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1991 erschien eine von Asa Kasher herausgegebene Aufsatzsammlung mit dem Titel "The Chomskyan Turn", die eine Bestandsaufnahme der vierzigjährigen Beschäftigung mit der generativen Grammatiktheorie ist. Ähnlich wie Kants "Kopernikanische Wende" die Transzendentalphilosophie zum Maßstab allen künftigen Philosophierens werden ließ, revolutionierte der "Chomskyan Turn" die linguistische Perspektive. Worin besteht nun der epochale Perspektivenwechsel, der die Verwendung des Ausdrucks "Chomskyan Turn" gerechtfertigt erscheinen läßt? In erster Linie betrifft dies die mittlerweile hinlänglich bekannte Abkehr Chomskys von strukturalistischen und induktiven Grammatikansätzen, die auf Beschreibungs- oder Verallgemeinerungskonzepten beruhen. Stattdessen propagiert Chomsky eine Universalgrammatik, die es aufgrund der Annahme universaler und einzelsprachspezifischer Regeln erlaubt, den Spracherwerb und den "grammatischen Instinkt" bei der Wahl wohlgeformter Sätze zu erklären.
Anrufbeantworter und Online-Chat sind zwei telekommunikative Phänomene unseres hoch-technisierten Alltags, die auf eigentümliche Weise zwischen Stimme und Schrift changieren. Der Anrufbeantworter dient – wie die Mailbox des Handys – der Aufzeichnung von gesprochenen, flüchtigen Äußerungen. Aufgrund ihrer Wiederholbarkeit gewinnen diese Äußerungen einen gewissen Schriftcharakter – sie befinden sich sozusagen im Übergang zwischen "medialer Mündlichkeit" und "konzeptioneller Schriftlichkeit". Der Online-Chat stellt das Komplementärphänomen zum Anrufbeantworter dar: Er ist eine Kommunikationsform zwischen vernetzten Computern, die schriftlich erfolgt, aber den Charakter von mündlichen Äußerungen hat, da die Kommunikation synchron verläuft. Der Online-Chat befindet sich so besehen im Übergang zwischen medialer Schriftlichkeit und konzeptioneller Mündlichkeit. Die Besonderheit von Anrufbeantworter und Online-Chat liegt aber nicht nur in der spezifischen Art, wie Mündlichkeit und Schriftlichkeit interferieren, sondern darin, daß diese Interferenz unter dem Vorzeichen der Telekommunikation steht. Wodurch zeichnet sich Telekommunikation aus? Durch den wunderbaren Moment der Verbindung. Dieser Moment wird im folgenden der Bezugspunkt meiner Überlegungen zum Verhältnis von Stimme und Schrift sein.
Im Vorwort zu seinem Buch Hypertext: The Convergence of Contemporary Critical Theory and Technology vertritt George P. Landow die These einer wechselseitigen Bereicherung von Literaturtheorie und Hypertext. Die Literaturtheorie verspreche, so Landow, den Hypertext zu theoretisieren und der Hypertext verspreche, bestimmte Aspekte der Literaturtheorie zu verkörpern und dadurch zu testen (vgl. Landow 1997: 3). Die beiden Problemkreise betreffen dabei das nichtlineare, vernetzte Erzählen, das aufgrund seiner Linkstruktur kein Zentrum und keine festen Grenzen mehr kennt, sowie die Rollen und Funktionen von Autor und Leser.
Auf die Frage, was der Begriff Performanz eigentlich bedeutet, geben Sprachphilosophen und Linguisten einerseits, Theaterwissenschaftler, Rezeptionsästhetiker, Ethnologen oder Medienwissenschaftler andererseits sehr verschiedene Antworten. Performanz kann sich ebenso auf das ernsthafte Ausführen von Sprechakten, das inszenierende Aufführen von theatralen oder rituellen Handlungen, das materiale Verkörpern von Botschaften im "Akt des Schreibens" oder auf die Konstitution von Imaginationen im "Akt des Lesens" beziehen.
Am 3 Februar 2004 innerhalb der Reihe "GrenzBereiche des Lesens" gehaltener Vortrag. "GrenzBereiche des Lesens" ist eine kulturwissenschaftliche Vortragsreihe, die 2003 und 2004 an der Universität Frankfurt stattfand. Die potentielle Unabschließbarkeit literarischer Lektüren ist oft mit der Metapher vom Text als Gewebe umschrieben worden. Uwe Wirth widmet sich ihr mit Blick auf den Grenzbereich eines anderen Mediums: des Computers. Findet sich im Hypertext die digitale Einlösung der Metapher vom Textgewebe, so stellt sich aufs Neue die Frage nach den Rollen von Autor und Leser: Der Hypertextleser wird zum editorialen "Spinner" eines Netzes aus semantischem und medialem Gewebe.
Der goldene Topf
(2009)
E.T.A. Hoffmanns Der goldene Topf, ein "Märchen aus der neuen Zeit", wie es im Untertitel heißt, erschien 1814 als dritter Band der "Fantasiestücke in Callot's Manier". Der Goldene Topf ist ein "Entwicklungsroman in Märchenform", in dem das Verhältnis von 'bürgerlicher' und 'wunderbarer' Welt in Form einer Liebesgeschichte erzählt wird, die sich als merkwürdige Dreiecksbeziehung entpuppt: Protagonist ist der Student Anselmus, der, hin- und hergerissen zwischen der bürgerlichen Veronika und der wunderbaren Serpentina, im Verlauf der Handlung seine 'romantische Metamorphose' vom Schreiber zum Schriftsteller erfährt. Anselmus hat eine Begabung zur Kalligraphie, zur Schönschrift also, und so macht er das Kopieren zum Beruf – doch seine Berufung ist die Poesie: die sublimierte Kalligraphie, bei der die schöne Schrift zu wahrer Schrift veredelt wird.
Der Dilettantismus-Begriff um 1800 im Spannungsfeld psychologischer und prozeduraler Argumentationen
(2007)
Der Dilettant ist, so heißt es in den von Schiller und Goethe 1799 gemeinsam verfaßten Fragmenten Über den Dilettantismus, ein „Liebhaber der Künste, der nicht allein betrachten und genießen sondern auch an ihrer Ausübung Teil nehmen will“. Damit ist ein Kernsatz des ‚klassischen Dilettantismus-Konzepts’ angesprochen – ein Konzept, das auf die Differenzierung zwischen ‚Künstler’, ‚Liebhaber’ und ‚Kenner’ abzielt. Auf die Frage, warum die Auseinandersetzung mit dem Dilettanten ausgerechnet um 1800 virulent wird, kann man mit Hans-Rudolf Vaget antworten, weil die Auseinandersetzung mit den Dilettanten immer dann stattfindet, wenn die Kunst Autonomie für sich reklamiert. Dies ist im Klassizismus um 1800 der Fall, aber auch im Ästhetizismus um 1900, wo der fin-de-siècle-Dilettant indes nicht allein durch seine Einstellung zur Kunst, sondern vor allem durch seine Einstellung zum Leben bzw. zur Kultur bestimmt wird. In diesem Sinne bezeichnet Paul Bourget den Dilettantismus als eine bestimmte Geisteshaltung, eine psychologische „disposition de l’esprit“, deren Resultat die Schwächung des Willens sei.
Die Frage nach dem Rahmen berührt das Problem der Grenzziehung zwischen Text und Kontext, Text und Nicht-Text, Text und Paratext. Während für Lotman der Rahmen eines Wortkunstwerks noch dadurch ausgezeichnet ist, daß er die Grenze darstellt, die den "Text von allem trennt, was Nicht-Text ist", schließt die poststrukturalistische Texttheorie solch eine statische Grenzbestimmung aus, weil der "Text in Bewegung" wahlweise als ecriture, als "Produktivität" oder als "Gewebe" gefaßt wird.
Chatten online
(2006)
Aus linguistischer Sicht besteht die "kommunikationsgeschichtliche Novität" des Chattens darin, dass Schrift „für die situationsgebundene, direkte und simultane Kommunikation" verwendet wird (Storrer 2001: 462), ohne in einem "systematischen Verhältnis zu einer vorgängigen oder nachträglichen Oralisierung" zu stehen (ebd.). Dabei ist natürlich auch von Interesse, wie die Teilnehmer des Chats miteinander Kontakt herstellen und mit welcher kommunikativen Grundhaltung die Äußerungen im Chat produziert und rezipiert werden (vgl. Beißwenger 2000: 39f.). Unter den Vorzeichen einer dezidiert medialen Fragestellung müssen darüber hinaus die performativen Übertragungs- und Verkörperungsbedingungen des Chats thematisiert werden (vgl. Wirth 2002a: 44).
Chanel - metaphysisch
(2015)
"Die Traumspiele der Weltliteratur sind Gedankenspiele" schreibt Arno Schmidt in seinen Berechnungen. Und er fährt fort: "Was man nämlich im allgemeinen einen 'Träumer' schilt ist in Wahrheit weiter nichts, als ein süchtig-fauler Gedankenspieler". Bereits Freud weist in seinem Aufsatz über den "Dichter und das Phantasieren" darauf hin, daß der Dichter ein "Träumer am hellichten Tag" sei und seine schöpferische Phantasie "Tagtraum".
Ich möchte im folgenden der Frage nachgehen, inwiefern Traum und Gedankenspiel nicht nur als Verfahren auktorialer Text-Konstruktion, sondern auch als Prozeß lesender Text-Rezeption gefaßt werden können. Mit Bezug auf den amerikanischen Philosophen und Semiotiker Charles Sanders Peirce möchte ich überlegen, inwiefern das Gedankenspiel der Logik des Lesens zugrunde liegt – und inwiefern sich Schmidts Überlegungen zum "Längeren Gedankenspiel" nicht nur als Konzept für "neue Prosaformen" deuten lassen, sondern auch als Konzept neuer Lektüreformen.
Züchtung und Aufpfropfung sind Praktiken der Hybridisierung, die nicht nur der Kreuzung und Vermischung dienen, sondern darüber hinaus auch noch dispositive Funktion haben: Der Grundgedanke der Züchtung ist die von Menschen geplante Auslese, um die Genkombination zu verändern. Dabei werden bestimmte Eigenschaften verstärkt, andere werden "herausgemendelt". Das Verfahren der Aufpfropfung impliziert nun eine Beschleunigung dieses Hybridisierungsvorgangs. Die Aufpfropfung ist eine Kultivierungstechnik, die der künstlichen - nicht-sexuellen - Fortpflanzung dient - eine Technik, die seit alters her bekannt ist und im 18. Jahrhundert zu neuer Blüte gelangt, nämlich als Wissensfigur für einen aufgeklärten Umgang mit der Natur.
Archiv
(2005)
I. BEGRIFFSGESCHICHTE. Archiv (von gr. archeion bzw. lat. archivum) bezeichnet das Amtsgebäude, in dem bestimmte Dokumente (Urkunden, Akten, Amts- und Geschäftsbücher) aufbewahrt werden, die zu rechtlichen oder administrativen Zwecken erhalten werden sollen. In einem weiteren Sinne sind Archive Institutionen, die der selektiven Sammlung und der konservierenden Speicherung von Dokumenten aller Art (nicht nur schriftliche, sondern auch Bild- und Tondokumente) dienen. Im Unterschied zu Bibliotheken und Museen, mit deren Arbeit sich das Archiv zum Teil überschneidet, zeichnet sich das Archiv dadurch aus, daß das Archivgut, "nur zu einem kleinen Teil von vornherein als dauerndes Zeugnis [...] angelegt wurde" (Franz 1989,2).
In den letzten fünf Jahrzehnten kann man ein deutlich wachsendes Forschungsinteresse am Schlußmodus der Abduktion feststellen, der für Charles S. Peirce der "erste Schritt" des Schlußfolgems und Interpretierens war. So unterschiedliche Fachgebiete wie Philosophie, Wissenschaftstheorie, Soziologie, Unguistik, Literaturwissenschaft, Semiotik sowie neuerdings die Künstliche-Intelligenz-Forschung versuchen in zunehmendem Maße mit Bezug auf abduktives Folgem die Möglichkeiten einer Reformulierung ihrer einzelwissenschaftlichen Problemzusammenhänge zu nutzen. Vielleicht könnte man sogar von einer "abduktiven Wende" des Denkens sprechen. Dabei zeigt sich, daß die Erforschung der Abduktion auf einzigartige Weise Gelegenheit bietet, unter einem einheitlichen Aspekt interdisziplinär zu arbeiten.
Der Beitrag widmet sich bedrucktem Papier, das Müll geworden ist. Dabei wird den unterschiedlichen Gründen für die Müllwerdung von Texten nachgegangen: von technischen Mängeln bis zum Makel mangelnden Publikumsinteresses. Umgekehrt geht es aber auch um die Textwerdung von Papier-Müll: eine Operation, die an der Nullstufe intertextueller Produktivität zu beobachten ist- und die die Strukturenliterarischer Wert- und Unwert-Produktion sichtbar macht.
Worin besteht die Aufgabe einer künftigen Hypernarratologie, so könnte man programmatisch fragen und – ebenso programmatisch – darauf antworten: Die Aufgabe einer künftigen Hypernarratologie besteht darin, den Zusammenhang zwischen den spezifisch hypertextuellen und den allgemeinen semantischen Strukturen einer Hyperfiction zu untersuchen. Doch was heißt das? Durch welche Strukturmerkmale zeichnet sich ein Hypertext, zumal ein poetischer, aus? Ich möchte versuchen, diese Frage in zwei Schritten zu beantworten: In einem ersten Schritt werde ich mich der Frage theoretisch nähern, wobei die Begrenztheit der bisherigen Herangehensweisen zu Tage treten wird. In einem zweiten Schritt werde ich die Frage nach den Strukturmerkmalen narrativer Hypertexte im Rahmen der ›Analysepraxis‹ aufwerfen, wenn es um eine Deutung von Berkenhegers Hilfe! geht.
Der Beitrag ventiliert das Verhältnis von Performanz und Komik anhand einiger Szenen aus Grimmelshausens Simplicissimus -wobei es insbesondere um das Phänomen körpergebundener Vielstimmigkeit geht. Komik entsteht durch ein Verunglücken von Sprechhandlungen, ein Scheitern von Inszenierungen oder eine 'performative Aufwandsdifferenz' beim Verkörpern von Zeichen. Im Simplicissimus manifestiert sich dies als Wechselspiel zwischen 'excess of utterance' und 'pleasure in scandal'. Dabei lassen sich zwei Modi des Verunglückens ausmachen. Zum einen das Verunglücken beim Verkörpern von sprachlichen Äußerungen, zum anderen das Verunglücken des Körpers bei Lebensäußerungen.