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Diskursive Dummheit
(2001)
"Das, und nur das ist der Inhalt unserer Kultur", schreibt Karl Kraus, "die Rapidität, mit der uns die Dummheit in ihren Wirbel zieht."! In diesem Satz steckt mehr, als der hinlänglich bekannte "typisch Kraussche" Kulturpessimismus -er setzt Dummheit und Kultur in ein Verhältnis, das durch die Geschwindigkeit ausgezeichnet ist, mit der die Dummheit von der Kultur Besitz ergreift. Mit anderen Worten: Nicht die Dummheit als solche ist für Kraus das Besondere unserer Kultur, sondern die sich selbst beschleunigende "Ökonomie der Dummheit". Diese Dynamik hat sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts keineswegs verlangsamt, sondern verstärkt. Nie wurde in so kurzer Zeit soviel Dummheit verbreitet wie heute.
Der Beitrag ventiliert das Verhältnis von Performanz und Komik anhand einiger Szenen aus Grimmelshausens Simplicissimus -wobei es insbesondere um das Phänomen körpergebundener Vielstimmigkeit geht. Komik entsteht durch ein Verunglücken von Sprechhandlungen, ein Scheitern von Inszenierungen oder eine 'performative Aufwandsdifferenz' beim Verkörpern von Zeichen. Im Simplicissimus manifestiert sich dies als Wechselspiel zwischen 'excess of utterance' und 'pleasure in scandal'. Dabei lassen sich zwei Modi des Verunglückens ausmachen. Zum einen das Verunglücken beim Verkörpern von sprachlichen Äußerungen, zum anderen das Verunglücken des Körpers bei Lebensäußerungen.
Die Neuartigkeit des hier gewählten Ansatzes besteht darin, Komiktheorie, Wissenschaftslogik und Sprachphilosophie so aufeinander zu beziehen, daß die komische Abweichung als Resultat diskursiver Dummheit beschrieben werden kann. In diesem Zusammenhang soll die Entfaltung des Peirceschen Abduktionsbegriffs dazu dienen, die bei der "komischen Abweichung von der Norm" zusammenspielenden anthropologischen, kulturellen und diskursiven Theorien des Lachens und des Komischen unter einem einheitlichen systematischen Gesichtspunkt zu explizieren. Dies wirft insofern ein neues Licht auf die bisherigen Komiktheorien, als diese die komische Unangemessenheit in erster Linie als Abweichung von konventionalen Normen begriffen hatten, deren offensichtlichste Form die karnevaleske Verkehrung ist. Dagegen werde ich mit Blick auf die "Logik der Abduktion" zeigen, daß die komische Unangemessenheit als karnevalisierende Verkehrung der ökonomischen Leitprinzipien abduktiven Folgerns aufzufassen ist – und zwar hinsichtlich der psychologisch motivierten Denkökonomie des einzelnen, der forschungslogisch motivierten "Economy of Research" und der dialogisch-kommunikativ motivierten "Ökonomie des Diskurses".
"'Ironie haben wir nicht' – rief Nannerl, die schlanke Kellnerin, die in diesem Augenblick vorbeisprang, – 'aber jedes andre Bier können Sie doch haben.' Daß Nannerl die Ironie für eine Sorte Bier gehalten", fährt Heinrich Heine im dritt en Kapitel seiner Reisebilder Von Münch en nach Genua fort, "war mir sehr leid, und damit sie sich in der Folge wenigstens keine solche Blöße mehr gebe, begann ich folgendermaßen zu dozieren: 'Schönes Nannerl, die Ironie iska Bier, sondern eine Erfindung der Berliner, der klügsten Leute von der Welt, die sich sehr ärgerten, daß sie zu spät auf die Welt gekommen sind, um das Pulver erfinden zu können, und die deshalb eine Erfindung zu machen suchten, die ebenso wichtig und eben denjenigen, die das Pulver nicht erfunden haben, sehr nützlich ist.'" Die Erfindung, die Heine hier anspricht, soll ein Mittel sein, das es erlaubt, Dummheit in Ironie zu verwandeln. In diesem Zusammenhang entfaltet Heine eine fiktive Genealogie der Dummheit, gefolgt von einer Genealogie der Strategien, wie sich Dummheit verhindern lässt – beides mit unverkennbar polemischem Unterton […]. Hatte man zunächst den Eindruck , das "rück wirkende Mittel", von dem Heine sprich t, sei ein Pharmakon, vielleicht auch eine Art Pulver, mit dem man die Dummheit wie eine lästige Migräne-Attacke neutralisieren kann, wird kurz darauf deutlich , dass das 'ganz einfache Mittel', das Heine im Sinn hat, ein sprachliches ist: Anstelle des Pulvers hat man in Berlin einen Sprechakt erfunden, mit dem sich jede Dummheit in Weisheit umgestalten lässt. Genau genommen handelt es sich bei diesem Sprechakt um ein Deklarativ. Deklarative Sprechakte begegnen uns häufig in der Kirche und im Krieg. So, wenn ein Priester sagt, "hiermit erkläre ich Euch zu Mann und Frau", oder wenn ein Präsident einem anderen Land den Krieg erklärt. […] Damit derartige deklarative Sprechakte gelingen, muss man – das gilt für alle bisher genannten Fälle – ein gewisses Maß an institutioneller Rückendeckung respektive ein gewisses Maß an Souveränität haben.