BDSL-Klassifikation: 13.00.00 Goethezeit > 13.14.00 Zu einzelnen Autoren
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Während alle vom Klima sprechen, scheint mit dem Anbruch des Anthropozäns die Zeit der Natur passé. Doch ohne den Begriff der Natur wäre ein Großteil der modernen Philosophie nicht zu denken. Hanna Hamel vermittelt in ihrer Studie zwischen historischen Positionen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts und ökologischen Theorien der Gegenwart. Ihre Lektüre ausgewählter Texte von Kant, Herder und Goethe entwickelt Grundzüge eines historisch-theoretischen Selbstverständnisses, das über die bloße Abgrenzung von "modernen" Naturkonzepten hinausführt. In der Konfrontation mit aktuellen Reflexionen von Bruno Latour, Timothy Morton und David Lynch wird ein Anliegen erkennbar, das alle Positionen verbindet. Mit Goethe lässt es sich als Darstellung und Theoretisierung "übergänglicher" Natur bezeichnen. Die historischen Texte werden zu einer kritischen Ressource für die Gegenwart.
Ein politischer Kopf aus Ostschwaben: Johann Gottfried Pahl 1768–1839 : Pfarrer und Publizist
(2018)
Pahl lebte in einer stürmischen Zeit. Die Französische Revolution 1789 und ihre Folgen erschütterten Europa; Napoleons Herrschaft setzte dem Alten Reich ein Ende. Pahl war die längste Zeit seines Berufslebens ein einfacher Landpfarrer, in Neubronn, Affalterbach und Fichtenberg. Erst im Alter wurde er Dekan und zuletzt Prälat und Landtagsabgeordneter mit persönlichem Adel: Johann Gottfried von Pahl. Nach dem Tod Pahls am 18. April 1839 in Stuttgart erschien am 24. April im Bamberger "Fränkischen Merkur" eine kurze Notiz: Durch den Tod des Prälaten von Pahl "hat Würtemberg eine seiner ausgezeichnetsten Notabilitäten, einen wahren Patrioten, die Wissenschaft einen trefflichen Gelehrten, die zweite Kammer einen ihrer glänzendsten Redner, der protestantische Clerus des Landes ein auch über die Grenzen Würtembergs hinaus überall mit hoher Achtung genanntes Mitglied, verloren". Nach Pahls Tod gab sein Sohn Wilhelm 1840 die Lebenserinnerungen unter dem Titel "Denkwürdigkeiten aus meinem Leben und aus meiner Zeit" heraus, die bis heute immer wieder gern von Forschern, die sich mit den Jahrzehnten um 1800 beschäftigen, herangezogen wird [...] Neben den gedruckten Publikationen und der Autobiographie gibt es bedauerlicherweise nicht viele Quellen, die Auskunft über sein Leben geben. Nur Nachlasssplitter finden sich in der heute vom Stadtarchiv Aalen betreuten Pahl-Sammlung des ehemaligen Schubart-Museums vor. Vom reichen Briefwechsel Pahls sind nur kleine Reste in Bibliotheken und Archiven übrig geblieben, sieht man von einem dicken Konvolut im Archiv der Grafen von Adelmann im Staatsarchiv Ludwigsburg ab, das aber fast nur seine Tätigkeit als Amtmann betrifft. Wenig ergiebig sind - nicht allzu viele - Archivalien, die im Landesarchiv Baden-Württemberg (Hauptstaatsarchiv Stuttgart und Staatsarchiv Ludwigsburg, vor allem Zensurangelegenheiten betreffend) und im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart eingesehen werden konnten. Daher befasst sich diese Schrift zu seinem 250. Geburtstag vor allem mit den vielen gedruckten Publikationen Pahls.
Der doppeldeutige Einsatz von Gegenständlichkeit kann als exemplarisch für das filmische Erzählen David Lynchs gelten, das auf geradezu unheimliche Weise zwischen dinglicher Konkretion, alptraumhafter Irrealität und medialer Selbstbezüglichkeit schwebt - eine komplexe Konstellation, die gern auf psychoanalytische Theoreme oder selbstreflexive Muster reduziert wird, ohne die widerständig-zweideutige Rolle der Gegenstände zu beachten: Sie beharren einerseits als dingliche Körper unabweislich auf der Tatsächlichkeit der erzählten Geschichte, verweisen aber zugleich auf den medialen Rahmen des Vorgestellten und mithin auf seine Fiktionalität. Dieser Verweis auf den äußeren Darstellungsapparat führt bei Lynch aber nicht zu einem Auseinanderbrechen der dargestellten Welt, sondern kann geradezu verbindende, Kohärenz bildende Wirkung haben. "Gegenständliches Erzählen" wäre hier folglich zugleich anschaulich-konkret (stellt eine gegenständliche Welt vor) und selbstbezüglich, ohne abstrakt zu sein (es verkörpert den Prozess des Erzählens in Gegenständen der erzählten Welt). In diesem Sinn wäre "gegenständliches Erzählen" zunächst als eine narratologische Strategie und charakteristische écriture zu verstehen. Sie soll im Folgenden nach den zwei Seiten Schriftlichkeit und Anschaulichkeit untersucht werden.
Liebe als Lebenswerk : Phyllis und ihre Verlobung mit Narciß im 6. Buch von Goethes "Lehrjahren"
(2014)
Die 'Schöne Seele' ist die Erzählerfigur des VI. Buchs von Goethes Roman "Wilhelm Meisters Lehrjahre". Ihr Leben erscheint dem Leser als eine Hinführung zu frei gewählter Ehelosigkeit und religiöser Askese; sie kündigt nämlich ihre Verlobung mit Narciß auf, dem Anschein nach wegen der damit verbundenen, vom wahren Verhältnis zu Gott ablenkenden Formen gesellschaftlicher Unterhaltung, wird Stiftsdame und Anhängerin des zeitgenössisch verbreiteten Pietismus in seiner Hallenser wie dann schließlich auch seiner Zinzendorfischen Form. Der Name "Schöne Seele" ist ihr von ihren jungen Verwandten zugedacht, weil sie ihren Verzicht angeblich nicht als Verlust erleidet, sondern als Moment glücklicher Selbstvervollkommnung.
Kawa zeigt, daß diese bislang vorherrschende Lesart den Chakakter der 'Bekenntnisse' als Dokument der (fiktiven) Romanempirie übersieht. Damit stehe dieser Text nämlich in einem vielseitigen Konfliktfeld, in dessen Kontext es seine spezifische Gestalt erst erhalte; er sei sowohl von der Verfasserin selbst wie von den Propagatoren des Manuskripts, also den Mitgliedern der 'Turmgesellschaft', entsprechend gekürzt und geschönt worden. Die schließlich an den Lesrer tradierte Fassung sei hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts fragwürdig und gebe nur bei gründlicher philologischer Bemühung den Blick darauf frei, daß Phyllis, wie sich die ansonsten namenlose Hauptgestalt gelegentlich nennt, sich der maitressenhaften Beziehung mit ihrem fürstlichen 'Mentor' und 'Oheim' zu entziehen versucht, dabei aber nicht die Unterstützung ihres Verlobten und nur teilweise die ihrer Familie erhält. Ihrem Verlobten sei nämlich für die Zweckehe und damit für die äußerliche Legitimation des Oheims, der auf diese Weise ungestört sein Verhältnis zu seiner Nichte fortsetzen wolle, eine außergewöhnliche Karriere als Kompensation versprochen worden.
Nach dem Zerwürfnis mit Narciß führt Phyllis aber noch ein langes, mit zahlreichen erotischen Affairen durchsetztes Leben, das bei entsprechend scharfsinnig ausgerichteter Lektüre auch in allen anderen Büchern des Romans und selbst noch in "Wilhelm Meisters Lehrjahre" auf wie immer versteckte Weise in unterschiedlichsten Auftritten faßbar wird. Der Leser muß zum Zwecke der Einsicht in diese Handlungs-Stationen verborgene genalogische Zusammenhänge beim Figurenensemble auflösen und eine Person identifizieren, die im Roman unter mehreren Namen und Bezeichnungen auftritt.
Hingewiesen wird am Ende auf den Umstand, daß die Schreiberin sich dabei zunehmend von der Nicht-Existenz der Erbsünde und von einem künftigen Sündenerlaß überzeuge, wie er mit dem Theologem der "Herwiederbringung der Dinge" in der Gnosis (z.B. bei Origenes) verbunden ist und im radikalen Pietismus (z.B. bei Klopstock) wiederbelebt wird. Dieser Aspekt der prognostizierten 'Rettung', der erst noch bearbeitet werden muß, verknüpft das Schicksal der "Schönen Seele" eng mit dem Schluß von 'Faust II'.
Die Geschichte "Nicht zu weit" wird – abweichend von der Forschungstradition – im Nachfolgenden nicht unter dem Thema 'Liebes- und Eheverhältnisse im ausgehenden Feudalabsolutismus' begriffen, sondern als Rätseltext, der unter anderem Gestalten und Ereignisse aus den 'Lehrjahren' spiegelt und dem in den 'Wanderjahren' die Funktion zugewiesen ist, das Projekt Odoards in Mißkredit zu bringen. Überdies stelle ich – über die Analyse der Geschichte "Nicht zu weit" hinausgehend – eine neue These zu der Identität des 'Redakteurs' der 'Wanderjahre' auf. – Alle Thesen werden weitestgehend eng am Text entlang plausibilisiert, wenigstens ist das die Absicht. Insofern ist der Charakter des Vorliegenden im Kern ein philologischer. Allerdings können hier nicht alle Voraussetzungen, die ich in aus meinen diversen Studien (gedruckt und ungedruckt) – insbesondere zu den 'Lehrjahren' – einbringe, in voller Breite belegt werden.
Was ist ein Herausgeber? Wie verhalten sich Autorschaft und Herausgeberschaft zueinander? Welche Funktion hat der Herausgeber als diskursive Instanz im Rahmen und am Rahmen literarischer Texte? Diesen Fragen geht Wirths Untersuchung sowohl mit Blick auf die literaturwissenschaftlichen Ansätze zum Thema Autorschaft nach, als auch mit Blick auf die Literatur des Zeitraums 'um 1800', in dem sich der moderne Autorschafts-begriff entfaltet. Vor dem Hintergrund dieser Konstellation bleibt zu klären, welche Rolle der fiktive Heraus-geber bei der Genese moderner Autorschaft spielt, ja ob der emphatische Autorbegriff der Genieästhetik womöglich nur eine spezifische Transformation der Funktion Herausgeber ist. Im systematischen ersten Teil geht es darum, die Grundzüge eines allgemein wirksamen editorialen Dispositivs herauszuarbeiten, das sich im Rahmen als Arrangement des Textes und am Rahmen als Paratext, etwa als editorialer Kommentar, manifestiert. Die exemplarischen Analysen des zweiten Teils werden als verschiedene Formen der Interferenz von Autorfunktion und Herausgeberfunktion im Kontext der poetologischen Debatten der Zeit um 1800 analysiert. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den Problemen der Schrift und des Schreibens, wie sie im Rahmen der "Schreib-Szenen" und der Editions-Szenen dargestellt werden.
Im Jahr 1781 initiierte die Herzogin-Mutter Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach das „Journal von Tiefurth“, eine nur handschriftlich vervielfältigte Zeitschrift, die es bis 1784 auf insgesamt 49 Stück brachte. Der Vortrag von Katharina Mommsen zeigt, daß das Journal keineswegs nur dem musisch-literarischen Zeitvertreib der Weimarer Hofgesellschaft diente, sondern gleichzeitig ein raffiniert konzipiertes Instrument der Kulturpolitik war, mit dem sich Anna Amalia gegen das Pamphlet „De la Littérature Allemande“ ihres Onkels, König Friedrich II. von Preußen, wandte. Beide Erscheinungen, die man gewöhnlich nur als beiläufige Fußnoten zur Literaturgeschichte zur Kenntnis genommen hat, werden durch Detektiv-Philologie in einen schlüssigen politischen Zusammenhang gesetzt, der beiden erst ihre rechte Bedeutung gibt.