BDSL-Klassifikation: 02.00.00 Deutsche Sprachwissenschaft > 02.11.00 Deutsche Mundarten
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In keinem anderen deutschen Dialektraum, nicht einmal in irgend einer anderen germanischen Sprache ist das Präteritum mit einer solchen Ausnahmslosigkeit geschwunden wie im Oberdeutschen und hier insbesondere im Alemannischen. Zwar haben (wie das Alemannische auch) alle diese Sprachen und Dialekte ein analytisches Perfekt ausgebildet; in einigen Sprachen (wie dem Englischen und Schwedischen) treten Präteritum und Perfekt in eine aspektuelle Opposition zueinander.
Immer wieder sind Vorschläge vorgebracht worden, die Herkunft des im Deutschen insgesamt marginalen s-Plurals nicht nur bei importierten Fremdwörtern, sondern auch bei den Eigennamen zu verorten […]. Konkretisiert und diachron rekonstruiert wurde dieser Gedanke indessen noch nicht. In diesem Beitrag vertreten wir die Position, dass der s-Plural im Deutschen und Niederländischen dort, wo er – seiner gestaltschonenden Funktion wegen – am stärksten benötigt wird, nämlich bei Eigennamen, Onomatopoetika, Kurzwörtern und Substantivierungen, auch entstanden ist, konkret bei den Eigennamen, genauer: den Familiennamen. Dort hat er sich aus dem ursprünglichen Genitiv-Singular-Flexiv entwickelt. Dabei liefert nicht nur die germanisch-kontrastive, sondern auch und vor allem die dialektale Perspektive deutliche Evidenz für diese neue Sicht, haben doch manche deutsche Dialekte eine Art sprachlichen Archäopteryx vom Typ 's Müllers sin do '(die) Müllers sind hier', wörtlich: 'des Müllers sind hier' bewahrt […]. Für das Niederländische lässt sich nachweisen, dass sich die dialektalen s- und en-Pluralgebiete auffallend deutlich mit s- und en-Genitiv-Singular-Gebieten patronymischer Familiennamen decken. Auch hier lassen sich folglich die Familiennamen als Keimzelle der Reanalyse vom Kasus- zum Numerusmarker identifizieren.
Wenn man eine Schweizer Bäckerei besucht, erwirbt man nicht nur Spezialitäten kulinarischer, sondern auch sprachlicher Art. Auf der Papiertüte, die man dort bekommt, befindet sich eine Aufforderung, die zwei typisch schweizerdeutsche Erscheinungen enthält: "Chum doch cho schnuppere!" steht auf der Verpackung unten rechts. Wörtlich übersetzt: "Komm doch kommen schnuppern!". Zum einen taucht hier das Verb choo ,kommen' doppelt auf, einmal im Imperativ (chum) und einmal in einem kurzen Infinitiv (cho) vor dem Vollverb schnuppere. Zum anderen gehört choo einer besonderen Verbgruppe an, den sog. Kurzverben. Diese Kurzverben kennt das Nhd. nicht (mehr), wohl aber die geographisch und sprachlich entfernteren nordgermanischen Sprachen. In der folgenden Liste der Kurzverben werden zum Vergleich die entsprechenden schwedischen Kurzverben danebengesetzt, ohne daß hier ausführlicher auf sie eingegangen werden kann.
Der Präteritumschwund dürfte eine der markantesten morphologischen Entwicklungen des Alemannischen (bzw. Oberdeutschen) bilden. Sein Verlauf in schweizerdeutschen Dialekten ist mit der Arbeit von JÖRG (1976) dokumentiert und ungefiibr ins 16. Jahrhundert zu datieren. Konsequenz der Aufgabe dieses synthetischen Verfahrens war die Verlegung der Vergangenheitskategorie in die Syntax. Dies hat zu einer starken typologischen Drift des Alemannischen in Richtung eines analytischen und zusätzlich klammernden Sprachtyps geführt: Das Perfekt ist zweigliedrig (finites Auxiliar + infinites Vollverb), das Plusquamperfekt sogar dreigliedrig (sogenanntes doppeltes Perfekt). Finites und infinites Verb können durch ganze Satzglieder, Adverbien etc. voneinander getrennt sein, sind also unter Umständen weit voneinander entfernt, was das Ausdrucksverfahren nicht gerade vereinfacht. Der Präteritumschwuud kontrastiert in eigentümlicher Weise mit dem Erhalt, ja sogar dem sekundären Ausbau synthetischer Konjunktivformen (sowohl Konjunktiv I als auch II), die weiteres morphologisches Charakteristikum des Alemannischen sind, doch nicht Thema dieses Beitrags (hierzu s. NÜBLING 1997).
Bis heute bildet die Morphologie keinen Schwerpunkt der Dialektlinguistik. Dies wird immer wieder moniert. H. Tatzreiter (1994) kommt nach seinem Streifzug durch die "Bibliographie zur Grammatik der deutschen Dialekte" von P. Wiesinger / E. Raffin (1982) zu dem Ergebnis, "daß die Leistungskurve im grammatischen Bereich ,von der Lautlehre über die Formen- und Wortbildungslehre bis zur Satzlehre' steil abfällt" (S. 30 bzw. P. Wiesinger / E. Raffin 1982, S. XXIX). Ein weiteres Problem sieht er in der besonders durch die angelsächsische Tradition motivierten Vernachlässigung der Morphologie die zwischen der phonologischen, lexikalischen und syntaktischen Ebene ein gefährdetes Dasein fristet" (S. 30): "So lange die Morphologie sich nicht aus der 'Umklammerung' der Phonologie und Syntax lösen kann, um eigenständig als Forschungsobjekt zu gelten, wird es um die umfassende Erforschung und Darstellung schlecht bestellt sein" (S. 34).
Extremely short verbs can be found in various Germanic languages and dialects; the roots of these verbs do not have a final consonant «C)-C-V), and they always have a monosyllabic infinitive and usually monosyllabic finite forms as well. Examples for these kinds of short verbs are Swiss German hä'to have', gä 'to go', gifii 'to give', nifif 'to take' which correspond to the Swedish verbs ha, ga, ge and ta. The last example shows that such shore verb formations also occur with verbs which do not share the same etymology. Apart from shortness, short verbs are characterized by a high degree of irregularity, often even by suppletion, which sometimes develops against sound laws. Furthermore they are among the most used verbs and often tend to grammaticalization. The present paper compares the short verbs of seven Germanic languages; in addition, it describes their various ways of development and strategies of differentiation. Moreover, it exarnines the question of why some languages and dialects (e.g., Swiss German, Frisian, Swedish, Norwegian) have many shore verbs while others (New High German, Icelandic, Faroese) do not. Finally, the paper discusses the contribution of shore verbs to questions concerning linguistic change and the morphological organization of languages.
Extremely short verbs can be found in various Genn::.,nic languages and dialects; the sterns of these verbs do not have a fInal consonant «C-)C-V), and they always have a monosyllabic infinitive and usually monosyllabic fInite forms as weIl. Examples for these 'kinds of short verbs are Swiss Gennan hä 'to have', gö 'to go', g~ 'to give', n~ 'to take' which correspond to the Swedish verbs ha, gä, ge and tao The last example shows that such short verb formations also occur with verbs having (nearly) identical meanings but which do not share the same etymology. Apart from their shortness, these verbs are characterized by a high degree of irregularity, often even by suppletion, which sometimes develops contrary to regular sound laws. Furthermore they are among the most-used verbs and often tend towards grammaticalization. The present paper compares the short verbs of seven Germanic languages; in addition, it describes their various ways of development and strategies of differentiation. Moreover, it examines the question of why some languages and dialects (e.g. Swiss German, Frisian, Swedish, Norwegian) have many short verbs while others (New High German, Icelandic, Faroese) only have few, the paper discusses the contribution of short verbs to questions concerning linguistic change and the morphological organization of languages.
Je nach regionaler Herkunft realisieren Sprecher des Deutschen die beiden Wörter "Verein" und "überall" unterschiedlich. [...] Der Grundgedanke dieser sprachtypologischen Unterscheidung, bei der wir uns hauptsächlich auf die Arbeiten von P. Auer (1993, 1994, 2001) sowie P. Auer / S. Uhmann (1988) beziehen, besteht darin, dass alle Sprachen eine Form von Isochronie anstreben.
Die hochdeutschen Dialekte sind gemeinhin dafür bekannt, beim Ausdruck grammatischer Kategorien analytischer zu verfahren als die Hochsprache. Dafür spricht die Ersetzung des synthetischen Präteritums durch das zusammengesetzte Perfekt und der Abbau der Genitivflexion. In diesem Aufsatz soll gezeigt werden, daß diesen Analysetendenzen ganz deutliche Synthesetendenzen gegenüberstehen, die bisher viel zu wenig beachtet wurden: Das Alemannische weist eine beträchtliche Anzahl an Klitika auf. Nach einer kurzen Bestimmung der Termini Pro- und Enklise (1) wenden wir uns der Klitisierung von Artikel und Personalpronomen im Berndeutschen zu (2). Abschließend soll nach den sprachtypologischen Konsequenzen dieser Entwicklung gefragt werden (3).
Was tun mit Flexionsklassen? : Deklinationsklassen und ihr Wandel im Deutschen und seinen Dialekten
(2008)
"Warum Flexionsklassen?" lautet ein synchron ausgerichteter Aufsatz von BERND WIESE (2000), an den dieser Beitrag aus diachroner und dialektaler Perspektive anschließt. Das hier zur Diskussion stehende Phänomen, nämlich die notorische Persistenz von Flexionsklasse (im Folgenden "FK") über Jahrhunderte, ja sogar Jahrtausende hinweg, dürfte noch eines der größten linguistischen Rätsel darstellen, die ihrer Lösung harren. HASPELMATH (2002, 115) eröffnet in seinem Band "Understanding Morphology" das Kapitel über "Inflectional paradigms" mit folgenden Worten: "Perhaps the most important challenge for an insightful description of inflection is the widespread existence of allomorphy in many languages."