BDSL-Klassifikation: 02.00.00 Deutsche Sprachwissenschaft > 02.02.00 Studien
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Der Begriff des doing gender als interaktive Inszenierung des sozialen Geschlechts (gender) hat sich auch in der Linguistik etabliert und ist vor allem für die Sprachverwendung bzw.- Gesprächslinguistik fruchtbar gemacht worden. Doch selbst etwas so biologisch determiniert Erscheinendes wie weibliche und männliche Stimmen, ihre Höhe, ihre Verlaufsmuster, sind konstruierter, als man dies bisher für möglich gehalten hatte. Der am stärksten und radikalsten segregierte sprachliche Bereich, die Rufnamen, wurde für das Deutsche erst 2003 mit der Arbeit "Naming Gender" von Susanne Oelkers empirisch auf die Kodierung von Geschlecht hin untersucht. Erstmals wird systematisch nachgewiesen, dass und worin sich Frauen- und Männernamen phonologisch-strukturell voneinander unterscheiden, außerdem, dass wir diese Geschlechtszuordnungen auch bei uns unbekannten Namen vornehmen. Das heißt, es besteht ein kollektives Wissen darüber, wie weibliche und männliche Rufnamen beschaffen sind.
Eigennamen vereinen viele Besonderheiten auf sich. Dazu gehört, dass wir im Fall der Rufnamen (= Vornamen) direkten und freien Zugriff auf ein riesiges Nameninventar haben, d. h. Eltern können ihr Kind, linguistisch betrachtet ein neues Referenzobjekt, mit einem (oder mehreren) Namen eigener Wahl versehen. Darin sind sie heute vollkommen frei, d. h. die Namen werden fast nur noch nach Geschmack (Wohlklang/Euphonie, Harmonie zum Familiennamen etc.) ausgesucht. Diese sog. freie Namenwahl ist noch nicht sehr alt, etwa gut 100 Jahre. Bis ins 19. Jh. hinein galt (mehr oder weniger) die sog. gebundene Namenwahl, d.h. die Nachbenennung der Kinder nach Familienangehörigen, nach Paten, nach Heiligen, nach Herrschern und anderen Personen.
In diesem Artikel wird erstmals der Wandel der phonologischen und prosodischen Strukturen der deutschen Rufnamen seit 1945 bis heute (2008) bezüglich der Kennzeichnung von Sexus beziehungsweise Gender untersucht. Auf der Grundlage der 20 häufigsten Rufnamen wird gezeigt, wie weibliche und männliche Namen sich diachron im Hinblick auf ihre Sonorität, die verwendeten Vokale (besonders im Nebenton), Hiate, Konsonantencluster, die Silbenzahl und das Akzentmuster verändern. Das wichtigste Ergebnis ist, dass heute die Rufnamen beider Geschlechter strukturell so ähnlich sind wie nie zuvor. Damit hat sich seit dem 2. Weltkrieg eine Androgynisierung vollzogen.