BDSL-Klassifikation: 06.00.00 Mittelalter > 06.04.00 Studien
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Ob Lernen eher eine Angelegenheit des Hörens oder eher eine des Lesens sei, darüber können im Spätmittelalrer Missverständnisse Aufkommen [...] Die kleine Szene aus einem Gesprächsbüchlein des 15. Jahrhunderts, dem ,Es tu scolaris', ruft einen ihren Lesern offenbar nicht mehr ganz selbstverständlichen Sachverhalt in Erinnerung: Auch im Ausgang des Mittelalters vollzieht sich der Erwerb des Lernstoffs im Trivialunterricht wesentlich auditiv, im Rahmen mündlicher Unterweisung.
Facetus
(2005)
Der seit dem 13- Jahrhundert lateinisch überlieferte und wohl nicht allzulange vorher entstandene ,Facetus Cum nihil utilius' gibt sich selbst als Ergänzung der ,Disticha Catonis' aus und wird häufig mit diesem gemeinsam tradiert und mit ihm im Lateinunterricht traktiert. Da Bestand und Folge der paarweise gereimten Hexameter stärker wechseln als bei diesem, lassen sich Traditions- und Eigenanteil der Übersetzungen schwerer als dort bestimmen. Im deutschen Sprachraum entstehen Übersetzungen seit dem zweiten Viertel des 14., im Mittelniederländischen bereits im 13. Jahrhundert.
Cato
(2005)
Die im 3. oder 4. Jahrhundert entstandenen ,Disticha Catonis' sind seit karolingischer Zeit im lateinischen Trivialunterricht verankert. Dort werden sie regelmäßig als in vier Bücher unterteilte Zusammenstellung von etwas über 140 Hexameterdistichen mit kurzer Praefatio in Prosa und einer im Bestand wechselnden Reihe von Prosasentenzen traktiert. Zuvor nur vereinzelt, werden sie im 13. Jahrhundert erstmals in breitem Schub gleich in mehrere Volkssprachen Europas übersetzt. Speziell im deutschen Sprachraum begleitet eine zweite größere Welle der Textproduktion den mächtigen Aufschwung des institutionalisierten Schulunterrichts in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Im rhein-maasländischen Raum und im angrenzenden Westen bringen diese zwei übergreifenden Vorgänge zwei in Verbreitung, Faktur und Funktion verschiedene ,Cato'-Übersetzungen hervor. Sie vertreten in der Folgezeit in ihrem jeweiligen Verbreitungsgebiet bis in den sich durchsetzenden Buchdruck hinein jeweils konkurrenzlos den volkssprachigen ,Cato' ihres Raumes.
Romulus
(2004)
Der [Romulus] ist unter den antiken Fabelbüchern die einzige größere [Sammlung in lateinischer] Prosa und neben der versifizierten Sammlung des Avianus, die indes begrenzter wirkte, wichtigster Vermittler der äsopischen Fabel (Äsopika) ins [Mittelalter]. Voraussetzungen, Ausformung und Ausstrahlung des im 5. Jh. p. Chr. n. möglicherweise in Gallien erstellten Korpus sind wegen der diffusen Quellenlage nur begrenzt zu erfassen.
Chiromantie (Handlesekunst) : Erfurt, Universitätsbibliothek, Dep. Erf. CA. 4° 21, f. 127v-131r
(2006)
Die Kunst, aus der Hand zu lesen, konnte im Mittelalter als ein Zweig der Physiognomie aufgefasst werden, der Wissenschaft von der Kunst, die Wesensart eines Menschen aus seiner leiblichen Erscheinung herauszulesen. Teils stand die Wissenschaftlichkeit der Chiromantik aber auch in Frage: wenn nämlich dem Menschen über seinen Charakter hinaus auch seine Zukunft aus der Hand gelesen werden sollte. So lehnte der 1439 in Padua zum Doktor der Freien Künste und der Medizin promovierte Johannes Hartlieb 1456 in seinem ,Buch aller verbotenen Künste' einerseits die Chiromantik als sünd, verpoten und ain rechter ungelaub ab, obwohl andererseits ein Ende der siebziger Jahre aufgelegtes Blockbuch eben Hartlieb als Verfasser einer deutschen Chiromantie auftreten lässt, die er schon 1448 der Gemahlin Herzog Albrechts 111. von Bayern gewidmet haben soll.
Die spätantiken ,Disticha Catonis', von einem unbekannten Autor im 3./4. Jahrhundert verfasst, dienten seit karolingischer Zeit dem Unterricht in der gramatica. Dort hielten sie dem Lateinschüler sprachliches Anschauungsmaterial ebenso bereit wie, das war dem mittelalterlichen Trivialunterricht nicht minder wichtig, elementare Verhaltenslehre in leicht memorierbarer Form. So unterweisen die circa 140 Hexameterdistichen aus einer vulgärstoizistischen Grundhaltung heraus etwa im rechten Umgang mit Besitz, mit den eigenen Affekten, mit Leid und Tod, oder wie man sich Fremden, Freunden oder der eigenen Frau gegenüber verhalten soll. Der Bestand der Distichen wurde bereits in mehreren vorkarolingischen Redaktion auf vier Bücher verteilt und um Prosasentenzen (breves sententiae) vor Buch I und metrische Vorreden zu Buch II-IV erweitert. Eine das Werk eröffnende, knappe Prosavorrede (praefatio) ist einem sorgenden Vater in den Mund gelegt, der die Lehren seinem geliebten Sohn ans Herz legt.