Medizin" [...] ist [...].
In der Forschung ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass dem Leser in Ludwig Tiecks "Der blonde Eckbert" (ED 1797) verschiedene Lesarten angeboten werden, die auf den ersten Blick streng voneinander getrennt scheinen, sich aber bei naherem Hinsehen als indifferent erweisen. In einem ersten Schritt soll in diesem Aufsatz eruiert werden, worin die verschiedenen Lesarten bestehen und wie sie miteinander verbunden sind, bevor eine besondere, nämlich die des (zeitgenössisch zu denkenden) Verfolgungswahns, herausgehoben und auf ihre hereditaren und kindheitsmemorialen Aspekte befragt wird; all dies unter besonderer Berücksichtigung der romantischen Allegorie, innerhalb deren die verschiedenen Lesarten angeboten werden.
Nach einer Rekonstruktion des Forschungsstandes (I.) soll in dieser Studie die literarische Modellierung des Frauenmörders Moosbrugger aus Musils "Der Mann ohne Eigenschaften" nach Bleulers (II.), vor allem aber nach Freuds Konzept der Paranoia (IJI.) untersucht werden. Im Mittelpunkt steht dabei Moosbruggers narzisstische Persönlichkeitsstruktur und die, aus einer freudschen Perspektive gesprochen, damit zusammenhängende Vorstellung, dass "hinter den Weibern der andere Mann" steckt. In einem letzten Schritt wird untersucht, inwieweit diese Persönlichkeitsstruktur die Voraussetzung für eine, mit Ulrich parallelisierte, mystische Öffnung Moosburggers darstellt (IV.).
Im Folgenden möchte ich durch Einordnung von Brentanos "Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl" in eine Geschichte des Wissens (Medizin, Recht, Mythologie) zeigen, dass die Organisation der Erzählung der Dynamik zweier gegenlaufiger Textbewegungen geschuldet ist: erstens dem Ausbruch einer rechtlichen Krise als Folge einer fehlenden (in einem gewissen Sinne unmöglichen) sozialen Integration von Sexualität, Kriminalität und Psychopathologie, zweitens den Versuchen, mit einer neuen Ordnung auf diese Krise zu reagieren. Auf der einen Seite stehen die Verbrechen von Kasperl und Annerl, Selbstmord und Kindsmord, ihre psychische und (außer-)gesellschaftliche Genese sowie ihre Folgen, auf der anderen Seite die narrative Bewältigung der Ereignisse durch den Erzähler und die rechtliche durch den Fürsten.
Signatur, Hieroglyphe, Wechselrepräsentation : zur Metaphysik der Schrift in Novalis' "Lehrlingen"
(2004)
Die These, die ich in diesem Aufsatz entfalten möchte, besagt, dass sich die [...] Gedankenfigur einer Naturschrift aus drei Elementen zusammensetzt: Novalis verbindet zwei historische Modelle, die aus verwandten (aber nicht identischen) Traditionen stammen, mit einer aktuellen Debatte in der Naturphilosophie und -wissenschaft. Die Rede ist von der Signaturenlehre der Frühen Neuzeit, der Hieroglyphen-Diskussion des 18. Jahrhunderts und der Organismus-Debatte um 1800. Ich werde dabei so vorgehen, dass ich zuerst diese drei Größen isoliere und in einem zweiten Schritt ihre Synergie-Effekte vorführe
Expansion in die Natur : zum Verhältnis von "ars" und "natura" bei Paracelsus und im Paracelsismus
(2005)
Wenn Paracelsus Naturwissenschaft oder magica als eine Handlung definiert, die "aus ihr", der Natur, ist, diese aber "mer, dan" ihr selbst "zu zu legen ist", steigert und "bessert", dann geschieht dies auf Basis aristotelischer Argumente, die im 13. Jahrhundert auf neuplatonische Weise so kombiniert werden, daß die aristotelischen Vorgaben mit der Vorstellung einer aktiven sympathetischen Teilhabe des Menschen am Kosmos harmonisieren. Diese Überformung wird in der Frühen Neuzeit noch einmal weiterentwickelt. Es sind die protestantische Mystik mit und gegen Luther und die Auslagerung ihrer häretischen Tendenzen in die Naturwissenschaft, die der Theorie von der Steigerung der Natur aus ihrer Mitte die Bedeutung einer wechselseitigen souverinen Teilhabe verleihen.
Es ist mittlerweile als Konsens anzusehen, daß Heine mit dem "Atta Troll" eine neue Ebene der polemischen Auseinandersetzung mit seinen politischen und literarischen Widersachern erreichte, die aber auch Merkmale der Kontinuität zu den polemischen Schriften der dreißiger Jahre erkennen laßt. "Atta Troll" (als Werk) läßt sich als eine Allegorie des Kampfes, den Heine mit seinen literarischen Gegnern geführt hat, verstehen, aber nicht in dem Sinne, daß es möglich wäre, im Atta Troll (als Figur) einzelne Positionen und Personen detailliert wiederzufinden. Zwar lassen sich u.a. Spitzen gegen Börne, Herwegh, Freiligrath, Ruge auf der einen, Pfizer und Uhland auf der anderen Seite sowie ironische Abgrenzungen gegenüber dem Frühkommunismus, Nationalismus und Republikanismus ausmachen, keineswegs aber handelt es sich bei dem Versepos um eine differenzierte Analyse dieser politischen Programme und ihrer Protagonisten. Die Unschärfe ist jedoch nicht verfehltes Mitte], sondern bewußtes Ziel der Kritik.
Das Unsichtbare in der Schrift : magische Texttheorie im Paracelsus-Diskurs der Frühen Neuzeit
(2005)
Die Metapher des "velum" nimmt ihren Ursprung in der antiken Texttheorie - und hat auch in der Sprachverwendung der natürlichen Magie ihren festen Platz. Paracelsus', Böhmes und Weigels Gedankenfigur von dem "velum" über den "mysteria" findet ihre - teilweise wortgleiche - Entsprechung in der Mythentheorie Bacons [...] und in der frühen Naturalmagie selbst.
Der Grund für die in "Dr. Katzenbergers Badereise" [...] betonte Konjunktion von "physiologische[n] und anatomische[n] Zwecken" einerseits und den "satirisch[en]" andererseits liegt in Jean Pauls literatischer Anthropologie. Der Arzt ist bei Jean Paul nicht nur ein Fachmann für den Körper, sondern auch für dessen Positionierung im Leib-Seele-Gefüge des Menschen.
So wie man sich bei der Laterna magica der Illusion einer Geistererscheinung hingeben und gleichzeitig wissen kann, daß es sich 'lediglich' um eine Darstellung handelt, so kann man auch in der Kunst zwei Ebenen des Rezipienten "separat" ansprechen: seine Sinne und seinen Verstand. Für die Literatur, in die man diese medialen Effekte nicht "tatsächlich" integrieren kann, wird die Magia naturalis zum "metaphorischen" Modell. Einer der Literaten, der diesen Transformationsproze theoretisch und praktisch durchführt, ist Jean Paul.
Wenn am Ende der Beschreibung von Simplicius' Begegnung mit den Teufeln davon gesprochen wird, dass die ganze Geschichte ein "Traum" gewesen sein könnte, dann rekurriert Grimmelshausen damit auf ein spezifisches Argument der sogenannten Imaginationstheorie, die Johann Weyer in seiner — im "Simplicissimus" übrigens erwähnten — Schrift "de praestigiis daemon[um]" von 1563 mit großem (leider nur diskursiven) Erfolg in die Hexendebatte eingeführt hat.
[...] Ich möchte [...] zeigen, dass sich die [...] Teufel der Gewalt nicht nur bei den einfachen Soldaten in den Schlachten und Überfällen des Dreißigjährigen Krieges finden lassen, sondern auch auf der anderen Seite der Machtpyramide: bei der Staatsmacht.
Die schöne Seele bei Jean Paul hat sich als der Ausdruck eines Theorie-Synkretismus erwiesen. Die platonische Erzeugung des Guten im Schönen und die rousseausche Transformation von der Liebe zur Liebe zur Pflicht werden in den frühen Romanen bis zum "Titan" enggeführt: Die Protagonisten erhalten ihren sozialen Ort und ihre rechtlichen Aufgaben über die Regulierung bzw. Veredelung ihrer erotischen Leidenschaften. Gleichzeitig wird diese Engführung ins Ästhetische transformiert: Es ist auf übertragener Ebene die literarische Phantasie, die als ästhetischer Motor für die Ideen- bzw. Pflichtfindung des Lesers dient.
In diesem Aufsatz möchte ich den Zusammenhang zwischen pikturalen Kosmographien und kosmologisch argumentierenden Texten analysieren, die aus dem Bereich des Paracelsismus stammen, einem europaweit von Philosophen, Ärzten, Alchemikern und Literaten geführten Diskurs des 16. und 17. Jahrhunderts, dessen Gegenstand die Ars magica oder Magia naturalis ist, und der sich durch einen Rückgriff auf die Autorität Paracelsus legitimiert.
Die Rede von der Unrettbarkeit des Ich, die sich bekanntlich bis in die Postmoderne zieht, wird im ausgehenden 19. Jahrhundert explizit und spätestens um die Jahrhundertwende topisch. Hugo von Hofmannsthal, so soll das vorliegende Buch zeigen, beteiligt sich an dieser Debatte mit einem außergewöhnlichen Beitrag: Er rekonstruiert in seinen literarischen Texten die sowohl psychologischen (nicht nur psychoanalytischen) als auch theologischen Wurzeln der genannten Gedankenfigur und macht sie auf diesem Wege zur Grundlage seines poetischen Schreibens und dessen immanenter Reflexion.
Kuhlmann bleibt zwar dabei, dass in seinem Buch alles steht, wie es "in allen Propheten geweissaget", bemüht also wieder die Gedankenfigur der literarischen Erfüllung der Prophetien. Gleichzeitig behauptet er, dass sein Buch sich nicht endgültig aus der zeitlichen Prozessualität der Wissensproduktion und -reproduktion befreien kann. Das Buch ist noch nicht in der "Ewigkeit", sondern nur Samen, aus dem erst das erschriebene bzw. zu erschreibende Jenseits der Zeit erwachsen wird. Entgegen allen anderslautenden Äußerungen kann der Jüngste Tag eben doch noch nicht angebrochen sein, wenn die Feder noch kratzt, die ihn oder sie be- oder eben erschreiben soll. Und so macht Kuhlmann das einzig konsequente: Er bricht den Kühlpsalter ab.
Wer nicht nur die Tag-, sondern auch die Nachtseite des menschlichen Seelenlebens beschreiben möchte, so könnte die Konsequenz aus dem Vergleich der beiden Texte Hoffmanns lauten, muss sich die, der Zigeunerin zugeschriebene, "schmutzige" Kraft der Natur zu eigen machen. Umgekehrt resultiert daraus, dass sich in dieser schmutzigen Kraft, über welche die Zigeunerin verfügt, Potenzial von allerhöchstem literarischen Adel verbirgt. Zigeunerromantik eben.
Im Folgenden sollen mehrere Gedichte Flemings vorgestellt werden, [...]. Anhand ihrer möchte ich einen Gemeinplatz der Forschung diskutieren, der besagt, dass Fle ming mit "verbundenen Augen gereist" sei. Damit ist gemeint, dass er seine Gedichte nur nach der literarischen Tradition ausgerichtet und dafür die Beschreibung von Natur und Menschen in Russland und Persien ausgespart habe. Dagegen werde ich einwenden, dass Flemings – unbestrittene – Ausrichtung nach der literarischen Tradition die Thematisierung der eigenen Erfahrung nicht unbedingt ausschließt. In diesem Zusammenhang lege ich mein Augenmerk auf die bisher unbeachteten Titel der jeweiligen Gedichte und zeige, dass über sie – und zwar mittels eines scharfsinnigen literarischen Bezugs auf Scaligers Epigramm-Theorie – ein direkter Bezug zu den Orten und Zeitpunkten der Reise aufgebaut wird. Dementsprechend sind die Gedichte aus dem kontrapunktischen Zusammenspiel von reisebezogenem Titel und (mehr oder weniger) reiseunabhängigen Versen zu lesen.
Es ist verschiedentlich in der Literaturwissenschaft auf die enge Verbindung zwischen Erzählen und Zählen hingewiesen worden. Diesem Zusammenhang soll im folgenden anhand von Grimmelshausens "Springinsfeld" nachgegangen werden. In einem ersten Schritt werden die (Geld) zählenden, erzählenden und die das Erzählen zahlenden Aktanten des Romans identifiziert, bevor insbesondere Springinsfelds und Simplicius' ökonomische und monetäre Strategien rekonstruiert und ihr Verhältnis zum Erzählen bzw. zum Erzähler untersucht werden.