Neuere Philologien
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„Nicht selten sind es die Künstler selber, die dem
Voyeurismus als primärer Kunsterfahrung Vorschub
leisten. […] Wer permanent Interviews und Statements
von sich gibt, wer die Medien ununterbrochen mit
Texthäppchen und Fernsehbildern alimentiert, beweist,
wie wenig er der ästhetischen Kompetenz des Publikums
noch vertraut.“1 (Andreas Breitenstein,
Literaturredakteur der Neuen Zürcher Zeitung)
Das Nachwort von Literaturrezensent Andreas Breitenstein zu den von ihm herausgegebenen Dreißig Annäherungen (1996) an den Kulturbetrieb steht beispielhaft für die mit der Ausdifferenzierung und Ausweitung des Medienangebots einhergehende und in den deutschsprachigen Feuilletons verbreitete Befürchtung, die Kommerzialisierung der Kunst hemme gleichermaßen die Kreativität des Künstlers und die ästhetische Erfahrung des Rezipienten. Der Forderung nach einer nur sich selbst verpflichteten und sich selbst genügenden Kunst stehe spätestens am Ende der Jahrtausendwende die Marktrealität der Massenproduktion entgegen, die im Wettbewerb um mediale Aufmerksamkeit mehr auf den schnellen und gewinnbringenden Effekt als die ästhetische Qualität setze. Kurz gesagt: Das Wesen der ‚reinen‘ Kunst sei durch die Mechanismen der ‚verdorbenen‘ Institution Kunst in hohem Maße gefährdet.
Tatsächlich tendiert der Kulturbetrieb der Gegenwart zur Vermarktung und Vermittlung der Kunst über Eigenschaften, die dem Kunstwerk äußerlich zu sein scheinen. Dabei ist es nicht nur der aufwendig produzierte Hollywood-Film, der sich weniger über ein ästhetisches Programm als über populäre Hauptdarsteller verkauft, auch der deutschsprachige Literaturbetrieb macht sich das öffentliche Interesse an der Person des Autors zunutze. Gewinnbringend sind vor allem jene Schriftsteller, die auf Lesereisen, in Interviews oder in den sozialen Netzwerken für ihre Texte werben, dabei scheinbar authentische Einblicke in ihr Privatleben erlauben und sich anhand ihrer Selbstinszenierung öffentlich zum Literaturbetrieb positionieren. Dies gilt besonders dann, wenn diese Positionierung in der notorischen Abgrenzung vom Betrieb und der Behauptung der eigenen Autonomie besteht, wie sich etwa am Beispiel des Bestsellersautors Daniel Kehlmann beobachten lässt. Entsprechend entzünden sich Feuilletondebatten anders als in den 1970er Jahren kaum noch am literarischen Text allein, während der medial präsente Autor als öffentliche Instanz durchaus in der Lage ist, gesellschaftliche Diskussionen oder Skandale zu provozieren.
Die zunehmende Personalisierung der Literaturvermarktung wirkt sich auch auf die Poetik der Texte aus. Immer mehr Gegenwartsautoren üben sich in verschiedenen Formen der Selbstbeobachtung und verleihen ihre eigenen Namen und Eigenschaften an Figuren in ihren Texten. Die Literaturwissenschaft nähert sich diesem Phänomen mit dem vieldeutigen Begriff der Autofiktion an, wobei ‚Auto‘ auf die Verwandtschaft zur autobiografischen Schreibweise und ‚Fiktion‘ auf die Nähe zum Roman verweisen soll. Die postmoderne Kritik an der klassischen Autobiografie und insbesondere Roland Barthes‘ Verkündung vom ‚Tod des Autors‘ sind autofiktionalen Texten bereits eingeschrieben. Ihr literarisches Verfahren ist eng an den Kontext des Medienzeitalters gekoppelt, in dem weniger authentische Darstellungen als Inszenierungen des eigenen Lebens auf dem Spiel stehen. Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Kunst werden in beide Richtungen aufgehoben: Während selbsterfindende Erzählungen im Rahmen einer Professionalisierung der Autorvermarktung auch zunehmend außerhalb der Literatur Einzug finden, vollziehen autofiktionale Texte die ästhetische Semantisierung aller Lebensbereiche. Trennscharfe Differenzierungen zwischen Text und Paratext, Kunst und Kunstbetrieb, Autor und Erzähler werden dadurch erheblich erschwert.
Diese Magisterarbeit untersucht anhand von zwei Prosatextanalysen, auf welche Weise die Autofiktion der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur die literarische Selbstinszenierung des Autors mit der Rede vom ‚verdorbenen‘ Literaturbetrieb und der Frage nach der Autonomie der Kunst verbindet. In der Forschung wurden diese beiden Bausteine der Autofiktion bisher weitgehend isoliert voneinander betrachtet. Eine Mehrzahl der Beiträge widmet sich der Gattungskritik an der Autobiografie4, dem problematischen Verhältnis von Fakt und Fiktion und der poststrukturalistischen Negation von Subjekt und Bedeutung und vernachlässigt dabei, dass autofiktionale Gegenwartsliteratur längst mehr zu bieten hat. So lautet die These der Magisterarbeit: Über ihr poststrukturalistisch geschultes Erzählverfahren hinaus reflektieren autofiktionale Texte ihre Position innerhalb ihres kulturellen und wirtschaftlichen Kontexts und formulieren anhand von Grenzüberschreitungen zwischen Kunst und Leben die Frage nach dem Wesen der Literatur und ihrer Abhängigkeit von, aber auch ihrem Einfluss auf Marktbedingungen.
The frequency of intensional and non-first-order definable operators in natural languages constitutes a challenge for automated reasoning with the kind of logical translations that are deemed adequate by formal semanticists. Whereas linguists employ expressive higher-order logics in their theories of meaning, the most successful logical reasoning strategies with natural language to date rely on sophisticated first-order theorem provers and model builders. In order to bridge the fundamental mathematical gap between linguistic theory and computational practice, we present a general translation from a higher-order logic frequently employed in the linguistics literature, two-sorted Type Theory, to first-order logic under Henkin semantics. We investigate alternative formulations of the translation, discuss their properties, and evaluate the availability of linguistically relevant inferences with standard theorem provers in a test suite of inference problems stated in English. The results of the experiment indicate that translation from higher-order logic to first-order logic under Henkin semantics is a promising strategy for automated reasoning with natural languages.
"Lichtspielhaus" – so nannten sich die Kinopaläste in früheren Zeiten gern. Eine große Rolle spielt das Licht schon bei der Produktion der Filme: Der gezielte Einsatz von Licht beim Dreh beeinflusst subtil die Wahrnehmung des Publikums. Das wussten schon die Pioniere des Kinos zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschickt zu nutzen. Die Grundtechnik hat sich bis heute kaum geändert.
Angaben aus der Verlagsmeldung:
Ob beim Aufrufen einer Webseite, beim Versenden einer E-Mail oder beim Hochfrequenzhandel an der Börse: Auf ihrem Weg durch die Weiten digitaler Netze durchqueren Bits zahlreiche Knoten, an denen eine Reihe von Mikroentscheidungen getroffen werden. Diese Entscheidungen betreffen den besten Pfad zum Ziel, die Verarbeitungsgeschwindigkeit oder die Priorität zwischen den ankommenden Paketen.
In ihrer vielschichtigen Gestalt bilden solche Mikroentscheidungen eine bislang nur marginal beachtete Dimension von Kontrolle und Überwachung im 21. Jahrhundert. Sie sind sowohl die kleinste Einheit als auch die technische Voraussetzung einer gegenwärtigen Politik digitaler Netzwerke – und des Widerstands gegen sie. Die aktuellen Debatten um Netzneutralität und Edward Snowdens Enthüllung der NSA-Überwachung bilden dabei lediglich die Spitze des Eisbergs. Auf dem Spiel steht nicht weniger als die Zukunft des Internets, wie wir es kennen.
Das Licht gilt uns als "das" Signum von Humanität, Aufklärung, Erkenntnis und Fortschritt, aber im Theater "übersehen" wir das Licht meist oder reduzieren seinen Einsatz auf eine technische Dienstleistung, die mit "hoher Kunst" scheinbar nichts zu tun hat. Woher kommt das? Und welche Gründe sprechen dafür, dem Licht im Theater mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als es viele Zuschauer, Theaterwissenschaftler und Theaterschaffende derzeit tun? Antworten lassen sich unter anderem bei Michel Foucault, Friedrich Schiller und Adolphe Appia finden.
Be it in the case of opening a website, sending an email, or high-frequency trading, bits and bytes of information have to cross numerous nodes at which micro-decisions are made. These decisions concern the most efficient path through the network, the processing speed, or the priority of incoming data packets.
Despite their multifaceted nature, micro-decisions are a dimension of control and surveillance in the twenty-first century that has received little critical attention. They represent the smallest unit and the technical precondition of a contemporary network politics – and of our potential opposition to it. The current debates regarding net neutrality and Edward Snowden’s revelation of NSA surveillance are only the tip of the iceberg. What is at stake is nothing less than the future of the Internet as we know it.
Zu Beginn dieser Arbeit stand die Vermutung, dass die Klangsprache von Arnold Schönbergs Werk Pierrot lunaire stark durch Albert Girauds gleichnamigen, von Otto Erich Hartleben ins Deutsche übertragenen Gedichtzyklus beeinflusst worden ist.
Um genauer herauszuarbeiten, wie ein Gedichtzyklus die Klangsprache eines Komponisten beeinflussen kann, wurde zuerst Girauds Originaltext mithilfe der symbolistischen Ästhetik sowie der ästhetischen Kategorien des Capriccio und der Groteske analysiert. In einem zweiten Schritt wurde - mithilfe von Walter Benjamins Überlegungen zur Aufgabe des Übersetzers - Otto Erich Hartlebens Übertragung von Girauds Zyklus untersucht. Im Laufe dieser jeweiligen Analysen kristallisierte sich die Rolle des Ephemeren sowohl in der Gestaltung des Originaltextes als auch innerhalb des Vorgangs der Übersetzung heraus.
Das Wirken des Ephemeren im Kunstwerk wurde mithilfe von Theodor W. Adornos Ästhetische Theorie genauer dargestellt und mündete in der Hauptfrage der vorliegenden Untersuchung: Wie gestaltet das Ephemere den Pierrot lunaire bei Albert Giraud, Otto Erich Hartleben und Arnold Schönberg? In Bezug auf Schönbergs Werk wurden dabei in erster Linie der Sprechgesang, die Wechselwirkung von Instrumentation und Klangfarbe sowie einzelne Elemente der Klangsprache behandelt.
This article discusses the interrelation between transculturality and transmediality with an emphasis on processes of translation. It focuses on two examples of transcultural and transmedial writing taken from contemporary Cuban literature in Paris: Miguel Sales's recontextualization of Cuban popular music in Paris and William Navarrete's ekphrastic reinscription of his island into the realm of French romantic painting. The case studies are significant in this context because they show how cultural borders are simultaneously set and transgressed at medial crossings—between music and poetry, text, and image. Thus, cultural translations go hand in hand with medial transpositions that include forms of rewriting, recomposition, and revisualization. The connection between moving cultures and moving media also points to the question of “travelling memory” in diaspora.
Im Rahmen des Kongresses „Literaturwissenschaften in Frankfurt, 1914 – 1945“, der von Bernd Zegowitz (Germanistik) und Frank Estelmann (Romanistik) am 20. und 21. Juni 2014 an der Universität Frankfurt am Main organisiert wurde, gaben 13 Vortragende an zwei Tagen Einblicke sowohl in die Geschichte als auch in exemplarische Werke von Literaturwissenschaftlern, die in der Zeit zwischen der Universitätsgründung im Jahr 1914 und dem Ende des Nationalsozialismus 1945 an der Universität Frankfurt lehrten und forschten.
This master thesis will consider the question how far American history influenced, and is mirrored in, (American) science fiction literature. The main work of reference for this endeavor will be the award-winning Mars Trilogy by the aforementioned, renowned science fiction author Kim Stanley Robinson.
Chapter one will deal specifically with the topic of how certain events of American history – especially the War of Independence, its origins and its aftermath – are more or less mirrored in the Mars novels, often with only minor changes (and adapted into a sci-fi setting, of course). The historic concepts of ‘the Frontier’ and ‘Manifest Destiny’ will find some minor mention here.
The second chapter of this paper will be exclusively about one of the early main characters of the trilogy, one with a lasting influence even though he dies early. The leading thesis will be that this ‘all-American hero’ is, more or less, a fusion of two major figures of early American history, specifically Captain John Smith and legendary ‘frontiersman’ Daniel Boone. The name of this character alone – John Boone – should serve easily as an indicator for the truth of this thesis.
The final chapter of this thesis then leaves the Mars Trilogy behind in order to look at the whole wide field of science fiction literature. Selected works will serve to illustrate the pervasive presence of American history in this genre. The concept of the ‘frontier’ will be of considerable importance to this endeavor, and will feature significantly in this section.
Concluding the paper will be a short overview of the paper’s major points and a few final thoughts will then round out this thesis and mark its end.
Nach der Landtagswahl in Bremen 2007 haben sich, nach langjähriger SPD/CDU-Partnerschaft (1995-2007), zwei Parteien zu einer Koalition entschlossen, die in ihren Wahlprogrammen eine „Schule für alle“ (Grüne) bzw. eine „Gemeinsame Schule“ (SPD) von 5 bis 10 angekündigt haben. Die Befürworter einer solchen Schule erwarteten, dass den Ankündigungen im Wahlkampf nun auch Taten folgen. So forderte die GEW von SPD und Grünen die als ersten Schritt versprochenen Maßnahmen: Alle Schulen werden verpflichtet, „die aufgenommenen Schülerinnen und Schüler in ihrer Schule zu einem Abschluss zu führen“ (SPD) und alle Abschlüsse der Sekundarstufe I können „an jeder Schule erworben werden“ (Grüne), womit alle Bildungsgänge, das Gymnasium eingeschlossen, bei der Entwicklung eines integrativen Schulsystems einbezogen waren...
[Nachruf] Burkhardt Lindner
(2015)
Im Juni spricht der Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer im Rahmen der Frankfurter Poetikvorlesungen über den „Untergang der Äkschn GmbH“. Meyers ungewöhnliche Biographie und seine Romane über Leipziger Jugendgangs, Prostituierte und Zuhälter versprechen interessante Vorträge. Wir haben ihm vorab einige Fragen gestellt – seine mitunter forschen Antworten deuten jedenfalls an, dass der Autor sein Publikum bestimmt nicht langweilen wird.
"Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht" : Licht und Schatten im (Musik-)Theater der Vormoderne
(2015)
Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts waren Akteure und Zuschauer in einem geschlossenen Theaterraum gleich stark beleuchtet, wenn auch nur mit Kerzen und Öllampen. Erst danach geriet die Bühne – nicht ohne Protest der Besucher – ins Zentrum der Beleuchtung. Auf der Opernbühne führte der Einsatz der Kohlenbogenlampe, auch "Prophetensonne" genannt, im 19. Jahrhundert zu einem radikalen Umbruch: Endlich konnten Übergänge vom Dunkel zum Licht musikalisch und szenisch realisiert werden.
Das Tip-of-the-Tongue-Phänomen (TOT) bildet neben Pausen und Versprechern eine weitere Störungsklasse der Sprachproduktion. Im TOT-Zustand kann auf semantische (Konzept) und syntaktische Informationen (Lemma) zugegriffen werden, aber nur begrenzt auf phonologische Informationen (Lexem). Die komplette Wortform bleibt verborgen. Um TOTs im Labor zu evozieren, wurden Definitionen auf einem Computerbildschirm präsentiert, z. B. „ständig umlaufender Aufzug ohne Tür“ für Paternoster. Die Probanden gaben über die Computertastatur an, ob sie das Wort kennen und benennen können (JA), das gesuchte Wort nicht kennen (NEIN) oder es ihnen auf der Zunge liegt (TOT). Im TOT-Zustand wurde ein Cue visuell präsentiert. Beim Cueing-Verfahren wurden bisher Silben-Cues in Wörter bzw. Pseudowörter eingebettet und diese innerhalb von Wortlisten dargeboten, um die Auflösung eines TOTs zu manipulieren. In den vorliegenden Studien wurden die Silben-Cues isoliert präsentiert. Der Vorteil besteht darin, dass eine Silbe per se keine semantischen (Wortbedeutung) und syntaktischen Informationen (Wortart) enthält. Die Präsentation isolierter korrekter, inkorrekter und erweiterter Silben ist neu in der TOT-Forschung. Außerdem bietet die vorliegende Arbeit die erste Studie sowohl im Cueing-Paradigma als auch im Bereich der Reaktionszeitmessung (RT) zu TOTs im Deutschen.
Im Pre-Test wurden die Definitionen vorgetestet. In den beiden Pilotstudien wurden das Design für die Reaktionszeitmessung evaluiert und weitere Definitionen gesammelt und überprüft. Im ersten Experiment zeigte sich, dass mit der korrekten Silbe (z. B. Pa für Paternoster) die TOTs etwa doppelt so schnell aufgelöst werden konnten als mit einer inkorrekten Silbe (z. B. Ko) und der Kontrollbedingung (xxx). Die korrekte Silbe führte außerdem zu signifikant mehr akkuraten Antworten im Vergleich zu den beiden anderen Bedingungen. Die inkorrekte Silbe hat die TOT-Auflösung zwar nicht blockiert (nicht mehr inakkurate Antworten), aber gehemmt: Die Anzahl an akkuraten Antworten wurde reduziert und die Anzahl an unaufgelösten TOTs erhöht. Im zweiten Experiment wurde demonstriert, dass die erweiterte Silbe (z. B. Pat für Paternoster) die TOT-Auflösung im Vergleich zur regulären Silbe sowohl signifikant beschleunigte (kürzere RTs) als auch signifikant verstärkte (mehr akkurate Antworten). Dies lässt sich mit dem segmentalen Überlappungseffekt erklären. Die Ergebnisse der vorliegenden Studien unterstützen Sprachproduktionsmodelle, die einen interaktiven Aktivierungsfluss haben und eine Silben-Ebene unterhalb der Phonem-Ebene annehmen.