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»Die Spur, von der wir sprechen«, so Derrida in der Grammatologie, ist »so wenig natürlich (sie ist nicht das Merkmal, das natürliche Zeichen oder das Indiz im Husserlschen Sinne) wie kulturell, so wenig physisch wie psychisch, so wenig biologisch wie geistig«. Wie ist aber dann die Spur, von der Derrida hier spricht, zu denken? Und vor allem: Warum soll die Spur nicht an die Begriffe des Merkmals, des natürlichen Zeichens oder des Indices anschließbar sein?
Chatten online
(2006)
Aus linguistischer Sicht besteht die "kommunikationsgeschichtliche Novität" des Chattens darin, dass Schrift „für die situationsgebundene, direkte und simultane Kommunikation" verwendet wird (Storrer 2001: 462), ohne in einem "systematischen Verhältnis zu einer vorgängigen oder nachträglichen Oralisierung" zu stehen (ebd.). Dabei ist natürlich auch von Interesse, wie die Teilnehmer des Chats miteinander Kontakt herstellen und mit welcher kommunikativen Grundhaltung die Äußerungen im Chat produziert und rezipiert werden (vgl. Beißwenger 2000: 39f.). Unter den Vorzeichen einer dezidiert medialen Fragestellung müssen darüber hinaus die performativen Übertragungs- und Verkörperungsbedingungen des Chats thematisiert werden (vgl. Wirth 2002a: 44).
What is abductive inference?
(2002)
Abductive reasoning: constitutes according to Peirce the "first stage" of scientific inquiries (CP 6.469) and of any interpretive processes. "Abduction" is the process of adopting an explanatory hypothesis (CP 5.145) and covers two operations: the selection and the formation of plausible hypotheses. As process of finding premisses, it is the basis of interpretive reconstruction of causes and intentions, as well as of inventive construction of theories.
Die Abduktion als Spiel
(2002)
Die Bewegung des Spiels als "Hin und Her" gleicht der abduktiven Bewegung des provisorischen Hypothesenaufstellens. Dies zeigt sich sowohl bei den Prozeduren und Prozessen wissenschaftlichen Rätsellösens, als auch beim freien Gedankenspiel, dem "musement", das Peirce explizit an das "ästhetische Spiel" Schillers anschließt.
In den letzten fünf Jahrzehnten kann man ein deutlich wachsendes Forschungsinteresse am Schlußmodus der Abduktion feststellen, der für Charles S. Peirce der "erste Schritt" des Schlußfolgems und Interpretierens war. So unterschiedliche Fachgebiete wie Philosophie, Wissenschaftstheorie, Soziologie, Unguistik, Literaturwissenschaft, Semiotik sowie neuerdings die Künstliche-Intelligenz-Forschung versuchen in zunehmendem Maße mit Bezug auf abduktives Folgem die Möglichkeiten einer Reformulierung ihrer einzelwissenschaftlichen Problemzusammenhänge zu nutzen. Vielleicht könnte man sogar von einer "abduktiven Wende" des Denkens sprechen. Dabei zeigt sich, daß die Erforschung der Abduktion auf einzigartige Weise Gelegenheit bietet, unter einem einheitlichen Aspekt interdisziplinär zu arbeiten.
1991 erschien eine von Asa Kasher herausgegebene Aufsatzsammlung mit dem Titel "The Chomskyan Turn", die eine Bestandsaufnahme der vierzigjährigen Beschäftigung mit der generativen Grammatiktheorie ist. Ähnlich wie Kants "Kopernikanische Wende" die Transzendentalphilosophie zum Maßstab allen künftigen Philosophierens werden ließ, revolutionierte der "Chomskyan Turn" die linguistische Perspektive. Worin besteht nun der epochale Perspektivenwechsel, der die Verwendung des Ausdrucks "Chomskyan Turn" gerechtfertigt erscheinen läßt? In erster Linie betrifft dies die mittlerweile hinlänglich bekannte Abkehr Chomskys von strukturalistischen und induktiven Grammatikansätzen, die auf Beschreibungs- oder Verallgemeinerungskonzepten beruhen. Stattdessen propagiert Chomsky eine Universalgrammatik, die es aufgrund der Annahme universaler und einzelsprachspezifischer Regeln erlaubt, den Spracherwerb und den "grammatischen Instinkt" bei der Wahl wohlgeformter Sätze zu erklären.
This paper discusses constructions like “We’ll have two beers and a coffee.” that are typically used for beverage orders in restaurant contexts. We compare the behaviour of nouns in these constructions in three Germanic languages, English, Icelandic, and German, and take a closer look at the correlation of the morpho-syntactic and semantic-conceptual changes involved here. We show that even within such a closely related linguistic sample, one finds three different grammatical options for the expression of the same conceptual transition. Our findings suggest an analysis of coercion as a genuinely semantic phenomenon, a phenomenon that is located on a level of semantic representations that serves as an interface between the conceptual and the grammatical system and takes into account inter- and intralinguistic variations.
Der Beitrag behandelt diminuierte Partikeln, etwa „Hallöchen“, „Tschüssi“ oder „Jaui“. Die Diminuierung von Partikeln durch -chen und -i ist ein produktives und häufig auftretendes Phänomen im Deutschen, wird in grammatischen Beschreibungen jedoch weitgehend vernachlässigt; diese konzentrieren sich in erster Linie auf nominale Kontexte der Diminuierung. Betrachtet man jedoch die vollständige Distribution von -chen und -i, so ergibt sich ein interessantes Problem für die morphologische Beschreibung, da sie auf einen hybriden Status der Suffixe zwischen Kopf und Modifikator hinweist. Ich diskutiere die Implikationen dieses Befundes für die Charakterisierung des morphologischen Systems und zeige, dass ein verbindendendes Moment der Distribution auf der morphopragmatischen Ebene liegt, nämlich in der Expressivität von Diminutivsuffixen. Im Fall diminuierter Partikeln geht dies so weit, dass der Bedeutungsbeitrag ein rein pragmatischer ist, auf Kosten der semantischen Komponente. Ich zeige, dass die Diminuierung von Grußpartikeln wie „Tschüssi“ zudem wesentlich durch einen metrischen Aspekt motiviert ist, nämlich die Anpassung an das in Grüßen vorherrschende trochäische Muster, das durch die Diminutivsuffigierung ermöglicht wird, und argumentiere, dass diese metrische Anpassung durch den Status von Grüßen als sozialen Ritualen ausgelöst wird. Partikeldiminuierung weist damit auf ein komplexes Zusammenspiel grammatischer, pragmatischer und genereller kognitiver Aspekte hin.
„Ich mach dich Messer“ ist eine jugendsprachliche Wendung, die als ritualisierte Drohung im Sinne von „Ich greife dich mit einem Messer an.“ zu verstehen ist. Diese Wendung, bei der sowohl die semantische Bleichung („semantic bleaching“) des Verbs als auch das Fehlen des Determinierers in der NP auffällt, verweist auf Merkmale morpho-syntaktischer Reduktion, wie man sie häufig in Kontaktsprachen findet. Wie ich zeigen werde, handelt es sich hierbei jedoch nicht um eine bloße sprachliche Simplifizierung, sondern um ein komplexes und produktives grammatisches Phänomen: In „Ich mach dich Messer“ manifestiert sich ein spezifisches Zusammenwirken syntaktischer und semantischer Phänomene, das ich im folgenden als sprachliche Arbeitsteilung nach dem Muster von Funktionsverbgefügen beschreiben werde.
Humans possess a number concept that differs from its predecessors in animal cognition in two crucial respects: (1) it is based on a numerical sequence whose elements are not confined to quantitative contexts, but can indicate cardinal/quantitative as well as ordinal and even nominal properties of empirical objects (e.g. ‘five buses’: cardinal; ‘the fifth bus’: ordinal; ‘the #5 bus’: nominal), and (2) it can involve recursion and, via recursion, discrete infinity. In contrast to that, the predecessors of numerical cognition that we find in animals and human infants rely on finite and iconic representations that are limited to cardinality and do not support a unified concept of number. In this paper, I argue that the way such a unified number concept could evolve in humans is via verbal sequences that are employed as numerical tools, that is, sequences of words whose elements are associated with empirical objects in number assignments. In particular, I show that a certain kind of number words, namely the counting sequences of natural languages, can be characterised as a central instance of verbal numerical tools. I describe a possible scenario for the emergence of such verbal numerical tools in human history that starts from iconic roots and that suggests that in a process of co-evolution, the gradual emergence of counting sequences and the development of an increasingly comprehensive number concept supported each other. On this account, it is language that opened the way for numerical cognition, suggesting that it is no accident that the same species that possesses the language faculty as a unique trait, should also be the one that developed a systematic concept of number.
Speakers of various Southern german dialects may be heard to use two syntactic variants of subordinate clauses which are represented by the following Swabian examples: (1) daß er den net will komme lasse (2) daß er den net komme lasse will Of these two variants of the three-element verbal complex, only the non-dialect counterpart of (2) is accepted as standard modern written German: (3) daß er ihn nicht kommen lassen will In earlier periods of the German language, however, both variants were used by authors of written texts.
Im Jahre 1609 erscheinen in Deutschland die ersten gedruckten Wochenzeitungen, der Wolfenbüttler "Aviso" (A) und die Straßburger "Relation" (R). Diese Zeitungen bieten zum ersten Mal eine öffentlich verbreitete, aktuelle periodische Berichterstattung. Im Laufe des 17. Jahrhunderts nimmt die Zahl der Zeitungen rapide zu. Bald hat jede größere Stadt ihre eigene Zeitung, z. T. sogar mehrere. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erscheinen viele Zeitungen zwei- oder mehrmals in der Woche, schließlich kommen auch noch Tageszeitungen dazu. Die Zeitungen werden zu einem wichtigen Kommunikationsfaktor, der auch als Faktor für die Verbreitung sprachlicher Formen berücksichtigt werden muß, ähnlich den Bibelübersetzungen und den Flugschriften im 16. Jahrhundert.
Eine zusammenfassende Darstellung der Bedeutungsgeschichte der Modalverben im Deutschen ist ein Desiderat der historischen Semantik. Beim gegenwärtigen Forschungsstand sind die Voraussetzungen für eine Gesamtdarstellung noch nicht optimal. Es gibt zwar reiche Materialsammlungen in den entsprechenden Bänden des Grimmschen Wörterbuchs und in älteren Arbeiten, wie z. B. Deggau 1907 und Klaren 1913. Diese Informationsquellen vermitteln aber nur in Ansätzen einen Überblick über den Entwicklungsstand der verschiedenen Verwendungsweisen eines einzelnen Modalverbs bzw. des ganzen Systems der Modalverben zu einem bestimmten Zeitpunkt und lassen deshalb die Entfaltungs- und Umbildungsvorgänge des Systems im Zusammenhang nur undeutlich erkennen.
Zur semantischen Entwicklungsgeschichte von „wollen“ : Futurisches, Epistemisches und Verwandtes
(2000)
Wie hängen die verschiedenen Verwendungsweisen eines sprachlichen Ausdrucks miteinander zusammen? Diese Kernfrage der lexikalischen Semantik war schon immer ein praktisches Problem der Lexikographie und ein theoretisches Zentralthema der traditionellen Semasiologie (vgl. Paul 1894, 68ff.). In der neueren Semantik stand dieses theoretische Problem längere Zeit nicht im Vordergrund der Diskussion. Eine gewisse Stagnation in dieser Frage mag auf linguistischer Seite bedingt gewesen sein durch methodische Vorgaben strukturalistischer Bedeutungsauffassungen (vgl. Lyons 1977, 553; Heringer 1981, 109ff.) und auf philosophischer Seite u.a. durch das notorische Desinteresse der wahrheitsfunktionalen Semantik an lexikalischen Fragen.
Hundsnurscher (1996) hat mit einer umfangreichen Liste von Beispielen für Verwendungsmöglichkeiten des Verbs ziehen auf das bemerkenswerte Bedeutungsspektrum dieses Verbs aufmerksam gemacht und auch schon wichtige Hinweise auf Zusammenhänge zwischen diesen Verwendungsweisen gegeben. Der vorliegende Beitrag ist ein Gegenstück zu meiner Untersuchung des Verwendungsspektrums von schar/in Fritz (1995). Dort bin ich näher auf den bedeutungstheoretischen Status des Begriffs der Verwendungsweise und auf Probleme und Methoden der Unterscheidung von Verwendungsweisen eingegangen, so dass ich im vorliegenden Beitrag die dort explizierten theoretischen und methodischen Annahmen nur andeuten will (vgl. auch Fritz 1998, Ilff.).
This article is a contribution to historical dialogue analysis, a field of research which has gained momentum in recent years (Fritz 1995, 1997, Gloning 1999, and other articles in Jucker/Fritz/Lebsanft 1999). In the present paper, I report some results of ongoing research from a project on the history of controversies from 1600 to 1800, which Marcelo Dascal and I are conducting at the Universities of Tel Aviv, Israel and Gießen, Germany.
Accusations are a very frequent type of speech act both in everyday life and in formal controversies, and answering accusations is a sophisticated type of linguistic practice well worth analysing from a pragmatic point of view. In my paper I shall first describe some basic properties of accusations and characteristic types of reactions to accusations, i. e. denying the alleged fact, making excuses, and giving justifications. I then go on to describe some fundamental functions of accusations in controversies. Using the basic patterns of accusations and reactions to accusations as an object of comparison, I then analyse some relevant exchanges from historical controversies (l6th to 18th century), among them famous polemical interactions like the Hobbes-Bramhall controversy, but also less well-known debates from the fields of medicine and theology. The present paper is both a contribution to the theory of controversy and to the pragmatic history of controversies. Keywords: historical pragmatics, theory of controversy, ad hominem moves, dynamics of controversy
Stellen wir uns vor, wir hätten im Jahre 1600 eine wissenschaftliche Kontroverse in deutscher Sprache zu führen, beispielsweise über die Frage, ob die Astrologie eine ernstzunehmende Wissenschaft ist – eine sehr aktuelle Debatte in dieser Zeit. In dieser Lage müssten wir natürlich den damaligen Fachwortschatz der Astronomie und Astrologie beherrschen, wir müssten beispielsweise wissen was eine Coniunction der Planeten Jupiter und Mars oder eine Zusammenfügung Saturni vnnd der Sonnen ist oder wie der Ausdruck newer Stern verwendet wird. Gleichzeitig müssten wir aber auch den nicht-fachspezifischen, allgemeinen wissenschaftlichen Sprachgebrauch der Zeit kennen, der für wissenschaftliche Auseinandersetzungen verwendet wurde. Zumeist wurden Kontroversen zwischen Akademikern in dieser Zeit auf Latein geführt, der wissenschaftlichen lingua franca der Zeit. Wenn aber eine größere deutschsprachige Öffentlichkeit angesprochen werden sollte, wurde auch die deutsche Sprache verwendet, in der – wie ich zeigen möchte – für diesen Zweck schon sehr differenzierte sprachliche Mittel entwickelt waren.