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Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit der Konstituierung von amicitia im Mythos und fragt nach der Erzählung als Gabe im amikalen Gabentauschzyklus. Die Hinweise auf amicitia als eine der zentralen Bindungstypen des römischen Gemeinwesens sind über verschiedene Werke verstreut, lassen aber bereits die Wirkkraft erahnen, weil sie rückblickend in die Frühzeit hineingeschrieben wurden. In diesem Zusammenhang wird auch die Bedeutung der Erzählung als Gabe im Gabentauschzyklus untersucht, da diese die Transformation vom Fremden zum Anderen ermöglichen kann; erst auf diese Weise wird eine Grundlage für amicitia geschaffen. Darüber hinaus gelingt erst in der Urvergangenheit des Mythos’ die Perpetuierung von amicitia und dem sie konstituierenden amikalen Gabentausch.
Annotationes Epigraphicae XIII. Zu einigen Inschriften aus der römischen Provinz Gallia Lugdunensis
(2023)
Die seit einigen Jahren andauernde Arbeit an einem kommentierenden Onomastikon für die römische Provinz Gallia Lugdunensis, das in absehbarer Zeit erscheinen soll, lenkte die Aufmerksamkeit des Autors auf mehrere bemerkenswerte Inschriften aus der zentralgallischen Provinz, die ausführlichere Betrachtungen rechtfertigen. Alle folgenden Anmerkungen zu 15 ausgewählten Inschriften beziehen sich auf epigraphische und onomastische Denkwürdigkeiten, die in wesentlich kürzerer Form auch in dem angekündigten Namenskatalog verschriftlicht wurden.
Im Bellum Iudaicum des Flavius Josephus geht es sehr häufig um Schuldzuweisungen und Niederlagenerklärungen bzw. Deutungen und Umdeutungen von Scheitern: Das eigene Versagen des Josephus als Feldherr der Juden in Galiläa, das Scheitern des syrischen Statthalters Cestius Gallus und dessen Niederlage bei Beth Horon, das ‚Versagen‘ (?) des Titus als Kommandeur beim Brand des Tempels. Josephus nimmt durchaus verschiedene Perspektiven ein, die es genauer zu betrachten gilt. Was war die Absicht hinter seinen Deutungen, Umdeutungen, bei eventuellem Verschweigen und Verdrängen? Wer war jeweils sein Publikum? Wie kann man insbesondere die Darstellung des Titus verstehen? Mit Bezug auf die Zerstörung des Tempels von Jerusalem, schließlich religiöses wie politisches Symbol jüdischer Integrität und Identität, ist die Darstellung des Feldherrn jedenfalls objektiv vernichtend – er verliert die Kontrolle über die Truppen. Josephus findet die Lösung zur Entlastung des Titus, aber auf Kosten seines Renommees als Feldherr!
Das Verhältnis von Geistlichkeit und lokaler Nobilität in der "Adelslandschaft an der Werra" wurde schon in mehreren Arbeiten instruktiv beleuchtet. Hier soll der Blick auf einen besonderen Akteur auf diesem Feld gelenkt werden, den Deutschen Orden. Auch er war eine Größe, die der Landesherr so weit wie möglich zurückzudrängen versuchte, ohne sie ganz ausschalten zu können. Dies lässt sich am Beispiel der Deutschordenspfarrei Reichenbach anschaulich zeigen.
Memoria. Vom gefeierten zum ausgelöschten und entehrenden Erinnern an den Imperator Maximinus Thrax
(2023)
Massinissa, der "Zivilisator Numidiens", zwischen literarischen "topoi" und archäologischem Befund
(2022)
With Empire of the Black Sea: the Rise and Fall of the Mithridatic World (2020), Duane Roller has published the first English monograph meant to cover the Pontic Kingdom of the Mithradatid dynasty. Although he falls short of presenting an up-to-date bibliography, the book is likely to become an influential reference work. The present chapter aims at closing several of the bibliographical gaps, by surveying recent (and forthcoming) scholarship especially on the kingdom’s history prior to Mithradates VI Eupator. Topics include the Achaemenid ancestry of Mithradates of Kios, the flight of Mithradates I Ktistes to Kimiata, the role of the Galatians in the rise of the kingdom, the historicity of Mithradates III, the wars and diplomacy of Pharnakes I, the putative sibling marriage of Mithradates IV, chronological aspects of the rule of Mithradates V, and the continuity of Mithradatid foreign policies.
Den Münzen der römischen Republik verpflichtet – Der Numismatiker Max von Bahrfeldt (1856-1936)
(2021)
Kriegslärm und seine Wirkungen auf die ‚Akteure‘ sind für die Antike ein noch ungenutzter Betrachtungsgegenstand. „Sensory History“ darf als innovativer Beitrag zur Geschichtswissenschaft insgesamt gelten. Schlachtbeschreibungen thematisieren Sinneseindrücke aller Art: Die Geräusche des Krieges gehören zu den lautesten, die sich in der Menschheitsgeschichte finden lassen, der Kampf war eine multisensorische Angelegenheit mit Geschrei und Musik. Im Beitrag soll die Aufmerksamkeit auf diese Phänomene und ihre literarische Verarbeitung gelegt werden. Was bedeuteten Geräusche und Eindrücke des Krieges für die Beteiligten? Die in der Antike verbreitete Auffassung, dass „in jeder Schlacht zuerst die Augen erliegen würden“ (Tac. Germ. 43,5), ist zu relativieren! Die Kakophonie der Schlacht blieb nicht ohne Wirkung: sie bedeutete "terror" und konnte Menschen paralysieren!
Seuche und Exzess : eine tödliche Epidemie im klassischen Athen prägte Europas kulturelle Erinnerung
(2021)
Eine rätselhafte Krankheit schwächte das stolze Athen zu Beginn eines Kriegs gegen Sparta. Bis heute weiß man nicht sicher, um welchen Erreger es sich handelte. Die gesellschaftlichen Auswirkungen jedoch hat der griechische Geschichtsschreiber Thukydides anschaulich beschrieben. Er schildert Verunsicherung und Regellosigkeit – und einen auffälligen Hang zum Exzess.
Im Frühjahr 23 n. Chr. sah sich Kaiser Tiberius veranlasst, dem Senat Bericht zu erstatten über die Lage im Heer und die Schwierigkeiten der Gewinnung von Rekruten. Tacitus nimmt dies seinerseits zum Anlass, mit Bezug auf die seinerzeitige Situation über die Verteilung der wichtigsten Truppenverbände an den verschiedenen Reichsgrenzen zu informieren. Der Zeitpunkt des kaiserlichen Rapports an den Senat war offenbar nicht zufällig gewählt, das Jahr 23 wird später von Tacitus als Wendepunkt im persönlichen Verhalten und in der Politik des Tiberius angesehen. Bei der Übersicht über die Truppen und deren Stärke fällt hinsichtlich der Rheinfront der betonte Hinweis auf, dass diese nicht nur zum Schutz gegen Germanien, sondern auch gegen Gallien dienen sollten. In diesem Beitrag soll zunächst das historische Umfeld erörtert werden, in welches maßgeblich Anlass und Zeitpunkt der Mitteilung des Kaisers an den Senats und die Übersicht über die Heeresstärke eingeordnet werden können (I.). In einem zweiten Punkt wird auf einige grundlegende Aspekte der Grenzpolitik des Tiberius nach Abberufung des Germanicus von der Rheinfront eingegangen werden (II.). Schließlich soll auf die besondere Situation der Truppen am Rhein und ihren Bezug zum inneren, vornehmlich östlichen Gallien hingewiesen werden (III.).
Die Studie untersucht die Rezeption des Thukydides und deren geschichtspolitische Funktion in Dror Zahavis Biopic Das Geheimnis der Freiheit (2020), das vom Scheitern der 1974 von Berthold Beitz bei Golo Mann in Auftrag gegebenen Biographie über Alfried Krupp v. Bohlen und Halbach erzählt. In dem Film werden – so die These – bundesrepublikanische Kontroversen über Modi des Umgangs mit dem Nationalsozialismus (re-)inszeniert. Dieses Thema besitzt wegen gesellschaftlicher Wandlungsprozesse auch in der Gegenwart, in der sich die Frage nach der Stellung des Nationalsozialismus im Geschichtsbewusstsein neu stellt, eine hohe gesellschaftsdidaktische Relevanz. Als zentrale Argumentationsfigur der Protagonisten im Film dient ein zum Sprichwort mutierter Satz aus dem Epitaphios des Perikles (Thuk. 2,43,4). Die Untersuchung weist nach, wie der Film bei der Nutzung des Zitats in Bezug auf Beitz’ Biographie eine Deutungstradition fortschreibt, die Berthold Beitz selbst begründet hat und die von seinem Biographen Joachim Käppner und Bundespräsident Joachim Gauck in das kulturelle Gedächtnis der Bundesrepublik eingeführt worden ist. Es zeigt sich, dass Das Geheimnis der Freiheit seine geschichtspolitischen Ziele nur durch eine fundamentale Manipulation am Wortlaut des Thukydides erreicht, damit jedoch seine erkenntnistheoretischen Prämissen und sein Plädoyer für Professionalität im Umgang mit der Geschichte konterkariert. Der Name des Thukydides, dessen Autorität der Film als historiographische Instanz in Anspruch nimmt, wird so zu einem Etikett ohne Substanz. Durch die unsachgemäße Berufung auf sein Werk werden überdies effektivere, in der deutschen Geschichtskultur angelegte Zugänge zur Debatte über die künftige Bedeutung der nationalsozialistischen Vergangenheit blockiert. Perspektiven für eine konstruktive Rezeption des Thukydides im gesellschaftlichen Diskurs über die Geschichte sieht der Aufsatz im Verzicht auf das Konzept einer historia magistra vitae, das auf der Einebnung von Alteritäten zwischen Vergangenheit und Gegenwart fußt, sowie in der Nutzung des Reflexionspotentials, das Thukydides’ Darstellung bietet und das auch in seinem „Methodenkapitel“ (1,20-3) eingefordert wird. Zumindest auf diese Weise besitzt Thukydides eine orientierungsstiftende Aktualität für die Bundesrepublik.
Der politikgeschichtlich orientierte Aufsatz untersucht das Verhältnis Ricimers zu den während seiner Amtszeit als magister militum regierenden weströmischen Kaisern. Insbesondere fragt er danach, inwiefern Ricimer zum Fall des weströmischen Kaisertums beigetragen hat. Neben den antiken Quellen stützt sich der Aufsatz auf ältere und jüngste Forschungsliteratur (insbesondere Anders 2010 und folgende Arbeiten). Er zeigt Forschungskontroversen auf und eröffnet am Schluss weitergehende Perspektiven der Forschung zu den Heermeistern des fünften Jahrhunderts.
Seit ihrer Auffindung und Bergung im vergangenen Jahrhundert harren die Bruchstücke dreier Steininschriften aus den Heidelberger Stadtteilen Neuenheim und Handschuhsheim sowie vom Heiligenberg im Depot des Kurpfälzischen Museums Heidelberg ihrer wissenschaftlichen Würdigung. Bei genauerer Betrachtung lassen sie sich trotz ihrer sehr fragmentarischen Erhaltung nahezu zweifelsfrei als Weihinschriften (1. und 2.) beziehungsweise als Grabinschrift (3.) identifizieren, womit sie das Corpus der bereits bekannten epigraphischen Zeugnisse Heidelbergs entsprechend erweitern. Außerdem darf in einer vierten ebenfalls im Depot verwahrten, allerdings bereits publizierten und nur allgemein als Votivstein gedeuteten Inschrift aus Meckesheim / Rhein-Neckar-Kreis (4.) nunmehr so gut wie sicher der Bestandteil einer Jupiter(giganten)säule erkannt werden. Das aus dem Heidelberger Raum bislang dokumentierte Repertoire solcher monumentalen Weihedenkmäler der Römerzeit erfährt damit ebenfalls einen weiteren Zuwachs.
Raoul Sage
(2010)
Am 15. Dezember 1967 hielt Jochen Bleicken seine Frankfurter Antrittsvorlesung zu dem ihn in den kommenden Jahren beherrschenden Thema "Staat und Staatsrecht in der römischen Republik". Geleitet vom Dekan zog er zur akademischen Stunde mittags 12 Uhr cum tempore in die Alte Aula der jungen Frankfurter Universität ein – ohne Talar: für die noch existierende Philosophische Fakultät Grund für Gespräche im Vorfeld. Dabei akzeptierte Bleicken, daß der ihn geleitende Dekan den Talar trug. ...
The paper examines the application of the category of ‘populism’ to Athenian democracy. Unlike previous works on the subject, which have focused on the fifth century, it studies the fourth, where the tradition is much better, since we can refer to contemporary public speeches. It shows that, despite some parallels on the lexical level, 'populist’ strategies matching the criteria of modern political science cannot be identified in Athenian political communication and interprets this result in its historical context.
In Namibia, der ehemaligen deutschen Kolonie Südwestafrika, findet alljährlich ein großes Spektakel statt: Die Gemeinde der deutschen Namibier feiert in der Hauptstadt Windhoek Karneval. Während dieser "fünften Jahreszeit", die nota bene in den Monat Mai fällt, geht es ähnlich närrisch wie in Deutschland zu. Es gibt eine Karnevalsgesellschaft, ein Prinzenpaar nebst Prinzengarde, Festsitzungen mit Büttenreden und natürlich einen Straßenumzug. In den letzten Jahren nahmen daran im Schnitt an die 30 Wagen teil, von denen es "Kamelle" und "Strüßche" regnete ("Bonbons" und "kleine Blumengebinde"). Die "tollen Tage" von Windhoek sind eine Miniaturausgabe des Kölner Modells. Für einige Tage dreht sich alles um Tanz und Tabubruch. ...
Der IT-Industrieverband Bitkom findet die Debatte um Netzneutralität nicht so gelungen und möchte lieber über etwas anderes reden: Deutsche IT-Branche ringt um Position zur Netzneutralität. Dass die Deutsche Telekom bei Bitkom eines der einflußreichsten Mitglieder ist, wenn nicht sogar das einflußreichste, dürfte damit sicher überhaupt nichts zu tun haben.
Bereits in der letzten Woche hat der rheinland-pfälzische Landtag den Gesetzentwurf zum "Vierzehnten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge" (kurz: die landesrechtliche Umsetzung des JMStV) ratifiziert.
Und zwar mit den Stimmen von CDU und SPD. Die FDP hat sich enthalten. Die Entscheidung im Beck’schen Königreich kam nicht wirklich überraschend, schließlich wurde der Staatsvertrag federführend von der Mainzer Staatskanzlei vorangetrieben.
Deutlich überraschender ist da schon, dass der Unionspolitiker Dr. Peter Tauber (MdB und Enquete-Mitglied) ausgerechnet einem Piraten Platz in seinem Blog einräumt, um ihn in einem Gastbeitrag gegen den Staatsvertrag argumentieren zu lassen. ...
Am vergangenen Freitag gab es im Bundestag eine Debatte über Netzneutralität. Diese konnte ich leider nicht live verfolgen, weil parallel die Arbeitsgruppe Urheberrecht der Enquete-Kommission tagte. Heise berichtet aber über die Debatte und ich gehe hier nur mal auf die dort zitierten Beiträge und Argumente ein. Besonders eingeschlagen hat das plakative Statement der FDP "Netzneutralität ist Internet-Sozialismus". ...
Aus jüngeren konservativen Kreisen wurde die Initiative Faires Urheberrecht gestartet, um "den netzpolitischen Kurs der Union zu prägen". Zu den Initiatioren gehören u.a. die Bundestagsabgeordneten Thomas Jarzombek, Dorothee Bär und Peter Tauber. Das ist erfreulich, denn bisher wird der Kurs der Union vor allem von einigen einflussreichen Lobbys (Buch-, Film- und Musikindustrie samt Verwertungsgesellschaften) und Bundestagsabgeordneten wie Günter Krings bestimmt. Heraus kommen da in der Regel immer nur Forderungen nach Verschärfungen der Durchsetzung bis hin zu absurden Forderungen wie Internet wegnehmen für Urheberrechtsverletzungen, wofür Siegfried Kauder in letzter Zeit warb. ...
Mitte der Woche haben sich die beiden CDU-Bundestagsabgeordneten Krings und Heveling in einer offiziellen Fraktions-Pressemitteilung mit den SOPA-Plänen solidarisiert. Das hat innerhalb der Internet-freundlichen CDU-/CSU-Abgeordneten wie Dorothee Bär, Peter Tauber, Thomas Jarzombek, Peter Altmaier und Michael Kretschmer zu Kritik geführt, die diese über Twitter und Zitate kommunzierten. ...
Die Koalition hat sich gestern über einen letzten Kompromiss zum Leistungsschutzrecht geeinigt, der heute im federführenden Rechtsausschuss abgestimmt werden soll. Geplant ist, diesen am Freitag nach zweiter und dritter Lesung im Bundestag abzustimmen. Dagegen wehrte sich die Opposition und forderte heute im Rechtsausschuss eine weitere Anhörung, um die veränderten Rahmenbedingungen diskutieren zu können. Das wurde aber mit der Mehrheit der Koalition abgelehnt. ...
Der Bundestag hat in seiner gestrigen Plenardebatte theoretisch über Netzneutralität diskutiert. Theoretisch dadurch, dass die Debatte nur als "Reden zu Protokoll" stattfand, weil die Opposition wohl alle Plenardebatten-Kärtchen bereits gezogen hatte und die Regierungskoalition anscheinend kein großes Interesse an einer öffentlichen Debatte hatten. Konkret ging es um einen Gesetzentwurf der Linksfraktion, die Netzneutralität festzuschreiben. ...
Freund und Favorit: Begriffliche Reflexionen zu zwei Bindungstypen an spätmittelalterlichen Höfen
(2015)
Am Anfang der folgenden Überlegungen steht eine Irritation: Sie resultiert aus der Bourdieu’schen Theorie von der Existenz unterschiedlicher Kapitalformen – des ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapitals –, die im sozialen Miteinander mehr oder weniger konvertierbar sein sollten und vom Individuum zur sozialen Positionierung eingesetzt werden können. Zur Erklärung der sozialen Dynamik spätmittelalterlicher Höfe ist dieses Modell gleichermaßen einleuchtend und hilfreich. Es weist aber mindestens eine Bruchstelle auf: So gut es viele (wenn auch nicht alle) Prozesse und Strategien des Handelns im höfischen Kontext erklärt, ist die Dynamik erst einmal angelaufen, so lässt es doch die Frage nach dem Eintritt in das Spiel offen. Woher kommt das Kapital, das Bewegung über die ständige Konvertierung hinaus ermöglicht? Oder anders gefragt: Wie gelingt Neuankömmlingen der Eintritt? ...
Auf die Fragen kommt es an: "Woher kommt der Mensch? wo will er hin? – und warum um alles in der Welt ist er da nicht geblieben?" Der Meister zirkulärer Sinnsuche hat als Fragender seine beste Rolle gefunden und damit den postheroischen Typus Mensch erschaffen, der in der Vieldeutigkeit der Welt erleichtert seinen Unfrieden findet: damit, dass Pazifisten Kriege verteidigen, dass die Außerparlamentarischen eine Partei gründen, dass die Konservativen die interessanteren Zeitungen machen und die Komik zur wirksamsten Waffe gegen Dummheit und Schmerz geworden ist. Matthias Beltz hat beiläufig mit Lebensweisheiten und assoziativ aufgetürmtem Scharfsinn nicht nur seine Fragen bewaffnet, in denen gewagte Antworten ihren vitalen Keim austreiben, sondern auch das Misstrauen gesät gegenüber politisch korrekten, nachgeplapperten und smarten Antworten. ...
Nach Hause…
(2002)
Wer kennt ihn nicht, den leisen, herzzerreißenden Klagelaut einer displaced person namens E.T.: "nach Hause…". Die übergroßen Augen sehnsuchtsvoll ins Weltall gerichtet, jammert jenes kleine, auf der Erde vergessene, unglückliche Wesen nach seiner Heimat, die fern und den Erdenbewohnern fremd und unbekannt ist – ein Nichtort, der gleichwohl der Ort des Ursprungs, des Zuhauseseins und aller Wehmut ist. ...
Frösche in Prinzen zu verwandeln, das wär’s doch.Was bislang nurMärchenprinzessinnen zu gelingen schien, traut sich nun auch die neue deutsche Intelligenz zu. In seinem jüngsten Suhrkamp- Bändchen möchte Peter Sloterdijk das tief schlummernde Europa aus seiner »Absence« wachküssen. "Falls Europa erwacht", werde es sich in ein post-imperiales "Reich" der Mitte verwandeln, damit zugleich den zweitausendjährigen Verwandlungsreigen europäischer Imperien überwinden. Sloterdijks Europa-Vision entspringt jedoch keiner neuen Utopievorstellung, vielmehr setzt der Philosoph aus Karlsruhe auf bereits vorhandene, kulturell tief verankerte Potentiale. Gemeint ist die Fähigkeit der Verwandlung, die Kraft der Metamorphose. ...
Nach Hause … [enth.: Olympia – Rom – New York / Michael Kempe ; Athen – Bagdad / Marie Theres Fögen]
(2003)
Geplünderte, rauchende Paläste, umgestürzte Statuen, ausgeweidete Museen – anders als die Ruinen von Bagdad, an die uns der TV-Jahresrückblick Ende 2003 erinnern wird, verweist die nur noch auf Bildern existierende Ruine der New Yorker Twin Towers nicht auf die Folgen eines Krieges, in dem auch das Völkerrecht ruiniert wurde, sondern auf die Folgen eines Terroranschlags, der das einstige stolze Symbol Manhattans in weniger als zwei Stunden in Schutt und Staub verwandelte. ...
So geht es einer Stadt, die Frieden schaffen sollte – selbst, aus eigner Kraft! – und für den Sieg gebetet hat. Als ob es Siege gäbe, wenn die Menschen sterben.
Wer diese Euripides-Verse in der Übertragung von Walter Jens im März 2003 am Vorabend, buchstäblich am Vorabend, eines Krieges gelesen hat, kann sich über den Titel des Buches, in dem sie stehen, nur wundern: "Ferne und Nähe der Antike". Wieso denn "Ferne"? Euripides- Jens ist so nah wie der Krieg nah war. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. ...
Wohl kaum wird der amerikanische "Imperator" den gefangenen "Barbaren von Bagdad" im Triumphwagen durch die Straßen von Washington ziehen lassen, auch wenn sich die publizistische Rhetorik seit den Kriegen gegen Afghanistan und den Irak mit Vergleichen zwischen dem antiken Rom und dem neuen Amerika förmlich überschlägt. "Sind die Amerikaner die Römer unserer Zeit?", fragt sich als einer unter vielen der Publizist und Althistoriker Peter Bender. Expansionen der alten wie der neuen Imperatoren werden miteinander verglichen, Parallelen und Unterschiede in der geographischen Lage, in den Interessen und Willen der Akteure ausgemacht. So habe bei den Amerikanern der Sendungsglaube als universale Macht schon am Anfang des Imperiums und nicht erst an dessen Ende wie bei den Römern gestanden. Roms Ostkriege und der kalteOst-West-Krieg hingegen zeitigten dasselbe historische Ergebnis: "Davor waren Rom und Amerika die ersten Weltmächte ihrer Zeit, danach waren sie die einzigen." Von "Aufstiegen" ist die Rede, nicht aber von "Untergängen", wie es die zyklischen Zivilisationsgeschichten der Kulturmorphologen verkünden. Das hat seinen Grund. Hinter der Analyse kommt Normatives zum Vorschein, wenn es um den Schutz der "Zivilisation des Abendlandes" in "einer künftigen Welt" geht, "in der andere Kulturen sich gegen den 'Westen' behaupten, stärken und vordringen …" Bender lässt das imperium romanum nicht untergehen, weil er das amerikanische Imperium als Bollwerk westlicher Kultur braucht. ...
"Eines der schwierigsten geschichtlichen Probleme stellt sich mit der Frage, wie der Aufstieg Roms zu erklären ist und wie sein Untergang. Das Verständnis für diese weltgeschichtlichen Vorgänge wird erleichtert, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sie nicht eine, sondern viele Ursachen hatten. Der Untergang des Römischen Weltreiches war kein Ereignis, sondern ein Prozess, der sich über 300 Jahre erstreckte. Es gibt Nationen, die nicht so lange existiert haben, wie Rom allein brauchte, um unterzugehen." So die bedeutungsvollen Worte aus dem Off über dem Vorspann des fast dreistündigen Hollywood-Filmes "Der Untergang des Römischen Reiches" (1963) von Anthony Mann – in den Hauptrollen Alec Guinness als Marc Aurel und Sophia Loren als dessen Tochter Lucilla. ...
Zeit ist einer jener Begriffe, für die man die Augustinische Charakterisierung gelten lassen wollte, es sei klar, was sie bedeuten, solange nicht danach gefragt werde (Augustinus Confessiones Lib. XI, 17). Die Frage aber nach dem, was "Zeit" eigentlich ist, erscheint umso berechtigter, als es insbesondere die Naturwissenschaften sind, die für sich in Anspruch nehmen, hier Antworten geben zu können. Die zu erwartenden Antworten wären danach wesentlich empirischer Natur – also direkt oder indirekt experimentell gestützt und mithin Ergebnis dieser Forschung. ...
Heinrich Kalteisen
(2014)
Dieser Beitrag betrachtet die Verwendung von Fotografien des Brandenburger Tors in Schulbüchern für die gymnasiale Oberstufe in Hessen. US-Präsident Ronald Reagan machte mit seiner Rede 1987 das Tor zum Symbol der deutschen Teilung:
"Mr. Gorbachev, open this gate! Mr. Gorbachev, tear down this wall!"
Untersucht wird die Frage: Werden Fotografien des Brandenburger Tors vornehmlich im Kontext der deutschen Teilung verwendet?
Das Geschichtswerk des Florus findet in der modernen althistorischen Forschung nur wenig Anerkennung. Dies geschieht nicht ohne Grund, entspringen doch manche Berichte allzu deutlich der Phantasie des Historiographen und basieren auf einer auf Effekte abzielenden Darstellungskunst. Ein Beispiel hierfür liefert seine Schilderung des Ablaufs der clades Variana, die – beim Wort genommen – kein Vertrauen verdient und daher zumeist in der aktuellen Diskussion über die Vorgänge in Germanien übergangen wird. Dagegen ist Florus anerkanntermaßen ein wichtiger Repräsentant für die Geschichtsschreibung des 2. und 3. Jahrhunderts n. Chr. Der Beitrag zielt nicht darauf ab, das viel diskutierte Problem der ‚Varusschlacht‘ und ihre Lokalisierung erneut zu traktieren, vielmehr sollen neben dem Geschichtsbild des Autors und seiner Auffassung über die den geschichtlichen Prozess beeinflussenden Kräfte die Zeitbezüge verdeutlicht werden, die hinter dem Berichteten als solchem erkennbar sind. Damit gewährt das Werk interessante Einblicke in Erwartungen, Vorstellungen und Mentalitäten der Zeitgenossen des Autors, was jenseits positivistischer Vermittlung von Fakten auch für den Historiker von Bedeutung ist.
Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ist ein Steinensemble aus Frankfurt-Heddernheim/Nida bekannt, das aus einer 107 cm hohen Geniusstatue und einer zugehörigen Basis (Höhe 54 cm – Breite 50,5 cm – Tiefe 34,5 cm) aus Sandstein besteht. Die im Sockel eingeschlagene Inschrift datiert das Objekt durch die Angabe der amtierenden Konsuln in das Jahr 230 n. Chr. ...
Die Gallia Narbonensis gilt als eine der am stärksten romanisierten Provinzen des Imperium Romanum. Gefördert wurde dieser Umstand sicherlich durch die Nähe zu Italien und die recht frühe Provinzialisierung des Gebietes seit dem 2. Jhdt. v. Chr.1 Dabei wurde in der Forschung oft die Frage gestellt, ob ebenso die Agrarstrukturen Italiens, sprich eine auf Sklavenarbeit beruhende Großvillenwirtschaft, in der Narbonensis etabliert wurden. Trotz des eigentlich spärlichen Quellenmaterials ist die Antwort überraschenderweise meistens positiv. Das Ziel dieses Artikels besteht nun darin, diese Aussagen einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Hierzu werden insbesondere Inschriften zur Klärung des Sozialstatus der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte herangezogen. Ein kurzer Vergleich mit einigen epigraphischen Belegen aus den benachbarten Provinzen und eine Prüfung der Aussagefähigkeit weiterer Quellen, darunter archäologischer und ikonographischer Zeugnisse, soll die Analyse abrunden.
In seinem viel beachteten Buch "Das kalte Herz" erzählt der Wirtschaftshistoriker Prof. Werner Plumpe die Geschichte des Kapitalismus, der seiner Ansicht nach eine nüchterne Form des Wirtschaftens darstellt, die sich anderen Systemen gegenüber als überlegen und leistungsfähiger erwiesen habe. Die lange Tradition der Kapitalismuskritik habe bis heute nicht verstanden, dass im Kapitalismus große Vermögen eingesetzt werden, um Güter herzustellen, die in der Regel für Menschen mit kleinem Einkommen erwerbbar sind.
"Terrorismus ist primär eine Kommunikationsstrategie", so der Soziologe Peter Waldmann. Diese Aussage zeigt, welche Bedeutung die Kommunikation für terroristische Vereinigungen hat. Um die Gesellschaft zu erreichen, um mit ihr zu kommunizieren, braucht der Terrorismus eine Plattform, die möglichst viele Menschen erreicht: Massenmedien wie Zeitungen. Der Terrorismus benötigt folglich die Medien, um seine Botschaft in die Gesellschaft zu tragen. Wie dies im Falle des Anschlags der Roten Armee Fraktion (RAF) auf das Hauptquartier des V. Korps der US-amerikanischen Streitkräfte in Frankfurt am 11. Mai 1972 geschah, soll im Folgenden erklärt werden.
Konnte Michael Stolleis noch 1985 im Rechtshistorischen Journal beklagen, dass die Strafrechtsgeschichte ein blinder Fleck in der (rechts-)historischen Forschung sei, so ist seit etwa 1990 geradezu ein Boom der historischen Kriminalitätsforschung zu verzeichnen, der inzwischen auch die Rechtsgeschichte erfasst hat ...
In der postmodernen globalen Welt erweist sich gerade die Weiterentwicklung der normativen Ordnung im Bereich des transnationalen Strafrechts als problembehaftet. Das internationale Strafrecht im engeren Sinn supranationaler Kodifikationen und Institutionen ist noch immer auf wenige Tatbestände und internationale Gerichte beschränkt. Eine umfassendere, alle Elemente der grenzübergreifenden Interaktion von Strafrechtsregimen normierende internationale Strafrechtskodifikation scheint kaum realisierbar; bereits partielle Harmonisierungsbemühungen in der Europäischen Union stoßen an enge Grenzen und wurden – wie der europäische Haftbefehl oder das Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen – nach 2002 nur unter dem Druck terroristischer Sicherheitsbedrohungen realisiert. Die normativen Grundlagen wie die staatliche Praxis des internationalen Strafrechts lassen zahlreiche Ambivalenzen, Regime-Kollisionen und Konflikte erkennen, vertragliche Vereinbarungen gehen dem Gesetzesrecht vor, polizeilich-politische Erfordernisse dominieren vor rechtsstaatlicher Einhegung und Individualrechten und insgesamt erweisen sich transnationale Strafrechtsregime als rechtlich eher gering normiert. ...
In einem vielbeachteten Aufsatz hat die in Berkeley lehrende Rechtshistorikerin Karen M. Tani 2012 die Aufmerksamkeit auf "rights as a language of the state" gerichtet. Konträr zur gängigen These, nach der welfare rights erst in den 1960er Jahren in die politisch-soziale Sprache Eingang fanden, weist Tani nach, dass schon in den Jahren des New Deal und der Präsidentschaft Franklin Delano Roosevelts (1933–1945) von rights im Feld der public assistance die Rede war. Freilich richtete sich dieser Wortgebrauch nicht eigentlich an die Klientel und spielte auch vor den Gerichten keine Rolle, vielmehr entstand der Diskurs um ein Recht auf öffentliche Fürsorge in der rasch wachsenden staatlichen Wohlfahrtsbürokratie und hatte hier die Funktion, die social workers vor Ort mit einer einheitstiftenden und motivierenden Sprache auszustatten. Darüber hinaus half die Rede von den rights den Aktivisten in den Arbeiterorganisationen und den Organisationen der racial minorities dabei, das hergebrachte Denkmuster, nach dem Staatshilfe zu einer degradierenden Abhängigkeit führe, zu durchbrechen: Wer Rechte in Anspruch nimmt, sieht sich als Bürger ernst genommen und nicht als Bittsteller, der seine Unabhängigkeit verliert. Rights language konnte von der New Deal-Bürokratie zudem auch eingesetzt werden, um den dual federalism, der den Zentralstaat und die Einzelstaaten in einem latenten Gegensatz zueinander sah, in einen cooperative federalism zu verwandeln – wobei der Zentralstaat als Hauptfinanzier des entstehenden Wohlfahrtsstaates natürlich in der Vorhand war: Die Rede von den rights war zuallererst "the language of an ambitious national state". ...
Der Einsatz von computergestützten Methoden der Digital Humanities (DH) ist in den Geisteswissenschaften oft mit dem Mythos der digitalen Objektivität oder Objektivierung verbunden. Eine Motivation für den Einsatz dieser Verfahren bei Geschichtswissenschaftlerinnen ist die Suche nach dem objektiven Urteil oder nach der Objektivierung ihrer eigenen Interpretationsleistungen. Aber schafft der Computer Objektivität? Kann diese Maschine den hermeneutischen Zirkel durchbrechen helfen? Können wir mit quantifizierenden Methoden, mit der Logik der Zahlen, mehr über vergangene Epochen aussagen als mit der schlichten Hermeneutik unseres Fachs? ...
Synästhetische Normativität
(2017)
Im Herzen Frankreichs, südlich von Paris und Orléans, östlich von Blois, in einem ausgedehnten Waldgebiet liegt das Schloss von Chambord, das prächtige, das unvergleichliche Chambord, Prunk- und Jagdresidenz Franz’ I., architektonischer Höhe- und Wendepunkt der französischen Renaissance. Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und des allerchristlichsten Königs ewiger Rivale, soll das Schloss, als er es 1539 zu Gesicht bekam, gepriesen haben als den "Inbegriff dessen, was menschliche Kunst vermag.". ...
Den Auftakt zum Oxford Handbook of European Legal History machen fünf Beiträge, die unter der Überschrift "Approaches to European Legal History: Historiography and Methods" versammelt sind. Um sie in Beziehung zu setzen, habe ich im Folgenden drei Fragenkomplexe formuliert, die die gemeinsamen Aspekte dieses Quintetts abbilden. Die Beiträge werden in der Reihenfolge ihres Auftretens im Handbuch referiert. Zur Vermeidung von Redundanzen haben die Nachgeordneten im Wiederholungsfalle der Argumente das Nachsehen und werden "nur" als Verweis genannt.
Beim Übergang von der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft hin zu den Nationalstaaten des 19. und 20. Jahrhunderts kommt der Herausbildung eines geographisch und politisch definierten Territoriums, des Territorialstaats, eine wichtige Funktion zu. Ein Zusammenschluss von Herrschaftsgebieten zu einer geographisch-politischen Einheit konnte sich in Form der Annexion des Schwächeren durch den Stärkeren vollziehen, war aber auch im gegenseitigen Einverständnis der politischen Entscheidungsträger denkbar. Im Fall einer Union unterschied man bereits sehr früh zwischen den Typen der Realunion und der Personalunion. Während in einer Realunion völkerrechtliche Vereinbarungen für beide Partner gleichermaßen galten, nahm die Personalunion einen besonderen Status ein, in der allein die Person des Herrschers die Verbindung zwischen beiden Staaten darstellte. Diese streng juristische Definition galt jedoch lediglich für die politischen Institutionen. Jenseits der staatlichen Ebenen fanden sich Formen des Transfers, die einer Personalunion einen besonderen, transnationalen Charakter verleihen konnten. Inwiefern solche Verbindungen, die unter dem Begriff des "composite statehood" zusammengefasst werden, eine gesamteuropäische Entwicklung darstellten, bleibt innerhalb der Forschung umstritten.
Im Jahr 1921 kam ein 16-jähriger, ursprünglich aus der Ölstadt Baku stammender jüdischer Reisender namens Lev Nussimbaum in Konstantinopel an. Lev wurde 1905 als Sohn eines Ölunternehmers und einer Mutter mit bolschewistischen Neigungen geboren. 1917 ergriffen Lev und sein Vater – die Mutter war um 1911 gestorben, möglicherweise durch Selbstmord – die Flucht. Ihre Reise führte über Turkmenistan und Persien zunächst in die Türkei, dann nach Frankreich, schließlich in das Deutschland der Weimarer Republik. Dort entdeckte der fast mittellose Student einen Markt für Artikel und (ab 1929) Bücher über den Orient, den er als ›echter‹ Araber bediente. »Essad Bey«, wie er sich seit etwa 1924 nannte, erlangte mit einer Fülle von Publikationen, darunter Biographien Mohammeds und Stalins, internationale Bekanntheit, bis die Machtergreifung der Nationalsozialisten seine Lage prekär machte. Denn die falsche Familiengeschichte des Konstrukts Essad Bey, dessen Vater angeblich Mohammedaner und dessen Mutter angeblich eine christliche Adelige waren, wurde nun durch missgünstige Konkurrenten genau untersucht und drohte als Fälschung entlarvt zu werden. Während Nussimbaums jüdische Ehefrau nach Amerika auswanderte und sich dort scheiden ließ, ging er selbst zunächst nach Wien, wo er 1937 als »Kurban Said« das später in Aserbeidschan als Nationaldichtung betrachtete Buch »Ali und Nino« verfasste, dann nach Italien, wo er 1941 an einer Wundinfektion starb. ...
Die leitende These des folgenden Beitrages lautet: Die Christianisierung Sachsens und dessen Einbindung in das westliche Reich der Franken im 9. Jahrhundert wurde durch die Ordnung des Raumes nach römischen Vorbildern ermöglicht, von historiographischen wie eschatologischen Deutungen begleitet und überbaut sowie schließlich dauerhaft gefestigt durch die erzwungene oder auch freiwillige Akzeptanz der geschaffenen Zustände durch die sächsischen Oberschicht, welche spätestens in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts die in der tätigen Integration liegende Chance erkannt hatte. Auf die Begrifflichkeit wird zurückzukommen sein, denn sie beschreibt gleichermaßen die Grundlage der Durchsetzung weltlicher Herrschaft in fränkischer Weise über Sachsen. ...
Die folgenden Überlegungen gelten dem Zusammenwachsen von räumlichen und rechtlichen Vorstellungen im frühmittelalterlichen Sachsen. Es soll dabei weniger um die Übertragung fränkischer Konzeptionen gehen als darum, wie die Sachsen selbst als Folge ihrer Integration in das christliche Reich eine Vorstellung entwickelten, den ihnen eigenen Raum mit einem Recht zu verbinden, das selbst Ergebnis dieser Niederlage war. Um diesen Prozess zu verfolgen, ist es nötig, auf die wichtigsten Interpretationen der Unterwerfung Sachsens durch die Historiographie des 9. Jahrhunderts zu schauen. ...
Die Erforschung der spätantik-frühmittelalterlichen Taufpraxis stützt sich in großem Maß auf schriftliche Quellen, vor allem wenn es um die im weitesten Sinne rechtshistorischen Aspekte des Themas geht. Aber die Heranziehung von Sachquellen, den "Überresten" im Sinne der geschichtswissenschaftlichen Methodik, ist ebenso wichtig für das Verständnis beispielsweise von Normen und Wirklichkeiten. Der am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte eingerichtete Forschungsschwerpunkt "Rechtsräume" versucht daher, diese beiden Quellengruppen zusammenzuführen. Insofern ist der hier vorzustellende archäologische Befund von besonderer Bedeutung, nicht nur wegen seiner unmittelbaren Nähe zum Tagungsort der in diesem Band dokumentierten Sektion des Mainzer Historikertages. Im Folgenden werden Holger Grewe, der in Ingelheim tätige Grabungsleiter, und Sebastian Ristow, der archäologische Experte für Baptisterien des ersten Jahrtausends, sowie Caspar Ehlers, der Leiter des Forschungsschwerpunktes am MPIeR, einen Aufsehen erregenden Fund aus Ingelheim, der eng mit dem Thema "Taufe" verbunden ist, vorstellen und kurz kommentieren. ...
Der Merkantilismus, ein Hauptgegenstand der älteren dogmenhistorischen Literatur, lässt sich inhaltlich nur schwer definieren. Der Begriff bezeichnet weder ein historisches Wirtschaftssystem, noch eine einheitliche zeitgenössische Wirtschaftstheorie. Es handelt sich vielmehr um ein retrospektives Konstrukt der ökonomischen Dogmengeschichtsschreibung, die ihren Ausgangspunkt in der Kritik Adam Smiths am "mercantile system" seiner Zeit fand. Merkantilismus ist zunächst eine Sammelbezeichnung für die ökonomischen Ideen und Vorstellungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Allerdings zeichnet sich das ökonomische Denken dieser Zeit durch eine außerordentliche Vielfalt und Unterschiedlichkeit aus. Auch entstanden unterscheidbare nationale "Schulen", die, selbst wiederum uneinheitlich, starken Veränderungen unterlagen. Zu Recht wurden den spezifischen nationalen Ausprägungen sogar unterschiedliche Bezeichnungen verliehen. ...
Die Welt ist im Wandel, der Globalisierungsprozess weit fortgeschritten. Inwiefern spielen dann Kolonialismus und Unterdrückung noch eine Rolle? Sind diese Zeitgeschehnisse nicht wie man so schön sagt "Geschichte"? Dieser Frage gehen der britisch-ghanaische Künstler John Akomfrah und das Black Audio Film Collective im gemeinsamen Werk "Expeditions 1 – Signs of Empire" (1983) nach. Die zweiteilige Videoarbeit zeigt mithilfe dokumentarischer Fotografien, Textfragmenten und Tonaufzeichnungen des British Empire ein Bild, welches die Potenz heutiger nationalstaatlicher Strukturen des Okzidents in der Unterdrückung und Ausbeutung kolonialisierter Länder verortet – und so den Mythos der moralischen Überlegenheit des Westens dekonstruiert. ...
Das letzte neue Medium, dem man – egal ob Gegner oder Freund – zubilligen muss, dass es unsere Welt fundamental verändert (hat), ist das Internet. Technische und historische Entwicklungen erspare ich mir an dieser Stelle und verweise auf die entsprechenden Darstellungen im – na? – im Internet. Wenn man dumme oder sagen wir vielleicht lieber peinliche Zitate übers Internet bzw. die daraus resultierenden gesellschaftlichen Debatten sucht, dann stößt man auf wirklich überraschende Stilblüten. So entblödete sich Stephan Holthoff-Pförtner, Gesellschafter der WAZ, nicht, Bloggern den Schutz des Artikels 5 GG abzusprechen. Angesichts der heutigen Bedeutung sozialer Netzwerke im Alltag lag auch BILD-Kolumnist Franz Josef Wagner im Jahr 2006 falsch, als er erklärte: "Einem Menschen wird man auf seinem Weg zum Bäcker begegnen, aber niemals im Internet." ...
Dass das Papsttum und sein jurisdiktioneller Anspruch letztlich auf dem Apostel Petrus basieren, der, wie man bei Matthäus lesen kann, der Fels ist, auf dem Christus seine Kirche errichten wollte (Matth. 16,18), ist eine bekannte Tatsache, auf die hier nicht eingegangen werden soll. Der in Rom zentrierte Rechtsraum der lateinischen Kirche stand schon bald, spätestens im 5. Jahrhundert, im Gegensatz zum sich seit dem 4. Jahrhundert konstituierenden Rechtsraum der griechischen Kirche(n) mit Antiocheia, Alexandreia, Jerusalem (ab 451) und schließlich Konstantinopel, der zweiten Hauptstadt des Römischen Reiches und ab 476 der einzigen Hauptstadt. Das kanonische Recht beider Bereiche entwickelte sich im Verlaufe der Jahrhunderte auseinander. Trotz gemeinsamer Grundlagen (der sieben bzw. acht ökumenischen Konzilien und deren Rechtssetzung) gab es Konflikte, die sich schließlich seit dem 11. Jahrhundert in einem bis heute andauernden Schisma niederschlugen. Ein steter Stein des Anstoßes (neben den anderen bekannten Differenzen – Azymen, Filioque usw.) war der römische Primatsanspruch, den man in Konstantinopel nie anerkannte und dem man etwa die sog. Pentarchietheorie entgegensetzte. Erst spät, wie hier gezeigt werden soll, um 800, setzte man in Konstantinopel Petrus seinen Bruder Andreas entgegen, den "Erstberufenen" (vgl. Joh. 1,35–42). Jedenfalls versuchte man dies, vermutlich nach römischem Vorbild. Wann genau und warum dies geschah, ist Gegenstand der folgenden Ausführungen. ...
Die von Franz Dölger entwickelte Vorstellung, dass sich die Staaten und Herrschaften im östlichen wie westlichen Mittelalter als eine "Familie der Könige" begriffen, die als ein gleichsam rechtliches Institut die politische Welt konstituierte, wird einer Kritik unterworfen. Danach hätten sich die Herrscher der Welt (nicht nur der christlichen, sondern z. B. auch die sassanidischen Perser) als eine "Familie" begriffen, mit dem (ost-)römischen Kaiser an der Spitze und abgestuft denn "Brüder", "Söhne", "Freunde" usw. Dies wird angezweifelt.
Dabei konzentriert sich die Darstellung, die sich als ein Versuch begreift, eine längst überfällige Diskussion zu initiieren, auf die spätantiken und frühmittelalterlichen Quellen, auf die sich Dölger berief. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist ein negatives: Das Konzept einer "Familie der Könige" lässt sich in den herangezogenen Quellen nicht finden. Diplomatische Formeln, die sich bis in den Alten Orient oder die hellenistischen Staaten zurückverfolgen lassen, kann man nicht als Belege für ein nach Dölger Ende des 3. Jahrhunderts entstandenes System betrachten.
In einem Schlussteil werden die Entstehungsumstände der Dölgerschen "Familie der Könige" – der relevante Aufsatz erschien im Jahre 1940 – sowie seine Haltung zum Nationalsozialismus thematisiert. Die Möglichkeit (Sicherheit ließe sich durch intensive weitergehende Forschungen erreichen), dass Dölger sein aufs Mittelalter bezogenes Konzept im Kontext seiner Involvierung in aktuelle Diskussionen über die "Ordnung" Südosteuropas (inkl. Griechenlands) in bestimmten NS-dominierten think tanks entwickelte, wird als reale Möglichkeit gesehen. Als Erkenntnisinstrument der Spätantike- und Mittelalterforschung jedenfalls fällt die "Familie der Könige" nach Ansicht des Verfassers aus.
Nicht die Entwicklung des Sakraments der Taufe während der tausendjährigen byzantinischen Geschichte gilt es hier zu erörtern; der liturgiewissenschaftliche Aspekt wird in diesen Zeilen bestenfalls einen Randaspekt darstellen. Stattdessen werde ich mich auf einige Aspekte konzentrieren (wenn auch in unterschiedlicher Intensität), die dem vorgegebenen Thema – (gesellschaftliche) Inklusion und Exklusion – entsprechen. Es soll also um ausgewählte Aspekte des Themenkomplexes "Taufe" gehen, die Relevanz für die Rechtsgeschichte, aber auch für die Gesellschaftsgeschichte in einem allgemeineren Sinne (inklusive gewisser Bezüge zur politischen Geschichte bzw. zur Missionsgeschichte) aufweisen. ...
Es gibt sogenannte "Fakten" oder "Tatsachen" der Geschichte, die sich nach intensiver Überprüfung als Fiktionen erweisen. Es gibt Vorstellungen, die jahrhundertelang als gesichertes Wissen galten und bis heute in Enzyklopädien und einschlägigen Handbüchern zu finden sind. Ihre Faktizität gilt als gesichert; man sieht sie als "wirklich bestehende Sachverhalte" an. Und doch entpuppen sich immer wieder vermeintlich gesicherte Tatsachen als fiktiv. Jedoch können solche "fiktiven Tatsachen" in verschiedenen Zusammenhängen – und sei es "nur" in der Wissenschaftsgeschichte – ein Eigenleben entwickeln. Der traditionelle Begriff der Fälschung greift hier nicht mehr. Neuerdings verbreitet sich der Begriff der "imaginären Tatsache". ...
Zu einem Aspekt der Beziehungen zwischen lateinisch-christlicher und arabisch-islamischer Welt
(2011)
Wohl kaum eine Beziehungsgeschichte zwischen Kulturräumen zieht derzeit soviel Aufmerksamkeit auf sich wie die zwischen "dem Westen" und "der islamischen Welt". Gerade hier zeigt sich, wie sehr die Periode, die wir gemeinhin als "das Mittelalter" bezeichnen, heutige Diskurse beeinflusst. Einzelphänomene dieser Beziehungsgeschichte sind ein so fester Bestandteil der heutigen Vorstellungswelt, dass sie auch das Bild dieser Beziehungen bis heute maßgeblich prägen. Dies gilt insbesondere für die arabisch-islamische Expansion, die Kreuzzüge und die so genannte "Reconquista". Sie beschwören nicht nur Bilder von religiösen Fanatikern herauf, sondern sind – gerade die Kreuzzüge – so stark im konzeptuellen Denken verankert, dass sie für einen geradezu in epische Dimensionen reichenden Antagonismus zweier Kulturen stehen, für die eine Variante des Monotheismus (Christentum/Islam) und eine das Geistesleben bestimmende Sprache (Latein/Arabisch) grundlegend sind. ...
In einer diachronen Vergleichsstudie sollen die Probleme des frühneuzeitlichen Seehandels Dänemarks und der Hansestädte gegenüber den Barbaresken beschrieben und verschiedene Lösungsmodelle wie auch die Implementierung derselben herausgearbeitet werden. Die Gefährdung der Schifffahrt auf dem vogelperspektivisch konzipierten Raum Meer mit einem nach Süden hin steigenden Risiko führte zu einer kartographischen Einteilung von Risikozonen. Die institutionelle Antwort auf diese Entwicklung kann mit den Begriffen Sklavenkasse und Türkenpässe idealtypisch zusammengefasst werden.
Colonia Actia Nicopolis : Überlegungen anläßlich der Neuedition von CIL III 7334 in CIPh I 1, 78
(2018)
Der marmorne Inschriftenstein des Decimus Furius Octavius ist (CIL III 7334 = ILS 2080) seit langem bekannt. Bei der editio princeps von 1888 handelt es sich um einen Rekonstruktionsversuch P.-F. Foucarts anhand einer fehlerhaften Abschrift des Textes durch A. Kontoleon, der die Inschrift εν ταις υπωρείαις του Παγγαίου όρους, παρά την Ηδωνίδα της Μακεδονίας (am Fuß des Pangaion-Gebirges, beim makedonischen Idonia) gefunden hat. R. Cagnat hat im Jahr darauf einige Verbesserungen vorgeschlagen. M. Dimitsas hat den Text Foucarts und größtenteils auch dessen Kommentare in sein Corpus der makedonischen Inschriften übernommen. Im CIL von 1902 hat Th. Mommsen, weiterhin ohne Autopsie oder Abklatsch, einige weitere Konjekturen vorgenommen. Die Inschrift wird hier Serres zugewiesen, ein Fehler, der sich in fast allen folgenden wissenschaftlichen Beiträgen zur Inschrift wiederfindet. Ebenso wird im CIL suggeriert, der Text könne nach Z. 16, die in allen bisherigen Publikationen die letzte war, nach unten beliebig erweitert werden. Tatsächlich ist lediglich noch für eine Zeile Platz vorhanden, bevor der etwas erhabene Rand des Inschriftenfeldes und das untere Abschlußprofil anschließen, die auch nach dem Verlust der linken unteren Ecke weiterhin zu sehen waren. A. Salač hatte den Stein im Jahr 1921 noch in situ gesehen, allerdings fehlte zu dieser Zeit schon die linke untere Ecke. Wiederentdeckt wurde er in den späten 1960er Jahren von Ch. Koukouli. ...
In der elektronischen Datenbank UBI ERAT LUPA findet sich ein bisher noch nicht wissenschaftlich publizierter Weihestein aus Bad Wimpfen am Neckar (Landkreis Heilbronn), welcher bereits im Jahre 1984 entdeckt wurde.1 Der in zwei Teile zerbrochene, aber vollständige Altar aus Sandstein (Höhe 54 cm – Breite 26 cm – Tiefe 20 cm) stammt aus einem Brunnen "nahe des Kulthauses des vicus". ...
Im inschriftlichen Gesamtbefund der Provinz Germania superior war die Nennung eines cornicen auf einer Grabinschrift bislang nicht bekannt. Dieses Bild muß nunmehr aufgrund der Identifizierung einer bereits seit längerem bekannten, stark beschädigten Sandsteininschrift aus disparater Befundlage revidiert werden. ...
Aus dem zu Wiesbaden gehörenden Mainz-Kastel/Castellum Mattiacorum stammt eine im Jahre 1849 entdeckte fragmentarische Grabinschrift, deren Lesung bis heute nicht sicher scheint, da sich in der Literatur und den elektronischen Datenbanken unterschiedliche Lesevarianten finden. Der Grabstein, eine Stele aus Sandstein mit achtzeiliger Inschrift (Höhe 188 cm – Breite 80 cm – Tiefe 26 cm), fand sich in der sogenannten Froschkaute "rechts vor dem Wiesbadener Thor". ...
Während sich die einschlägige Forschung in verdienstvoller Detailarbeit bemüht, aus antiken Quellen die Feinheiten von Helden- oder Heldinnenerzählungen herauszuarbeiten, scheint der Antikfilm das Potential zum "Spielverderber" zu besitzen. Bei Titeln wie Coriolano, eroe senza patria wirkt die Aufgabe erledigt, bevor auch nur die ersten Bilder angelaufen sind. Die einschlägigen Produktionen sind so stark über ihre Helden definiert, dass sie umgangssprachlich mit Bezeichnungen wie "Muskelmänner-Filme" belegt werden. Trotz (oder gerade wegen) der Masse an starken Figuren wie Hercules, Goliath, Maciste, Samson und Spartacus sind es die "unwahrscheinlichen" Heldinnen, deren Analyse sich als besonders aufschlussreich erweist. Kaum irgendwo wird diese Kontrastwirkung deutlicher als bei den jugendlichen Detektivinnen des Antikfilms.
Für das Verständnis der Sonderrolle bedarf es einer kurzen Zusammenfassung des medialen Kontextes. Die jugendlichen Detektivinnen selbst werden in zwei Fallstudien vorgestellt, mit denen zugleich unterschiedliche Endpunkte in einer Entwicklung von "Heldinnen der Geschichte" sichtbar werden. Der vierte und letzte Teil kehrt zu den medialen Traditionen und den etablierten Geschlechterrollen zurück und versucht das Phänomen als nur vermeintliches Paradoxon zu erklären: ein Gegensatz, der sich durch das Fehlen eines Widerparts erklärt. Der Auftakt gehört jedoch einer Geschichte voller männlicher Heldenfiguren. ...
Der Befehl des Kaisers Caligula an seine an der Nordseeküste versammelte Truppe, Muscheln zu sammeln statt zur erwarteten oder auch befürchteten Expedition nach Britannien aufzubrechen, scheint sich aufs Beste einzufügen in die zahlreichen Eskapaden, Willkürmaßnahmen und unkontrollierten Verhaltensweisen des im Frühjahr 37 n. Chr. mit kaum 25 Jahren als Nachfolger des Tiberius zur Herrschaft gelangten Kaisers.1 Die Nachricht findet sich zuerst bei dem nie um eine sensationelle Mitteilung aus dem Leben römischer Kaiser verlegenen Sueton in seiner im früheren 2. Jh. n. Chr. verfassten Biographie des C. Caesar Germanicus (Suet., Cal. 46), allenthalben bekannt als Gaius oder eben Caligula ("Soldatenstiefelchen"). Diesen Spitznamen hatten die Rheinlegionen für den als Kleinkind im Heer des Germanicus mitziehenden Sohn des Befehlshabers erdacht. ...
Für die internationale Diskussion gibt es zunächst das Problem der Wissenschaftssprachen. In Polen spricht man, soweit ich das verstehe, stets vom "Staat der Piasten", selbst frühere Herrschaftsbildungen werden "Staat" genannt. Diese Gewohnheit der polnischen Kolleginnen und Kollegen steht in auffälligem Kontrast nicht nur zu deutschsprachigen, sondern auch zu frankophonen und anglophonen Historikern. In Frankreich unterscheidet man État und état. Die Orthographie (kleines oder großes "é") markiert das Konzept. Nur État mit Majuskel E bedeutet Staat, mit "l'état Carolingien" sagt niemand "der karolingische Staat". ...
In mehreren Fragmenten der Universalgeschichte des Nikolaos von Damaskus (64-4 v. Chr.) werden Fälle von Anthropophagie thematisiert. Diese Überlieferungen gehen zwar auf ältere Quellen zurück (schließlich hat der Geschichtsschreiber sein Werk weitgehend kompiliert), allerdings wählte Nikolaos seine Vorlagen bewusst aus und setzte individuelle Akzente, sodass die Betrachtung von Erzählmotiven zu einer Erschließung der Universalgeschichte beitragen kann. Die Belege für Anthropophagie bei Nikolaos werden hier erstmals zusammengestellt und untersucht. Im Zentrum der Analyse steht die Frage nach dem diskursiven Umgang des Historikers mit dem Phänomen sowie nach der Funktion des Narrativs in seinem Werk.
Im politischen Denken der griechisch-römischen Antike sind quantifizierende Betrachtungen weitaus weniger stark vertreten als qualifizierende. Wenn sie vorkommen, dann gewöhnlich in der Weise, dass die Relation zwischen Größerem und Kleinerem in den Blick genommen wird, etwa zwischen Gemeinwesen unterschiedlicher Größe bzw. zwischen verschieden großen politisch aktiven Gruppierungen innerhalb eines Gemeinwesens oder aber dergestalt, dass Größe explizit goutiert wird, beispielsweise im Hinblick auf das Ausmaß einer bestimmten Herrschaft. Eine dezidiert kritische Auseinandersetzung mit Größe oder gar eine positive Konnotation von Kleinem begegnen dagegen weitaus seltener. ...
"... et quod hodie exemplis tuemur, inter exempla erit." Mit diesen Worten beendete der römische Historiograph Publius Cornelius Tacitus die von ihm konzipierte Version der Gallierrede aus dem Jahr 48 n. Chr., die er dem römischen Princeps Claudius in den Mund gelegt hatte. Tacitus griff hier mit den Exempla der Vorfahren ein wichtiges Argument der konservativen römischen Nobilität auf, durch das diese ihr Handeln häufig legitimierte, und ließ es seinen Claudius dafür nutzen, um die Aufnahme von gallischen Notabeln, also eine auf den ersten Blick noch nie dagewesene Neuerung, zu rechtfertigen. Dazu wählte er beispielhafte Episoden aus der römischen Geschichte, die verdeutlichten, dass die Vorfahren selbst ebenfalls Neuerungen zugelassen hatten, die sich im Nachhinein als sehr wichtig für die römischen Erfolge herausgestellt hatten. Damit widersprächen Neuerungen folglich nicht dem mos maiorum, dem für das römische Moralverständnis grundlegenden Wertekanon, sondern seien vielmehr integraler Bestandteil desselben. ...
Die Besitznahme der Oberrheinlande durch Rom – Aspekte einer Bevölkerungs- und Militärgeschichte
(2017)
Römer, Kelten und Germanen haben ihren festen Platz in der historischen Erinnerung. Dies betrifft nicht nur epochale Vorgänge und Ereignisse von weitreichender, gleichsam weltgeschichtlicher Bedeutung, sondern auch solche von begrenzter zeitlicher wie räumlicher Relevanz. Letzteres gilt auch für das Gebiet von Hoch- und Oberrhein mit einer eigenen Geschichte, die selbstverständlich ihrerseits zugleich in übergreifende historische Prozesse eingebettet ist. Im Folgenden wollen wir uns eingehender nur mit der frühen Phase der Begegnung zwischen Römern und jenen Völkerschaften befassen, die gemeinhin den Kelten bzw. den Germanen zugeordnet werden, und einige wichtige Aspekte der Bevölkerungsgeschichte der Oberrheinlande am Übergang von der Latènezeit zur römischen Epoche thematisieren. Mit dieser eng verbunden ist die römische Heeresgeschichte, der wir für die Zeit von Caesars Feldzug in Gallien bis zum Ende der iulisch-claudischen Dynastie wenigstens in einigen Grundzügen nachgehen wollen. Die unter ganz anderen historischen Bedingungen erfolgten Angriffe mit der folgenden Landnahme der Alamannen und Franken ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. blenden wir aus; dies wäre Gegenstand einer eigenen Analyse. Trotz bemerkenswerter Fortschritte der jüngeren Vergangenheit ist allerdings nicht zu übersehen, dass nach wie vor eines der Hauptprobleme der modernen Forschung zur frühen Geschichte des hier im Zentrum des Interesses stehenden Raumes im sachgerechten Verständnis des Übergangs von der protohistorischen zur römischen Epoche besteht. Jedoch scheint zumindest darin weitgehend Konsens zu bestehen, dass – wie Lars Blöck in seiner jüngst publizierten, detailreichen Dissertation zur Besiedlung des südlichen Oberrheingebietes vermerkt. – "der Übergang von der Spätlatène- zur römischen Zeit innerhalb der Besiedlungsgeschichte [---] einen tiefgreifenden Einschnitt darstellt." ...
Durch die stille Luft glitt eine Taube herab und schwebte zärtlich Aretulla dort, wo sie saß, geradewegs auf den Schoß. Ein Spiel des Zufalls konnte das nicht sein, doch sie blieb, ohne daß man sie bewachte, und weigerte sich wegzufliegen, obwohl ihr die Flucht erlaubt war. Wenn es der liebenden Schwester vergönnt ist, auf eine Besserung der Lage zu hoffen, und wenn Bitten den Herrn der Welt zu rühren vermögen, dann ist dieser Vogel vielleicht von den sardischen Küsten des Verbannten zu dir als ein Bote gekommen, und dein Bruder wird alsbald zurückkehren. ...
Nördlich von Euskirchen-Rheder (Kr. Euskirchen) im Erfttal entdeckte man im Jahre 1841 in einem römerzeitlichen Grab einen kleinen Altar (Höhe 30 cm – Breite 18 cm – Tiefe 9 cm) aus Kalkstein. Die stark abgeriebene Inschrift des Steins, die der Zeit zwischen 170 und 230 n. Chr. zugeordnet werden kann, fand Aufnahme in das CIL und wird einige Jahre später von LEHNER entsprechend den Angaben im CIL wie folgt gelesen ...
Im Jahr 1999 kamen bei Unterfangungsarbeiten vor der Fundamentmauer des Hauses Heidelbergerstrasse 6 in der südlichen Altstadt von Ladenburg vier aneinander passende Fragmente einer Inschriftentafel aus Marmor zum Vorschein. Ihre vorläufige Erstveröffentlichung erfolgte noch im gleichen Jahr durch Dr. Britta Rabold. Zur erhofften vertiefenden wissenschaftlichen Bearbeitung durch Géza Alföldy kam es leider nicht mehr. Inzwischen Gebietsreferentin für die Archäologische Denkmalpflege beim Landesamt in Karlsruhe trat B. Rabold schließlich im Frühjahr 2017 mit der Bitte an mich heran, die Ladenburger Marmortafel nochmals in Augenschein zu nehmen und eine Einschätzung abzugeben. Dem komme ich nach eingehender Autopsie hiermit gern nach. ...