Rechtswissenschaft
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Es war eine heißer, schwüler Sommerabend, als John Rawls im Hörsaal H der Frankfurter Universität einen Vortrag hielt. Er sprach leise, fast schleppend, und er hatte sich vorgenommen, den Text in einer deutschen Übersetzung vorzulesen, was für einen amerikanischen Professor ungewöhnlich war und deshalb Bewunderung verdiente. Doch war die angespannte Konzentration spürbar, die Rawls aufbringen musste, um deutscheWorte mit so wenig amerikanischer Phonetik wiemöglich zu sprechen, und der Vortrag wurde dadurch noch langsamer, die Stimme noch leiser. Außerdem funktionierte das Mikrofon nicht richtig. Deshalb wurde es ihm von seinem Übersetzer, Wilfried Hinsch, mit ausgestrecktem Arm so nahe an denMund gehalten, dass wenigstens ein paar Worte zu verstehen waren. Nach kurzer Zeit verließen die ersten Zuhörer den Hörsaal. Der ausgestreckte Arm des Helfers wurde sichtbar schwerer; Anstrengung und Hitze ließen Schweißbäche rinnen und das Oberhemd nass werden.Der Vortragwar nicht einfach. Rawls machte, wie gewohnt, keinerlei Konzessionen, sondern diktierte einen komplexen Satz nach dem anderen. Wer etwas verstehen wollte, musste von der komischen Situation absehen, alle Kräfte gegen die von der schwülen Hitze geführten Ermüdungsattacken aufbieten und sich irgendwie konzentrieren. Der einzige, der sich davon nicht beirren ließ, sondern hartnäckig Satz für Satz in den schwülen Sommerabend hämmerte, war der kleine, schmächtige, blasse, sein Gesicht hinter einer riesigen Brille verbergende, aber Respekt heischende Professor Rawls. Wenn Geist so unmittelbar präsent ist, wird eben alles andere banal. ...
Cominciamo dalla fine. Il passo in cui Radulfus Niger racconta dell’intervento del misterioso Pepo o Pepone nel placito tenutosi in Lombardia alla presenza di Enrico IV è divenuto ormai famoso. Quanti si sforzano di gettare luce sulle origini del rinascimento giuridico medievale, lo hanno letto e riletto indagandone anche i minimi dettagli. Eppure, ogni ulteriore lettura di quel passo sembra proporre motivi di interesse e spunti di riflessione sempre nuovi. ...
"Wer war Fritz Bauer?" Wenn man als jemand, der das justitielle Wirken dieses großen kritischen Juristen der deutschen Nachkriegsgeschichte und die heftigen politischen Auseinandersetzungen, die sich damals an seine Person und Aktivitäten knüpften, noch miterlebt hat, diese Frage an junge Berufskollegen stellt, wird man überrascht erfahren, wie wenige darauf noch eine Antwort wissen. Die Erinnerung an ihn, der so viel zur Rettung oder besser Wiedergewinnung des Ansehens der deutschen Rechtspflege nach deren Untergang in der Katastrophe der Nazidiktatur beigetragen hat, ist verblasst, ja, er ist nahezu in Vergessenheit geraten. ...
Der neue "Spezialwagen" hatte sich bewährt. Früher als erwartetwar Emanuel Schäfer in der Lage, seinen Berliner Vorgesetzten den reibungslosen Vollzug seines Auftrags zu melden. "Serbien judenfrei!", lautete im Juni 1942 Schäfers Notiz an das Reichssicherheitshauptamt. Dass die "Endlösung der Judenfrage" im Kernland des ehemaligen jugoslawischen Königreiches derart zügig vonstatten gehen konnte, war dem Einsatz einer fahrbaren Gaskammer zu verdanken, in der mehr als 5000 Menschen den Tod fanden. Die Organisation dieser "Spezialwageneinsätze" oblag dem seinerzeitigen Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Serbien – dem promovierten Juristen Emanuel Schäfer. ...
Die juristische Europakarte bestand bis vor kurzem aus dem common law, dem romanistischen civil law und dem sozialistischen Recht. Angesichts dessen Niedergangs und des Zusammenwachsens Westeuropas vereint man die beiden ersteren unter dem altsowjetologischen Schild der western legal tradition, wodurch das Ostrecht aus der europäischen Rechtsgeschichte ausgegrenzt wird. Coings Weitsicht, Osteuropa einschließlich Russlands mindestens teilweise in die Disziplin einzubeziehen, findet praktisch keine Nachahmer. Immer noch versteht man, in Savignys Fußstapfen tretend, unter der "europäischen" mehr oder minder stillschweigend die westeuropäische Rechtsgeschichte. Die "Reformstaaten Mittel- und Osteuropas" tauchen in manchem Traktat der Rechtsvergleichung wie deus ex machina auf. Während man die Zäsur zwischen civil law und common law vernachlässigt, wird die europäische Natur Osteuropas, besonders Russlands und der Balkanländer, angezweifelt. ...
Nachdem die 20-bändige Gustav Radbruch- Gesamtausgabe bis auf den Register-Band erschienen ist, sind Gesamtblicke auf das Werk des Heidelberger Rechtslehrers und SPD-Politikers erleichtert worden. Einen solch anspruchsvollen Gesamtblick unternimmt Hanno Durth in seiner Frankfurter Dissertation. Durth geht es um die (Re-)Konstruktion eines komplexen Sinnzusammenhangs, den er – in Anknüpfung an den bei Radbruch eher beiläufigen Begriff des Kulturrechts sowie an Wiethölters Begriff der Rechtskulturverfassung – Radbruchs "Theorie eines Kulturverfassungsrechts" nennt. Ausgangspunkt ist die Behauptung, dass die übliche Einordnung Radbruchs in den südwestdeutschen Neukantianismus mehr verwirre und versperre als weiterhelfe (3). Um "Neues an Radbruch" zu entdecken, wendet Durth Theorieströmungen auf Radbruchs Rechtslehre an, "die hierauf bisher keine Anwendung fanden" (5) … und die "Radbruchs ganzheitlichen Ansatz widerspiegeln" sollen: "sie müssen eine Rechtstheorie beschreiben können, die eine Gesellschafts- und eine Geschichtstheorie beinhaltet" (6). Im Einzelnen rekurriert Durth vor allem auf die Systemtheorie Luhmanns, daneben aber je nach Gegenstand auf die Theorien von Habermas, Derrida, Assmann, Baumann, Beck, Cornell, Marcuse "und andere(n)" (6). ...
Die Rechtsgeschichte ist kein Insichgeschäft, schon gar nicht, wenn sie sich einem so dauerhaften Thema wie der Privatautonomie und deren Grenzen zuwendet. Welches ist der rechte Umgang des Rechtshistorikers mit diesem Thema, welchen Gebrauch darf der Nichthistoriker von der Rechtsgeschichte machen, und was soll er von ihr lernen? Sibylle Hofers Untersuchungen betreffen beide Fragenkomplexe: Jedenfalls war es problematisch, so lautet ihre erste Botschaft, dass Franz Wieacker insbesondere in seinem berühmten Vortrag über "Das Sozialmodell der klassischen Privatrechtsgesetzgeber und die Entwicklung der modernen Gesellschaft" vom Dezember 1952 – und nach ihm so viele – dem Privatrechtsdenken des 19. Jahrhunderts ein privatrechtliches "Einheitsmodell mit unbeschränkter Freiheit als Grundsatz" unterstellte und diesem Modell Affinitäten zu einem liberalistischen, wenn nicht gar besitzindividualistischen Sozialmodell attestierte. Wenn man nun erfahren muss, dass in der Zivilrechtsliteratur jenes Jahrhunderts von "Privatautonomie" oder "Vertragsfreiheit" kaum die Rede war und auch nicht etwa von irgendwelchen Äquivalenten dieses Begriffspaars, dann muss dies Betroffenheiten bei all jenen auslösen, die sich vom 19. Jahrhundert wegen seiner angeblich liberalistischen Positionen absetzten, um mit Wieacker "eine materiale Ethik sozialer Verantwortung" zu suchen, oder nach alternativen Sozialmodellen Ausschau hielten, in denen die Vertragsfreiheit in sozialere, gerechtere Bahnen gelenkt werden sollte. ...
Ein beunruhigendes Gefühl, ausgelöst durch die knappe Mitteilung auf dem Anrufbeantworter: Walter Wilhelm ist gestorben. Das Gefühl, dass es mir zukomme, über diesen Toten einen Text zu schreiben. Weil anders wahrscheinlich niemand über ihn schreiben würde. Was freilich gleichgültig ist, wegen der Kraftlosigkeit von Geschriebenem, das sich einer Person zu bemächtigen sucht, und angesichts der Flüchtigkeit von Texten im Gedächtnis. Wozu also schreiben – zumal Walter Wilhelm ein emphatischer Gegner akademischer Nachrufe war, grimmiger Verächter sentimental verklärter Lügengeschichten und ins Grab geschleuderter professoraler Hochrufe, die dem einsamen Leben nicht gegönnt waren? Aber manche Worte lassen sich nicht auf Dauer bändigen, bohren sich hartnäckig in die Geschäfte des Tages, winken und starren abends mit vorwurfsvollen Augen auf eine beginnende Bequemlichkeit. Man muss ihnen nachgeben und hoffen, dass sie einen nicht unversehens im Stich lassen.
Mitte der 70er Jahre war ich manchmal bei Walter Wilhelm zu Gast. Wir hatten uns bald nach meinem Dienstantritt als Professor an der Universität Frankfurt im Jahre 1968 kennen gelernt. ...
Premiere
(2003)
Die 1968 gegründete Zeitschrift "Kritische Justiz" stand anfangs am äußerst linken Rand der juristischen Publikationen. Auch der Rezensent, der in einer Ausgabe des Jahrgangs 1970 die Neuauflage der Lebenserinnerungen des KommunistenMax Hoelz "Vom 'Weißen Kreuz' zur roten Fahne" besprach, machte aus seinem dezidiert linken Standpunkt kein Geheimnis: die Neuauflage sei "wichtiges Lehrmaterial für die gegenwärtigen Klassenkämpfe" (Kritische Justiz 1970, 363–365). ...
In Band 1 dieser Zeitschrift wurde ein "Vorschlag" gemacht, wie – mit welchem Erkenntnisziel und welchem theoretischen Gerüst – man Rechtsgeschichte betreiben könnte. Dieser Vorschlag wurde von zwei Kollegen kommentiert: Simon Roberts zeigte sich skeptisch, ob ein systemtheoretischer Ansatz für vormoderne Gesellschaften überhaupt brauchbar sei, und besorgt um den Verlust des Menschen sowie konkurrierender Theorien in der Geschichtsschreibung. Marc Amstutz hingegen drängte auf erhöhte theoretische Genauigkeit, insbesondere was die Bedeutung exogener und endogener Faktoren von evolutiven Prozessen betrifft. Beiden sei herzlich gedankt. ...