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Dort (…), wo (…) von der politischen Seite der Universitäts- und Wissenschaftsdebatten sowie von aktuellen rechtlichen Neuregelungen die Rede (…) [ist], wo es mehr um Beliebigkeit (…) [geht] als um ernsthafte und notwendige Veränderung: Dort (...) [zeigen] sich Diskurse und Entscheidungen als Ausdruck einer Politik, die in ihrer derzeitig hegemonialen Form den Prinzipien von Bildung und Wissenschaft in Wahrheit befremdet gegenübersteht. Eine Fortsetzung dieser Politik würde die Freiheit von Forschung und Lehre gefährden können und sie würde in den Universitäten und in der universitären Wissenschaft nicht weniges von dem verkümmern lassen, was Vorraussetzungen für ihren gesellschaftlich notwendigen Beitrag zum öffentlichen Gebrauch der Vernunft ist.
"Ich soll nicht zu mir selbst kommen" : Werther, Goethe und die Formung des Subjekts in der Moderne
(2006)
Die Leiden des jungen Werther: Sie gehen aus einem neuen Reflexions- uns Ausgleichungsbedürfnis hervor, aus der Suche nach einem konsistenten Ich. Werther erlebt die kognitiven und affektiven Veränderungen, die die Moderne heraufführt, und aus diesen Erfahrungen geht sein Verlangen nach Einheit hervor (...). Die Suche nach dem einheitlichen, festen, verläßlichen Ich hält den Briefroman zusammen, und die Gattungswahl korrespondiert mit der Fragestellung, denn das Medium des Briefes hat im 18. Jahrhundert seine rasante Ausbreitung erfahren, weil ein historischneuer Individualitätstyp aufgetreten ist und das Bedürfnis nach einem entsprechenden anthropologischen Diskurs vorhanden war. Die übergreifende Frage nach der Identität verbindet auch die scheinbar so verschiedenen Themen im ‚Werther’: Natur, Liebe und Gesellschaft.
Die Frage nach Form und Funktionalität stofflicher Konventionalität in der Lyrik des Mittelalters ließe sich zweifelsohne gut an einem einzelnen Text oder – besser noch einem einzelnen Stoff- bzw. Motivzusammenhang behandeln. [Jens Haustein geht] (...) dieser Frage auf einer sehr allgemeinen Ebene nach(...). [Er hofft] unter der gewählten methodischen Prämisse gleichwohl zu der einen oder andern allgemeinen Einsicht zu gelangen, die für die Beurteilung von Spezialfragen ertragreich sein können. Ausgangspunkt (...) [seiner] Überlegungen ist das bislang nicht gedruckte Stichwortregister zum ‚Repertorium der Sangsprüche und Meisterlieder’.
Die Geschlechterdifferenzierung von Frau und Mann wird in den mittelalterlichen Adelsgesellschaften vorrangig funktionalisiert über Ehe und über Sexualität. Ehe übernimmt dabei ökonomisch-politische Funktionen, ist Instrument von Herrschaft, Friedensschluß usw. Der Sexualität andererseits sind allererst provokative Funktionen zugewiesen. (...) Dies ändert sich erst in einem langandauernden und durchgreifenden mentalitätsgeschichtlichen Prozeß, der – um ein Datum zu nennen – nach dem Jahrtausend allmählich in Gang kommt und von so weit reichenden Folgen ist, daß man geradezu von der „Entdeckung der Liebe im Hochmittelalter“ gesprochen hat.
Die Geschichte von Tristan und Isolde in ihren verschiedenen volkssprachigen Fassungen ist seit der Mitte des 12. Jahrhunderts wohl eine der wichtigsten erzählerischen Vollzugs- und Reflexionsformen jener Entdeckung. Diese Geschichte will i(...) [Peter Strohschneider] von einem einzelnen Text her zum Thema machen, demjenigen des – wie man seinem Namen rekonstruiert – Eilhart von Oberg.
'Tanzen und Singen': Dies soll hier also nicht auf die Texte verweisen, die sich etwa aufgrund formaler Tonmerkmale als Tanzlieder verstehen ließen, oder auf solche, in denen einmal ein Tanzmotiv begegnet; dies übrigens ist, wie man weiß, vor Walther ausgesprochen selten. Ausgeschlossen habe ich aus systematischen Gründen schließlich auch den Tanz in der dörperlichen Anderwelt bei Neidhart und in seiner Tradition. Mein Textfeld sind vielmehr solche Lieder, in denen der Tanz thematisch – und möglicherweise auch strukturell – dominierend ist, die sich vielleicht gar selbst als Tanzlieder inszenieren. So ist es der Fall bei einigen – aufs Ganze gesehen jedoch eher wenigen – Kanzonen und in den sogenannten Tanzlaichs des 13. Jahrhunderts, und natürlich ist der prominenteste Autor hier der Tannhäuser. Es geht im folgenden um seinen III. Leich und zuvor um Leich IV Ulrichs von Winterstetten sowie den Leich Heinrichs von Sax.
1924 veröffentlichte Helmut Plessner seinen langen Essay 'Die Grenzen der Gemeinschaft'. (...) Plessner nahm mit den 'Grenzen der Gemeinschaft' eine Position ein, die im politisch-ästhetischen Diskurs der Weimarer Republik minoritär war. Aus heutiger Sicht lässt sich der Text so beschreiben und deuten, daß hier für eine bestimmte Perspektive auf die moderne Gesellschaft und ihre Bedingungen plädiert wird. Für diese Perspektive wirbt Plessner energisch und suggestiv, weil er um seine Sonderstellung gegenüber einer mächtigen Tradition weiß, die die moderne Gesellschaft vor allem als defizitär ansieht. Eine zentrale Stellung nimmt der Begriff des Spiels ein, der eingehender untersucht werden soll, weil sich in ihm die Verbindung von gesellschaftlichem und ästhetischem Denken besonders gut zeigt.
(...) [Strohschneiders „Stichworte“ problematisieren] die Tauglichkeit des (...) überlieferungsgeschichtlichen Merkmals für die gattungssystematische Abgrenzung höfischer und heroischer Epik und insbesondere für die Begründung einer Sonderrolle des höfischen Romans (...) Mit redaktionellen Kurzfassungen höfischer Romane im Mittelalter greifen diese Stichworte ein literaturgeschichtliches Phänomen, das in seiner je punktuellen Ausprägung den Textkritikern und Überlieferungshistorikern nicht weniger Texte stets gegenwärtig ist, einen Sachverhalt jedoch, der als eine folgenreiche rekurrente Erscheinung in der Geschichte des höfischen Romans bislang - mit einer einzigen Ausnahme (...) – völlig unbeachtet blieb.
Hochschulreform und disziplinärer Wandel : Mutmaßungen über Zustand und Zukunft der Altgermanistik
(2005)
Überall gibt es dieselben fatalen Homogenisierungsbewegungen quer zu den disziplinenspezifisch höchst unterschiedlichen Formen der Erkenntnisproduktion und -reproduktion. Und es gibt sie selbstverständlich auch im Außenverhältnis des Wissenschaftssystems: Ein plastisches Beispiel hierfür ist die grassierende Forderung nach Stärkung der Praxisbezüge von Forschung und Lehre. Im Klartext wird da ja gerade die Entdifferenzierung der Funktionsspezifikationen der Universität gegenüber anderen gesellschaftlichen Teilbereichen (sowie die Verknappung der für die Transfers zwischen ihnen akzeptablen Zeiträume) verlangt.
The discourses on textuality and literacy that can be observed in the Kyot-Excursus in 'Parcival' by Wolfram von Eschenbach and in the Magnetbergerzählung of the 'Reinfried von Braunschweig' will serve here as examples in an attempt to historicize textual models. My essay will focus on how the limits of textuality could be defines within those 13th-century aristocratic orders of knowledge to which court literature can provide an access. What emerges within this context are concepts and ideas that lie beyond the scope of modern scholarly systems; these narratives indicate a way of dealing with textuality and literacy that, rather than referring to the textual discourse, may remain instead on the phenomenal surface of the material or (as if the textual discourse did not exist) may embody implicitly the circumstances that it signifies.
Die Forschung bediente sich (…) [des Begriffes Schwankroman] im Sinnes eine Gattungsbegriffes, auch wenn sie nicht übersah, daß 'Schwankroman' bei aller Praktikabilität zugleich Ausdruck einer Verlegenheit ist, in welche ursprünglich wohl die ästhetische Norm von der geschlossenen Einheitlichkeit jeder Dichtung, die diesen Namen verdienen soll, geführt hat, einer Verlegenheit nämlich angesichts der offenkundig episodischen Struktur der genannten epischen Großerzählungen, die ihr Zusammengesetztsein aus kurzen, in sich weithin vollständigen Erzähleinheiten kaum je verleugnen. Dieses Dilemma schlägt sich nieder in der Binnenspannung zwischen den beiden Komponenten des Begriffs auf quantitativer, formal-struktureller und kategorialer Ebene: (…)
Liebe und Gesellschaftstheorie gehen Hand in Hand, und in den geglückten Songs besteht der ‚Diskurspop’ aus Alltagserfahrungen, die auf einen bestimmten Weltzustand hin durchsichtig sind. Das ist von den Volksliedern, dem Pop des 15. und 16. Jahrhunderts, gar nicht so weit entfernt. (...) Heute verwendet man CDs, denn die Lyrik hat dieses Feld leichtfertig preisgegeben. Sie werden eingeschoben, um Stimmungen oder Unstimmungen zu bearbeiten, sich mit gleichtönender Trauer zu umgeben oder mit Heiterkeit zu therapieren. Pop lehrt Gelassenheit. Einige Beispiele können dies zeigen[: u.a. ‚Sie ist weg’ von den Fantastischen Vier, Blumenfeld mit ‚’Diktatur der Angepassten, das Kettcar-Album ‚von spatzen und tauben, dächern und händen’].
In die gattungsgeschichtliche Reihe der Novellensammlung oder auch der 'Novellenromane' sind Johann Beers 'Winter-Nächte' (…) [der Untersuchung zufolge] nicht eingefügt, wohl aber in die Tradition eines gemeinschaftlichen Erzählens, eines Novellare, das sich selbst in seinem todverdrängenden und lebenserhaltenden Sinn erläutert und legitimiert. Sie reicht von 'Scheherezâde' und dem 'Papageienbuch' bis zu Goethes 'Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten', von den sieben weisen Meistern über das 'Decameron' zu Brentanos
'Mehreren Wehmüllern', Heines 'Florentinischen Nächten' oder auch Leo Lionnis 'Frederick', der den hungrigen Mäusen in langen Winternächten jene Vorräte erzählend wiedergibt, die sie längst aufgebraucht haben.
Die Überlegungen und Beobachtungen des (…) Beitrages nehmen (…) [den] Strukturmechanismus der 'Heiligung' an ihrem literarhistorischen Fallbeispiel in den Blick. Bei ihm handelt es sich um eine Version der im Mittelalter (nach Ausweis der handschriftlichen Überlieferungen) vor allem auch in volkssprachlichen Kommunikationszusammenhängen außerordentlich weit verbreiteten Legende vom heiligen Alexius. Dieses Beispiel erlaubt es, den Problemkomplex von narrativ verfaßten Geltungsbehauptungen – also: von Geltungsgeschichten – in einer ganz spezifischen Perspektive zu diskutieren: (…)
Textualität der mittelalterlichen Literatur : eine Problemskizze am Beispiel des "Wartburgkrieges"
(1999)
[Dieser Aufsatz versucht], am Beispiel des in der Großen Heidelberger Liederhandschrift tradierten „Wartburgkrieges“ einen Begriff des Textes als Wiedergebrauchsrede, als durch sprechsituationsübergreifende Stabilität gekennzeichneten Modus der Rede, hier der poetischen Rede, durchzuspielen und historisch zu spezifizieren. Dabei (...) ist einerseits zu skizzieren, wie der Status dieses einzelnen Textes sich weiterhin als spezifisch schrifttextueller darstellt: Es handelt sich um einen Text, der eine distinkte Balance von Situationalität und Situationsabstraktheit gerade darin wahrt, daß er Performancemomente schriftlich repräsentiert, körpergebundene Kommunikationshandlungen im multisensorischen Zeigfeld also als abwesende gegenwärtig hält.
Die zuerst als Ansprache bei einem Festakt der "Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden" formulierten Bemerkungen beziehen Überlegungen zu den kulturellen Folgen von Schrift und zu den Wachstumsschüben schriftlich gespeicherten Wissen auf die Institution der Bibliothek. Sie skizzieren deren kulturelle Gedächtnisfunktionen und leiten daraus auch Prinzipien des Verhältnisses von Bibliothek und Wissenschaft bzw. Universität ab.
Was die altgermanistische Fachidentität wo nicht zu gefährden droht, da doch neu zu bestimmen nahe legt, das lässt sich am einfachsten unter jenem gängigen Stichwort 'Kulturwissenschaft' fassen, welches überhaupt in den Programm- und Legitimierungdebatten solcher akademischen Fächer eine zentrale Rolle spielt, die man einmal ohne weiteres die Geisteswissenschaften nannte. Dabei scheint durchaus umstritten zu sein, ob mit 'Kulturwissenschaften' ein Bruch mit den Traditionen der Deutschen Philologie angesagt ist oder im Gegenteil deren neuerliche Stabilisierung.
Die Geltungssicherung von Texten durch die eigenhändige Unterschrift, welche einen abwesenden Körper ‚vergegenwärtigt’ in der Spur seiner (seit der Erfindung des Buchdrucks: einzigartigen) Bewegung, die Speicherung von symbolischem wie ökonomischem Kapital in Autographensammlungen (oder Autogrammkarten), Verfahren der konkreten-visuellen Poesie, die Praxis von Tätowierungen: Dies und anderes mehr zehrt noch immer in der einen oder anderen Weise von nicht-repräsentatorischen Dimensionen von Schrift. Zumindest setzt es solche Dimensionen der Unlesbarkeit doch voraus – wie dies auch noch die dumpfen Versuche der Auslöschung von Bedeutung durch Verbrennung von Büchern tun.
Die vorliegende Studie wählt […] einen kleinen Ausschnitt in Gestalt eines einzelnen Textes aus: Es geht um den „Schwanenritter“ Konrads von Würzburg, weil sich hier jene historisch-anthropologischen und mediengeschichtlichen Prozesse nicht nur beobachten lassen, sondern weil diese Erzählung sie selbst schon beobachtet. In Konrads kleinem, aber komplexem Text, so (...) [hofft Peter Strohschneider] im weiteren zeigen zu können, wird das Erzählen vom Körper, von seinen Darstellungssystemen und von der Schrift im Medium schriftliterarischen Erzählens in charakteristischer Weise reflexiv.
Der 1969 im Gedichtband “Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt” veröffentlichte Text “Die drei Lesungen des Gesetzes” entstand zu einem geschichtlich bedeutungsvollen Zeitpunkt: 1968, in der Zeit der Studentenunruhen, am Höhepunkt der kulturrevolutionären Bewegung, die in Deutschland an den Grundfesten der Wohlstands- und Konsumgesellschaft der restaurativen Adenauer- und Postadenauerära rüttelte und den ersten entscheidenden Regierungswechsel seit 1949 herbeiführte. (...) Die “Drei Lesungen des Gesetzes” zeigen (...) modellhaft, wie die Propagierung von Ideologie und die Beschränkung individueller Freiheit in einem reaktionären Staat, der sich aber den Anschein der Demokratie und der Legalität bewahren will, vor sich geht. Die ideologische Botschaft, so macht Handkes Spiel mit dem Gesetzestext deutlich, wird im obrigkeitlichen Diskurs durch Sätze vermittelt, die denen des Gesetzes nachgebildet sind.
Die Verbindung von Texten und Bildern ist für das gesamte Werk Rolf Dieter Brinkmanns konstitutiv: vom frühen Gedichtband ‚Le Chant du Monde’, der 1964 mit Radierungen von Emil Schumacher erschien, über die Gedichtbände der mittleren Phase, ‚Godzilla’ und ‚Die Piloten’ (beide 1968), die mit Werbebildern unterlegt bzw. mit Comic-Collagen ausgestattet waren, bis zu den späten, aus dem Nachlass veröffentlichten Materialbänden ‚Rom, Blicke’, ‚Erkundungen für die Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand’ und ‚Schnitte’, in denen Brinkmann umfangreiches Text-Bild-Material collagierte und dabei neben eigenen Photographien vor allem auf Zeitungen und Zeitschriften zugriff. Um angesichts dieser Vielfalt und Heterogenität nicht bei allgemeinen Aussagen stehen zu bleiben, soll im Folgenden ein einzelnes Projekt Brinkmanns genauer analysiert werden [der Gedichtband Westwärts 1&2]; es wäre dann zu erproben, ob die daraus hervorgehenden Thesen auch für das Gesamtwerk von Bedeutung sind.
Die Entdeckung von Johannes Rothes ‚Geistlicher Brustspange’ verdanken wir Conrad Borchling. Der Text ist in einer heute in Kopenhagen befindlichen Sammelhandschrift (...) überliefert (...). Die Tendenz zur allegorischen Summe und zur Anhäufung von Väterweisheiten [in der ‚Geistlichen Brustspange’] deutet immer auch in der Vielfalt der Bezüge auf eine das Klosterleben übersteigende Vielfalt der Lebensformen hin. Die allegorische Deutung in einer solchen Komplexität und Mannigfaltigkeit verbindet das ‚geistlich’ mit dem ‚wertlich mensche’ vor einem Horizont von zwar unterschiedlich verpflichtenden, aber im Prinzip gemeinsamen Tugenden. Der Text ist so gleichsam gegen den Willen seines Autors zu viel mehr als einer Klosterlehre geworden – zu einer ganz verschiedene Institutionen und Lebensformen verbindenden allegorischen Tugendsumme.
Der Beitrag untersucht mir drei Prosachroniken und einem gereimten Heiligenleben des eisenachischen Autors Johannes Rothe (um 1360-1434) Texte, die jeweils auch von der hl. Elisabeth erzählen. Dabei wird insbesondere nach Zusammenhängen gefragt zwischen der jeweiligen Selektion historisch-hagiologischer Wissensbestände sowie der Verwendung je spezifischer literarischer Darstellungsformen einerseits und andererseits den möglichen kommunikativen Funktionen der Texte in eng verschränkten, gleichwohl distinkten Verkehrskreisen zeitgenössischer Rezipienten.
Einführende Beobachtungen
(2004)
Wenn es gilt, einen Lyriker zu ehren, böte es sich an, gewissermaßen gleich ins Gedicht zu fallen. Damit freilich wäre, zitierte ich ein charakteristisches Gedicht, schon jetzt das für Wulf Kirsten und sein Œuvre zentrale Thema angeschnitten: die Landschaft im Gedicht als Ort des autobiografischen Erinnerns und Vergegenwärtigens. (...) [Jens Haustein hat sich] deshalb für diese einleitenden Worte einen anderen Gesichtspunkt herausgegriffen, das kritisch-distanzierte Verhältnis Wulf Kirstens zu der Zunft und der Einrichtung, die ihn heute ehrt – zur Literaturwissenschaft und zur Universität – und denen er manches Bedenkenswerte zu sagen hat; wohl freilich eher auf indirekte Art und Weise.
Die Überlieferung mittelhochdeutscher Lyrik hält für unterschiedliche Fragen unterschiedliche Antworten parat. (...) Ganz konkret gesprochen: Uns fehlt ein Kommentar der Walther-Überlieferung, in dem die Walther-Corpora der Handschriften analysiert, der Bau der Töne kommentiert, die Lieder in ihrer unterschiedlichen Strophenfolge interpretiert und der Wortbestand sowie die Syntax in ihren Differenzen und Wandlungen dargestellt sind. Wenn die Frage nach dem autornahen Text die divergente Überlieferung gewissermaßen auf einen Text fokussiert, dann hält die Frage nach der Überlieferung den Blick auf die Differenzen als historisch belegte Möglichkeiten der Entfaltung eines Textes offen. Beide Fragen müssen im Blick des Faches bleiben, auch wenn sich die Paradigmen verschieben, denn beide Fragen sind, wie gesagt, nicht miteinander zu verrechnen. Das schließt freilich nicht aus, daß in einer zukünftigen Walther-Ausgabe Antworten auf beide Fragen gegeben werden.
Rezension zu: Helmut Tervooren: Sangspruchdichtung, Stuttgart/Weimar (Metzler) 1995 (sm 293).
(1997)
Ein Band wie dieser [Helmut Tervooren: Sangspruchdichtung, Stuttgart/Weimar (Metzler) 1995.] ist seit langem ein Desiderat. Dem Gegenstand, dem Sangspruch, werden zwar immer wieder "Zweifel an seiner gattungshaften Autonomie" (S.1) entgegengebracht, aber über die Definition ("Sangspruch ist im Rahmen der Lieddichtung alles, was nicht Liebesdichtung ist", S. 2) hinaus macht Tervooren deutlich, daß formale, inhaltliche, musikalische und überlieferungshistorische Gründe dafür sprechen, der Sangspruchdichtung jedenfalls aus der Sicht der Zeitgenossen den Status einer Gattung zuzusprechen.
Anna Seghers: Zwei Denkmäler
(2000)
Anna Seghers hat 1965 für Klaus Wagenbachs Anthologie „Atlas. Zusammengestellt von deutschen Autoren“ einen kurzen Text über ihre Heimatstadt Mainz geschrieben, dem sie den Titel „Zwei Denkmäler“ gab. Er fand später in Wagenbachs „Lesebuch. Literatur der sechziger Jahre“ weite Verbreitung und von dort aus auch den Weg in zahlreiche Textbücher für den schulischen Literaturunterricht und das Germanistikstudium im Ausland. (...)
Die didaktischen Überlegungen, die (...) [Jochen Vogt] nach (...) [der] Vorbemerkung an (...) [den] Text knüpf[t] (...)[, beginnt er] mit einer erzähltechnischen Analyse(...), [setzt] mit einem Hinweis zur methodischen Erschließung des Textes fort(...) und [schließt] mit Vorschlägen für unterschiedliche Unterrichtsreihen oder -projekte ab(...).
Die wichtigste neuere Deutung der Verserzählung stammt von Walter Erhart, der Musarion als Darstellung zeitgenössischer Diskurs- und Sinnangebote versteht, die von den Figuren experimentell übernommen, aber auch wieder aufgegeben werden. Beide Hauptfiguren, Musarion und Phanias, bilden kein festes Ich aus, sondern besetzen okkasionell bestimmte Lebensentwürfe (...) ohne sich mit einem von diesen zu identifizieren. (...) Diese Deutung ist wichtig, weil sie die Widersprüche bei Wieland genau sieht. Aber auch sie verkürzt: Es ist richtig, daß Phanias und Musarion keine stabile Identität besitzen – aber sie suchen danach. Und es ist richtig, daß die Verserzählung mit mythologischen und literarischen Mustern spielt – aber Spiel und Ernst schließen sich bei Wieland eben nicht aus. (...) Man kann die Bewegungen des Handlungsverlaufs und das Changieren der Figuren präzise erklären. Dies gelingt, wenn man sieht, daß die Figuren und der Text sich zwar drehen, aber um eine zentrale Frage. Bei dieser Frage handelt es sich um das philosophische Problem der deutschen Aufklärung. (...) Die menschliche Natur soll aus ihrer alten Unterdrückung befreit werden. Gleichzeitig versucht man, die Welt immanent (...) zu deuten.
Kemenate : Geheimnisse höfischer Frauenräume bei Ulrich von dem Türlin und Konrad von Würzburg
(2000)
Der Titel (...) stellt [dem] (...) komplizierten Wort ‚Frauenzimmer’ ein zweites, kaum weniger bedenkenswertes zur Seite: ‚Kemenate’. So, wie er in der höfischen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts überwiegend gebraucht wird, verbindet sich mit diesem Ausdruck ebenfalls mehrerlei, nämlich: 1. ein gebauter Raum, worin das etymologische Wissen steckt, daß ‚Kemenate’ von ‚camera caminata’ kommt; 2. sodann die ‚herrschaftliche[n] Wohnräume[]’ auf einer Burg; und 3. schließlich kann ‚Kemenate’ auch abgelöst von einem besonderen architektonischen Raum metonymisch für die soziale Gruppe der Frauen bei Hofe gebraucht werden.
Diese verschiedenen Semantiken von ‚Kemenate’ nun existieren, in komplizierteren Verschränkungen noch als bei ‚Frauenzimmer’, historisch gleichzeitig.
Was aus dem Mädchen geworden ist. Kleine Archäologie eines Gelegenheitstextes von Anna Seghers
(1997)
(...)[Jochen Vogt sieht] in der autobiographischen Skizze 'Zwei Denkmäler' von 1965 ein Prosastück von dichterischem Rang, bei aller Kürze von hoher thematischer und struktureller Komplexität, gewissermaßen einen "Gelegenheitstext" - mit allen goetheschen Anklängen des Begriffs; einen Schlüsseltext, der zentrale Seghersche Motive anspricht (oder durch Verschweigen deutlich macht) und deshalb auch als Einladung zur Entdeckung dieser Autorin und zur Lektüre ihres Erzählwerks genutzt werden kann. Diese (...) Einschätzung (...) untermauer[t Jochen Vogt], indem (...) [er] den Text zunächst einem kleinen narratologischen Exerzitium (I) unterzieh[t], um seine Erzählstrategie zu verdeutlichen, sodann einige lebens- und werkgeschichtliche Kontexte (II-V) zu klären such[t], die für die Textkonstitution wichtig sind, und aus diesen Beobachtungen schließlich eine These zur Interpretation (VI) und einige weiterführende Überlegungen (VII) entwickl[t].
Heine-Leser werden sich leicht darüber verständigen können, dass sein Werk in hohem Grad Ironie enthält. Schwieriger ist die genaue Beschreibung dieser Ironie. Hier stellt sich die Frage der Intention, die der Autor damit verfolgt, nach der Reichweite der ironischen Dementis. (...) [Die Ironie, die sich in Heines Werk findet, geht daraus hervor,] dass verschiedene Perspektiven aufeinander treffen. Heine weiß um die Grenzen der jeder Weltbeschreibung, um die Vielzahl der Geltungsansprüche in der Moderne und bezieht sich selbst in die Realität mit ein (...). [Ihm geht] es weniger um ein zweckgebundenes und zielgerichtetes Verlachen und mehr um ein Widerspiel verschiedener Positionen, um ein Vermeiden von Fixierungen (...). Man kann die Ironie als jene Größe ansehen, die Heines Werk Einheit gibt.
Bob Dylan war eine Ikone der amerikanischen Protestbewegung, trat bei Martin Luther Kings Marsch nach Washington auf. Clemens Brentano war Mitglied der Christlich-Deutschen Tischgesellschaft und schrieb eine Kantate auf Königin Luise von Preußen. Ebenso verschieden sind die Einflüsse, die auf beide wirken. (...) Trotz dieser Unterschiede kann man weiterfragen, kann versuchen, die Dynamik, die Ruhelosigkeit, die beiden gemeinsam ist, zu verstehen. (...) Wegweisend (...) sind die Überlegungen des Religionshistorikers Friedrich Wilhelm Graf, der in seinem Buch ‚Die Wiederkehr der Götter’ die Untersuchung von autobiografischen Texten vorschlägt, um die Innenseite der Säkularisierung begreifen zu können. Eine solche Sichtweise ermöglicht es, so verschiedene Individuen wie Bob Dylan und Clemens Brentano zu verstehen und zu vergleichen. Denn die Säkularisierung stellt einen Langzeitzusammenhang dar und greift auch räumlich weit aus, betrifft verschiedene, ehemals christlich geprägte Gesellschaften.
„Ich will zu diesem Vorkommnis aus dem psychischen Binnenleben das Seitenstück aus dem sozialen Leben suchen.“ Mit diesem Satz gelangt [Sigmund] Freud zum Begriff der Zensur und kann dann all dessen Ausdruckskraft nutzen – Unterdrückungsinstanz unangenehmer Wahrheiten, Zwang zur Mäßigung und Verstellung –, um seine neue psychologische Entdeckung zu erläutern: „eine bis ins einzelne durchzuführende Übereinstimmung zwischen den Phänomenen der Zensur und denen der Traumdeutung“. [André] Breton verdankt Freuds Zensurbegriff den entscheidenden Anstoß. Sein Programm des Surrealismus besteht im wesentlichen darin, traditionelle sprachreligiöse Idee auf moderne und provokante Art neu zu formulieren – und Freuds Zensurbegriff ist es, der dabei die Modernität und Provokation ausmacht. Die ‚écriture automatique’ folgt der literarisch-religiösen Idee von der sich selbst sagenden, sich selbst schreibenden Wahrheit. Die wichtigen Texte haben keinen Verfasser, heißt es, jedenfalls nicht einen Menschen bei wachem Verstand, sondern sind Offenbarungen aus göttlicher Quelle oder, sprachreligiös gewendet, der Sprache selbst.
Die postmoderne Auflösung der Grenze zwischen Kunst und Leben und die daraus resultierende Frage, wieviel Wirklichkeit ein Roman verträgt, wird verstärkt von den Gerichten beurteilt und nicht von Literaturwissenschaftlern und Kritikern. Das in der Praxis schon übliche Gegenlesen von Manuskripten durch die Verlagsjustitiare auf die potentielle Verletzung Rechte Dritter birgt in sich die Gefahr einer ›Vorzensur‹. Die zunehmende Verrechtlichung und die damit einhergehende Regulierung ist eine bedenkliche Entwicklung, die schleichend zu einer Unterwanderung der Kunstfreiheit führen könnte. Besonders dringlich erscheint eine zunehmende Beteiligung von Literaturwissenschaftlern an dem Diskurs. Ein Ringen im Einzelfall scheint aus Mangel an generellen Lösungen und Definitionen, in literaturwissenschaftlicher sowie juristischer Hinsicht, auch in Zukunft unumgänglich zu sein.
[...] Kaum ein anderer zeitgenössischer Künstler verkörpert die Leidenschaftskomponente des französischen Wagnerismus mit ihrer Verquickung von Ablehnung und Bewunderung, von partieller Unwissenheit und tiefer geistiger Verbundenheit besser als Stéphane Mallarmé. […] [S]ein Wagner-Tableau scheint symptomatisch einerseits für die Übertragungsmechanismen jener elektrisierenden künstlerischen Substanz aus Deutschland und andererseits für die Modalitäten ihrer Integration in eine ihr fremde intellektuelle Landschaft. Aus diesem Grunde ist es auch nur schwer nachvollziehbar, dass bis heute die Beziehung des französischen Dichters zum Parsifal-Komponisten den weniger bekannten Seiten der Geschichte des Wagnerismus in Frankreich zuzurechnen ist. Die „Rêverie d’un poète français“ und die „Hommage à Wagner“ haben sich in der Wagner-Forschung nie jener Beliebtheit erfreut, die ein Thomas Mann oder […] Baudelaire, in den letzten Jahrzehnten genossen haben. Die hermetische Dignität der Texte Mallarmés mag hierfür sicherlich eine Erklärung sein. Dennoch wäre es bedauerlich, Mallarmé nur einigen wenigen Lyrik-Spezialisten zu überlassen, die sich oft damit begnügen müssen, die Missverständnisse des Dichters zu perpetuieren, ohne dabei nach tieferen Zusammenhängen suchen zu können, deren Bedeutung jedoch, gerade im Hinblick auf die unterschiedlich gearteten intellektuellen und kulturellen Kontexte beider Künstler, besonders aufschlussreich sein könnten. Dementsprechend soll im weiteren Verlauf versucht werden, den »gravierenden Konflikt« (Philippe Lacoue-Labarthe) zwischen Wagner und Mallarmé neu zu deuten und besonders den ästhetischen Standpunkt des Komponisten zur Geltung kommen zu lassen. Hierdurch kann schließlich vermieden werden, dass, wie so oft, die Auseinandersetzung des französischen Dichters mit der Kunst Richard Wagners zur Philippika gegen die Anmaßungen des deutschen Gesamtkünstlers umfunktioniert wird.
Im Mittelalter war der Begriff der Nation zwar schon klar umrissen, aber die Nation in unserem Sinne gab es nicht. Das Wort ›Nation‹ ist entlehnt aus dem Lateinischen nâtio (-ônis), einer Ableitung von nâscî (nâtus sum), geboren werden, das mit dem lateinischen genus‚ Geschlecht, Art, Gattung verwandt ist. Das Wort bezeichnet seiner Etymologie nach eine Gemeinschaft von Menschen derselben Herkunft, die durch gemeinsame Abstammung verbunden sind; dann anschließend eine Gemeinschaft von Menschen gleicher Kultur, Sprache. Demgemäß bezeichnete lat. natio schon in der Antike und noch lange im Mittelalter die Abstammung oder den Herkunftsort einer Person und zwar in Bezug auf politisch nicht organisierte Bevölkerungen. Anfangs bezeichnete also die Nation die Herkunft einer Gruppe von ausgewanderten Menschen, die sich mit der Bevölkerung vermengte, in die sie sich eingliederte. So wurde das Wort besonders gebraucht, um die Herkunft der Studenten einer Universität zu bezeichnen: es ist die Rede von ›Universitätsnationen‹, wobei »mit diesem Wort […] ursprünglich eher Himmelsrichtungen als Nationen im späteren Sinne gemeint«
waren. Es entstand in Paris die Einteilung in vier Nationen: Gallikaner oder Gallier, zu denen auch Italiener, Spanier, Griechen und Morgenländer zählten, Picarden, Normannen und Engländer, die auch die Deutschen und weitere Nord- und Mitteleuropäer beinhalteten. […] Es gab an der 1348 gegründeten Universität Prag ebenfalls vier gleichberechtigte ›Nationen‹, in die sich die einzelnen Studenten organisierten. Die polnische Nation umfasste die Studenten aus Preußen, Schlesien oder aus einer polnischen Stadt mit deutscher Bevölkerung, d. h. aus dem gesamten östlichen Raum; zur böhmischen Nation gehörten die Böhmen, die Tschechen, die Ungarn und die Südslaven, zur bayerischen Nation die Schwaben, die Bayern, die Franken, die Hessen, die Rheinländer und die Westfalen, zur sächsischen Nation die Norddeutschen, die Dänen, die Schweden und die Finnen. So hatte der mittelalterliche Nationbegriff nichts zu tun mit dem modernen, seit der Französischen Revolution in den Vordergrund getretenen, und noch weniger mit dem Nationalismus.
Von den Evidenzen der Kunst
(2008)
Vom Enden der Kunst heute spreche ich unvermeidlich im Anschluss an Dieter Henrich. In seinem Zugriff schlägt das Fragen nach dem Enden von Kunst und Subjektivität in hochreflexiver Weise selbstwiderlegend aus. Henrich bindet die Kunst an das Subjekt. Damit entsteht sie in einer Dynamik zwischen beschränkter, endlicher Suche und der Möglichkeit des Erfahrbarmachens eines kleinen oder, logisch und erfahrungsmäßig, auch unverhältnismäßig großen Abschnitts des unendlichen Unausgeschöpften. Subjektivität bestätigt Henrich als Modus des (endlichen) Lebensvollzugs, der ›in einem Wissen von sich selbst steht‹ und dessen ›Aktionen unter der Voraussetzung eines solchen Wissens von sich‹ organisiert sind. Der Grund des Selbstbewusstseins bleibt jedoch dunkel und das Subjekt somit der Selbstdeutung bedürftig. Als ein Modus der Selbstverständigung mit bestimmten Eigenschaften wird die Kunst verankert.
Migration ist in den letzten Jahren ein aktuelles Thema der Forschung geworden, das auch von der lyrischen Gattung bzw. in Liedern behandelt wird und viele populäre Sänger auf der Welt beschäftigt. Die vorliegende Studie untersucht Lieder, die die Migration thematisieren. Migration wird hier als globales Phänomen aufgefasst. Zwar wird der Begriff oft hauptsächlich auf afrikanische Migranten bezogen, aber in der Tat betrifft die Migration viele andere Nationen: Überall auf der Welt, wo Armut oder Krieg herrscht, erlebt man dieses Phänomen. Natürlich ist es in Afrika stärker ausgeprägt: Der Traum vieler junger Afrikaner ist es, ihr Land zu verlassen, um ihre Träume in Europa oder in Amerika zu verwirklichen. Dafür sind sie bereit, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Je strenger die Grenzen Europas bewacht werden, desto mutiger werden die „Migrationskandidaten“: Sie suchen alle Umwege, um das „Eldorado“ zu erreichen. Untersucht werden entsprechende Erfahrungen, die in zwei Liedern nacherzählt werden. Es handelt sich um die Lieder "Ouvrez les frontières" und "Un Africain à Paris" des aus der Côte d’Ivoire stammenden populären Sängers Tiken Jah Fakoli, den man als "Botschafter" der afrikanischen Jugend betrachtet. Dabei wird den Fragen der stilistischen Darstellungen und Komponenten dieser Lieder nachgegangen, wobei sowohl die Texte der Lieder als auch deren Videoclips in Betracht gezogen werden.
Die vorliegende Studie setzt sich zum Ziel, die bestehende Analogie von zwei Märchen zu untersuchen. Es handelt sich um das Märchen "Mawu et ses trois enfants" aus Togo und Grimms Märchen "Der Arme und der Reiche". Bei der Untersuchung kommt ein wichtiger Punkt zum Vorschein: Beide Male geht es um Gott, der Menschen auf eine Probe stellt. In "Mawu et ses trois enfants" zum Beispiel hat Gott drei Söhne, deren Gehorsamkeit ihm gegenüber er überprüft. In "Der Arme und der Reiche" hingegen kommt er in Gestalt eines einfachen Reisenden zu Besuch zu einem reichen Mann und dann zu einem armen. Die Weise, wie sich die Besuchten in den jeweiligen Märchen verhielten und wie sie vom Gott belohnt worden sind, wird analysiert. Interessant ist es auch bei den zwei Märchen die Tatsache, dass obwohl sie aus so weit entfernten Ländern wie Togo und Deutschland stammen, jedoch Einflüsse nachweisen, die dazu beitragen, Brücken zwischen den vielfältigen Kulturen zu bilden und somit einen Dialog zwischen den Kulturen unterstützen.
Die Rede von einer ‚Berliner Frühromantik’ ist falsch, wenn damit das ‚Athenaeum’ der Berliner Salonkultur angegliedert und die frühromantische Forderung nach Urbanität mit der zeitgenössischen Berliner Wirklichkeit verbunden werden sollen. Das ‚Athenaeum’ ist vielmehr ein Zeugnis akademisch gelehrter Schriftsteller, deren eigene Formen der Geselligkeit – die Berliner Wohngemeinschaft und der gemeinsame Jenaer Hausstand – nichts mit großstädtischer Salonkultur zu tun haben, sondern ganz im Gegenteil homogene Exklusivgemeinschaften sind: ein einseitiger, enger Umgang, müsste man mit Nicolai und Garve sagen, der das kleinstädtische Risiko trägt, sich an sich selbst zu ermüden und zu frustrieren. So ist es dann ja auch gekommen.
„Man kann zu keinem gebildeten Deutschen von Dantes göttlicher Komödie sprechen“, sagt der Romanist Karl Voßler, „ohne ihn an Goethes Faust zu erinnern.“ Und weiter: „Die Zusammenstellung des größten italienischen mit dem größten deutschen Gedicht ist uns seit den Tagen der Romantik zur Gewohnheit geworden und hat ihre Berechtigung: aber nicht so sehr in einer tatsächlichen und quellenmäßig erweisbaren, als in einer inneren und eben darum tieferen Verwandtschaft der beiden Werke.“ (Karl Voßler: Die Göttliche Komödie. 1. Bd. Heidelberg: 1925, S. 1.)
(...) Was den Begriff ‚Weltliteratur’ betrifft, kann die aktuelle Goethe-Philologie indes geltend machen, daß die von Voßler bezeugte monumentale Auslegung weiter von Goethe entfernt ist als das prozessual-kommunikative Verständnis, das die neuere Forschung herausstellt. (...) Im Kompositum ‚Weltgedicht’ sind (...) im Blick auf Goethes Drama beide Singulare unpassend. (...) So wie in diese, Gedicht eine Pluralität von Dichtungen herrscht (...), so ist das Dargestellte nicht mit dem totalisierenden Singular ‚Welt’, sondern besser mit dem Plural zu benennen. Diese Vielfalt auf die Einheit ‚Weltgedicht’ zu bringen ist (...) der Versuch, Goethes „Faust“ Katholizität zuzusprechen. Dieser Versuch ist heute als Wirkungsgeschichte der suggestiven, doch unpassenden Dante-Analogie zu beschreiben und zu beenden.“
Lessings Palast ist nicht Diderots Tempel. Die Unterschiede zwischen beiden sind groß, und die Gebäudebildlichkeit ist von sich aus viel zu allgemein, als daß nur über sie die Brücke von den ‚Bijoux indiscrets’ zum Auftakt der Anti-Goeze zu schlagen wäre. Dennoch gibt es drei Argumente, die Diderots Romankapitel mit Lessings Parabel verbinden. Erstens: Als motivische Vermittlung läßt sich eine Stelle in Lessings „Duplik“ ansehen, in der sich die Gebäudebildlichkeit der Parabel vorbereitet. (...) Zweitens: Mangoguls Traum und die Palast-Parabel zeigen eine analoge Figurenkonstellation, der die entscheidende Aussage des Textes anvertraut ist: auf der einen Seite die Fetischisten überkommender Bruchstücke (...), auf der anderen die wenigen Praktiker der Tugend. (...) Drittens ist es hier wie dort die gleiche charakteristische Art, wie literarische Anschauung zeitgenössischen Theorieansprüchen begegnet, ist es bei beiden die gleiche Strategie von parteilicher Provokation, ironischer Distanzierung und lakonischer Überwindung des Streits.
[Es geht] nicht nur um den aktuellen Disput, sondern auch um dessen Gegenstand selbst, und zwar im besonderen um den Text, der bis zum Überdruß wissenschaftlich traktiert worden ist: Novalis’ „Monolog“. Ohne Bitte um Wohlwollen kann man sich um diese anderthalb Seiten nicht mehr öffentlich bemühen. (...) [Stefan Matuscheks] Anlass, dieses Wohlwollen noch einmal zu strapazieren, ist der, daß sich an diesem vordringlichsten Zeugen der frühromantischen Poetik als Sprachreflexion am deutlichsten die Interpretationstendenz von kritischer Abstraktion zur Erbauung zeigen läßt.
Der Zusammenhang zwischen (...)[Geschichte und Erinnerung] ist spannungsvoll und von einer komplexen, sich historisch wandelnden Problemlage, daß er selbst wieder einen eigenen Gegenstand historischer Forschung darstellt. Man könnte eine Geschichte des Verhältnisses von Geschichtswissen und Erinnerungskultur schreiben. Das eine ist der Anspruch rein sachbezogener Rekonstruktion, die andere lebt vom eigenen Bezug, von der eigenen aktuellen Verwendung von Vergangenheit, es ist, mit Jan Assmanns Formulierung, „Gedächtnis, das Gemeinschaft stiftet“. Geschichtswissen und Erinnerungskultur sind keine klar getrennten Abteilungen, vielmehr sind mit diesen Begriffen Pole eines Spannungsfeldes zu markieren, in dem sich Geschichtsschreibung bewegt. Am Beispiel von Friedrich Schlegel, einem der Väter der historischen Methode in den Geisteswissenschaften, möchte (...) [Stefan Matuschek] in dieses Feld hineinführen und die Spannungen in ihm sichtbar machen.
Einfache Regeln – komplexe Strukturen : ein strukturanalytisches Experiment zum "Nibelungenlied"
(1997)
Der Erzähltyp der gefährlichen Brautwerbung läßt sich einerseits als eine konventionalisierte Matrix narrativer Elemente verstehen: ein spezifisches Raumprogramm, das zwei Machtbereiche durch eine allermeist als Meer erscheinende Schwellenwelt voneinander absetzt und aufeinander bezieht; eine distinkte Figurenkostellation sodann mit Werber, Werbungshelfer, Braut und Brautvater; schließlich ein Set von Episodenmustern wie Ratsszenen, Werbungsfahrt, Freierprobe, Kemenatenszene, Heimführung der Braut, über deren Abfolge die Handlung sich aufbaut. Andererseits ist diese Geschichtenmatrix als Ausfaltung ihrer Basisregel zu begreifen, wonach der Werber die Braut bekommt. Der Erzähltyp der gefährlichen Brautwerbung versteht sie demnach als Möglichkeit, das dieser Regel zugrundeliegende elementare Gesetz narrativ zu garantieren, daß nämlich in einem gegebenen Weltausschnitt stets nur der beste Mann und die schönste Frau zusammengehören. Insofern ist die gefährliche Brautwerbung ein Regulierungsmodell für die – vielleicht anthropologisch relativ stabilen – anarchischen Impulse von Gewalt und Begierde, Macht und Eros.
(…) Nun gibt es freilich auch insgesamt zwar schemagemäß organisierte Werbungserzählungen, die indes gleichwohl die Basisregel des Brautwerbungsmodells außer Kraft setzen, die damit seine angedeutete Garantieleistung problematisieren oder negieren und die darin die besonderen erzähllogischen und epistemologischen Vorraussetzungen des Schemas zu erkennen geben. Dieser Fall kann sich dann einstellen, wenn die männliche Protagonistenrolle konflikthaft so verdoppelt ist, daß neben den Werber ein Werbungshelfer tritt, der mit diesem um die Braut konkurriert. So geschieht es im 'Nibelungenlied', im Tristanroman und in der Geschichte von Herburt und Hilde, wie sie in der 'Thidrekssaga' und im 'Biterolf und Dietleib' erzählt wird.
Schon vor einhundert Jahren hat Konrad Burdach jenes 'mythische' Walthers […] endgültig auf das 'geschichtliche' eines Auftragsdichters in wechselndem Dienst reduziert.“ Doch können einzelne Elemente das Ende von Deutungstraditionen überdauern. Solches scheint mir etwa dass der Fall zu sein, wen man Sangsprüche Walthers als Quelle für eine zentrale gesellschaftliche Position des Sängers und die unbestrittene Geltung seiner Kunst liest oder wenn der poetische Diskurs über Freigebigkeit dahingehend gedeutet wird, der Sänger reklamiere mit dem Anspruch auf fürstliche 'milte' zugleich auch Gleichrangigkeit mit dem Fürsten.
Der Begriff der Gegenwärtigkeit bezieht bei Peter Czerwinski seine Bedeutung aus einer historischen Opposition zu dem des Zeichens. Er spricht zu diesem jede anthropologische Geltung ab und zentriert solcherart den radikalsten Versuch, Mediävistik auf Alterität zu stellen. Der folgende Beitrag präsentiert und diskutiert dieses Konzept unter insbesondere methodologischen Gesichtspunkten.
(…) Der wissende Laie Wolfram sagt im "Oberkrieg", was er weiß, und er wird dadurch zur Sprecherinstanz des Arkanen. Umgekehrt Klingsor, der unwissend ist hinsichtlich aller Sachverhalte, auf die es wirklich ankommt. Er inszeniert dasjenige als Geheimnis, was er nicht weiß (…). Der ‚meisterpfaffe’ verfolgt eine Verheimlichungsstrategie, er kompensiert, wenn man so sagen will, seine Wissensdefizite durch eine gewissermaßen künstliche Aura des Arkanen. Im strikten Gegensatz zu Wolfram als einer Sprecherinstanz der Geheimnisse, wäre Klingsor insofern eine Figur der falschen Geheimnisprätentionen, der lautstarken Geste des Verschweigens. (…)
Es mag generell lohnend sein, bei Fazetien und Schwänken die eingefahrenen Wege von Stoff- und Gattungsgeschichte zu verlassen und analytisch genau zu werden, denn in den Niederungen des ‚niederen’ Erzählens sind komplexe Spuren epistemischer Verunsicherungen zu entdecken. Was indes speziell die Repräsentationen religiöser Praxis in frühmodernen Schwankerzählungen anbelangt, wäre von Fall zu Fall zu urteilen. So sehr Reliquienpraxis im 16. Jahrhundert ins Zentrum konfessioneller Konflikte gerät, so wenig kann das schwankhafte Erzählen von ihr immer schon eindeutig auf die Seite frühmoderner Pluralisierungen geschlagen werden. Solches Erzählen kann vielmehr einerseits als Ort konfessionalistischer Verarbeitung und Eindämmung sozialer, religiöser, ideologischer Differenz genützt werden. Andererseits steht es aber fallweise auch dort als Raum literarischen Probehandelns zur Verfügung, wo es schwer oder unmöglich zu sein scheint, Konkurrenzen relevanter Propositionen, Orientierungskomplexe oder Geltungsfonds durch Negativierung und Asymmetrisierung zu entschärfen. Dann dürfte indes von Pluralisierungen, auch solchen des Religiösen, die Rede sein. Einstweilen offen bliebe hierbei allerdings, ob es sich allein um die Verarbeitungs-, oder auch um Produktionsformen des frühzeitlichen Umbaus der Welt handelt.
Walter lesen: in diesem Programm steckt das Versprechen einer Lesbarkeit alter Gedichte, die jenen Hiatus von ästhetischer und kultureller Alterität überspringen möchte, welcher Texte wie diejenige Walthers von der Vogelweide trennt von der literaturwissenschaftlichen Rede über sie; darin steckt die Sehnsucht nach einer Unmittelbarkeit von Lektüreerfahrung, welche ebenso sich selbst als notwendigen Stimulus analytischer Arbeit weiß, wie sie selbstverständlich nicht darüber sich täuscht, daß solche Unmittelbarkeiten stets auch imaginär bleiben. Zugleich nämlich rekurriert der in dem genannten Programm enthaltene Begriff der Lektüre auch auf diejenigen von Text und Schrift. Das aber heißt: Er verweist auf den keineswegs mehr selbstverständlichen Status von (literarischen) Texten in einer vormodernen, wesentlich stratifikatorisch aufgebauten Gesellschaft; auf fremde Spannungsfelder zwischen performativer Realisierung von Texten und ihrer handschriftlichen Speicherung; auf kulturell längst vergangene Formen von Textualität. (…) [Ein später, mehr oder weniger genuin schriftlicher „Walter-Text“] bleibt freilich gleichwohl ein „lesbarer“ Text: Allein auf „archivalische“ Interessen von Sammlern und Redaktoren der Handschrift an möglichst allen Strophen eines Tons könnte dieser Text nicht zurückgeführt werden, denn poetisch wie minneideologisch besetzt er eine durchaus historisch identifizierbare Position.
Vor 25 Jahren hat Hugo Kuhn das sogenannte dritte Kreuzzugslied „Ich var mit iuweren hulden, herren und mâge“ (MF 218,5) Hartmanns von Aue zum Gegenstand eines bahnbrechenden und in der altgermanistischen Lyrikforschung einflußreich gewordenen Versuchs gemacht, am konkreten Fall vorzuführen, in welcher Weise mittelhochdeutsche Lyrik von ihrem öffentlichen Vortrag vor einem höfischen Publikum her zu denken wäre. Der von der mediävistischen Literaturwissenschaft längst anerkannte Anspruch dieses Vorstoßes war es, für die mittelhochdeutsche Liebeslyrik einen Begriff von „Minnesang als Aufführungsform“ zu etablieren, sie also als Medium kommunikativer Vorgänge zu begreifen und so überhaupt die mediävistische Forscherperspektive auf das kommunikative Funktionieren von Dichtung hin zu öffnen.