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»Als Erstes ist da der Geruch von Blut und Kaffee.« Versierte Leser – und vermutlich ganze Schülergenerationen – wissen bei der Lektüre dieses ersten Satzes, dass so Wolfgang Herrndorfs Jugendroman Tschick (2010) beginnt, der inzwischen in über 60 Auflagen erschienen ist und zahlreiche Preise, darunter 2011 den Deutschen Jugendliteraturpreis, gewonnen hat. ...
Das Jahr 1914, das den Beginn des Ersten Weltkriegs markiert, spielt – vergleichbar 1789 – selbst in onomastischer Definition eine symbolträchtige Rolle. Da verwundert es nicht, dass im Umkreis des hundertjährigen Gedenkjahres 2014 nicht nur in Deutschland etliche wissenschaftliche Tagungen stattfanden und es zu einer Fülle an Publikationen kam. Der vorliegende Band ist die gedruckte Summe der internationalen Konferenz »1914/2014 – Erster Weltkrieg. Kriegskindheit und Kriegsjugend, Literatur, Erinnerungskultur«, die im September 2014 in Frankfurt am Main stattfand. Er enthält neben den Tagungsbeiträgen auch einige überarbeitete Aufsätze, die bereits anderweitig erschienen waren, was durchaus angebracht ist, da somit ein umfassenderer Zugang zu einem wichtigen Thema geschaffen wurde. ...
Mit dem vorliegenden Sammelband gedenkt die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur ihres berühmten Gründungsmitglieds und Initiators sowie langjährigen Redakteurs des Volkacher Boten Otfried Preußler. Darin versammeln die Herausgeber die Beiträge der im Frühjahr 2014 stattgefundenen Tagung, bei der besonders die intertextuellen Bezüge im Werk Preußlers im Fokus standen. Eröffnet wird der Band jedoch mit einem Überblick zu Leben und Werk von Preußler, den Günter Lange mit seinem überarbeiteten Lexikonartikel (von 2008) liefert. ...
»Welche sprachlichen Formen sollten Kinder kennen, um gewinnbringend aktuelle Kinder-und Jugendliteratur lesen und verstehen zu können?« (11) Diese Frage stellt die frühere Grund- und Hauptschullehrerin und Lehrerin für Sonderpädagogik Rita Zellerhoff an den Beginn des von ihr vorgelegten schmalen Bändchens, das in der kleinformatigen Reihe »ZOOM – Kultur und Kunst« des Peter Lang Verlages erschienen ist. ...
Beim Stichwort Biene Maja gibt es kaum jemanden, der nicht sofort ein Bild von der ›kleinen frechen Biene‹ vor Augen hätte. Man kennt den Begriff – zumindest gefühlt – seit Generationen. Nicht wenige werden parallel auch gleich den Beginn der Melodie im Ohr haben, die über Jahre im Fernsehen die namensgleiche Zeichentrickserie begleitet hat. Ja, Die Biene Maja hat sich zu einem ausgesprochen bekannten Markenzeichen entwickelt und ist damit weit bekannter als ihr Erfinder, der Schriftsteller Waldemar Bonsels. Ihm widmet Bernhard Viel seine nicht nur an Seitenzahlen umfangreiche, sondern auch zeitgeschichtlich weit umspannende Biografie. ...
Ausgehend von der 10. Wissenschaftstagung für Comicforschung versammelt Bernd DolleWeinkauff mit Geschichte im Comic 20 Beiträge, die das Thema interdisziplinär beleuchten. Die AutorInnen kommen aus Medien-, Kultur-, Literatur- und Geschichtswissenschaften. Die Beiträge sind in vier Bereiche aufgeteilt: Zuerst werden theoretische Annäherungen an Begriff und spezifische Qualitäten von Geschichtscomics vorgestellt, anschließend deren Erzählweisen. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit Comics, die Geschichte von der Antike bis ins 20. Jahrhundert thematisieren, das vierte mit Comicerzählungen über Krieg und Frieden im 20. Jahrhundert. ...
Die Autorin hat über vierzig Bücher über den Holocaust, die sich an junge Erwachsene richten, untersucht. Zusätzlich ist es ihr gelungen, durch die Einbeziehung aktueller Diskussionen über Neonazis, multikulturelle Erziehung, Rechte für Schwule und Lesben sowie über Toleranz den Bezug zur Gegenwart herzustellen. ...
Ausgangspunkt der hier vorliegenden Darstellung sind die seit den 1960er und 1970er Jahren geführten Debatten um Literatur und Sprache als Instrumente von Machtausübung und ideologischer Vereinnahmung, die durch Jacqueline Rose, The Case of Peter Pan, or, The Impossibility of Children’s Fiction (London 1984), und John Stephens, Language and Ideology in Children’s Fiction (London 1992), auch Eingang in die Kinderliteraturkritik gefunden haben. ...
The volume under review contains the published proceedings of a conference held in 2009 with the challenging title, "Merowingische Monetarmünzen und der Beginn des Mittelalters". These Merovingian "Monetarmünzen" are a distinctive group of coins of which less than 10 000 are currently known. Quite suddenly, in the late sixth century, this type of gold coinage appears, with the name of a moneyer ( monetarius ) on the obverse and the place name on the reverse (presumably, but not necessarily in all instances, the mint). Thus, over a thousand moneyers and 722 place names are recorded, many only attested once or twice. In the late 7 th c. these coins slowly give way to a system based on the silver penny/denier, no longer showing names of moneyers. Who were these moneyers? What was their relationship with the court and the kings? To what ends were those coins produced, and how were they used in daily commerce? Why are so many different mints attested? These questions have occupied scholars for several generations now. However, Jarnut and Strothmann have added a new perspective: in how far are these coinages and the associated monetary policy a continuation of late Roman practices, or do they represent something altogether different and can, therefore, be understood as an expression of a fundamentally altered society that could be termed medieval? ...
Die gesammelten Briefe des Peter von Blois waren ein außerordentlich erfolgreiches Werk, in mehr als zweihundert Handschriften bis ins 15. Jh. weit verbreitet, 1519, 1600, 1667 gedruckt und in dieser letzten Fassung Vorlage für die bis heute einzige Gesamtausgabe im 207. Band von Mignes Patrologia latina . Diesem Briefwerk verdankt Peter seinen Ruf, und trotz moderner Kritik am unvollkommen und unsystematisch gebildeten, zum Plagiat neigenden Urheber sind sie doch eine erstrangige, äußerst vielseitige Quelle für die westeuropäische Geschichte der zweiten Hälfte des 12. Jhs., bieten nicht nur Material für die Bildungs- und Kulturgeschichte, für das Studium höfischen Lebens, für die Charakteristik der Monarchie Heinrichs II., sondern reflektieren eine ganze Welt mit ihren Veränderungen in den persönlichen Erfahrungen einer ehrgeizigen, an vielen Machtzentren mit Großen der Zeit verbundenen Hochbegabung, die in ihren Erwartungen jedoch oft enttäuscht worden ist. Peter von Blois war gewiss kein origineller Kopf, aber ein großer Vermittler der Wissenschaft seiner Zeit an die Höfe der Bischöfe und an alle, die lateinischen Ausdruck auf hohem Niveau beherrschen wollten, ein intellektueller Repräsentant seiner Epoche, dem wir das beste zeitgenössische Porträt König Heinrichs II. verdanken und die kulturgeschichtlich überaus wertvolle Hofkritik (hier Nr. 49). ...
Muss man eine Geschichte der Ritterschaft bei den Germanen des Tacitus beginnen? Man muss, wenn man wie Dominique Barthélemy davon überzeugt ist, dass die gegenwärtig noch herrschende Theorie von der "Erfindung der Ritterschaft" ("l’invention de la chevalerie") um 1100 in Frankreich allzu sehr von Nationalstolz und ideologischen Interessen genährt worden sei, um als historische Wahrheit akzeptiert zu werden. ...
Der vorliegende Band vereint insgesamt 33 Beiträge von Archäologen, Historikern und Kunsthistorikern zur Geschichte kultureller Wechselbeziehungen zwischen Skandinaviern und den lokalen Gesellschaften vorwiegend in Altrussland und der Normandie in französischer und englischer Sprache. Er geht zurück auf die im Jahre 2009 in Sankt-Petersburg, Nowgorod, Staraja Russa und Caen veranstaltete Doppeltagung eines Projekts, das nicht umsonst "Deux Normandies" getauft wurde: Sein Ziel ist es, auf dem Stand aktueller methodologischer und theoretischer Erkenntnisse über kulturelle Interaktion eine vergleichende Perspektive auf zwei sehr unterschiedlich strukturierte Randzonen der viking world – die Normandie und die nordwestliche Rusʼ – und ihre Entwicklung zu eröffnen. Dabei wird auch die spätere kollektive, regionale Erinnerung an Beziehungen zu Skandinavien und damit ihre Politisierung thematisiert. Aus dieser empirischen Ausrichtung und der daraus resultierenden Vielstimmigkeit bezieht der voluminöse Band einen Großteil seines innovativen und ausgesprochen anregenden Charakters. Zudem stellt allein schon die hier versammelte Expertise zu den wikingerzeitlichen skandinavischen "Diasporen" mehr als genug Grund zur intensiven Lektüre dar. Insbesondere gilt dies für den vermittelten Überblick über die einschlägige russischsprachige Forschung der letzten Jahrzehnte; hier erfüllen die jeweiligen Aufsätze eine unverzichtbare Brückenfunktion. ...
Freundschaftsvorstellungen des Mittelalters und die politisch-soziale Bedeutung der Freundschaft sind keine "jungen" Gegenstände mehr: Schon in den 1990er Jahren unterstrich Gerd Althoff die Bedeutung der hochmittelalterlichen amicitiae, und seinen Pionierarbeiten folgten weitere Studien, die das Mittelalter räumlich und zeitlich recht breit erfassten. In dieser Forschungslandschaft müssen sich neue Beiträge entsprechend sorgfältig positionieren. ...
Das Mittelalter fordert heraus – und zwar in ganz unterschiedlicher Hinsicht: Wie der vor Kurzem verstorbene Otto Gerhard Oexle aufzeigte, sehen sich gerade die Deutschen mit einem "entzweiten Mittelalter" konfrontiert. Darüber hinaus aber, so Oexle, sei die Moderne insgesamt in ihrer Genese nicht ohne ihre ambivalenten Bezüge auf die ferne Epoche zu verstehen. Diese Tragweite der Mittelalterbezüge verdeutlicht auch das zu besprechende Werk, das im italienischen Original bereits 2011 erschien und nun in einer insgesamt gelungenen, aktualisierten französischen Übersetzung vorliegt: Denn wie Benoît Grévin in seinem Begleitwort (S. 7f.) unterstreicht, erschließen sich die politischen Implikationen, die mit den Verweisen auf das Mittelalter verbunden sind, so recht erst bei einer international ausgreifenden Betrachtung. Dass für den in Urbino mittelalterliche Geschichte lehrenden di Carpegna Falconieri italienische Beispiele eine besondere Rolle spielen, tut dem Wert seiner Studie keinen Abbruch, machten die politischen Entwicklungen auf der Halbinsel diese doch zu einem wahren Labor des "Mediävalismus", dessen Untersuchung auch wertvolle Blicke auf die Nachbarn ermöglicht (S. 8). ...
Wer dem schmalen Band, der eine Art Hinterlassenschaft des 2014 verstorbenen Jacques Le Goff darstellt, gerecht werden möchte, sollte sich zunächst über die Adressaten klar werden: Wie schon häufiger wendet sich der Altmeister der französischen Mediävistik gerade nicht an ein Fachpublikum, sondern an einen weiteren Leserkreis, dem er noch einmal seine Gedanken über ein angemessenes Verständnis von Geschichte und Epochenvorstellungen nahebringen möchte. Wer sich aus wissenschaftlicher Perspektive bereits mit der Frage nach den Konstruktionen des Mittelalters auseinandergesetzt hat oder mit den Arbeiten Le Goffs vertraut ist, erfährt hier wenig grundlegend Neues (so der Autor einleitend selbst, S. 7). Die zentralen Momente und Akteure der "Erfindung" des Mittelalters wurden (mit jüngst steigender Frequenz) bereits intensiv untersucht, und auch Le Goffs Plädoyer für ein "langes Mittelalter" (S. 115–156), das sich bis zum Vorabend der Französischen Revolution erstreckt, ist bekannt. ...
En 2008, le médiéviste Valentin Groebner réfléchissait dans un essai visant un large public sur le rôle du Moyen Âge et de l’histoire médiévale dans les sociétés contemporaines. Selon ses propres dires, cet essai intitulé »Le Moyen Âge ne finit pas«résultait d’une inquiétude devant le décalage croissant, et quelque peu paradoxal, entre l’immense popularité dont cette époque jouit auprès d’un public toujours plus nombreux – »foires médiévales«, romans et films historiques, jeux vidéo – et la marginalisation progressive des études académiques correspondantes (cf. le compte rendu critique de Ludolf Kuchenbuch dans la revue »Rechtsgeschichte – Legal History 20 (2012)«.De fait, et même si ces réflexions ne sont pas entièrement nouvelles, il semble que les publications se multiplient qui traitent de la genèse, du développement et des différents rôles de l’»histoire médiévale«, des différents »Moyen Âges«construits au cours de l’époque moderne ainsi que de la valeur de l’analyse scientifique de cette époque lointaine pour le monde contemporain. Mais faut-il y voir un signe du désarroi des médiévistes, ou plutôt celui d’un renouvellement et repositionnement des études médiévales face aux questions d’aujourd’hui? ...
L’intérêt des médiévistes pour les phénomènes d’arbitrage et de résolution des conflits n’est pas nouveau. Il n’est donc pas surprenant que le présent volume, qui réunit les contributions d’un colloque organisé en l’honneur de Hanna Vollrath, fasse explicitement référence à une »étude séminale« qui fut publiée il y a presque trente ans: il s’agit d’une étude de Vollrath sur »Le Moyen Âge dans la typologie des sociétés orales«. L’ensemble des contributions du présent volume confirme la fertilité de ce texte, qui a contribué à déclencher l’analyse des comportements rituels dans la recherche médiévistique allemande qu’elle continue visiblement à inspirer. ...
Le présent volume, issu d’un colloque à l’université de Münster en novembre 2009, se situe au carrefour de trois champs thématiques dont aucun ne constitue, en soi, un sujet dont on pourrait prétendre qu’il aurait été jusqu’alors inconnu ou négligé de la recherche scientifique: ni l’amitié, ni le don, ni même la notion de réseaux (sociaux) ne surprennent ainsi dans le contexte des études récentes sur l’histoire sociale et politique du Moyen Âge. C’est la combinaison des trois aspects qui promet l’ouverture de nouvelles pistes. En outre, comme le constate Michael Grünbart dans son introduction (p. XIII–XXV), les approches se concentrant sur les actions ritualisées, qui constituent un courant important au sein des études médiévales, sont moins présentes dans les études byzantinistes. D’où la volonté d’appliquer ces méthodes au monde byzantin dans une perspective comparatiste (p. XIV–XVI). ...
Am 23. April 1391 fand Guillemin Faguier, sergent des burgundischen Herzogs Philipp des Kühnen, einen gewaltsamen Tod: Am hellichten Tag geriet er in einen Hinterhalt und die Männer von Jean de Chalon-Arlay schlugen ihn moult inhumainement, sodass er noch am Ort verstarb. Die Schuldigen waren bald ausfindig gemacht; als unmittelbarer Täter wurde Jean Breton identifiziert, der receveur Jeans de Chalon, den man am 5. Juli desselben Jahres hängte. Dass ihn seine Angehörigen schon kurz darauf gegen die ausdrücklichen hoheitlichen Anordnungen abhängten, um ihn zu bestatten, zeigt bereits, dass es bei diesem Kriminalfall um mehr ging, als nur um einen Mord und seine Bestrafung. ...
Schillernde und problematische Gestalten stehen im Mittelpunkt dieser Publikation, mit der G. Lecuppre eine gekürzte Fassung seiner 2002 in Poitiers verteidigten Dissertation vorlegt. Die "falschen Fürsten" des Mittelalters haben schon mehrfach die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen, wenngleich aus unterschiedlichen Perspektiven: Während Tilman Struve die "falschen Friedriche" unter dem Paradigma der Fälschung anging, untersuchte Rainer C. Schwinges die "falschen Herrscher" des Spätmittelalters als Indikatoren einer durch Krisen geprägten Mentalität. Trotz solcher Einzelfallstudien fehlte bislang aber eine monographische Darstellung des Phämomens in breiterer und vergleichender Anlage. Lecuppres Arbeit befriedigt daher zweifellos ein Desiderat der Forschung. Ausgehend vom derzeit wieder stärker in den Vordergrund tretenden Problemfeld der Identität und der Identifikation, bemüht sich der Autor anhand von Beispielen des 12. bis 15. Jhs. um eine Typologie des politischen Hochstaplers und dessen Umfeld. Die Auswahl der exemplarischen Fälle konzentriert sich dabei auf Fürstenfiguren, so dass etwa die "falschen Jeanne d’Arcs" nur kurz in den Blick geraten (über das Register aber erschließbar sind). In vier Abschnitten widmet sich Lecuppre den kulturellen Parametern der Vorspiegelung falscher Herrscheridentitäten (Kap. 1–3), den Etappen und Praktiken des Verlaufs einer solchen Hochstapelei (Kap. 4–6), den gesellschaftlichen Hintergründen und den Reaktionen der in Frage gestellten Herrscher (Kap. 7–8) sowie der Verbindung der politischen Hochstapelei mit dem Phänomen des Messianismus (Kap. 9–10). Die strukturell orientierte Analyse zergliedert die jeweiligen Einzelfälle recht stark, so dass dem Leser nicht immer sofort ein eingehender Überblick gelingt: Das Exempel dient als Ansichtsmaterial für systematisierende Erwägungen. Zahlreiche Sprünge über Zeit und Raum hinweg, vom "falschen Balduin IX." in Flandern über den "falschen Waldemar II." von Brandenburg oder Giannino Baglione, den "falschen Johann I. von Frankreich", zu Perkin Warbeck, dem "falschen Richard von York" in England machen daher den Nachvollzug der einzelnen Geschichten im Detail nicht immer einfach. ...
Richtete sich das lange unter der Federführung von J.-Ph. Genet un d W. Blockmans betriebene Forschungsunternehmen zur »Entstehung des modernen Staates« vor allem auf die Epoche des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit aus, so nimmt der vorliegende Band einen strukturellen Vergleich ausgewählter Aspekte der Staatlichkeit des antiken Rom und des spätmittelalterlichen Europas in den Blick. Wie D. Nicolet in seiner Zusammenfassung treffend hervorhebt (S. 419–426, hier S. 420), wird dieser Vergleich ganz im Sinne der programmatischen Vorgaben des spiritus rector Genet (S. 3–14) vorrangig als Kontrastierung durchgeführt. Zwar verweisen einige Autoren auf mögliche Resultate einer Zusammenschau, grundsätzlich bleibt die komparative Synthese aber weitgehend dem Leser überlassen. Dieser kann sich zu ausgewählten "Strukturbereichen" – der Zeit(-wahrnehmung/-rechnung), der Raum(-ordnung), der Verwandtschaft, der (schriftlichen) Kommunikation und dem Recht – in jeweils gedrängten Synthesen und zuweilen auch in Fallstudien informieren. ...
Es ist so eine Sache mit der Gattung der "gesammelten Aufsätze": Sie bieten in praktischer Form thematisch zusammenhängende Beiträge eines Autors, die über einen längeren Zeitraum entstanden und an unterschiedlichen Orten publiziert wurden. Im günstigsten Fall entfalten die Texte durch den unmittelbaren Dialog ein neues Panorama, das die Genese und Ausarbeitung eines Forschungsbereichs widerspiegelt. Stets besteht aber auch die Gefahr, Texte neu zirkulieren zu lassen, deren fruchtbarste Zeit doch in der Vergangenheit liegt. Die Lektüre eines solchen Bandes ist daher nicht nur mit der (Wieder-)Entdeckung alter und neuer Perspektiven und Materialien verbunden, sondern fordert zugleich zur Reflexion über die Gattung selbst auf. Das gilt umso mehr in einer Zeit, in der die Möglichkeit zur Erstellung "virtueller Dossiers" bestünde, die nicht notwendigerweise als gedrucktes Buch vorliegen müssen. ...
Fragen nach der Schrift und ihrem Gebrauch zählen zu den "Dauerbrennern" der mediävistischen Forschung: Mehrere Sonderforschungsbereiche widmeten und widmen sich dem Thema, auch wenn sie den Zugang aus unterschiedlichen Richtungen suchen. In der Vielzahl der hier produzierten Studien positioniert sich der anzuzeigende Band durch den Fokus auf Phänomene des Rechts, sowie vor allem durch den im Titel stehenden Begriff der "Performanz". Fasst man letzteren als Verweis auf den handlungsbezogenen Charakter des Agierens – hier also bei rechtsbezogenen Praktiken –, so ist eine wertvolle Ergänzung zu den etablierten Forschungen über "rituelles Handeln" zu erhoffen. Schon M. Mosterts Einleitung (S. 1–10) relativiert allerdings allzu überzogene Erwartungen: Zwar problematisiert der Autor nicht nur die Begriffe "legal" und "law", deren reflektierte Anwendung auf vormoderne Verhältnisse er fordert, sondern auch jenen der "performance". Die Differenz zum Ritualbegriff markieren aber lediglich knappe Verweise auf die "performativen Sprechakte" nach Austin und auf den "Spielcharakter" (im Sinne Huizingas) rechtlichen Handelns in der Vormoderne (S. 6–9). ...
So verlockend der Begriff der Grenze angesichts der Aufmerksamkeit sein mag, die er in mediävistischen Publikationen der letzten beiden Jahrzehnte genießt, als Kernvokabel des vorliegenden Bandes darf man ihn nicht allzu stark beim Wort nehmen: Zwar blicken die versammelten 18 Beiträge aus dem Zeitraum von 1919 bis 1993 immer wieder auf Phänomene, die stark durch die Verortung in geographischen und kulturellen Grenzsituationen geprägt sind. Als eigentliches Thema wird aber – der Ausrichtung der ganzen Reihe entsprechend, die auf ambitionierte 14 Bände angelegt ist – die "(latein-)europäische Expansion" zwischen 1000 und 1500 bestimmt, welche die Herausgeber als Vorstufe der modernen Globalisierung ausweisen (S. XII). Eingangs avanciert gleichwohl Frederick Turner mit seiner berühmten "frontier"-These zur Leitfigur, und seine Auftritte ähneln durchaus der Charakteristik, die Robert I. Burns in seiner prägnanten Zusammenfassung der aragonesischen Verhältnisse des 13. Jahrhunderts einleitend präsentiert: "... a kind of vampire, killed on many a day with a stake through his Thesis, yet ever undead and stalking abroad" (S. 53). ...
Philipp der Schöne drohte stets ein wenig unterzugehen zwischen dem Glanz seiner burgundischen Vorgänger von Philipp dem Kühnen bis Karl dem Kühnen, den Memorialleistungen seines Vaters Maximilian, des "letzten Ritters", und dem weltumspannenden Ausgreifen Kaiser Karls V. In den letzten Jahren aber wurde er zunehmend aus diesem Schattendasein befreit: Bereits 2003 erschien eine magistrale Biographie aus der Feder J.-M. Cauchies’, 2006 bot Philipps 500. Todestag den Anlass zu einer Ausstellung der Königlichen Bibliothek in Brüssel. Begleitet wurde dieses Projekt von dem hier vorzustellenden Katalogband, wobei der Rezensent die Ausstellung selbst bedauerlicherweise nicht besuchen konnte. ...
Dass die Rache kalt zu genießen sei, gehört zu den in ganz Europa verbreiteten Spruchweisheiten. Angesichts dieser Gleichförmigkeit hält der vorl. Band einige Überraschungen bereit, da er nicht nur Divergenzen in der diachronen Entwicklung der Rachepraxis von der Spätantike bis zum Ende des Hochmittelalters vorführt, sondern auch national unterschiedliche Ausprägungen. Während etwa Stephen D. White in seinem Beitrag zum »Imaginaire faidal« in ausgewählten »Chansons de Geste« (S. 175–198) und Bruno Lemesle für den »Comte d’Anjou face aux rébellions« (S. 199–236) die Bedeutung der Fehde als Mittel adliger Politik in einem feudal zersplitterten Frankreich aufzeigen, ist andernorts Gegenläufiges zu beobachten. So kann John Hudson (S. 341–382) darauf hinweisen, dass sich im normannisch beherrschten England Konflikte aufgrund der Durchsetzungsfähigkeit des Königtums üblicherweise in einem weniger gewalttätigen Rahmen abspielten (S. 375–377). ...
"Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird." Der berüchtigte Aphorismus sollte Historikerinnen und Historiker nicht von der Beschäftigung mit "Monstern" und dem "Monströsen" abhalten, versprechen diese doch zahlreiche Einsichten. Auch wenn nicht jeder gleich eine eigene Disziplin der "Monster Studies" anstreben wird, wie Mittman es in seiner programmatischen Einleitung mit Augenzwinkern formuliert (S. 1f.), eröffnet ein teratologischer Blick der kulturhistorischen Analyse originelle und weiterführende Perspektiven auf normative Diskurse und Selbstzuschreibungen. Monster mögen aus modern-rationalistischer Sicht nicht zuletzt als Wesen erscheinen, die ein lediglich imaginiertes Dasein führen (so ein Vorschlag für einen "Minimalkonsens", mit dem Dendle sein Fazit enden lässt, S. 448), aber dies macht sie doch keineswegs zu rein imaginären Wesen. Vielmehr spiegeln sie in subversiver Unterwanderung die Bruchstellen und Probleme, die jeder Komplex identitärer Selbstzuschreibungen angesichts systemisch nicht integrierbarer Kontingenzen aufweist.
Die Suche nach dem Selbst und nach der Wahrheit – ein solcher Titel weckt zweifellos hohe Erwartungen, spricht doch diese Frage in jüngster Zeit nicht nur esoterisch ausgerichtete Geister an. Vielmehr spielt sie im Rahmen aktueller Arbeiten zur Konstruktion und Wahrnehmung von Individualität sowie zur "Produktion von Wahrheit" durch Praktiken der Befragung oder der Verschriftlichung des Rechts eine zentrale Rolle. So ist den Herausgebern des vorl. Bandes zuzustimmen, wenn sie das Prozessverfahren der Inquisition oder die Aufnahme von Aussagen zu Besitz- und Lehnsverhältnissen nicht nur mit Blick auf die hierbei produzierten Informationen selbst analysieren möchten. Vielmehr unterstreichen sie die Fruchtbarkeit der Prozesssituation und ihres Umfelds für die Untersuchung der sich hier manifestierenden Machtverhältnisse, aber auch der sozialen Verflechtungen. Beide Aspekte spiegeln sich in den Techniken der Befragung, in der Zuweisung von (oder Forderung nach) Rederaum und in der schriftlichen Aufzeichnung der mündlich und performativ produzierten Äußerungen. Alleine, und soviel sei vorweggenommen, die in den bilanzierenden Einleitungen von Verdon (S. 9–16, 77–82) und Faggion (S. 17–26, 83–97) angedeuteten möglichen Wege der Forschung werden von den Beiträgen des Bandes leider nur auf Teilstücken begangen. ...
L’ouvrage à présenter réunit les contributions de la dernière d’une série de conférences organisées par le Max-Planck-Institut für Geschichte en collaboration avec la Mission historique en Allemagne, le British Council et la Polska Misja Historyczna. Il conclut un tour d’horizon sur la question de »La mémoire culturelle des sciences [historiques] à l’époque moderne« qui restera, malheureusement, à jamais incomplet sous forme de livre, les actes de la deuxième conférence »Justice, pouvoir et violence au Moyen Âge« n’ayant pas été publiés. Mais on ne regrettera pas seulement l’absence du deuxième volet dans ce triptyque: avec la fermeture en 2006 du seul Max-Planck-Institut consacré à l’histoire générale, une coopération fertile entre les instituts historiques de plusieurs nations touche désormais à sa fin. Ceci est d’autant plus regrettable que la communauté internationale des historiens, et en particulier des médiévistes, à Göttingen avait su créer un lieu de contacts et d’échanges fertiles. ...
Das Leben und Wirken des Burgunderherzogs Karls des Kühnen ist zwar gut erforscht. Dennoch bot es sich an, im Rahmen der unter anderem in Bern gezeigten Ausstellung im Frühjahr 2008 eine begleitende wissenschaftliche Tagung zu organisieren. Der hier zu besprechende Band vereinigt nun die Tagungsbeiträge ausgewiesener Spezialistinnen und Spezialisten auf gelungene Art und Weise und in ansprechender Form. ...
L’introduction de cet ouvrage rappelle que l’un des critères plus ou moins explicites de différenciation entre la modernité et ce qui la précède et entre la démocratie et les formes traditionnelles d’exercice du pouvoir est précisément la place tenue par les rites, cérémonies et autres gestes significatifs par eux-mêmes. La cérémonie serait par essence plutôt surannée, vue d’une manière péjorative. Le Centre d’études médiévales de Berne (Berner Mittelalter Zentrum/BMZ) a rassemblé plusieurs chercheurs, dans les années 2005–2006, autour de ce thème. Les organisateurs présentent en introduction une riche problématique dans laquelle ils rappellent tout ce qu’ils doivent spécialement à Gerd Althoff et à Jean-Claude Schmitt. On signalera en particulier l’attention portée à l’histoire de l’art et à l’histoire religieuse dans un souci de cohérence globale. Les contributions viennent de spécialistes de différents domaines et sont regroupées sous différentes sections: »Méthodologie«, »Liturgie«, »Droit«, »Politique« et, enfin, une réflexion conclusive à partir de données linguistiques. ...
Avec le présent fascicule, le Mittelalterzentrum (Centre d’études médiévales) de la Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) inaugure une nouvelle série: une fois par an, le centre organisera une conférence publique qui sera ensuite publiée sous ce format. Dans la préface, Michael Borgolte, porte-parole du Mittelalterzentrum, indique que le centre a choisi ce format afin de mettre en relief la contribution des disciplines médiévistes au travail de la BBAW, mais aussi afin de promouvoir la réflexion des disciplines concernées sur leur propre position et d’animer le dialogue et les contacts interdisciplinaires. Bref, il s’agit de montrer, entre autres, l’actualité des recherches médiévistes – et le choix du premier conférencier n’aurait pu être meilleur: Otto Gerhard Oexle, ancien directeur du Max-Planck-Institut für Geschichte à Göttingen, réfléchit et écrit depuis longtemps sur le travail des historiens et ses implications théoriques, mais aussi sur le rôle social de l’histoire en général dans les sociétés contemporaines. Il met tout particulièrement l’accent sur le rôle constitutif que jouent le Moyen Âge et les images que nous nous en faisons pour la mise en place de la »modernité«.
Nicht das Phänomen ist außergewöhnlich, das Thévénaz Modestin in ihrer Studie detailliert analysiert, sondern vielmehr die Tatsache, dass sie es trotz mancher Verluste im Original aufgrund einer glücklichen Quellenlage so präzise nachvollziehen kann: Es handelt sich um die Vereinigung der beiden Teile einer Doppelstadt, hier der bischöflichen Cité und der bürgerlichen Ville inférieure , die in Lausanne bis 1481 zwei in ihrer Verfassung getrennte Gemeinschaften bildeten. Doppelstädte dieser Art, die sich häufig durch die Gründung einer Neustadt neben einer bereits vorhandenen Anlage bildeten, sind weithin bekannt. Nur zu häufig wird man aber die Umstände der Vereinigung, die nach unterschiedlicher Dauer der Koexistenz und zum Teil auch Rivalität durchgeführt werden konnte, lediglich summarisch erhellen können, so dass mancher Aspekt der Prozesse im Dunkeln bleibt, die mit der Zusammenlegung zweier Rechtseinheiten verbunden waren. ...
Trotz des enggefassten Titels bietet die vorl. Arbeit mehr als nur eine Untersuchung der angesprochenen "Waldenserprozesse", die in den Jahren 1459–60 die Einwohner von Arras und über die Stadt hinaus auch die umgebenden Territorien erschütterten. In einem breiten Panorama versucht der Autor eine Neudeutung der Häretiker- und Hexenprozesse, die über eine rein ideologiekritische Analyse materieller Interessen der Verfolger hinausgeht. In drei großen Abschnitten zum "Trugbild der Verfolgung", zum "Weg der burgundischen Herzöge zur Souveränität" und zur "Logik der Inquisition" werden Ablauf und Umfeld der Prozesse entwickelt, in denen 34 Personen verschiedenster sozialer Situierung eines Paktes mit dem Teufel beschuldigt und als Ketzer verurteilt wurden. Von besonderem Interesse mag hier die über weite Gebiete ausgreifende Entwicklung des Imaginaire eines "Hexensabbats" sein, welche den behandelten artesischen Raum mit den Randgebieten Savoyens verbindet, wo ebenfalls die Figur des magischen Flugs auf einem Stock und des Bündnisses mit dem Teufel früh präsent wird. Grundlage der Ausführungen zu Arras sind u. a. der jüngst neu edierte "Waldensertraktat" des Johannes Tinctorius sowie die bereits von Hansen publizierte Recollectio casus, status et condicionis Valdensium eines anonymen Autors, der Mitglied des Inquisitionstribunals war und vielleicht mit Jacques du Bois identifiziert werden kann, dem Dekan des Domkapitels von Arras. Wie aber lässt sich die frenetische Verfolgung von randständigen Personen ebenso wie von städtischen Honoratioren erklären, die der Stadt als ganzer massive Nachteile brachte, da die unsichere Situation ihren Ruf soweit schädigte, dass auswärtige Händler den Kontakt vermieden? Folgt man Mercier, so stand mehr im Hintergrund als eine spontane Aufwallung religiösen Fanatismus’ oder der Versuch, sich einzelner Personen unter einem unangreifbaren Vorwand zu entledigen. Detailliert geht er dem Prozessverlauf nach (soweit dies angesichts der großen Brandverluste des lokalen Archivs möglich ist), über weite Passagen anhand der chronikalischen Überlieferung Jacques du Clercqs. Diese Quelle zeigt in Verbindung mit der anonymen Recollectio den Weg zu einem geradezu entgrenzten juristischen Verfahren auf, in dessen Verlauf das Wort der Angeklagten immer mehr an Zeugniswert verlor und lediglich das gesuchte Eingeständnis der dämonischen Verbindung als vollwertige und wahrheitsgemäße Aussage akzeptiert wurde. Wenn hier die üblichen Schranken und Vorsichtsmaßnahmen beim Einsatz der Folter fallen, so ist dies in erster Linie mit dem Stellenwert zu erklären, den die Vorstellung der Majestätsbeleidigung, der "lèse-majesté", erhält. ...
In ihrer klar und konsequent gegliederten Studie nimmt sich Th. Brero des zeremoniellen Ablaufs fürstlicher Tauffeiern am herzoglichen Hof von Savoyen im 15. und 16. Jh. an. Sie kann damit zum Versuch beitragen, eine Lücke in der existierenden Forschungsliteratur zu schließen, deren Existenz erstaunen muss, angesichts des regen Interesses, das den rituellen und zeremoniellen Aspekten der spätmittelalterlichen Adelskultur in den letzten Jahren entgegengebracht wird. Trotz der im Titel anklingenden vergleichenden Perspektive, die in allen Teilkapiteln immer wieder aufscheint, bilden das eigentliche Zentrum der Studie die Feierlichkeiten zu den Taufen Adrians, Emmanuel-Philiberts und Charles-Emmanuels I. von Savoyen in den Jahren 1522, 1528 und 1567. Die hierzu vorliegenden Texte, vor allem die von Antonino Dal Pozzo stammende Beschreibung der Taufe Adrians ( Adrianeo ), deren erstes Buch die Autorin im Anhang mitsamt einer Übersetzung in das moderne Französisch wiedergibt, sowie die Beschreibung der Taufe Emmanuel-Philiberts durch den Herold "Bonnes Nouvelles", die ebenfalls im Anhang ediert ist, bieten eine außergewöhnliche Basis: von keiner der früheren Taufen im savoyischen Umfeld sind derart reichhaltige Berichte überliefert, im deutschen Raum scheinen entsprechende Beispiele gänzlich zu fehlen. Auf dieser Grundlage und unter Beiziehung weiterer Texte aus dem französischen, burgundischen und englischen Milieu, unter denen die "Honneurs de la Cour" Éléonores von Poitiers, einer Hofdame der burgundischen Herzogin Isabella von Portugal, die prominenteste Stellung einnehmen, verfolgt Brero detailliert die einzelnen Etappen und Aspekte fürstlicher Tauffeiern. Ausgehend von den Umständen der Geburt und deren ritueller Rahmung, greift sie die Frage der Einrichtung des Zimmers der Mutter und des Kindes auf, der materiellen Vorbereitung der Taufprozessionen, der Anlage und Teilnehmerschaft der Prozessionen selbst, des Taufrituals sowie der abschließenden Feierlichkeiten. Abgerundet wird der sorgfältig ausgearbeitete Band von den erwähnten Texteditionen, einigen analytischen Tafeln zu den untersuchten Prozessionen und einem ausführlichen biographischen Katalog der erwähnten Personen, der vor allem einem in der savoyischen Geschichte weniger bewanderten Publikum den Zugang zur Thematik erleichtern dürfte. Ein Personen- und Ortsregister schließt den Band ab. ...
À la différence du milieu universitaire français, l’existence d’une véritable »culture des manuels« dans les sciences historiques en Allemagne constitue un phénomène tout récent. Certes, il existe depuis longtemps des ouvrages fondamentaux qu’on utilise parfois depuis plusieurs générations d’étudiants. Or, la plupart de ces manuels au sens strict du terme visent avant tout la transmission des méthodes et de la théorie du travail d’historien avec un fort accent sur les »sciences auxiliaires«. En ce qui concerne les grands traits de l’époque médiévale, les étudiants furent longtemps obligés de consulter des ouvrages spécialisés qui étaient grosso modo les mêmes qu’utilisaient les chercheurs dans leur travail quotidien: le célèbre »Gebhardt« qui servait de catalogue de faits et de dates en histoire allemande, le »Handbuch der europäischen Geschichte« de Schieder ou bien les volumes sur l’histoire de certaines dynasties, parus chez Kohlhammer. S’ajoutent à ces ouvrages la série »Oldenbourg Grundriss der Geschichte« qui vise avant tout un public d’étudiants mais qui contient des bibliographies également fort utiles pour les chercheurs, ainsi que l’»Enzyklopädie deutscher Geschichte« qui paraît aussi chez Oldenbourg depuis la fin des années 1980 et dont les volumes (l’éditeur en envisage 100) se concentrent sur des sujets choisis de l’histoire allemande. ...
Treffen im Titel eines Sammelbandes zwei Worte aufeinander, die auf einigermaßen aktuelle kulturwissenschaftliche "Turns" verweisen, im vorliegenden Fall auf den "Iconic" und den "Performative Turn", so liegt der Verdacht nahe, dass hier entweder alter Wein in neue Schläuche verpackt wird oder dass modische Schlagworte inhaltliche Leere verdecken sollen. Beide Befürchtungen erweisen sich im vorliegenden Band glücklicherweise als unbegründet. Stattdessen zeigt sich deutlich, wie gerade das Konzept der Performanz zu einem neuen Verständnis der Rolle von Bildern und ihrer Wirksamkeit im hoch- und spätmittelalterlichen lateinischen Europa beitragen kann. Um diesen zeitlichen und räumlichen Schwerpunkt herum, der sich aus der Zusammenarbeit der Brüsseler Groupe de recherche en histoire médiéval (GRHM) und der Pariser Groupe d’anthropologie historique de l’Occident médiéval (GAHOM) ergibt, versammeln sich Beiträge, die zudem auch die (christliche) Antike, Byzanz, die Frühe Neuzeit und sogar das 20. und 21. Jahrhundert in den Blick nehmen. ...
Krieg und physische Gewalt sind seit jeher präsente Themen der Frühmittelalterforschung, trotz gewisser konjunktureller Schwankungen. Über die letzten Jahre lässt sich eine intensivere Auseinandersetzung mit diesem Bereich beobachten, wohl ein Reflex auf aktuelle Ereignisse und die von ihnen ausgelösten wissenschaftlichen Debatten in stärker gegenwartsorientierten Disziplinen. Gerade in der deutschen Mittelalterforschung wird dabei eine Hinwendung zu einer "Kulturgeschichte des Krieges" (Hans-Henning Kortüm) vollzogen, was einerseits in den Schwierigkeiten begründet liegt, auf Basis des größtenteils sehr fragmentarischen Quellenmaterials "klassische" Militärgeschichte für das Frühmittelalter zu schreiben, andererseits aber auch Entwicklungen in den Kulturwissenschaften aufnimmt und den pazifistischen Grundtenor der deutschen Nachkriegsgesellschaft spiegelt. In diesen Kontext gehört das zu besprechende Buch von Laury Sarti, das auf ihrer 2012 bei Hans-Werner Goetz in Hamburg eingereichten Dissertation beruht. ...
Der hier zu besprechende Sammelband ist aus einer mehrtägigen Konferenz im Oktober 2008 in Paris und Auxerre hervorgegangen und vereinigt Beiträge in französischer, englischer und deutscher Sprache. Legt man freilich das Programm jener journées d’étude neben das Inhaltsverzeichnis der Publikation, zeigen sich besonders deutlich die Unwägbarkeiten auf dem Weg von der Tagung zur Drucklegung, denen letztlich kein Herausgeber entgehen kann. Mehr als die Hälfte der elf Tagungsbeiträge finden sich nicht in dem Band publiziert, unter anderem derjenige der Mitorganisatorin der Veranstaltung, Marianne Besseyre, zur Frage karolingischer Buchreliquien am Beispiel des Sakramentars Karls des Kahlen (Paris BNF, Ms. lat. 1141); drei Beiträge (von Herbert L. Kessler, David Ganz und Andrea Stieldorf) sind neu hinzugekommen, und der Herausgeber selbst, Philippe Cordez, schrieb nicht über das Thema seines Vortrags zu Karl dem Großen und den Passionsreliquien, sondern stellte allgemeine Überlegungen zu einem catalogue raisonné der mittelalterlichen Objekte an, die mit Karl dem Großen verknüpft wurden. Titel und konzeptionelle Ausrichtung von Tagung und Sammelband sind allerdings gleich. ...
Wohl kaum ein(e) Mittelalterhistoriker(in) kann umhin, bei der Lektüre des folgenden Satzes die Augen zu verdrehen: "Für alle, ob jung oder alt, gehören die Burgen zum 'schönen' Mittelalter" (S. 36). Eine solche Reaktion erklärt sich aus der Situation, in der wir Mittelalterhistoriker oft stecken: Kommentare wie, "Ich war vor kurzem auf einem Mittelaltermarkt/einer Burg. Das müsste Dich doch interessieren …" gehören wohl zum nichtwissenschaftlichen Alltag jedes Mitglieds unserer Spezies. Das ganze Studium über wurde man von Juristen, Politologen, Zeitgeschichtlern etc. belächelt, die dachten, sie würden die Welt verstehen, weil sie sich etwas intensiver mit den bundesrepublikanischen Gründervätern auseinandergesetzt hatten, einige UN-Abkürzungen mehr konnten und tatsächlich glaubten, mit der pax americana habe die erste Hegemonialmacht das Licht der Welt erblickt. Gerade als Mittelalterhistoriker(in) fällt einem immer wieder auf, wie viele Leute denken, sie hätten Verständnis für das Funktionieren menschlicher Gesellschaften, nur weil sie sich einen oberflächlichen historischen Überblick über das 20. Jahrhundert angeeignet haben. Nur selten sehen solche Leute, dass die Mittelalterwissenschaften – über Burgen und Ritter hinaus – massenhaft Themen zu bieten haben, ohne die unsere heutige Welt nicht verständlich wäre. Auf diesem Hintergrund erklärt sich die oben beschriebene, vorschnelle Reaktion auf Jacques Le Goffs Einführung ins Mittelalter für Kinder, die mit Rittern, edlen Frauen, Burgen, Kathedralen, Kaisern, Päpsten, Königen etc. aufwartet, dem klassischsten aller Mittelalterbilder. Denn gerade dieses Bild ist es, dass Nichtspezialisten über diese ach so archaische und primitive Zeit lächeln lässt, in der man ja tatsächlich noch auf Eseln oder Pferden ritt, noch religiös war und außerdem noch Hungersnöte kannte. Man sieht ja täglich in den Nachrichten, wie wunderbar wir die Probleme der Menschheit – viele schon im Mittelalter bekannt – in den Griff bekommen, wie weit wir uns von unseren "archaischen Wurzeln" entfernt haben …
Der vorliegende Band zu "Frontier Catalonia" liefert einen Beitrag zu Grenzen, Grenzräumen und Grenzphänomenen auf der Iberischen Halbinsel. Letztere wurden 1988 mit spezifischem Bezug auf die islamische Welt in einer Ausgabe der "Revue du monde musulman et de la Méditerranée" thematisiert. Ausgiebige Untersuchung mit Bezug auf verschiedene iberische Regionen erfuhr dieses Thema in mehreren Studien von Philippe Sénac, Pascal Buresi und Stéphane Boissellier. Letztlich spielt es auch im kürzlich erschienenen Sammelband "Christlicher Norden – Muslimischer Süden" eine gewichtige Rolle, so in mehreren Aufsätzen zur "Liminalität" bestimmter Akteure, aber auch zur Mobilität von Texten und künstlerischen Ausdrucksformen, der Darstellung "des Anderen" oder auch gezielter Expansionsbemühungen von christlicher Seite. ...
Mit "Europe Through Arab Eyes" hat Nabil Matar ein Buch vorgelegt, das nicht nur jeden Maghreb-Spezialisten, sondern auch jeden Westeuropahistoriker der so genannten "Frühen Neuzeit" faszinieren muss. Trotz des weiter gefassten Titels, der eine Beschäftigung mit der gesamten (ja nicht nur islamischen!) arabischen Welt suggeriert, befasst sich diese übersetzte Quellensammlung, die von einem ausführlichen Kommentar von immerhin 138 Seiten eingeführt wird, "nur" mit der Wahrnehmung Westeuropas durch maghrebinische Autoren des 16. bis 18. Jahrhunderts. Für Maghreb-Spezialisten bietet das Werk einen tiefen Einblick in die Konstruktion vielfältiger maghrebinischer Identitäten angesichts der intellektuellen und praktischen Auseinandersetzung mit Europa. Europahistorikern wiederum bietet der Band eine faszinierende Außenperspektive nicht nur auf wichtige Ereignisse der europäischen Geschichte (Niederlage der Armada, Vertreibung der Moriscos), sondern auch auf die europäischen, insbesondere britischen und französischen Beziehungen zum Maghreb dieser Periode (Botschafter in London, europäische Angriffe auf die nordafrikanische Küste), ebenso aber auch der Lebensverhältnisse in europäischen Städten (London, Pisa, Florenz, Neapel) etc. Chronologische Hilfsmittel in Form einer Liste wichtiger Daten und Herrscherdynastien sowie ein Register erleichtern den Umgang mit dem Werk. ...
Dieses Überblickswerk über die Geschichte der von Kampers ausdrücklich als Wisigoten bezeichneten Westgoten ist in einen historisch-erzählenden Teil (I–IV) sowie eine strukturelle Analyse des Reiches von Toledo (V) unterteilt, dem Kampers u. a. deswegen besondere Aufmerksamkeit widmet, weil es "im Standardwerk über die Goten von Herwig Wolfram nicht mehr behandelt wird" (S. 15). ...
Mit diesem umfangreichen Werk zur Rolle der bäuerlichen Gesellschaft im Gesellschaftssystem der fränkischen Welt des 6. bis 9. Jahrhunderts ist nicht nur der Versuch gemacht worden, Quellenstellen zu kompilieren, systematisieren und analysieren, sondern eine anthropologisch begründete "vision totale" des Themas zu liefern. Dabei geht es dem Autor darum, das karolingische Gesellschaftssystem in seiner Gesamtheit (S. 9.) unter besonderer Berücksichtigung der Perspektive der bäuerlichen Welt zu behandeln (S. 14). Die Studie umfasst drei große Teile ...
Cette somme (722 pages!) est une double synthèse sur une double recherche, celle d’une source et celle d’une institution: les comptes de fabrique médiévaux. L’auteur prend bien soin, à bon droit, de ne pas dissocier son objet: il n’est point de fabrique sans comptes ni de comptes sans fabrique dans la paroisse médiévale. L’étude érige dès lors la fabrique en observatoire de trois phénomènes à la fois financiers, institutionnels, sociaux et spatiaux: l’administration même de l’église par la fabrique, son insertion dans le tissu et la société de la ville, les relations sociales et culturelles de ses membres non seulement entre eux mais aussi avec les autres communautés et regroupements de la cité. L’analyse progresse par cercle concentrique en partant d’abord de la source, constituée non en produit de l’activité des médiévaux ou en simple matériau pour les médiévistes, mais en témoin et facteur d’une construction sociale et culturelle; pour rejoindre le cercle des personnes de la fabrique en passant par son organisation d’abord, ses œuvres ensuite (tant monumentales que sacramentelles) et ses finances enfin. ...
Agincourt/Azincourt 1415 – und 600 Jahre später eine neue Schlacht, diesmal der Publikationen, Tagungen und Veranstaltungen bis zur Nachstellung des Kampfs am Ort wie auch mit Playmobil-Figuren, ja bis zum Poesiewettbewerb und Rollstuhlfechten unter der Ägide eines "Agincourt 600 Comittee". Aus solch überbordender Fülle ragt der vorliegende Band indes heraus: kein Jubiläumsschnellschuss, sondern eine parallel zur Londoner Ausstellung "The Battle of Agincourt" mit Sorgfalt und Bedacht erstellte Sammlung von Beiträgen aus der Feder von Kennern der Materie unter drei Leitthemen "The Road to War – The Battle – Aftermath and Legacy". Was aber schon vor der Lektüre auf den ersten Blick besticht, ist die durchgängig farbige, z. T. großformatige Bebilderung in vorzüglicher Qualität und deren nicht minder vorzügliche Kommentierung; angesichts dessen und einer bis ins Layout ansprechenden Aufmachung hat der Preis des Bands fast als günstig zu gelten. ...
Der Titel lässt eine Behandlung von Streitschriften und anderen Zeugnissen aus der Zeit des großen abendländischen Schismas erwarten, mit denen sich Vertreter der zwei bzw. drei Obödienzen positionierten und einander bekämpften. Doch vor die Quellen hat die Verfasserin die Theorie gesetzt: Ohne Habermas, Bourdieu und Foucault kein Jean Gerson, Simon de Cramaud oder Nicolas Eymerich. Man wähnt sich anfangs weniger in der Welt der Pariser Universität und der avignonesischen Kurie um 1400 als im soziologischen und literaturtheoretischen Oberseminar (die klassische Ideengeschichte wird kurzerhand als "très périmée" beiseite geschoben [S. 13]) und fürchtet, zumindest als nicht eben theorieversessener Historiker, schon den anstehenden Marsch durch entsprechende Textwüsten, zumal die Autorin expressis verbis einen anderen Ansatz als Hélène Millet vertritt, die sich mit ihren – am Dictum Lucien Febvres "Et l’homme dans tout cela?" orientierten – biografischen und prosopografischen Arbeiten um die Erforschung des Schismas bekanntlich sehr verdient gemacht hat: "Hélène Millet aime cerner les hommes du temps, quand j’aime scruter les textes" (S. 16). ...
Selten dürfte es einem Gelehrten vergönnt sein, die Summe seiner über 50 Jahre währenden Tätigkeit in zwei Alterswerken ziehen zu können, wie es bei Philippe Contamine der Fall ist mit dem wesentlich von ihm gestalteten "Dictionnaire de Jeanne d’Arc" und der nunmehr vorliegenden Biografie Karls VII. Diese beiden Persönlichkeiten markieren Schwerpunkte in einem staunenswerte Kontinuität, Intensität und Konsequenz zeigenden Œuvre, in dem nicht nur, so doch immer wieder die Geschichte Frankreichs im 14. und vor allem 15.Jahrhundert im Zentrum steht. Der Verfasser pflegt eine politisch akzentuierte Geschichtsschreibung, die sich abseits aller Moden und Theoriedebatten grundsätzlich der Quellenerschließung und -interpretation verpflichtet weiß. Geschrieben wurde auch der hier anzuzeigende Band stets entlang den oft in Auszügen zitierten und im Fall von Traktaten eines Alain Chartier oder Jean Juvénal des Ursins gar eigene Unterkapitel ausfüllenden Quellen, darin einmal mehr eingeschlossen handschriftliches Material. Unspektakulär geht der Autor diesen seinen Weg; dabei erfolgt auch, bis auf eine kurze lobende Erwähnung der monumentalen Monografie von Du Fresne de Beaucourt (1881/1891, vgl. S. 16), keine Auseinandersetzung mit früheren Biografien Karls VII., selbst nicht mit der – trotz fragwürdiger Grundthese lohnenswerten – von M.G. A. Vale oder der jüngsten, übrigens ebenfalls bei Perrin erschienenen – und m. E. weniger lohnenden – von Georges Minois; von dem noch 2001 wieder aufgelegten und recht eigenwilligen, da Karls VII. Schwiegermutter Yolande von Aragón als dessen mystère in den Mittelpunkt stellenden Buch eines Philippe Erlanger ganz zu schweigen. ...
Lange ist es noch nicht her, da klagte Werner Paravicini in seiner Besprechung der Biographie Ludwigs XI. von Jean Favier, dass dieser Herrscher seit einigen Jahrzehnten in recht dichter Folge mit beleg- und anmerkungslosen Arbeiten im Stil der "haute vulgarisation" bedacht werde (Kendall, Gaussin, Bordenove, Heers, Gobry und eben Favier), ein wissenschaftlichen Ansprüchen genügendes Werk seit dem 1928 von Pierre Champion vorgelegten dagegen fehle (Francia 30/1 [2003], S. 376f.). Und nunmehr erneut ein Buch, das sich nahtlos in diese Reihe fügt und obendrein den Blickwinkel sogar noch bewusst verengt: Der Verfasser konzentriert sich ausschließlich auf die Person Ludwigs und will darüber hinaus keine Zeit und Welt erschließen; er beschränkt sich auf die Darstellung dessen, was den Herrscher nach seinem Dafürhalten – bis auf Jagd, Tiere und Musik – allein interessierte: "Louis se passionnait pour le pouvoir, la guerre et la politique, il en sera donc question presque à chaque page" (S. 10). ...
Nein, in vorliegender Form hätte diese Doktorarbeit nie veröffentlicht werden dürfen, weist sie doch, hochgerechnet, eine sicherlich im vierstelligen Bereich liegende Zahl an Fehlern, Nachlässigkeiten, ja Schlampereien auf. Ein Leser, der sich bis zum bitteren Ende durchgekämpft hat, dürfte fassungslos auf einen Kampf zurückblicken, den der Autor seinerseits mit der, nein: gegen die deutsche Sprache führte, um dabei an elementaren Regeln der Grammatik, Zeichensetzung und bisweilen sogar an der Orthografie zu scheitern. A. Willershausen ist mithin nicht nur dem Genetiv und Dativ, sondern der deutschen Sprache überhaupt feind. Ähnlich sieht’s im Lateinischen und Französischen aus; oft sind nicht einmal gedruckte Texte korrekt wiedergegeben. Und ganz schlimm wird’s, wenn Deutsches und Französisches zusammenstoßen: "Vermittlung Gui de Boulognes […] Verhandlungen Talleyrands de Périgord auf der Poitier-Kampagnes" (S. 81, Anm. 349) ‒ "Sainte-Maria-Madelaine" (S. 196). Diese zwei Beispiele müssen hierfür aus Platzgründen genügen; generell gilt, dass mein Monita-Leporello sehr, sehr lang ist und bei Bedarf eingesehen werden kann. Doch jedem, der sich der Mühe der Lektüre nur eines einzigen Kapitels unterzieht, dürften die vielen Fehlleistungen ohnehin auffallen. Die Verantwortung für all das liegt natürlich beim Autor, aber sicher sind hier auch kritische Fragen an den Doktorvater und den Zweitgutachter sowie an einen Verlag zu stellen, der die Vorlage offensichtlich unbesehen, geschweige denn lektoriert zum Druck freigab. ...
Selbst Spezialisten der Geschichte des Basler Konzils (1431–1449) und des Herzogtums Burgund im 15. Jahrhundert dürfte Nicolas Jacquier, ein Mönch aus dem Predigerkonvent zu Dijon, allenfalls dem Namen nach bekannt sein. Kaum mehr weiß man über ihn, als dass er sich für seine Person Anfang 1433 in die Synode inkorporierte, um dort fortan – recht erstaunlich für einen Burgunder, aber auch für einen Dominikaner – radikal antirömische Positionen zu beziehen, was – nicht minder erstaunlich – den papstverbundenen Philipp den Guten keineswegs daran hinderte, ihn fast zur selben Zeit, 1435, in eine Gesandtschaft zum englischen König zu berufen, wie er auch später noch mehrfach herzogliche Missionen übernahm, so 1451 zum römisch-deutschen König, 1455 nach Ungarn und schließlich 1467 in das zur Krone Böhmen gehörende Schlesien. Gegen die Hussiten hatte der Herzog selber bereits in den zwanziger Jahren das Kreuz nehmen wollen, und vier Jahrzehnte später erschien die häretische Gefahr angesichts eines "Ketzerkönigs" Georg von Podiebrad wiederum virulent, zumal sich der Böhme mit Philipps ärgstem Gegner, Ludwig XI. von Frankreich, zu verbünden trachtete (vgl. S. 20f.). Überdies mahnten, wie ebenfalls schon in den Zwanzigern, erneut häretische Umtriebe im Süden der burgundischen Niederlande (la »vauderie« d’Arras) zu erhöhter Wachsamkeit. ...
Wollten Sie immer schon das Geheimnis des grünen Geburtszimmers ergründen und damit französischen Einflüssen auf das Taufzeremoniell an den Höfen Savoyens und Burgunds auf die Spur kommen; haben Sie sich immer schon die Frage nach den Gründen für die Attraktivität der officiers de bouche am französischen und burgundischen Hof gestellt; interessiert Sie die Darstellung des Hofklerikers in den Werken des Johannes von Salisbury; bläst Sie ein Thema wie "Trompes et tromperie à la cour d’après Eustache Deschamps" voll an, und fürchten Sie, ohne Kenntnis der Inszenierung von Hofkultur im "Roman de la Violette" des Gerbert von Montreuil nicht mehr mitreden zu können? (Rezensent als gebürtiger Kölner hat dank der Lektüre immerhin erstmals von der literarischen Existenz des Hofs eines Herzogs Milo in Köln erfahren.) Wenn ja, dann greifen Sie zu diesem Band, der Ihnen all das und noch viel mehr bietet. Da bestellt ein jeder der rund 30 Beiträger – es handelt sich um die Akten einer im September 2008 in Paris und Versailles veranstalteten Tagung – sein Forschungsgärtlein, und ein jeder tut’s auf seine Weise: Das reicht vom Recyceln eigener Forschungen bis hin zu Substantielles offerierenden, aus Handschriften und Archivalia geschöpften Studien. Es ist halt so wie stets bei solchen Kongressen und den daraus hervorgehenden Publikationen: Am Ende findet der Leser Produkte von Dünn- und Dickbrettbohrern zwischen zwei Buchdeckeln vereint, und es ist an ihm, aus der im Gesamt non multum , sed multa ausbreitenden Fülle von Spezialthemen das ihn Interessierende herauszufiltern und daran die kritische Sonde anzulegen. Dass auch Agostino Paravicini Bagliani, eigentlich um klare Urteile nicht verlegen, in seiner Zusammenfassung konsequent keinen Autor namentlich und wertend anführt, lässt sich nachvollziehen: Zum einen kann man in solcher Funktion nicht als Oberzensor Noten verteilen, zum anderen – und dies gilt dann auch für den Rezensenten – bleibt jeder Versuch, die Beiträge einzeln zu würdigen und zu verorten, von vornherein schlicht aus Platzgründen zum Scheitern verurteilt, erforderte doch allein die bloße Wiedergabe des Inhaltsverzeichnisses (hier S. 655–658) schon mehrere Seiten. Mithin beschränke ich mich auf die Darlegung von Grundsätzlichem, von sich in den Aufsätzen wiederholt abzeichnenden Linien und Tendenzen und damit auf das generelle Profil des Bandes; einzelne Autoren finden allenfalls Erwähnung, wenn ihre Studien mir in solchem Kontext exemplarisch erscheinen. ...
In der recht strikt reglementierten Wissenschafts- und Universitätslandschaft Frankreichs gibt es ein Refugium akademischer Freiheit und Exzellenz, eine Art Super-"Institute for Advanced Study" und dies mit einer bis zu Franz I. und Guillaume Budé in das Jahr 1530 reichenden Tradition: das bereits früh an heutiger Stätte im Pariser Quartier latin ansässige Collège de France. Dessen gegenwärtig etwas über 50 Professoren – am Anfang standen lediglich "lecteurs royaux" für die klassischen Sprachen – obliegt eine einzige Aufgabe, ob es sich nun um Mathematiker, Naturwissenschaftler, Informatiker, Philosophen, Soziologen, Historiker und Philologen, um Astrophysiker, Assyrologen oder Psychologen handelt: das Wissen, wie es entsteht, zu lehren ("enseigner le savoir en train de se faire"). Solche Lehre erfolgt gratis et publice, sie führt weder zu Prüfungen noch zu Abschlüssen; im Idealfall eint Lehrende und Lernende reiner amor scientiae. Entscheidend für eine Berufung sind Gewicht und Originalität der wissenschaftlichen Persönlichkeit; deshalb können bei Emeritierung, Weggang oder Tod freigewordene Lehrstühle auf Initiative der kooptierenden Professorenschaft dem Arbeitsgebiet der gewünschten Kandidaten entsprechend umgewidmet werden. ...
Vor einigen Jahren hat sich eine Gruppe jüngerer französischer und tschechischer Historiker zwar nicht gleich zum Kreuzzug, so doch zur Widerlegung der Doktrin von Gralshütern des reinen Kreuzzugs zusammengetan, nach der das Ende der Bewegung mit dem Tunisunternehmen Ludwigs des Heiligen und dem Fall Akkons 1291 besiegelt gewesen sei. Die Aktivitäten dieses Kreises haben ihren Niederschlag in bislang vier Bänden einer Reihe gefunden, die sich mit ironischem Seitenblick auf besagte Gralshüter "Croisades tardives" nennt (vgl. S. 5). Hatten eigentlich bereits die Arbeiten von Nicolae Iorga, Aziz Atiya und Kenneth Setton den Nachweis erbracht, dass es sich bei jenen "späten" Unternehmen keineswegs um einen sinnentleert-kostümierten "Triumph der Dekadenz" (Hans Eberhard Mayer) handelt, so gebührt in unseren Tagen u. a. Norman Housley und Jacques Paviot – einem der Initiatoren der Forschergruppe – das Verdienst, die natürlich sich ändernde, so doch fortwährende Wirkkraft und die vielfältigen Facetten der Kreuzzugsidee bis in die frühe Neuzeit hinein aufgezeigt zu haben. Und ebendies bestätigen jetzt erneut die von Finanz- und Organisationsfragen handelnden Beiträge des vorliegenden Bands. Wenn es um so handfest Konkretes wie Planung und Ausrüstung und vor allem um den pekuniären nervus rerum ging, blieb für vage Ritterromantik und nostalgische Mythenbeschwörung kein Platz. ...
Wenn eine ungedruckte Habilitationsschrift fast vier Jahrzehnte nach ihrer Abfassung publiziert wird, muss sie eigentlich von zwar erst spät entdecktem, doch außerordentlichem Interesse für die Fachwelt sein. Und mehr noch, hier bringt deren Herausgeber gleich eine höhere Macht ins Spiel, wenn er meint, der Zeitpunkt der Drucklegung genau 20 Jahre nach dem frühen Tod des Verfassers (1992) könne »durchaus auch als kleines Indiz für die Fügung des einzigen Herrn der Geschichte« angesehen werden (S. V). Da sei doch an die gelassen-relativierende rheinische Lebensweisheit erinnert: »Dat kann mer so, aber auch so sehen.« Für meinen Teil neigte ich schon Ende der 1970er Jahre zum zweiten »so«, als Leinweber mir freundlicherweise Auszüge seiner Arbeit in Kopie zukommen ließ, die ursprünglich in geradezu utopischem Ausgriff »Die Synoden in Italien, Deutschland und Frankreich von 1215 bis zum Tridentinum« erfassen sollte und unter solchem Titel wiederholt, auch von ihm selbst, angekündigt wurde; s. etwa Annuarium Historiae Conciliorum 4 (1972), S. 5 (dies zum Tadel des Herausgebers wegen entsprechender Zitierung u. a. durch mich, welche die tatsächliche Unkenntnis des Manuskripts offenbare; S. XVIII, Anm. 47). Damals mit einer Studie »Die Franzosen, Frankreich und das Basler Konzil (1431–1449)« (erschienen 1990), also einer Nachbarthematik, befasst, hielt ich nach Lektüre jener Auszüge eine vertiefende, insbesondere den Stand der französischen Forschung angemessen rezipierende Überarbeitung für unabdingbar, doch das Werk liegt nunmehr unverändert und damit in einer Form vor, die zudem aus dem Abstand mehrerer Dezennien recht befremdlich wirkt. ...
Es ist schon erstaunlich: Da richtet ein Verlag eine sich ausschließlich an Fortgeschrittene wendende Reihe ein, vertreibt die über recht spezielle Themen handelnden Bände zu für Privatleute prohibitiven Preisen zwischen 100 und 160 Euro und kann dennoch innerhalb von nur vier Jahren (bis Sept. 2010) nicht weniger als 23 Publikationen vorlegen. Offensichtlich rechnet sich das bei einem international agierenden und mit den "Companions" wohl primär auf wissenschaftliche Bibliotheken zielenden Haus: eine gute Sache bei selbst für diese Institutionen schlechtem Preis. Ob es – bei einer bisherigen gewissen Schwerpunktsetzung in Spätmittelalter und Früher Neuzeit – um theologische Quodlibeta im 13. und 14. Jahrhundert, um Wyclif und Gerson oder um katholische Aufklärung geht, stets enthalten die Bände acht bis fünfzehn Beiträge einschlägig ausgewiesener Autoren samt Einführung, (teilweiser) Konklusion und Auswahlbibliographie der Herausgeber. Jedes Buch soll die Summe des Forschungsstands darstellen, und recht selbstbewusst spricht man im Untertitel der Reihe von "A series of handbooks and reference works". ...
Zunächst und grundsätzlich: Hier gilt es eine große Leistung zu würdigen, die auf – im Wortsinn – entsagungsvoller, langjähriger Kärrnerarbeit beruht, auf den Mühen eines Einzelkämpfers angesichts einer Quellenfülle von 86 Registerbänden aus dem Pontifikat Clemens’ VII. samt Finanzdokumenten der Zeit aus der Apostolischen Kammer. Darauf und wohlgemerkt »nur« darauf fokussiert, zeichnet der aus Genf stammende Verfasser das Bild des Genfer Grafensohns Robert als eines Papstes – bewusst wird aus solcher Sicht dessen römischer Gegner als »intrus« bezeichnet –, der aufs Ganze seine Obödienz recht pragmatisch zu lenken verstand. Dabei stützte Clemens VII. sich auf einen Hof und eine Administration – ihr Wirken soll noch in einem eigenen Folgeband thematisiert werden –, deren Profil zwar durchaus, doch keineswegs extrem von Nepotismus sowie der persönlichen Nähe und heimatlichen Verbundenheit manchen Amtsträgers zum Pontifex geprägt war, weitaus stärker aber von den Interessen der – ihrerseits mit austarierendem Bedacht ausgewählten – Kardinäle und vor allem natürlich der Fürsten bestimmt wurde, zu denen das Genfer Grafenhaus wiederum in vielfältigen, im Besonderen nach Frankreich reichenden verwandtschaftlichen Beziehungen stand. Auf den Punkt gebracht, und so auch in der »Conclusion« zu lesen (S. 391–412): Clemens VII. war weder Visionär noch eigneten ihm Originalität oder gar spirituelle Tiefe, doch verstand er es im Rückgriff auf traditionelle Methoden unter dem Signum der Kontinuität und klugen Nutzung personeller Netzwerke – ein zentrales Thema für den der prosopographischen Methode verpflichteten Autor –, realistische Politik im Rahmen des Möglichen zu betreiben. Der einstige Schlächter von Cesena war vor- und umsichtig geworden, wie auch der Umgang mit seinen Gegnern und denen der Anjou in der Provence zeigt. ...
Dies ist keine Gefälligkeitsbesprechung, dies ist, mehr noch, eine Jubelanzeige, handelt sie doch von einer Jubilarin und zwei Jubiläen. Der Unterzeichnende – oft genug hat er mit scharfer Rezensentenklinge gefochten – darf eine Kollegin rühmen, die nach ihrer Pensionierung als Forschungsdirektorin am C.N.R.S. 2011 in Bourges mit einem internationalen Kongress geehrt wurde (Église et État, Église ou État? Les clercs et la genèse de l’État moderne) und die in den letzten Jahren als Summa ihrer Forschungen zum großen abendländischen Schisma gleich drei Bände vorlegen konnte, von denen zwei wiederum Konzilien jener Zeit mit Jubiläumsdatum galten: So gab Hélène Millet 2009 die Akten einer Tagung heraus, die, wesentlich von ihr konzipiert und organisiert, im Jahr zuvor aus Anlass des sechsten Centenariums des Konzils von Perpignan an ebendiesem Ort stattgefunden hatte 1 . Damit rückte sie jene Synode Benedikts XIII. gegen das anstehende und ihn bedrohende Pisanum in klareres Forschungslicht, die im Deutschen seit der Edition ihrer Akten durch Franz Ehrle (1889/1900) als "Afterconcil von Perpignan" allenfalls randhaft zur Kenntnis genommen wurde. H. Millet hat danach selbst noch wiederholt zu Inhalt und Ertrag dieses Kolloquiums Stellung genommen, so schriftlich in "cristianesimo nella storia" (29, 2008, S. 219–229) und mündlich im Rahmen einer Tagung über den "Languedoc médiéval" im Februar 2011 in Montpellier. 2009 war zudem das Jahr, in dem sie unter dem Titel "L’Église du Grand Schisme 1378–1417" eine Auswahl ihrer – meist frankreichzentrierten – Studien zur Kirchenspaltung vorlegte 2 . Immer wieder lassen sie ihre Kompetenz im prosopographisch-biographischen Bereich und damit auch ihre – computergestützten – Erfahrungen in der Kanoniker- und Kapitelforschung aufscheinen, aus denen wiederum das von ihr inspirierte und mittlerweile wohletablierte Unternehmen der Fasti Ecclesiae Gallicanae großen Nutzen gezogen hat und zieht. ...
Eifrig, sorgfältig und beharrlich fügt Jacques Paviot mit seinen Publikationen seit Jahren Stein auf Stein, um so eines Tages das große Gebäude einer Darstellung französischer Kreuzzugspläne und -politik im späten Mittelalter vollenden zu können; wichtige Teile hierzu hat er bereits mit seinen Studien und Editionen zur croisade bourguignonne und da insbesondere zu den spektakulären Projekten und Unternehmen aus der Zeit Philipps d. Guten samt den über dessen Gattin Isabella laufenden Verbindungen mit Portugal geliefert (s. etwa Les ducs de Bourgogne, la croisade et l’Orient: fin XIV e –XV e siècle, 2003; vgl. Francia 32/1 (2005), 287–292 – La politique navale des ducs de Bourgogne 1384–1482, 1995; vgl. Francia 23/1 (1996), 335ff. – Portugal et Bourgogne 1384–1482, 1995; vgl. Zeitschrift für Historische Forschung 22, 1995, 544ff.). ...
Was hat dieses Buch über einen wenig bekannten Herzog von Bourbon, von dem selbst die französische Geschichtsschreibung bislang eher den Eindruck einer "personnalité parfois effacée" (S. 218) vermittelte, einem deutschen Publikum – und das gilt selbst für die kleine Zunft der Mittelalterhistoriker – schon groß zu sagen? Allenfalls Johanns II. (1456–1488) im Obertitel angesprochene Konfrontation mit Ludwig XI. lässt vielleicht etwas aufmerken, doch gerade dieser König inszenierte so viele Prozesse gegen adelige Gegner (vgl. S. 234 Anm. 2; dem Verfahren gegen Ludwig V. Luxemburg, Graf von St-Pol, galten in den letzten Jahren gleich mehrere Arbeiten: S. 2 Anm. 5), dass man geneigt ist, die Studie nicht zur Kenntnis zu nehmen, denn: "Noch ein Prozess mehr oder weniger, was soll’s?" Doch dieser Prozeß macht, wie noch darzulegen, schon einen erheblichen Unterschied aus; zudem rührt er bei aller spezifisch französischen Grundierung an grundsätzlichen Fragen der Souveränität der Krongewalt und deren Verhältnis zu den Fürstentümern; Fragen, die, was die Machtgewichtung anbelangt, zwar unter eher umgekehrten Vorzeichen, so doch prinzipiell in ähnlicher Weise das deutsche Spätmittelalter durchziehen – Kenntnisnahme ist mithin durchaus angesagt. Zudem liefert Mattéoni einmal mehr den Nachweis, wie ertragreich eine (eigentlich nicht mehr so) neue politische Geschichtsschreibung sein kann, die etwa die Sakralisierung von Herrschaft integral einzubeziehen weiß. Und dieses Thema wird obendrein genau an der rechten Stelle einer überlegten Gesamtkonzeption platziert. ...
Katja Kröss hat sich ein Thema gewählt, das seit der bekannten Studie von Zvi Yavetz schon häufig behandelt wurde, aber nach wie vor von hoher Relevanz ist. Vor allem nachdem Egon Flaig das Konzept des Akzeptanzsystems eingeführt hat, demzufolge Heer, Senat und stadtrömische Plebs als sozialen Sektoren herrschaftsstützende Bedeutung zukam, ist die Frage, wie die Rolle gerade der Plebs sich gestaltete, eine interessante. Denn ist es vorstellbar, dass eine riesige und entsprechend in sich heterogene Menschengruppe einmütig und also homogen handelte? Um es an einem Beispiel festzumachen: Wie lässt sich erklären, dass laut Sueton die Plebs nach dem Tode Neros einerseits Filzhüte trug, um ihre Befreiung vom Joch dieses Kaisers zu demonstrieren, andererseits nach demselben Quellenzeugnis lange um den gestürzten Herrscher trauerte? Und wie ist dementsprechend die politische Rolle der Plebs zu beurteilen? Kröss greift damit ein Problem auf, das Martin Zimmermann – einer ihrer akademischen Lehrer – formuliert hat: die Revisionsbedürftigkeit des Akzeptanzsystems. ...
Naturwissenschaftliche Methoden sind fester Bestandteil der Archäologie. Sie werden insbesondere bei Ausgrabungen und deren Aufarbeitung angewendet, beispielsweise die Archäometrie zur Datierung von Befunden oder CAD-Programme zur 3D-Rekonstruktion antiker Bauwerke. Eine Methode, die sowohl bei Grabungstätigkeiten als auch im Bereich der Architektur und Bildbetrachtung eingesetzt werden kann, ist die sog. Stereoskopie. Da diese Technik bislang jedoch eher eine Randerscheinung in den Bildwissenschaften Archäologie und Kunstgeschichte ist, hat sich Robert Sturm bereits in mehreren Publikationen mit dem Thema befasst. Im vorliegenden Band möchte Sturm insbesondere die Möglichkeiten der Stereoskopie im Bereich der Bildpräsentation und der Pädagogik aufzeigen (S. 9). Der Aufbau des Bandes gliedert sich in drei Teile, von denen der erste die Grundlagen der Stereoskopie und ihrer Umsetzung in der modernen Fotografie vermittelt (Kapitel 1). Im zweiten Teil erläutert Robert Sturm Methoden der dreidimensionalen Bilderzeugung und deren Betrachtung (Kapitel 2). Der vom Autor als "Herzstück" betrachtete dritte Teil widmet sich schließlich den Anwendungsmöglichkeiten der Stereoskopie in der Archäologie (Kapitel 3-5). ...
Das Interesse an und die Beschäftigung mit maritimen und nautischen Themen seitens der Geschichts- und Kulturwissenschaften ist in den letzten Jahren förmlich explodiert, nachdem es lange ein Nischendasein geführt hat. Beides – sowohl das Nischendasein als auch das rezente Interesse – gilt insbesondere für die Alte Geschichte. Nachdem Forschungen zur maritimen und nautischen Antike lange Zeit ins Feld hochgradig spezialisierter Themengebiete wie der Navigations- oder Technikgeschichte bzw. der Unterwasserarchäologie verbannt waren, haben in jüngerer Zeit eine Reihe von Veröffentlichungen den breiteren und interdisziplinären Zugang der Altertumswissenschaft zur seefahrenden Antike dargelegt. ...
Rezensionen zu:
Holger Angenent (2015). Berufliche Orientierungen aus biographischer Retrospektive. ErwachsenenbildnerInnen auf dem Weg von der Disposition zur Position. Opladen & Toronto: Barbara Budrich, 356 Seiten, 44,00 €, ISBN 978-3-8474-0764-5,
Klaus-Peter Hufer (2016). Politische Erwachsenenbildung. Plädoyer für eine vernachlässigte Disziplin. Bielefeld: W. Bertelsmann, 139 Seiten, br., 24,90 €, ISBN 978-3-7639-5654-8,
Gerd Kadelbach (2015). Bildung ist niemals unverbindlich. Ausgewählte Texte herausgegeben und eingeleitet von Klaus Ahlheim. Hannover: Offizin, 149 Seiten, 16,80 €, ISBN 978-3-945447-07-9,
Sandra A. Habeck (2015). Freiwilligenmanagement. Exploration eines erwachsenenpädagogischen Berufsfeldes. Wiesbaden: Springer VS, 290 Seiten, 39,99 €. ISBN 978-3-658-07401-2,
Ekkehard Nuissl & Henning Nuissl (Hrsg.) (2015). Bildung im Raum. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, 184 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-8340-1460-3.
Liest man die Zeichen der Zeit richtig, dann scheint es schlecht um die Zukunft des Musikvideoclips zu stehen: Nicht nur, dass die Musikindustrie begonnen hat, angesichts der ökonomischen Einbrüche der letzten Jahre die Mittel für diese, ursprünglich als reine Werbeträger konzipierten Kurzfilme drastisch zusammenzukürzen, so dass frühere Budgets von bis zu 2,5 Millionen Dollar pro Video zukünftig der Vergangenheit angehören zu scheinen; auch der Umstand, dass auf DVDs, in darauf reagierenden Zeitungsartikeln und mit einer Ausstellung wie der hier besprochenen eine Art Resümee der Evolution des Genres hin zu einer eigenen, z.T. durchaus avantgardistischen Kunstform gezogen wird, spiegelt ein Bewußtsein des Umstandes wider, dass eine entscheidende Phase dieser Entwicklung zu Ende gegangen ist: Hegels Eule der Minerva beginnt ihren Flug also auch hier erst mit hereinbrechender Dämmerung. ...
"Ich behaupte, daß die Malerei für umso besser gehalten wird, je mehr sie sich dem [plastischen Effekt des] Relief annähert, und das Relief für umso schlechter, je mehr es der Malerei gleicht". In der Mitte des Cinquecento, als sich Michelangelo mit dieser ebenso subtil-ironischen wie eindeutigen Äußerung im Diskurs des Wettstreits der Künste positioniert, sind die zentralen Argumentationsstrategien des Paragone von Skulptur und Malerei vielfach schriftlich fixiert, in kunsttheoretischen Abhandlungen entwickelt und nicht selten in polemischer Absicht verbreitet. Ganz anders stellt sich die Situation bis zum späten Quattrocento dar, bevor Leonardo da Vinci und dann vor allem Baldessare Castiglione einer breiten Rezeption den Weg ebneten. ...
In seinem Buch Krisenproteste in Athen und Frankfurt. Raumproduktionen der Politik zwischen Hegemonie und Moment, das Ende des Jahres 2017 in der Reihe "Raumproduktionen" im Verlag Westfälisches Dampfboot erschienen ist, geht Daniel Mullis den Fragen nach, wie und unter welchen Bedingungen emanzipatorische Akteure Veränderungen erkämpfen können. Mullis ist es daran gelegen, Hegemonie und Moment als zwei sich ergänzende Modi der Politik zusammenzubringen und ein relationales und prozessuales Verständnis der gegenseitigen Bedingtheit von Raum und Politik zu entwickeln. Dazu verbindet er die politischen Philosophien von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe (2000) einerseits und von Jacques Rancière (2002) andererseits mit der Raumtheorie Henri Lefebvres (1991). Illustriert wird dies mit den Krisenprotesten in Athen zwischen 2008 und 2014 und den Aktivitäten des Blockupy-Bündnisses in Frankfurt am Main zwischen 2012 und 2015. ...
1973 legte Thomas E. Morissey als Schüler von Brian Tierney seine – leider ungedruckt gebliebene – Dissertation »Franciscus de Zabarellis (1360–1417) and the Conciliarist Traditions« vor, um fortan bei diesem Thema zu bleiben, wie vorliegender Band belegt, der eine Auswahl von Aufsätzen aus den Jahren 1976 bis 2010 vereint, 15 davon als Nachdruck, zwei als Erstpublikation. Wer als Gelehrter Aufnahme in die »Variorum Reprints« bei Ashgate findet, gilt, zumindest in der angelsächsischen Welt, als Autorität auf seinem Gebiet, und in der Tat dürfte gegenwärtig allenfalls noch Dieter Girgensohn sich ähnlich gut wie Morissey im Leben und Werk des Paduaner Rechtsgelehrten auskennen, der als akademischer Lehrer und Autor ein großes, internationales Publikum fand und auch kirchenpolitisch von Einfluss war; selbst die nach seinem Tod in Padua Recht studierenden Nikolaus von Kues, Giuliano Cesarini oder Niccolò Tudeschi (Panormitanus) waren noch von seinem Geist geprägt. ...
Nein, Langeweile kommt bei Franck Collard nicht auf, ist er doch Historiker des Gifts und der Leidenschaft. Seit seinem Werk "Le crime de poison au Moyen Âge" greift er immer wieder das Problem des Einsatzes von Gift in der Welt des Spätmittelalters, vor allem im 15. Jahrhundert, auf; einem Saeculum, in dessen erster Hälfte – zumal in einem im Innern zerrissenen und vom Hundertjährigen Krieg heimgesuchten Frankreich – ebenso das Thema der "passions" eine zentrale Rolle spielt, dem er bereits 2015 die Studie "Politique des passions et anthropologie des pulsions à la cour de Charles VII" widmete . Eine Annäherung an Jeanne d’Arc unter solches Vorzeichen zu stellen lag nahe, einmal aufgrund besagter "passions au sens de déchirements" im Königreich, sodann angesichts von Johannas "passion au sens d’exaltation affective et d’amour extrême" wie auch – mit Blick auf ihren Prozess und Tod in Rouen – wegen ihrer "passion … au sens de souffrance sacrificielle" (S. 11). ...
In der rezensierten Monographie gelingt es, "New Public Management" als strategisches und politisches Projekt auszudeuten. Die Konsequenzen für die Liegenschaftspolitik können fundiert dargelegt werden. In der Rezension wird eine Einordnung in die bisherige Forschung sowie eine kritische Würdigung der rezensierten Arbeit versucht.
Martin M. Winkler, University Professor und Professor of Classics an der George Mason University bei Washington D. C. (USA), wuchs in Deutschland bei Münster auf und ist ein versierter Kenner der griechischen und römischen Literatur, der antiken Mythologie und der römischen Geschichte. Insbesondere gilt dies jedoch für das seit einigen Jahren "entdeckte" und zunehmend mit zahlreichen Beiträgen auf internationaler Ebene beackerte Feld der Rezeptionsgeschichte, also der Beziehung zwischen antiker Realgeschichte und deren Verarbeitung in unterschiedlichen Medien. Schon immer war geschichtlicher Stoff Gegenstand eines umfangreichen Schrifttums in seinen verschiedensten Formen wie etwa von Geschichtsschreibung, Dokumentation, Dichtung oder Roman, aber auch von Libretti für das Theater, von Malerei, Musik oder monumentaler Architektur. Seit dem 20. Jahrhundert sind mit Film und Fernsehen sowie der digitalen Welt weitere Medien hinzugekommen, die ihrerseits mit unterschiedlichen Formaten eigene Zielgruppen bedienen. ...
Der Leittitel des hier zu besprechenden Buches mag zunächst überraschen, vielleicht auch befremden, in jedem Fall weckt er aber die Neugier einer potentiellen Leserschaft. Der Untertitel verdeutlicht dann das spezielle Anliegen, welches die Herausgeber mit der Veröffentlichung von Vorträgen einer ebenso betitelten interdisziplinären Tagung verbanden, die im September 2014 an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen stattfand. Im kurzen Vorwort werden die beiden zentralen Ansätze, welche die Tagung verfolgte, erläutert: Zunächst sollten die nicht-narrativen Quellen zur Herrschaft des Antoninus Pius, deren Basis aufgrund mancher Entdeckungen und Aussagemöglichkeiten sich in der jüngeren Zeit beachtlich verbreitert hat, in den Mittelpunkt der Diskussion von Spezialisten unterschiedlicher Fachrichtung gerückt werden. ...
Zu Ciceros "Philippischen Reden" sind in den letzten Jahren mehrere Untersuchungen in monographischer Form vorgelegt worden, dabei zumeist philologisch-historische Kommentare, die von einem Text und einer Übersetzung begleitet werden. In ihrer Dissertation möchte K. H(edemann) das "Antoniusbild" in den Philippischen Reden Ciceros untersuchen. Die Einleitung verspricht, dass eine "differenzierte Charakterisierung des Antonius" (16) erfolgen soll und, so wenig später, ein "realitätsnaher Blick auf Antonius" (39). Auch dieses Ziel, die Entlastung der von Cicero diffamierten Persönlichkeit des Antonius, spielte bereits in verschiedenen Spezialstudien zu diesem Rede-Corpus eine wichtige Rolle. ...
Bei der hier vorzustellenden Publikation handelt es sich um eine Zusammenstellung von Aufsätzen des Autors zur Geschichte und Archäologie von Mainfranken in der Antike. Nur die Einführung "Römer, Germanen und der Main" (11-19) ist eine Erstveröffentlichung, in welcher der Untersuchungsraum näher vorgestellt wird: Zwar wird die Bedeutung des Mains, der stark gewunden ist, als Schifffahrtsweg in römischer Zeit als gering eingeschätzt, dennoch wurde über ihn sicherlich etliches Bauholz aus den Wäldern des Spessarts, Odenwalds und Steigerwalds an den Rhein transportiert. Auch als Verkehrsweg nach Germanien hinein spielte der Main keine große Rolle und man bevorzugte – so Steidl – eher den Landweg. Das Bemühen der Römer, hier eine Infrastruktur aufzubauen, endete mit der Varusschlacht; die Mainregion diente von nun an nur noch als Ressourcenquelle außerhalb des römischen Herrschaftsbereichs. ...
Seit Egon Flaigs bahnbrechender Habilitationsschrift "Den Kaiser herausfordern" wird der Prinzipat in weiten Teilen der (deutschsprachigen) Forschung als Akzeptanzsystem betrachtet. Demnach hing die Macht des Kaisers von der Erfüllung der Erwartungen relevanter Gesellschaftsgruppen ab. Eine dieser Gruppen war der Senat. Mit dem Akzeptanzsystem als methodischem Rüstzeug rückt meist das Verhältnis zwischen Kaiser und Senat, nicht der Senat als solcher in den Fokus. Wo aber der Senat zentraler Untersuchungsgegenstand ist, geht es mitunter sehr zentral um die Angehörigen des ordo senatorius. Beide Tendenzen unterläuft Simone Blochmann in ihrer Dissertation ganz gezielt, indem sie den Senat als Institution in den Blick nimmt. ...
Helmuth Schneider war von 1991 bis 2011 Professor für Alte Geschichte an der Universität Kassel. Zu seinem 70. Geburtstag haben sein Nachfolger, Kai Ruffing, und Kerstin Droß-Krüpe, gleichfalls Althistorikerin in Kassel, eine Sammlung 23 wichtiger Publikationen des Jubilars neu herausgegeben, wobei die Auswahl mit dem Geehrten abgestimmt wurde. Dankenswerterweise wurden die Artikel nicht nur neu gesetzt, sondern es wurde auch Wert gelegt auf die Angabe der ursprünglichen Seitenzahlen, so dass ein Auffinden einzelner Stellen unproblematisch ist. ...
In der hier zu besprechenden Arbeit von R. Brendel, einer überarbeiteten und ergänzten Fassung der an der LMU München im Oktober 2013 eingereichten Dissertation, werden, wie es der Verlag Dr. Kovač ankündigt, "erstmals vollständig sämtliche mit Julian in Verbindung stehende[n] Gesetzestexte gesammelt, in Übersetzung vorgelegt und ausgewertet". Neben den Werken von S. Conti über die Inschriften Julians und Th. Fleck über die Portraits wird damit ein weiteres Themenfeld für den Kaiser systematisch erschlossen, der nach wie vor moderne Forscher in seinen Bann zieht. Als methodisch weiterbringend erachtet der Verf. es auch, die spätantiken und frühmittelalterlichen Kommentare wie die Summaria antiqua Codicis Theodosiani und die Summa Perusina Codicis Iustiniani (zit. S. 446) heranzuziehen. ...
Die ursprünglich über zwei Meter hohe Inschrift von Paros, im Folgenden hier gemäß der gängigen Konvention als Marmor Parium bezeichnet, stellt einen faszinierenden Text dar, der in den Altertumswissenschaften jedoch kaum größere Beachtung erfährt. Umso erfreulicher ist es, dass sich Andrea Rotstein in einer monographischen Abhandlung eingehend damit beschäftigte und erstmals seit über 100 Jahren auch eine neue Edition mitsamt englischer Übersetzung vorlegte. ...
In einer Zeit, in der man sich zuweilen fast schon entschuldigen zu müssen glaubt, wenn man keinen strikt vegetarischen Lebensstil pflegt, ist die Lektüre dieses Buches eine wahre Wohltat: Die sinn- und einheitsstiftende Funktion von Fleisch, Fleischkonsum und damit verbundener Bereiche wie Festmahl und Jagd sind Thema von Egbert J. Bakkers (im Folgenden B.) Monographie, die außerdem mit einer Länge (bzw. Kürze) von knapp zweihundert Seiten einen angenehmen Kontrapunkt zu zahlreichen überlangen Wälzern setzt. Der Hauptteil des Buches ist gegliedert in acht durchschnittlich ca. zwanzig Seiten umfassende Kapitel, gefolgt von einem ‚Epilog‘ (der jedoch eigentlich ins erste Kapitel gehört). Um den Hauptteil herum angeordnet sind die üblichen Paraphernalien: zu Beginn ein Vorwort ("Preface", S. ix) sowie eine Kurzeinführung mit einer gerafften Übersicht über den Aufbau des Buches und den Inhalt der einzelnen Kapitel ("Prologue: food for song", S. x-xiii); am Ende die Bibliographie (S. 170-181) sowie ein Stellen- und Sachindex (S. 182-187 bzw. 188–191). ...
Die zunehmende gesellschaftliche Aufmerksamkeit für Behinderung und Inklusion spiegelt sich im aktuellen literaturwissenschaftlichen und didaktischen Interesse am kinder- und jugendliterarischen Umgang mit Behinderung und Krankheit. Die Grenzen zwischen Erzählungen von Krankheit und Behinderung sind dabei bisweilen fließend, so dass bereits der Versuch, entsprechende Phänomene begrifflich mit Termini wie Krankheitsnarrativ, Abweichungsnarrativ oder Sick-Lit zu fassen, zum Ansatzpunkt der Forschung wird – wie auch in den hier vorgestellten Publikationen.
Der Band Erich Kästners literarische Welten und ihre Verfilmungen schließt die zwölfbändige Reihe Bilder erzählen Geschichten – Geschichten erzählen zu Bildern, die von Karin Richter und Burkhard Fuhs seit 2006 herausgegeben wird, ab. Im Zentrum stehen mit Emil und die Detektive (1929) und Die Konferenz der Tiere (1949) zwei kinderliterarische Texte Erich Kästners, die auch verfilmt wurden und die im Hinblick auf Erich Kästners Leben und Werk in größeren, fächerübergreifenden Unterrichtsprojekten u. a zum Aufbau des Geschichtsverständnisses bei jüngeren Kindern herangezogen werden sollen (vgl. 116f. und Kapitel 1). ...
Unter dem Titel Kästner im Spiegel erscheinen aus Anlass des 40. Todestages von Erich Kästner im Jahr 2014 fünfzehn neue Beiträge zur Kästner-Forschung, herausgegeben von Sebastian Schmideler und Johan Zonneveld. Die Herausgeber, beide ausgewiesene Kästner-Kenner, fragen danach, ob und wie sich Kästner heute noch in der literaturwissenschaftlichen Diskussion spiegelt bzw. welche Spuren, Wirkungen und Erkenntnisse zu seinem Werk in der aktuellen Forschung zu finden sind. ...
Mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung untersuchen die drei Sammelbände elementare Grundbausteine von Serialität – Wiederholung, Schema und Variation des Schemas: Seriality in Texts for Young People konzentriert sich auf den Aspekt von Wiederholung (repetition) und fokussiert dabei strukturelle und poetologische Aspekte. An unterschiedlichsten Beispielen, über Lucy Maud Montgomerys Anne-Serie (Laura M. Robinson) bis hin zu Buffy the Vampire Slayer (Debra Dudek), wird dabei aufgezeigt, wie das Prinzip Wiederholung genutzt und unterlaufen wird, welche technischen (etwa zum MP3-Format, Larissa Wodtke), erziehungstechnischen (etwa Michelle J. Smith über das Viktorianische School Paper) und erzähltechnischen Mittel mit welchem Ergebnis eingesetzt werden. ...
Ein Dialog zwischen Sohn und Vater: "Wovon handeln Bücher eigentlich?" – "Alle wichtigen Bücher handeln von Gott." So beschreibt es Guus Kuijer in Das Buch von allen Dingen (2006). Mit dieser Geschichte beginnt der vorliegende Band über religiöse Spuren in aktueller Kinder- und Jugendliteratur, der die vier Vorlesungen des Kontaktstudiums der Theologischen Fakultät Fulda im Sommersemester 2015 unter dem Dictum versammelt: "Alle wichtigen Bücher handeln von Gott." (vgl. 7) Georg Langenhorst fundiert die religionspädagogische Auseinandersetzung mit Kinder- und Jugendliteratur in "Gestatten: Gott! Religion in der Kinder- und Jugendliteratur unserer Zeit. Befund, Deutung und Perspektiven für religiöses Lernen" (11–65) mit einer Analyse des aktuellen Jugendbuchmarktes. ...
Daniel Stein und Jan-Noël Thon rücken in ihrem Sammelband die Theorie und Geschichte graphischer Narrative ("Graphic Narrative") in den Untersuchungsfokus, mit dem Ziel "[to] examine some of the more salient contexts and their effects on specific narrative affordances and limitations, conventions and innovations" (8). Dass sie dabei eine enorme Vielfalt an Gegenständen, über die auch keinesfalls Eindeutigkeit herrscht, aufrufen, deutet der Haupttitel bereits an: Vom Comic Strip bis zur Graphic Novel gibt es ein weites Spektrum an möglichen Formen des graphischen Erzählens, wobei etwa das Bilderbuch in den Studien noch gar nicht berücksichtigt worden ist. ...
Martina Seifert widmet sich in ihrer komparatistisch-imagologisch ausgerichteten Studie, ihrer Dissertation, dem Kanadabild in der in Deutschland erschienenen Kinder- und Jugendliteratur. Sie behandelt den Zeitraum von 1899 bis 2005. Die vielschichtig und komplex angelegte Studie untersucht anhand von ca. 1000 kinder- und jugendliterarischen Texten sowohl "die heteroimagotypen Konzeptionen in den Produktionen deutschsprachiger Autoren [...], i. e. die Heteroimages von Kanada bzw. deren Funktionen in Abhängigkeit von den historisch variablen Autoimages" (Teil I der Arbeit) als auch die Frage, "inwieweit die im Subsystem zirkulierenden Heteroimages die Übersetzungsgeschichte der kanadischen Kinder- und Jugendliteratur ins Deutsche beeinflussten, [also] inwieweit diese im zielkulturellen System Aufnahme fanden oder nicht" (Teil II, 14f.). Jedem der beiden Teile liegen komplexe Fragestellungen zugrunde, der die Autorin im Laufe ihrer Analyse mehr als gerecht wird...
Aufbauend auf ihre Studie Disturbing the Universe: Power and Repression in Adolescent Literature (2000) fokussiert Roberta Seelinger Trites in Literary Conceptualizations of Growth die Metaphorik des (Heran-)Wachsens innerhalb der englischsprachigen Adoleszenzliteratur. Im erstgenannten Text hat sie dieser die Botschaft attestiert, dass das adoleszente Individuum sich stets aus seinem momentanen Zustand befreien müsse, um entweder zu "wachsen" und sich in die Erwachsenengesellschaft zu integrieren, oder aber zu sterben und somit zu scheitern. Fokussiert werde ein Wachstumsprozess, der mit einer "Besserung" gleichgesetzt werde. ...
Im Jahr 2015 wurden im Segment "Kinder- und Jugendliteratur" 9081 Novitäten – die Zahl versteht sich ohne Neuauflagen – auf den Buchmarkt gebracht. Mehr neue Bücher für Kinder und Jugendliche gab es in der gesamten Geschichte des Buchdrucks noch nie! Ganz von allein stellt sich da die Frage, wie denn all diese Bücher ihre LeserInnen finden werden. Oder im Umkehrschluss, wie gelingt es LeserInnen, in diesem Riesenangebot die passende Lektüre zu entdecken? Entsprechend dieser Problematik lauten die Schlüsselwörter: Literaturvermittlung, (außerschulische) Förderung und Austausch. ...
Wer das Buch in die Hand nimmt, wird sogleich durch die sechs Freunde aus Tom Seidmann-Freuds Bilderbuch Die Fischreise (1923), die auf dem Einband zu sehen sind, zur Lektüre angeregt. Es geht hier um das Sammeln und Erwerben von Kinder- und Jugendliteratur – nicht nur von bedeutenden und kostbaren alten Bilderbüchern, wie die schöne Einbandillustration nahelegen könnte, sondern um ein "Schaufenster für Kindermedien" (159). So lautet der Untertitel des Beitrags von Birte Ebsen über die Kinderbibliothek Hamburg, der über dem gesamten Buch stehen könnte. Carola Pohlmann macht in ihrem Vorwort deutlich, dass gedruckte Publikationen nur noch ein Element unter vielen seien und in einer sich rapide verändernden Medienlandschaft nicht mehr allein für den Bestandsaufbau der Bibliotheken maßgeblich sein können (7). Medienvielfalt wird als Chance gesehen, woraus sich die Frage von Spezialisierungen einerseits und Kooperation andererseits ergibt (10). ...
Endlich mal wieder eine Veröffentlichung zur Didaktik der Kinderlyrik! Aber was hat der Haupttitel mit dem missverständlichen Untertitel zu tun? Nichts. Nach der Einleitung "Kind und Gedicht. Variationen über eine Affinität zwischen Euphorie und Melancholie" von Hans Ulrich Gumbrecht gelangt man über drei Kapitel mit je einer Handvoll Aufsätzen aus den Bereichen Pädagogik – Psychologie, Literaturwissenschaft – Musikwissenschaft, Literaturdidaktik – Sprachdidaktik zum abschließenden Beitrag der Herausgeberin, in dem sie der nicht neuen Frage nachgeht: "[...] was heißt: Literarisches Lesenlernen?" Ach so! ...
Nadia Preindl behandelt in ihrer Dissertation die Kinderliteratur für russische Kinder im Exil, ein Thema, das bisher wenig Beachtung fand. Eine Ausnahme sind die Bilderbücher emigrierter russischer Illustratoren, abgesehen davon befassen sich die seit den 1990er Jahren veröffentlichten Arbeiten zur russischen Kinderliteratur fast ausschließlich mit der sowjetrussischen Kinderliteratur. ...
Innerhalb der historischen Kinder- und Jugendliteraturforschung gilt Karin Richter als ausgewiesene Kennerin der ostdeutschen Kinderund Jugendliteratur von 1949 bis 1990. Noch in der ehemaligen DDR habilitierte sich Richter zur Wirkungsästhetik und Poetik in der Kinder- und Jugendliteratur (1987) an der Universität Halle/ Wittenberg, von 1993–2008 war sie Professorin für Literarische Erziehung/Kinder- und Jugendliteratur an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Pädagogischen Hochschule/Universität Erfurt. In den vergangenen Jahren konzentrierten sich Richters Aktivitäten nur noch vereinzelt auf die kinder- und jugendliterarischen Texte der DDR (vgl. III). Auch dieser Band präsentiert keine neue Forschung, sondern eine persönliche Aufsatzsammlung von Beiträgen, deren Erstveröffentlichungen z. T. bis in die DDR zurückreichen. ...
Leider ist der Untertitel des hier rezensierten Werkes keineswegs übertrieben, denn auch aktuelle deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur mit interkulturellen Aspekten ist teilweise immer noch gutmeinende, mit Stereotypen versetzte Literatur, die letztlich weniger der Völkerverständigung als vielmehr der Zementierung alter, abwertender Darstellungen anderer Kulturen und Menschen dient. Wo spielt aus welchem Blickwinkel eine Handlung? Wer sind die ProtagonistInnen respektive die handlungstragenden Figuren, die zu Wort kommen? Will der Text unterhalten oder hauptsächlich belehren/erziehen? Es sind Fragen wie diese, die auf mögliche Stolperfallen im interkulturellen Minenfeld hinweisen. ...
2017 war in Deutschland eine Ausstellung zu erleben, deren Idee darauf beruhte, durch die Gestaltung einer "Magic City" der Kunst der Straße (Street Art) in einem künstlich geschaffenen Raum Ausdruck zu verleihen (www.magiccity.de). Street Art Künstler aus fünf Kontinenten schufen dabei eine urbane Welt, indem sie aus multimedialen Installationen oder Wandgemälden mit 3-D-Effekt wahrhaft magische Räume konstruierten, die vor allem jugendliche Besucher zu begeistern wussten. Fiktionale Räume trafen auf Realität, und es kam zu lebendigen und interaktiven Diskursen, die neben dem ästhetischen Reiz der Präsentationen auch vielfältige Fragen nach dem Wechselverhältnis zwischen Mensch und Raum in der modernen Welt debattierten. ...
1992 wurde an der Universität Vigo unter dem Titel "Anglo-German Children’s Literature and its Translation" von VertreterInnen der Germanistik, Anglistik, Romanistik und der Translationswissenschaft eine Forschungsgruppe ins Leben gerufen, um Studierende vor und während ihrer Doktorarbeiten in diesen Fächern zu unterstützen. Inzwischen wurden innerhalb dieser Forschungsgruppe mehr als 20 nationale und internationale Forschungsprojekte in Deutschland, Österreich, Argentinien, Italien und Mexiko durchgeführt. 2006 wurde die Forschungsgruppe als "Group of Excellence" ausgezeichnet. Während zu Beginn vor allem deutsche und englische Kinder- und Jugendliteratur im Fokus stand, weitete sich das Forschungsfeld immer mehr aus; nicht nur didaktische Fragen werden berücksichtigt, vor allem auch literaturwissenschaftliche Aspekte wurden immer wichtiger. ...
Erwachsen werden ist eine Krankheit, Erwachsen sein die Heilung, und jugendlicher Ungehorsam gegenüber der Einheitsgesellschaft ist ihr Symptom – so ließe sich vielleicht die Kernannahme von Iris Schäfers aus ihrer Frankfurter Doktorarbeit hervorgegangenen Monographie Von der Hysterie zur Magersucht bzw. der von ihr in dieser untersuchten Werke umschreiben. ...
Das seit Jahren anhaltend steigende Interesse am ästhetisch anspruchsvollen Bilderbuch und seinem Erfahrungs- und Bildungspotenzial zeigt sich in zahlreichen nationalen und internationalen Forschungsprojekten, die vor allem kindliche Rezeptionsprozesse und ihre bedingenden Faktoren untersuchen. Der Band zur zweiten Bilderbuch-Tagung an der Universität Koblenz-Landau (2015) bildet einen Ausschnitt dieser vielfältigen Forschungslandschaft ab. ...
Eine materialreiche, ansprechend illustrierte und mit zahlreichen Beispielen ausgestattete Einführung in die Lyrikvermittlung liegt hier vor, die sich vorrangig an die Lehrenden im Primarbereich richtet. Die Stärke der Darstellung liegt eindeutig im Praxisbezug, viele Modelle für konkrete Unterrichtsplanung und -durchführung können hier nachgelesen und dann erprobt werden, die Ausrichtung folgt dezidiert handlungs- und produktionsorientierten Methoden, wie man es von Franz-Josef Payrhuber auch nicht anders erwartet. Die Gliederung ist ausgerichtet an vier "Blickpunkten": Zunächst werden "Formen" präsentiert, der umfangreiche zweite Teil widmet sich den "Methoden", der dritte präsentiert einzelne "Themen" und der letzte nimmt "Autoren" in den Blick. Abgeschlossen wird der Band durch ein umfassendes Literaturverzeichnis. ...
Der mit zahlreichen farbigen Abbildungen versehene Band wurde anlässlich von Kurt Franz’ 75. Geburtstag herausgegeben und versammelt einen "Querschnitt" (VIII) seiner Arbeiten zur Kinderlyrik, einem Thema, mit dem sich Franz "ein Leben lang beschäftigt" (V) hat. Mit der Monographie Kinderlyrik. Struktur, Rezeption, Didaktik, die der Literaturdidaktiker 1979 publizierte, hat der vorliegende Band, in dem kürzere Beiträge aus den letzten beiden Jahrzehnten versammelt sind, demnach nur den Obertitel gemeinsam. Während es Franz seinerzeit darum ging, die Kinderlyrik als "wichtigen Bereich der 'Kinderkultur' in seiner Gesamtheit zu erfassen" (Franz 1979, 7), präsentiert der aktuelle Band Aspekte der Kinderlyrik in Einzelstudien, thematisch in die Kapitel "Begriffe und Geschichte", "Tradition und Innovation", "Themen und Motive", "Formen und Strukturen" und "Rezeption und Vermittlung" gegliedert. Ein bibliographischer Anhang und ein "Nachweis der Beiträge" beschließen den Band. ...
Anlässlich des Jahrestags 2014 erschienen zahlreiche Publikationen zum Ersten Weltkrieg. Ist ein weiteres Buch zu diesem Themenkomplex wirklich notwendig? Ja, ist es. Denn der vorliegende Band rückt Themen in den Mittelpunkt, die noch immer selten im Zentrum wissenschaftlicher Aufmerksamkeit stehen, wie die Herausgeberinnen Lissa Paul, Rosemary Ross Johnston und Emma Short in der Einleitung richtig feststellen. Anhand von Kinderliteratur, Spielzeug, Bildern, Jugendorganisationen und anderem wird hier die Beziehung von Kindern und Kindheit zum Ersten Weltkrieg verfolgt. Der Band versammelt 19 relativ kurze Beiträge zu unterschiedlichen Themen, die jeweils durch ein pointiertes Vor- und Nachwort gerahmt werden. Wer jedoch einen Überblick über die Kinderkultur zur Zeit des Ersten Weltkriegs sucht, wird hier nicht fündig, wenngleich einige Beiträge einen großen Rahmen aufspannen (zum Beispiel Andrew Donson: "Lives of Girls and Young Women in Germany during the First World War"). Der Band erhebt also keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Exemplarität, sondern konzentriert sich auf diverse Realitäten und kleine, interessante Geschichten der Geschichte, welche die Absurdität und das Grauen dieses einschneidenden Ereignisses vergegenwärtigen. Justin Nordstrom analysiert beispielsweise, wie in patriotischer US-Propaganda, insbesondere den Four Minute Men, Kindheitsbilder genutzt wurden, um die Bevölkerung zum Sparen und Spenden zu animieren. Katherine Capshaws interessanter Beitrag fokussiert die afroamerikanischen Zeitschriften Our Boys and Girls und Brownies Books und analysiert die Verstrickungen von rassistischer und kriegspatriotischer Rhetorik. ...