BDSL-Klassifikation: 03.00.00 Literaturwissenschaft > 03.14.00 Literatursoziologie
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1997 wurde die Arbeitsstelle für deutschmährische Literatur an der Palacký-Universität in Olmütz gegründet. Nach den umfassenden Feldforschungen der ersten Jahre stellte sich heraus, daß das gesammelte Material ein neues methodologisches und theoretisches Gerüst erhalten muß, damit es wissenschaftlich verwertbar und auch "verkaufbar" wird. Dieses Gerüst ist am ehesten als literatursoziologisch zu bezeichnen. [...] Von der Soziologie fundiert können zahlreiche Fragen an die regionale Literatur herangetragen werden, um diese vernünftig zu erschließen, sie in ihrer strukturellen Andersartigkeit im richtigen, dazugehörigen Kontext zu begreifen und gebührend einzuschätzen und von ihr die vielfachen ideologischen Beläge abzustreifen.
Wie sollen – erstens – zehntausende disparate literaturhistorische Daten verarbeitet, wie soll eine Literatur beschrieben und dem Abnehmer, Leser, Forscher nähergebracht werden, die zu 80 % unbekannte, nie kanonisierte – oder längst nicht mehr kanonisierte – Größen und Erscheinungen darbietet (die wohlgemerkt zu 90 % zurecht unbekannt und unkanonisiert sind), und wo auf die übrigen 20 % höhere – und also entscheidendere – Beheimatungsansprüche gestellt werden? [...] Wie soll – zweitens – eine Literatur gehandhabt werden, die „nicht zentral“ ist, sondern, im besseren Falle das Attribut „regional“, im schlimmeren Falle „provinziell“ trägt, was freilich keine objektiven, etwa geographisch fundierten Begriffe sind, sondern ideologische Metaphern, die die zentrale Literaturgeschichtsschreibung als Waffen benutzt, um die regionale Literatur an den Rand, ins Provinzielle, Abweichende, künstlerisch Unzureichende zu drücken? [...] Wie soll – drittens – eine Literatur gehandhabt werden, die nicht Objekt der nationalen Philologie ist (in Tschechien also der Bohemistik), sondern fremdsprachige Äußerung eines Ethnikums, das auf diesem Gebiet nicht mehr lebt und dessen vormalige Existenz man am liebsten vergessen würde?
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickeln sich in der neu etablierten Kulturgesellschaft moderne Denk- und Wertvorstellungen, die um 1800 in umfassenden Systemen geordnet, bis weit in unser Jahrhundert hinein als allgemeingültig anerkannt und tradiert werden. Eine der kontroversen Themen dieser Zeit bildet auch die Problematik der (Un-)Mündigkeit und Geschlechtsvormundschaft der Frauen. Gerade in diesem Zeitraum wird die bereits seit dem 16. Jahrhundert tradierte Domestikation der Frauen als freiwillig idealisiert, was zur Unmündigkeit als "Einschätzungsmuster des Weiblichen" führte. Weiter wird danach getrachtet, das uralte, biblische Gegenverhältnis beider Geschlechter aufrechtzuerhalten, ja sogar noch stärker zu festigen. Die Frauen werden infolgedessen auf einen Sonderweg verwiesen, weil in der zeitgenössischen Anthropologie und Philosophie mit dem Individuum, das für seine Naturrechte auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit kämpft, nur der Mann, genauer der Bürger gemeint war. "Ausdrücklich wird sie [die Frau] zur beruflichen und politischen Unmündigkeit (Unselbstständigkeit als Person) in der androzentrischen Gesellschaft bestimmt, was für ihre Mündigkeit sowie ihre außerfamiliäre, kulturschaffende Tätigkeit weitreichende Konsequenzen hat."
Die Literatur "weiß" viel, und vieles wusste und weiß sie früher, als die sich ausdifferenzierenden Wissenschaften seit dem 19. Jahrhundert, im Besonderen Soziologie, Psychologie und Gesellschaftsgeschichte, auf ihre Weise erkannten. Karlheinz Rossbacher zeigt dies anhand verschiedener Beispiele, die er als kleine Materialsammlung in etwa historisch anordnet.
Der vorliegende Beitrag untersucht die Zusammenhänge von medizinischen, soziologischen und ideologischen Debatten in den frühen Identitätsentwürfen der zionistischen Bewegung. Ausgehend von Nordaus und Herzls gesellschaftskritischen Diagnosen zur Großstadt wird nach der Funktion der Krankheits-Metaphorik innerhalb utopischer Heilskonzeptionen gefragt.
Wenn es Aufgabe der Literaturwissenschaft ist zu erforschen, „in welchem Maße Literaturen an den Kämpfen um kulturelle Hegemonie beteiligt sind“ (Kirsch), so gilt das besonders für historische Romane, die nationale oder regionale Geschichte rekonstruieren. Solche Romane schreiben entweder die Opposition von Siegern und Besiegten fest oder stellen Geschichte als shared history der beteiligten Akteure dar. Auch innerhalb Europas gibt es Kultur- und Sprachräume, die die letzten Jahrhunderte im Status kolonialer Abhängigkeit verbracht haben und über diese langen Zeiträume hinweg kulturellen Hybridisierungsprozessen ausgesetzt waren. Eine solche Erfahrung hat die Mittelmeerinsel Sardinien zutiefst geprägt; Sardinien ist „eine der ältesten und dauerhaftesten Kolonien der Welt“ (Day). Die heutige sardische Literatur trägt daher alle Züge einer postkolonialen Literatur. Sie präsentiert sich als kulturelles und sprachliches patchwork, als individuelle und kollektive Suche nach dem, was sardische Identität nach dem Durchgang durch den Kolonisationsprozeß ist und sein kann, als Basteln einer imagined community im Zeitalter von Massentourismus und Globalisierung. Mit Sergio Atzeni ist ein Autor angesprochen, der es bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1995 als seine Aufgabe angesehen hat, Sardiniens Geschichte(n) Schriftform zu geben.
Durch das Intelligenzblatt wurden Angebot und Nachfrage in direkten Kontakt zueinander gebracht: eine einfache, aber geniale Idee. [...] Wurden 1722 noch jährlich 440 Seiten ausgegeben, so waren es ein Jahrhundert später bereits 4.200 Seiten, der zehnfache Umfang also. Schnell fanden sich Nachahmer, mehr als zweihundert Intelligenzblätter zählen wir am Ende des 18. Jahrhunderts. Es bedurfte nur eines kurzen Zeitraumes, daß diese wöchentlich erscheinenden Blätter zu einem festen Bestandteil des Lebens wurden.
Die postmoderne Auflösung der Grenze zwischen Kunst und Leben und die daraus resultierende Frage, wieviel Wirklichkeit ein Roman verträgt, wird verstärkt von den Gerichten beurteilt und nicht von Literaturwissenschaftlern und Kritikern. Das in der Praxis schon übliche Gegenlesen von Manuskripten durch die Verlagsjustitiare auf die potentielle Verletzung Rechte Dritter birgt in sich die Gefahr einer ›Vorzensur‹. Die zunehmende Verrechtlichung und die damit einhergehende Regulierung ist eine bedenkliche Entwicklung, die schleichend zu einer Unterwanderung der Kunstfreiheit führen könnte. Besonders dringlich erscheint eine zunehmende Beteiligung von Literaturwissenschaftlern an dem Diskurs. Ein Ringen im Einzelfall scheint aus Mangel an generellen Lösungen und Definitionen, in literaturwissenschaftlicher sowie juristischer Hinsicht, auch in Zukunft unumgänglich zu sein.
Während Anastasius Grüns übersetzerischer Beitrag zur Entwicklung der slowenischen Literatur in der slowenischen Sprach-, Literatur- und Übersetzungswissenschaft bis heute kein Interesse zu erwecken scheint, zeichnet sich in der slowenischen Germanistik seit den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein eindeutiger Paradigmenwechsel im wissenschaftlichen Umgang mit Anastasius Grün und seinem literarischen und politischen Wirken im Hinblick auf das Slowenentum ab, das immer häufiger zum Gegenstand kritischer und ausdifferenzierter Untersuchungen unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen wurde. Dieser Wechsel hängt mit den in der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts im slowenischen Raum verlaufenden Demokratisierungsprozessen zusammen und resultiert aus der Einsicht, dass die dort entstandene, in den slowenischen Raum transferierte und darin rezipierte Literatur in deutscher Sprache die Bildung der slowenischen Kulturidentität nachhaltig beeinflusste: Die Rede ist von der europäischen Kontextualisierung der slowenischen Literatur- und Kulturentwicklung und - in deren Rahmen - von der Erforschung der deutschsprachigen Literatur und Kultur im slowenischen Raum. Der Beitrag versucht, den bisherigen literaturwissenschaftlichen Forschungsrahmen theoretisch zu erweitern, indem auf die Ansätze des literarischen Feldes von Pierre Bourdieu zurückgegriffen wird, mit dem Ziel einer Neuinterpretation von literarischen Wechselwirkungen zwischen Anastasius Grün und dem bedeutendsten Vertreter der slowenischen romantischen Literatur und slowenischen Nationaldichter France (Franz) Prešeren (1801–1849).
Im plurikulturellen Verständnis ist Differenz oder Andersheit ein Konstituens der Kultur und nicht ein Systemwiderspruch. Im adversialen Verständnis von Kultur stört die Differenz, oder sie wird in den Bereich des "Interessanten" gerückt. Deshalb werden Abgrenzungen vorgenommen, kulturelle Monaden werden konstruiert und zivilisatorische Hierarchien werden behauptet. Im günstigsten Falle kann es zu einer macht- und majoritätsgeschützten protektionistischen Toleranz kommen, die vom 'Wohlwollen' der Majorität abhängig ist. Sonst ist die Marginalisierung oder gar Ausmerzung der Differenz im politischen Prozess eher üblich.