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Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost den 1998 im Berlin-Verlag erschienen Roman "Simple storys. Ein Roman aus der ostdeutschen Provinz" von Ingo Schulze. Ingo Schulze versteht es, scheinbare DDR-Besonderheiten in einen Kontext allgemeiner spießbürgerlicher Biederkeit derart einzubetten, daß man nicht umhin kommt, die gemeinsamen Wurzeln zu erkennen. Ein eigentümlicher Sog geht von diesen Geschichten aus, die fast durchgängig in der Ich-Form erzählt werden - wobei freilich dieses Ich von Geschichte zu Geschichte wechselt. Ihre Langwierigkeit ist beabsichtigt, ebenso kalkuliert wie die gesetzten Mystifizierungen der darauffolgenden Situationsbeschreibungen und Dialoge.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost den 1998 im Rowohlt-Verlag erschienen Roman "Trivialroman" von Hans Joachim Schädlich. Keine sinistren Helden hängen rum, sondern Gestalten wie Dogge, Biber, Qualle und Clarissa. Manche monologisieren - "Falls ein Feuer ausbricht, so bewahre Ruhe und rufe nicht 'Feuer'", sagt Qualle in die Stille. Ratte, Wanze und Aal sind nicht da, der Chef und die Äbtissin haben sich schon vor Tagen aus dem Staub gemacht. Trivialroman. Endzeitstimmung. Aber Dogge, Qualle, Biber, auch der Ich-Erzähler Feder, waren einmal Berühmtheiten. Was anfangs dem Leser Dunkel scheint, wird im Laufe der Lektüre dieses kokett "Trivialroman" überschrieben Romans zwar nicht heller, aber klarer. In kurzen Rückblenden enthüllt sich die Vergangenheit der Leute, halb Gangsterbande, halb Staatsverwalter, privilegiert und Privilegien gewährend. Allmählich werden ihre Konturen schärfer.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost den 1998 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen Debütroman "Die Gunnar-Lennefsen-Expedition" von Kathrin Schmidt. Wie hier die Phantasie Purzelbäume schlägt, purer literarischer Übermut, reine Lust am Fabulieren einhergehen mit inhaltlichem Ernst, die Groteske nahtlos hinübergleitet in die Tragödie (oder umgekehrt), wie bitterböse Attacken auf Männerwahn verbunden sind mit scharfsichtigen Beobachtungen DDR-eigener Piefigkeit - das hat es in der Folgerichtigkeit bisher nicht gegeben. Doch es birgt auch Gefahren. Während Kathrin Schmidt anfangs relativ streng zwischen Alltagleben und den phantastischen Expeditionen ins Unbewußte unterscheidet, verwischen sich später die Grenzen. Die Folge sind Beliebigkeit und ein Abrutschen ins unverbindlich Märchenhafte. Burleske und barocke Fülle sind nicht mehr von der Substanz her strukturiert, sondern nur noch Accessoires. Doch trotz aller Einwände ist das Buch ein Glücksfall. Es verkörpert eine selten gewordene Erzählkunst, einen im wahren Wortsinne fabelhaften Stoff aus genau jenen Träumen, aus denen das Leben besteht. Kathrin Schmidt hat sich damit in die Geschichte der deutschen Nachwendeliteratur eingetragen.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost den 1998 im Münchner Luchterhand Literaturverlag und postum von Rudolf Bussmann veröffentlichten Roman "Das heroische Testament. Roman in Fragmenten" von Irmtraud Morgner. Rudolf Bussmann, der Freund aus Basel, der bereits 1992 aus dem Nachlaß Irmtraud Morgners den 1966 verbotenen Roman "Rumba auf einen Herbst" rekonstruierte, hat in jahrelanger Arbeit unternommen, das Material zu sichten und Teile davon in einer Art Zettelkasten der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost den 1999 im Berliner Rowohlt-Verlag erschienen Roman "Die Buchhändlerin" von Irene Böhme. Mit ihrer lesenswerten Essaysammlung "Die da drüben - Sieben Kapitel DDR" hatte Irene Böhme, zwei Jahre nach ihrere Übersiedlung in den Westen 1980, einen ganz eigenen Beitrag zur deutsch-deutschen Selbsterkenntnis geliefert: unpathetisch und ohne jede Verstiegenheit, ein bißchen hemdsärmelig sogar, liebevoll und dennoch bissig genau. Nicht anders ist ihr neues, autobiographisch gefärbtes Buch. Es hat in satten Konturen alles zu einem Bestseller - starke Charaktere, die durchaus zur Identifikation einladen, pralle Schilderungen der Zeit zwischen den Weltkriegen mit all ihren Schatten und schroffen Lichtern; dann der Jahre nach 1945 in jenen Gegenden, die später zur DDR wurden, Porträts von Landschaften oder einzelnen Nebenfiguren, die sich ins Gedächtnis graben.
Hans-Georg Soldat rezensiert für NDR 3 / Radio 3 den 1999 im Berliner Rowohlt-Verlag erschienen Roman "Eduards Heimkehr" von Peter Schneider. Tatsächlich ist es weniger die bunte, überbordende Handlung, halb Tragödie, halb Groteske, die an dem Buch fasziniert. Es ist vielmehr die Fülle genauer Beobachtungen von Menschen und Dingen in einer ungemein verdichteten, präzisen Sprache, die einen trotz allem in Bann zieht. Berlin und seine Politik kommen nicht gerade gut dabei weg - und doch ist der Roman eine indirekte Liebeserklärung an die Stadt, den abweisenden Charme der Bauten, an ihren Aktionismus wie ihre Provinzialität, und besonders an ihre Menschen und deren ruppige Mentalität. Peter Schneider ist unerbittlich - doch spürt man stets, wie verbunden er ihnen ist, wie gut er sie kennt und daß er sie mag. Es sind meisterhafte Miniaturen.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost Wolfgang Harichs 1999 postum erschiene Autobiographie "Ahnenpaß. Versuch einer Autobiographie". Das Buch, das Antwort in Form einer Autbiographie zu geben versucht, ist ein Unikum - schon deshalb, weil es postum erscheint; Harich starb 1995 im Alter von 72 Jahren. Es enthält Fragmente, die Harich 1972 verfasste (sowie spätere Ergänzungen), und einen Gesprächsteil: Niederschriften von Video- und Fernsehaufzeichnungen mit dem Filmemacher Thomas Grimm (Hrsg.). Wissenschaftlichen Anspruch hat das Buch kaum, es ist eher Lesestoff für historisch Interessierte, Fundgrube für jene, die die innerparteiliche Opposition der Fünfziger Jahre aus der Sicht eines der Hauptbeteilgten kennenlernen wollen.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost Klaus Schlesingers im Jahr 2000 erschienen Roman "trug". Die kleine Erzählung, deren Wurzeln bis in die Siezigerjahre zurückreichen, gehorcht den surrealen Gesetzen der Phantastik - sie ist nur von innen heraus logisch und zwingend. Legt man äußere, realistische Maßstäbe an, wird sie unwahrscheinlich und lächerlich.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost Reinhard Jirgls im Jahr 2000 erschienen Roman "Die atlantische Mauer". Reinhard Jirgl, aus der DDR kommend, ist möglicherweise das, was man einen literarischen Nihilisten nennen könnte. Die atemlosen Monologe seines Buches "Die atlantische Mauer" lassen kaum einen Ausweg, sie sind bis in die letzten Verästelungen konsequent. Ahnung von Besserem gibt es nicht. Das Denken und Fühlen der handelnden, ach was, vor sich hin redenden Personen ist - ohne, dass sie es merken - von tiefstem Schwarz. Vier Figuren monologisieren geschlossen und nacheinander: Formales Bindeglied ist die Sprache und deren Darstellung - sie orientiert sich an Arno Schmidt und arbeitet mit den Zeichen »=« oder »&« und schreibt »1malig«. Sonderbarerweise wirkt es dennoch kaum einmal prätentiös, sondern trägt zum Eindruck der Atemlosigkeit bei. Tatsächlich gelingt wohl nur so die adäquate Wiedergabe eines Bewussteinsstroms.
Hans-Georg Soldat rezensiert für NDR 3 / Radio 3 den im Jahr 2000 erschienen Erstlingsroman "Tintenpalast" des Leipziger Schriftstellers Olaf Müller. In langen Retrospektiven entrollt sich in der namibischen Wüste ein Bild der gewesenen DDR und der Verwüstung, die sie im Leben ihrer Bewohner angerichtet hat.