BDSL-Klassifikation: 18.00.00 20. Jahrhundert (1945-1989) > 18.14.00 Zu einzelnen Autoren
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This study compares and analyses hetero-stereotypes in Flaubert's travelogue "Voyage en Égypte" and Bachmann's prose fictions "Wüstenbuch" and "Das Buch Franza" in order to find out to what extent Flaubert resorts to stereotypical representations of the colonial Orient, and Bachmann perpetuates, transforms, or revises Flaubert's imagological discourse in the age of postcolonialism. Whereas Flaubert's sexist and racist narrative posits white superiority, Bachmann's protagonists subvert the male hegemonic stance of her French predecessor, insisting on white and male inferiority, causing just another stereotypization of race and gender.
Der Titel von Volker Wehdekings 1971 publizierter Studie zur deutschsprachigen Nachkriegsliteratur verdichtet eine bedenkenswerte Herkunftsfiktion: "Der Nullpunkt. Über die Konstituierung der deutschen Nachkriegsliteratur (1945–1948) in den amerikanischen Kriegsgefangenenlagern". Zusammengesetzt aus einer der Metaphern historischer Rede nach 1945 und einem den Gegenstand bestimmenden Untertitel gibt er der Monografie die Abbreviatur einer komplexen literarhistorischen Narration als Leitthese vor. Die so entworfene Gründungserzählung einer Selbst(er)findung und Selbstgründung in den Lagern der Kriegsgefangenschaft verbindet sich in der Nachkriegskultur mit einer Erhebung des Lagers zu "einem allgemeinen Paradigma der Moderne". Die Gleichsetzung unvergleichlicher Lagererfahrungen aus prononciert deutscher Perspektive läuft so auf eine existentialistisch getönte Rede vom Lager als allgemeinem Symbol der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts zu, in der die Erfahrung des einen Lagers die Erfahrung aller anderen vertreten kann. Diese Traditionslinie literarischen Erinnerns, die der rezenten Vergangenheit des Weltkrieges und der Shoah mit den Denkfiguren der Überblendung, Wiederholung und Verschiebung begegnet, diskutiert der folgende Aufsatz. Im Mittelpunkt stehen die erzählten Lager in Hans Werner Richters Romanen "Die Geschlagenen" und "Sie fielen aus Gottes Hand".
Uwe Schütte hat ganz richtig bemerkt, dass W. G. Sebald ein Autor war, der "verstörende Leseerfahrungen [bietet], bei denen wir in Berührung kommen mit einem 'Anderen', das sich wissenschaftlicher Explikation sowie rationalisierender Begradigung entzieht", und hier beginnen die Analogien zu Kiefer. Eine vergleichende Gegenüberstellung der beiden ist bislang noch nirgendwo erfolgt, weder von Seiten der kaum mehr überblickbaren Sebald-Forschung noch in den zahlreichen Publikationen und Katalogen, die die Ausstellungen und Installationen von Anselm Kiefer begleitet haben. Die folgenden Betrachtungen sollen zeigen, dass es zwischen ihnen die verblüffendsten Bezüge und Gemeinsamkeiten gibt - und zwar sowohl inhaltlich, was die Wahl ihrer blutgetränkten, geschichtsbefrachteten Sujets betrifft, als auch formal, was ihre palimpsesthaften Verfahrensweisen anbelangt - und nicht zuletzt auch biographisch: mit Blick auf ihre Werdegänge.
Ingeborg Bachmanns Text "Undine geht" wird mitunter als Verhandlung einer existentiellen "Sprach- und Wahrnehmungskrise" verstanden. Hier verabschiedet sich die mythisch-märchenhafte Protagonistin aus der Kommunikation mit ihrem menschlichen Gegenüber Hans. Die Sprache, so die Ausgangsthese der folgenden Überlegungen, ist jedoch noch auf einer weiteren Ebene von Relevanz: Undine geht wurde zuerst im Radio gesendet und steht somit in der Nähe des Hörspiels. Auch wenn Undine geht nicht als Hörspielfassung publiziert ist, wurde der Text 1961 doch zunächst als solche mit Bachmann als Sprecherin produziert und gesendet. Erst im Anschluss erfolgte die Publikation in einer Zeitung und in Prosaform. Um dieser Textgenese gerecht zu werden, bedarf es in der Analyse einer nicht rein literaturwissenschaftlichen Perspektive, sondern auch der Auseinandersetzung mit anderen Disziplinen. Für Undine geht sind Stimmlichkeit und Sprachvollzug wesentlich. In der durch Mündlichkeit und Performanz geprägten Ersterscheinung ist die Sprache nicht nur literarisch, sondern auch als Klangkörper von Gewicht. In der Auseinandersetzung mit diesen formalen Momenten des Textes, die in einem transmedialen Verständnis als theatral gelten können, soll deutlich werden, wie Undines Rede durch und für eine mündliche Darbietung generiert wurde. Dabei besteht Bachmanns Text keineswegs nur aus Undines Ansprache an Hans, sondern aus einer mindestens dreistelligen Konstellation [...] In einem ersten Schritt soll Bachmanns Zugriff auf das Märchen im Vergleich mit früheren Bearbeitungen des Stoffes betrachtet werden. Insbesondere in der Gegenüberstellung mit der Bühnenfassung lassen sich Veränderungen und Zuspitzungen feststellen, die den Hörspiel-Charakter des Textes hervortreten lassen. In einem zweiten Schritt stehen die einander sehr ähnlichen Fassungen des Hörspielmanuskripts, der Radio-Aufnahme und des Buchabdrucks von Undine geht im Vordergrund. Hierbei werden die verschiedenen medialen Erscheinungsformen und die Bedeutung des originär Akustischen von Bachmanns Textversionen verhandelt.
Le texte part d'une réflexion sur le rapport immanent aux paroles entre les termes "local" et "global", puisque chaque mot occupe un lieu particulier dans une phrase tout en participant de la nature transmissive de la communication. De plus, chaque phrase dite véhicule un sens qui présuppose un dire en acte qui, lui, ne saurait être dit. L'attention qui réunit ces deux modalités linguistiques qualifie entre autres le langage poétique, lequel ouvre sur une temporalité non-chronologique et une spatialité qui rend compte de l'espace entre les langues, domaine propre à la traduction. Les technologies digitales, notamment l'internet, sont en mesure de réaliser le rêve utopique d'une communication immatérielle. Ainsi entrent-elles dans une certaine mesure en concurrence avec la poésie (voire p.ex. le mythe d'Orphée ou "la Divine Comédie"). Avant de procéder à une analyse d'un poème du poète autrichien Franz Josef Czernin, dans laquelle Baschera se penche sur la différence entre ces deux approches, il attire l'attention sur celle existant entre les termes de globalisation et mondialisation.
'The Staircase Wit; or, The Poetic Idiomaticity of Herta Müller's Prose' explores idioms and 'Sprachbilder' as poetic views of the mother tongue. This exploration involves a special focus on Müller's Nobel lecture, considered as both a compendium and an enactment of her meditations on language, on the nature of writing, and on the creative process. While Müller frequently employs idioms in her articles, lectures, and novel titles, she never uses them in a superficial way or as a mere reproduction of common or daily speech. Rather, as this essay argues, idioms in Müller's prose are indicative of her attitude toward language and toward the mother tongue in general. In the Nobel lecture as well as elsewhere, idioms serve a dual, occasionally conflicting purpose, combining the need for the 'singularity' of aesthetic experience with the search for a new kind of 'conventionality'.
In dem Beitrag wird ein intersektional perspektiviertes Analysemodell für multimodale Erzähltexte (Bilderbücher) vorgestellt. Zunächst wird das Korpus der sogenannten queeren Kinder- und Jugendliteratur kursorisch aufgefächert und dabei gezeigt, dass in den Erzähltexten, die als 'diversitätssensibel' vermarktet werden, meist auf die klassische Außenseiterfigur zurückgegriffen und somit die Binarität einer vermeintlichen Norm und deren Abweichung perpetuiert wird. Durch das Analysemodell sollen literarische Darstellungen von Positionierungen innerhalb einer 'Matrix der Macht' desavouiert werden: Entlang der interdependenten Kategorien Age, Race, Geschlecht, Familie und Körper sollen die Positionierungen der Figuren auf der histoire-Ebene zugeordnet werden, während die Kategorien auf der discours-Ebene wählbar und erweiterbar sind. Mit dem Blick auf das Bilderbuch als multimodales Erzählmedium müssen die literarischen Inszenierungen nicht nur auf Bild- sondern auch auf Schrifttextebene berücksichtigt und hierbei insbesondere auf intermodale Spannungsverhältnisse geachtet werden. Der Beitrag schließt mit der exemplarischen Analyse der Bilderbücher "Weihnachtspost für Ayshe" (Scheffler/Spanjardt 2005) und "Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm" (Schami/Könnecke 2003).
Die Biopolitik ist in den letzten Jahrzehnten zu einem grundlegenden Studienbereich für das Verständnis unserer politischen Modernität und zu einem wertvollen Instrument für die Analyse von literarischen Texten geworden. In der aktuellen Literatur zu Günter Grass' Roman "Die Blechtrommel" (1959) findet man jedoch keine ausführliche Studie, die eine biopolitische Perspektive als hermeneutische Annäherungsmethode einnimmt. Eine Analyse von "Die Blechtrommel" vor dem theoretischen Rahmen der Biopolitik ist aber für eine umfassende Lektüre des Textes notwendig, wie im Folgenden belegt wird. [...] Um sich der nationalsozialistischen Biopolitik zu widersetzen und bürgerliche Rationalitätsparadigmen zu untergraben, lässt Grass verschiedene Facetten der Populärkultur (insbesondere Volks- und Kunstmärchen), die der Nationalsozialismus entweder unterdrückte oder für seine Ideologie manipulierte, wieder aufleben. Strukturell und inhaltlich verbindet Grass' Roman die Verfolgung 'entarteter' Kunst mit der Verfolgung und Ausrottung 'entarteter' Menschen, für die der verfolgte Zwerg Oskar zur zentralen Metapher und Stimme wird. Der groteske Körper Oskars bildet in seinem Überleben und subversiven Praktiken gegen die diktatorische Autorität einen alternativen Diskurs gegen NS-Körperideale, die vor allem von Rezeptionen der klassischen Kunst beeinflusst waren. Durch eine Reihe intertextueller Bezüge zur Märchen-Tradition und seine Ästhetik des Grotesken erschafft der Roman eine irrationale Gegenkultur, die sich dem zerstörenden Rationalismus der Nazi-Biopolitik und der Kontinuität dieses Eugenik Gedankens im Nachkriegsdeutschland entgegenstellt, wobei gleichzeitig die Absurdität der Stunde Null entlarvt wird.
"Economy of the Unlost. (Reading Simonides of Keos with Paul Celan)", so nennt die Schriftstellerin, Theatermacherin, Buchgestalterin und Altphilologin Anne Carson eine 1999 erschienene längere Abhandlung. Die Formulierung des eingeklammerten Untertitels suggeriert eine ungewöhnliche Perspektive: Celan soll offenbar dabei helfen, Simonides zu lesen, der moderne Dichter in den Dienst einer Annäherung an den antiken Dichter treten - und nicht etwa umgekehrt der antike Dichter als Vorläufer und Wegbereiter Celans interpretiert werden. [...] Mit Simonides werden in Carsons Abhandlung verschiedene Themen assoziiert: eine Ökonomie der (poetischen) Mittel - unter anderem im Sinn eines 'Transports' von Kontrafaktischem zugleich mit Faktischem, also eines Sprechens mit gedoppelter Aussage - sowie eine poetische Kunst des Erinnerns. Von beiden Themen her stellt Carson Beziehungen zu Celan her, nicht unbedingt direkte Analogien, aber doch Korrespondenzen hinsichtlich der Poetik und der Auffassung über die Funktionen von Dichtung. Sie liest, hierin einer breiten Rezeptionsspur folgend, Celans Gedichte als Auseinandersetzung mit dem Tod und den Toten im Zeichen der Holocausterfahrung und des Wunsches nach Gedenken. Carson betrachtet auch Celan als einen 'ökonomischen' Dichter, ausgehend vom Bild des Sprachgitters, von Konzepten der Reinigung, Verknappung, Kondensierung. Auch Celan verbindet das Faktische mit dem Kontrafaktischen. [...] Carson präpariert aus poetischen Texten der von ihr kommentierten Dichter vor allem Sprachbilder heraus, um sie zu kommentieren, und sie denkt selbst dabei gern am Leitfaden von Sprachbildern. Welche Art von Wissen aber vermittelt ihr im Stil einer wissenschaftlichen Abhandlung verfasster Text über Celan? Und über Simonides? Das Echo, das "Economy of the Unlost" in Fachkreisen gefunden hat, war geteilt: teils ausnehmend kritisch, teils anerkennend. [...] Wie auch immer man den Erkenntniswert, die Vermittlungsleistung, den hermeneutischen (oder eben posthermeneutischen) Ertrag des Essays bewertet - über einen Gegenstand gibt er doch in jedem Fall Aufschluss: über Carsons eigene Poetik. Er kann als prägnante Heranführung an ihr eigenes Werk, ihre eigene Poetik gelesen werden.
In ihren Arbeiten zu Emily Dickinson und Paul Celan macht Shira Wolosky immer wieder auf die thematischen und linguistischen Gemeinsamkeiten der beiden Autoren aufmerksam. Dabei betont sie beispielsweise die stilistischen Auffälligkeiten in beiden Werken. Zudem beschreibt Wolosky neben den Parallelen eine Art des Austauschprozesses zwischen den Werken, die durch die Übersetzung Celans entstehe. In einer zweiten Arbeit zu Dickinson und Celan führt sie diesen Gedanken weiter aus und sieht in der Übersetzung eine Darstellung von Celans eigener Perspektive auf Dickinsons Werk. Auch in der deutschsprachigen Forschung gibt es Beiträge, die herausgearbeitet haben, dass eine nähere Beschäftigung mit Dickinson und Celan relevant ist, da beide ähnliche Themen in ihren Dichtungen behandeln, darunter "die Beziehung des Ichs innerhalb der Spannungsfelder von Liebe und (zumeist unerfülltem) Begehren, Zeit und Ewigkeit, Schöpfung und Vergänglichkeit, Tod und Unsterblichkeit, Gott und Transzendenz, Offenbarung und verweigerter Theodizee." Trotz dieser vielversprechenden Untersuchungen wurde den Dickinson-Übersetzungen Celans im Allgemeinen in der Forschung wenig Beachtung geschenkt, bzw. wurde der Schwerpunkt vor allem auf linguistische Analysen gelegt (so wie die von Wolosky selbst). Im Folgenden möchte ich daher das Gedicht "Because I could not stop for Death", das in der Übersetzung Celans 1959 im Fischer Almanach erschien, näher betrachten und dabei fragen, auf welche Weise sich Celans Übersetzung von Dickinsons Vorlage unterscheidet. Dabei werde ich an Woloskys These anknüpfen, dass Celan die Gedichte nicht nur übersetzt, sondern auch stark bearbeitet und mit seiner eigenen Dichtung verbindet.
Die Meridian-Rede ist als die zentrale poetologische Schrift Celans anzusehen, in der er sich mit unterschiedlichen poetologischen und philosophischen Konzepten auseinandersetzt. Im Folgenden werden die vielen für die Rede bedeutsamen Intertexte jedoch nicht nochmals thematisiert; es soll vielmehr das Augenmerk auf die Rhetorik des Raums gerichtet werden. [...] Aufbauend auf Celans Poetik des globalen Raums soll der Versuch unternommen werden, dessen Konzeption einer dichterischen Toposforschung anhand eines Gedichts aus dem im Jahr 1967 erschienenen Band "Atemwende" plausibel zu machen. Es handelt sich um das letzte Gedicht des zweiten Zyklus und trägt den Titel "Hafen".
Dass Celans Gedichte schwer zugänglich sind, ist bekannt und hat vielfache Gründe, von denen einige bereits zur Sprache kamen und die er besonders im Meridian dargelegt hat, worin er schließlich auf das, was er als ein "Gegenwort" bezeichnet, zu sprechen kommt, etwas, was zu Recht als ein "dichterischer Ausbruch aus verschlissenen Metaphern und banalisiertem Vokabular" aufgefasst werden kann. So gesehen ist gerade auch das Fremde und Unzugängliche dem Gedicht eigen und gehört mit zu seiner besonderen poetischen Sprache. Vor allem auch die hebräischen Worte lassen sich in diesem Kontext als 'Gegenworte' auffassen, die die Hermetik des Gedichts zunächst noch zu verstärken scheinen. Bei genauerer Analyse erweist sich jedoch, dass diese 'Schibboleths', wie man jene in der deutschen Sprache fremden und vielleicht befremdlich wirkenden Worte auch nennen könnte, zwar die Zugänglichkeit des Gedichts erschweren und die Herausforderung an den Rezipienten erhöhen. Werden diese jedoch als Losungsworte erkannt, so sind sie zugleich auch wichtige Erkennungsmale, die einen besonderen Übergang, einen ungeahnten Zugang, mithin eine Öffnung in ein Unbekanntes und Anderes ermöglichen. Zwei Gedichte sollen nun im Folgenden genauer vorgestellt werden. Zunächst wird es um das Gedicht "Schibboleth" gehen, in dessen Titel zum ersten Mal bei Celan ein hebräisches Wort auftaucht. [...] Abschließend soll es um ein Gedicht gehen, dessen letzte Verse in diesem Fall von zwei hebräischen Worten gebildet werden. Am 3. Dezember 1967 schreibt Paul Celan ein eher kurzes Gedicht, das jedoch von einer außergewöhnlichen, zeitlichen wie sprachlichen Vielschichtigkeit ist, und das gern auch als ein 'Jerusalemgedicht' bezeichnet wird.
Der vorliegende Beitrag stellt einen Versuch dar, einige bio-zentrisch konzipierte Gedichte aus der Spätphase von Paul Celans Schaffen vom posthumanistischen Standpunkt her zu lesen. [...] Betrachtet man Celans Werk aus der Perspektive seines spezifischen 'nature writing', so lässt sich behaupten, dass verschiedene Elemente der außermenschlichen Natur zumindest ab dem Band "Sprachgitter" (1959) in seinen Texten eine sehr wichtige Rolle spielen. Während aber in diesem Band vor allem Bilder unbelebter Natur und geologische Schichten vom versteinerten Leben Celans poetische Landschaften mitgestalten, nehmen die bio-orientierten Referenzräume in seinem späteren Werk einen immer mehr vegetativen und animalischen Charakter an. Diese stilistische Gestik äußert sich nicht nur in der Hinwendung zu Pflanzen- und Tiernamen, die meist mit großer Kenntnis der Fachbegriffe einhergeht, sondern auch in Celans Vorliebe für Fachvokabular aus den Bereichen von Geologie, Botanik, Zoologie, Paläontologie etc. Textanalytisch ist dabei nicht bloß diese lexikalische Spezifik interessant, sondern ihre jeweilige Funktionalisierung in den einzelnen Gedichten, auf die im Folgenden eingegangen wird.
Die globalen Waren, mit denen die Literatur handelt, sind oftmals Gegenstände, die sich der Wertform des Kapitals entziehen: Sie sind Gaben, die - etwa im Sinne Greenblatts - eine Zirkulation sozialer Energien bewirken oder - im Sinne Derridas - ein die Ökonomie des Tauschprinzips unterbrechendes Ereignis stiften können. Das globale Moment der Literatur bestünde demnach darin, dass, wie es Goethe in "Dichtung und Wahrheit" formuliert hat, "die Dichtkunst überhaupt eine Welt- und Völkergabe sei". Diesem Verständnis von Literatur als "Welt- und Völkergabe" ist auch Paul Celans Werk verpflichtet. In der Gabenstruktur seiner Gedichte, die sich in der bewussten Hinwendung zum Anderen anzeigt, kommt auch der Weltbezug dieser Dichtung zum Ausdruck. Diesen vielfältigen Facetten von Celans literarischem Weltbezug sind die in diesem Themenschwerpunkt versammelten Beiträge gewidmet. Dem Werk Celans muss die Struktur der Globalisierung nicht erst künstlich zugeschrieben werden: Sie ist ihm inhärent. Denn zum einen hat die Erfahrung von Migration und Mehrsprachigkeit Celans Schreiben in hohem Maß geprägt; zum anderen ist aber auch die globale Dimension der Literatur, nämlich der weltliterarische Gestus seines Schreibens, in den Texten stets präsent.
"Der Meridian", Celans Rede anläßlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises am 22. Oktober 1960 in Darmstadt, ist ein Fest der Poesie. Dem Vortrag eignet eine Dichte und Dunkelheit, die oft auch Celans Gedichten zugesprochen wird; so attestieren die zahlreichen Besprechungen ihm denn auch meist, wie Helmut Müller-Sievers kritisiert, drei Elemente: "First, that the speech must be understood as an auto-poetological statement; second, that Celan is the best, or at least the most authentic, interpreter of his own poetry; third, that there exists a theoretical discourse that can seamlessly connect Celan's poetology to his poetic practice". Dieser Kritik wird insofern wider- oder entsprochen, als ich hier den ersten wie auch den dritten Aspekt bestätige, allerdings anders als von Müller-Sievers gesehen: Die Rede bildet meines Erachtens nicht so sehr eine Theorie Celans zu seinen eigenen Gedichten, sondern stellt vielmehr bereits die Ausführung einer Poetologie dar - operiert mithin also performativ. Das gleiche Argument, das Müller-Sievers nutzt, um dagegen zu argumentieren, dass es sich bei der Rede um eine Poetologie handelt, ist für diesen Ansatz eher ein Argument dafür. [...] Die von Müller-Sievers genannten Eigenschaften erachte ich dabei nicht nur für Celans Poesie als relevant, sondern im gleichen Maße für den "Meridian". So lässt sich auch das Verhältnis zwischen 'universaler Theorie' und 'konkreter Dichtung' zwar nicht als nahtlose Verbindung, aber doch als ein direktes Verhältnis erkennen; damit stellt sich die Frage jedoch umso mehr, inwieweit Theorie sich auf Dichtung beziehen lässt. Oft geschieht dabei, wie auch Müller-Sievers anmerkt, die Zuordnung der von ihm genannten Elemente wie in einer Black Box. Das Argument ist meist: Es handelt sich um Dichtung / Literatur, also kann dem Werk 'mehr' oder zumindest etwas anderes zuerkannt werden als 'anderen' Texten. Diese blinde Übertragung, irgendwo zwischen Ästhetik und Epistemologie verortet, gilt oft als absolut selbstverständlich - insofern muss in der Tat die Legitimität dieser Zuordnungen stets erneut hinterfragt werden. Ich versuche daher in diesem Aufsatz der Frage nachzugehen, was im Text geschieht, das diese Zugriffe legitim macht - oder zu machen scheint. Es geht dabei nicht (so sehr) darum, eine spezifische Theorie zu bevorzugen, als um eine Untersuchung der Funktionsweise dieses theoretisch-poetischen Textes - und um die Frage, ob die darin entwickelten Aussagen auf Dichtung und Kunst im Allgemeinen übertragen werden können, und wenn ja, wie. Dieses spezifische Verfahren mitsamt seinen mannigfaltigen Ebenen wird hier im Hinblick auf seine spezifische Materialität gelesen und als eine 'wegweisende' Art verstanden; in der Rede kehrt der Meridian als Trope wieder - als Ort wie als Bild - und der Weg zu und auf dem Meridian kann als die Aufgabe betrachtet werden, die Celan sich darin stellt.
Ann Cotten gilt dem Feuilleton als das aktuelle "Wunderkind der deutschen Literatur" und als die "klügste und schwierigste Dichterin in deutscher Sprache". [...] Ann Cotten nervt. [...] Doch was hat es mit dem Nerven auf sich? Ist das, was hier als Pose an- und vermeintlich vorgeführt wird, nicht etwas ganz anderes? Bereits diese ersten Hinweise zeigen, dass Cottens Spiel mit den Stillagen zwischen Virtuosität und Kalauer aufgeht: Es entlarvt die Kritik - sowohl in ihrem positiven als auch in ihrem negativen Urteil als Mansplaining, das mit Formeln wie 'Wunderkind', 'talentierte Autorin', Dekonstruktion etc. genau das einhegt, was mit dieser Literatur in Frage steht. Das Nerven, so manieriert es auch daherkommen mag, stellt eine intensiv reflektierte poetologische Dimension von Cottens Literaturauffassung und ihres Schreibens dar - ja man könnte von einer Poetik des Nervens sprechen. [...] Wenn Cotten, wie zu sehen sein wird, die Kategorie des Existenziellen wieder einführt, die vom (Post)Strukturalismus in Abhebung unter anderen von Sartre verabschiedet wurde, dann liebäugelt sie auch mit Autoren, die von ganz anderer Warte aus nerven. Zu ihnen zählt auch der in der Poetikvorlesung mehrfach genannte Peter Handke. Peter Handke nervt Ann Cotten, aber sie liest ihn auch und kann etwas mit ihm anfangen - inwiefern, wird zu sehen sein. Mit Handke steht ein weiteres ehemaliges 'Wunderkind' des Literaturbetriebs zur Debatte, bei dem jedoch seit ein paar Jahrzehnten eine Abwendung von den avantgardistisch-sprachkritischen Anfängen und eine Hinwendung zu einer mystischen Weltanschauung kritisch diagnostiziert wird. Die Empörung bei der Vergabe des Literaturnobelpreises an Handke im Herbst 2019 betraf vor allem seine proserbische Haltung sowie sein 'Frauenbild' und steigerte sich auch bis zum 'Durchdrehen'. Ist man bei Cotten über die dekonstruktivistische Pose genervt, so enerviert man sich bei Handke poetologisch gesehen darüber, dass er deren Einsichten zumindest in seinen jüngeren Werken trotzig negiere. [...] Seit der Tetralogie rund um die "Langsame Heimkehr" (1979) zeichnet sich bei Handke ein neuer Weltzugang und damit verbunden eine epische Erzählweise ab, denen Peter Hamm, knapp vier Monate nach dem Massaker von Srebrenica, in seiner Laudatio bei der Verleihung des Schillerpreises an Handke Folgendes attestiert: "Peter Handke hat das Schwierigste und Höchste gewagt, was ein Schriftsteller nach Kafka überhaupt wagen konnte, nämlich erzählend wieder für Weltvertrauen zu werben und Weltvertrauen zu schaffen". Man kann darin freilich auch einen gefährlichen Eskapismus sehen - ob man Handke als schwierig erachtet, oder ihm attestiert, Schwieriges zu leisten, ist auch eine Frage der Perspektive. Oder aber man kann die Vermutung formulieren, dass solche Zuschreibungen den Blick auf die Sache, wie auch bei Cotten, eher verstellen, und so drängen sich verschiedene Fragen auf: Wieso arbeitet sich Cotten an einem Autor mit solchem Ruf ab? Weshalb liest sie ihn? Was hat sein Nerven mit ihrem Nerven zu tun? Und was ist das eigentlich, 'nerven'? Zeit also für eine Rekonstruktion von Cottens Handke-Lektüre.
Kluges Schreiben ist tief in der Zeitgeschichte verankert, in den großen Erzählungen des 20. Jahrhunderts, die aber heute neu bilanziert werden müssten, sowohl objektiv wie subjektiv, wobei das Subjektive, das wissen wir als Leser Kluges, nicht nur das Was, sondern auch das Wie des Erzählens betrifft. Denn die spezifische Irrealität der Gefühle erlaubt es Kluge, jene Romane umzuerzählen, Geschichte nicht einfach wiederzugeben, sondern sie zu variieren, Fakt und Fiktion, Reales und Irreales zu mischen. Allerdings, und das ist bemerkenswert, verbindet Kluge diesen Materialismus der Gefühle mit der Form der Chronik, die doch zunächst eine objektive Form zu sein scheint. Aber weiß man denn eigentlich wirklich, was eine Chronik ist? Kluge scheint hier verschiedenes zu meinen: das Moment der Gleichzeitigkeit, das Moment der Aufzählung, der Serie der Jahre, die variierende Reichweite (das Jahr der Gleichzeitigkeit, die eigene Lebenszeit, die 2000 Jahre). Welche poetologischen Implikationen haben diese Eigenschaften, welche darstellerischen Potentiale, welche Autor- oder Chronistenfiguren gehen mit ihnen einher? Wie erlaubt es diese Form, historisches und persönliches Leben zu vermitteln, also gewissermaßen 'kollektive Autobiographie' zu schreiben? Um diese Fragen zu erörtern, stelle ich Kluge einen Autor und eine Autorin zur Seite, die sich auf den ersten Blick deutlich von ihm wie auch voneinander unterscheiden: Rainald Goetz und Annie Ernaux.
"Berührungsfurcht" : soziale Imaginationen der Unterklassigen in der Kanon-Literatur der Moderne
(2020)
Die gutbürgerliche Literatur verwahrt sich mit allem, was ihr eigen ist - Sprache, Aisthesis, Kreativität, Imagination, Wissen und Bildung - gegen den Übergriff des Anderen und Fremden in Gestalt des sozial Niederen und Subalternen im eigenen Erfahrungsbereich, durchsetzt mit Empathie und Aggression. Aus der Sicht der noblen Literatur fällt der Blick auf die schäbigen Volkssänger, von denen sich Gustav Aschenbach, Thomas Manns Identifikationsfigur im "Tod in Venedig", auf der Hotelempore des Lido bedrängt fühlt, auf die elenden "Schalen von Menschen" in den Straßen und Krankenanstalten von Paris in Rilkes "Malte Laurids Brigge", auf die im Gerede sprachlosen Scheusale von Haushälterin und Hausbesorger in Canettis "Blendung", auf die im 'Jargon' agierende chassidische Schauspieler-Bagage, die Kafka so vehement gegen den Prager Kulturzionismus verteidigt. Die kulturelle Hybris gegenüber den Subalternen und Deklassierten folgt der Spur eines elitären Gestus, auch im politischen Handeln: Verachtung, Abscheu, Angst und Erschrecken angesichts der 'Deplorables', des bedauernswerten Elends der sozial Deklassierten und minder Kultivierten. [...] Das entsprechende Bildrepertoire an einsinnigen Klischees begegnet, ästhetisch nuanciert, in der literarischen Zeitgenossenschaft um 1900 bei Autoren unterschiedlichster Weltanschauung und Schreibweise. Und seitdem, was im Folgenden aufzuzeigen ist, in fast jedem uns vertrauten Text moderner, als bürgerlich verbürgter deutscher Literatur, der sich dem sozial Anderen außerhalb des eigenen Lebens- und Erfahrungsbereichs zuwendet, mehr oder weniger emphatisch oder verdrossen. Bei diesem kleinen Streifzug durch einige Kanon-Texte der Moderne kann es nicht um ihre sozialpsychologische und sozialhistorische Erklärbarkeit gehen. Vielmehr interessieren, als kleiner Nachtrag zur Lektüre der uns wohl bekannten Werke, gewisse Wege und Abwege der sozialen Imagination: der moralisch und ästhetisch oft verquere Umgang mit einem Fremden, das nicht nur in anderen Ländern und Kulturen zu suchen, sondern daheim, hier und jetzt, zu entdecken ist. In der Ferne so nah, voller "Berührungsfurcht", wenn nicht panischem Erschrecken vor dem Anderen.
Der vorliegende Aufsatz geht davon aus, dass es die vermeintlich unspektakuläre, zugewandte 'Volksnähe' des Heiligen sowie seine Fähigkeiten als Prediger sind, die Michael Köhlmeier an Antonius von Padua faszinieren. Jedenfalls zeugen sowohl Köhlmeiers literarische Texte als auch seine Auftritte als Mythen- und Sagenerzähler von einem besonderen Interesse an Formen des kollektiven Erzählens sowie an der Beziehung zwischen Publikum und Redner. Vor diesem Hintergrund verfolgt der Beitrag zum einen die These, dass Köhlmeiers Erzählung sich als literarische Untersuchung zur Tradition der Antonius-Legenden lesen lässt, deren inhärenten Spannungen sie nachgeht und deren Produktionsmechanismen sie offenzulegen versucht. Es gehört zu den gattungskonstitutiven produktiven Problemen der Legende, dass sie ihren Gegenstand sowohl voraussetzen als auch performativ durch das eigene Erzählen herstellen muss: Die Heiligkeit der Person, von der die Rede ist, bildet zugleich Anlass und Ziel des Erzählens. In diesem zirkulären Projekt muss die Legende zum einen das Verhältnis zwischen individueller Handlungsmacht und göttlicher Vorsehung austarieren - der oder die Heilige muss als Person exzeptionell sein oder es erst werden, wobei ihm oder ihr diese Exzeptionalität als transzendente Auszeichnung zugeschrieben wird. Zum anderen verhandelt die Legende das Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv - der oder die Heilige muss sich zwar vom Kollektiv absetzen und abgrenzen, ist aber dennoch angewiesen auf die Anerkennung und Beglaubigung durch eine Gemeinschaft. Während die mittelalterliche Antonius-Biographik dieses triadische Gefüge ausbalancieren, heterogene Überlieferungen harmonisieren und widerständige Elemente tilgen muss, um die Lebensgeschichte des Heiligen zur wirkungsvollen Legende zu modellieren, unternimmt es Köhlmeiers Novelle, die plurale Vielstimmigkeit und immanente Widersprüchlichkeit der Überlieferung wieder zu entfalten. Dieses quasi-archäologische, quellenkritische Verfahren erfolgt allerdings nicht um seiner selbst willen, sondern dient, so unsere zweite These, der Etablierung einer eigenen, alternativen Version der Antonius-Legende. Über die produktive Umschreibung der Prätexte und die imaginative Füllung ihrer Lücken findet Köhlmeiers Novelle auf die alte Frage, wie sich Heiligkeit konstituiert, eine neue, durchaus überraschende Antwort: Die Macht zur Heiligung kommt hier nicht der göttlich inspirierten Rede zu, sondern dem Kollektiv.