BDSL-Klassifikation: 03.00.00 Literaturwissenschaft > 03.10.00 Stilistik. Rhetorik
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Eine der wichtigen, gleichwohl bislang kaum untersuchten Traditionslinien der Begriffsgeschichtsschreibung führt in die Kulturphilosophie und -theorie des frühen 20. Jahrhunderts. Dieser Verbindung ist ein Schwerpunkt in der vorliegenden Ausgabe des 'Forum Interdisziplinäre Begriffsgeschichte' (FIB) gewidmet - am zugleich einschlägigen wie unerwarteten Beispiel Erich Rothackers. Bekanntlich stellte Rothacker nach 1933 sich und seine 'geistesgeschichtliche' Geschichtsphilosophie in den Dienst von Goebbels Propagandaministerium, bevor er nach 1945 die institutionellen Voraussetzungen für die philosophische Begriffsgeschichtsforschung in der Bundesrepublik legte. Weniger bekannt sind hingegen seine Verbindungen zur 'ersten Kulturwissenschaft'. Sie stehen im Zusammenhang mit seinem Konzept eines kulturphilosophischen Wörterbuchs aus den späten 1920er Jahren. Rothacker wollte darin, im heutigen Verständnis durchaus interdisziplinär, Grundbegriffe der Philosophie mit einzelwissenschaftlichen Begriffen der Soziologie, Psychologie, Kunstwissenschaft, Geschichtswissenschaft, Anthropologie sowie der Allgemeinkultur begriffshistorisch und systematisch in Verbindung bringen. Zur Realisierung des Wörterbuchs suchte er unter anderem die Zusammenarbeit mit der 'Kulturwissenschaftlichen Bibliothek' Aby Warburgs sowie mit Ernst Cassirer und dessen Schülern Joachim Ritter und Raymund Klibansky.
Als Unterzeichner der ‚Berlin Declaration on Open Access to Knowledge in the Sciences and Humanities‘ unterstützt das ZfL den freien Zugang zu öffentlich finanzierten Forschungsergebnissen im Internet mit Online-Formaten, die den Goldenen Weg des Open Access beschreiten, bei dem neue Erkenntnisse als erstes online publiziert werden. Das zweimal pro Jahr erscheinende E-Journal "Forum Interdisziplinäre Begriffsgeschichte (FIB)" versammelt in Themenausgaben aktuelle Forschungen zur Begriffsgeschichte.
Die folgende Darstellung versteht sich als eine erste Grabung in der Geschichte des Begriffs Verschränkung, deren Ziel es ist, anhand der Exploration seiner wissenschaftlichen Verwendungsweisen seine vielfältige Semantik freizulegen. Zumeist werden mit dem Begriff Verschränkung Grenzphänomene bezeichnet, die als Ausnahmen von einer Regel zugleich die Grenze einer spezifischen Erkenntnismöglichkeit markieren. Wenn diese disparaten und paradoxen Einheiten nicht nur am Rande einer Wissenschaft erscheinen, sondern in deren Zentrum rücken, können sie - wie im Falle von Helmuth Plessners philosophischer Anthropologie - zum Anlass einer gewichtigen methodischen Verschiebung werden und die Notwendigkeit einer spezifischen Form von "Grenzforschung" dokumentieren.
Revolution und Evolution
(2012)
Die Begriffsgeschichte der Termini Revolution und Evolution ist bereits ausführlich und vielerorts nachgezeichnet worden. Ins Blickfeld geriet jedoch selten ein Übertragungs-, Rückübertragungs- und Veränderungsprozess, der sich vor allem ab Mitte des 18. Jahrhunderts abspielte. Während dieses Zeitraumes prägte die Entdeckung der "geologischen Tiefenzeit" zunehmend den naturhistorischen Diskurs, und diese neue Zeit -Vorstellung überschnitt sich mit jener noch wirkmächtigeren politischen und geschichtsphilosophischen Zeit-Vorstellung, die durch die Französische Revolution ausgelöst wurde. Die Übertragungsprozesse von Revolution und Evolution überkreuzten sich in den Debatten der Aufklärung, und während eines bestimmten historischen Zeitraums strukturierten sie gemeinsam den Diskurs der "Geognosie" bzw. "Geogonie", wie zu dieser Zeit die Geologie avant la lettre zu meist genannt wurde. Die Herder’schen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit können in diesem Kontext der Umbruchphase der Spätaufklärung als repräsentativ für diese semantischen Übertragungs- und Wanderungsbewegungen gelten, denn Revolution und Evolution sind entscheidende entwicklungslogische Interpretationskategorien in Herders geogonischem und geschichts-philosophischem Entwurf. Da Herder keinen Bruch zwischen Naturentwicklung (-geschichte) und Menschheitsentwicklung (-geschichte) sieht, sondern beides unter der Perspektive einer Fortschrittsidee subsumiert, gibt es bei ihm auch noch keine eindeutige Kategorisierung und Zuordnung von Evolution (zu Natur) und Revolution (zu Geschichte). Zugleich lassen sich die Mehrdeutigkeiten beider Begriffe sowie ihre sich beschleunigenden semantischen Verschiebungen besonders augenfällig am Beispiel des Herder'schen Textkorpus belegen, das aus diesem Grunde im Zentrum des vorliegenden Beitrags steht.
Außenwelt und Organismus : Überlegungen zu einer begriffsgeschichtlichen Konstellation um 1800
(2012)
Denkt man im Rahmen der Geschichte der Lebenswissenschaften an den Außenwelt-Begriff, fällt einem sofort Georges Canguilhems Aufsatz 'Le vivant et son milieu' ein. Nachdem 'milieu' in einem Newtonisch geprägten Begriffsfeld einen Zwischenraum zwischen den Dingen bezeichnete, wird das 'milieu' in Canguilhems Rekonstruktion erst mit Auguste Comte um 1830 zu einem Raum, zu dem lebendige Körper in einem systematischen Verhältnis stehen und in dem sie existieren. Im Schatten dieser Rekonstruktion steht das Aufkommen des Außenwelt-Begriffs im deutschsprachigen Kontext im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts, der erstaunlicherweise mit dem des Organismus-Begriffs korreliert. Im Folgenden werde ich mich damit beschäftigen, warum beide Begriffswörter gemeinsam zu dieser Zeit Karriere machen. Hierfür stelle ich zunächst drei Thesen auf und werde sie anschließend mit einigen historischen Referenzen stützen.
Distanz
(2012)
'Distanz' ist ein interdisziplinärer Begriff. Anders als wissenschaftliche Allgemeinbegriffe wie 'System', 'Form' oder 'Interaktion' haben interdisziplinäre Begriffe spezielle Bedeutungen in den Wissenschaften, in denen sie erscheinen. Sie sind Begriffe mit theoretischem Gewicht, mit deren Hilfe für eine Disziplin zentrale Verhältnisse zum Ausdruck gebracht werden können. Dies gilt für 'Distanz' gewiss. Kaum eine Theorie der sozialen Beziehungen, des ästhetischen Produzierens und Konsumierens oder der Sonderstellung des Menschen unter den Lebewesen, die ohne diesen Begriff auskommen könnte. Und doch sind es jeweils andere Aspekte und Schwerpunkte, die in den verschiedenen Disziplinen in dem Begriff gesetzt sind.
Weil 'Distanz' in verschiedenen Disziplinen nicht nur spezifische Verhältnisse auf den Begriff bringt, sondern grundsätzliche Aspekte des Ansatzes der Disziplinen betrifft, kann er als ein multipler Grundlegungsbegriff verstanden werden.