BDSL-Klassifikation: 12.00.00 18. Jahrhundert > 12.13.00 Zu einzelnen Autoren
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Die Aufnahme von Lessings Lustspiel „Minna von Barnhelm“ liefert ein sprechendes Beispiel für das Wirken ideologischer Interessen bei der Rezeption. Den Zeitgenossen Lessings galt dieses Stück als Muster des guten Geschmacks; sie nahmen die darin enthaltene soziale und politische Kritik nicht wahr. Ihre ausschließlich ästhetischen Urteilskategorien prädestinieren das Stück als ins Zeitlose enthobenen "Klassiker". Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewann das Drama unerwartete Aktualität. Das Publikum kompensierte die düstere Gegenwart - die Ära der napoleonischen Besetzung - mit dem Interesse für eine bessere deutsche Vergangenheit, insbesondere für die Zeit Friedrichs des Großen als eines deutschen Helden, und so avancierte "Minna" zum patriotischen Stück. Beide Motivationen, historische und gegenwärtige, gehen dabei Hand in Hand. Im Kaiserreich diente das Drama vor allem im Schulunterricht zur Verherrlichung des Preußentums und zur Abwertung des Franzosentums in deutlichem Rückgriff auf die Positionen der Befreiungskriege. Nicht immer sind die Erklärungsraster so transparent wie bei Erich Schmidt, der in "Minna von Barnhelm" eine Verherrlichung Friedrichs des Großen erblickte, und beim Sozialdemokraten Franz Mehring, der im selben Drama eine "schneidende Satire" auf das friderizianische Regiment sah. Nach den beiden Weltkriegen wurde "Minna von Barnhelm" als Soldaten und Nachkriegsstück mit der zentralen Figur des Kriegsheimkehrers aktualisiert. Inszenierungen in der Bundesrepublik und in der DDR betonten dagegen den Emanzipationsgedanken oder deckten den "tief antipreußischen Charakter des Stückes" auf.
Beinahe auf die Seite genau in der Mitte seines Aufsatzes Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Dichtung (1766) kommt Gotthold Ephraim Lessing auf den literarischen Stil der Evangelien zu sprechen. In einer höchst verdichteten Passage vergleicht er die Beschreibung der Leiden Christi mit John Miltons Paradise Lost (1667). Die Art und Weise wie Lessing die beiden bedeutenden Textkorpora ins Verhältnis setzt ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Zum einen lässt sich die Passage vor dem Hintergrund von Lessings grundsätzlicher Einstellung zu biblischen Texten lesen, wie er sie ausdrücklicher in seinen theologisch orientierten Schriften formuliert. Bedenkt man jedoch den Kontext der Gegenüberstellung innerhalb des Laokoon, d. h. innerhalb einer in erster Linie poetologischen Debatte, so eröffnet sich eine erweiterte Sichtweise. Über den Status der Heiligen Schrift in der christlichen Glaubenspraxis hinaus, ergeben sich Hinweise darauf, wie Lessing das Verhältnis zwischen Poesie und den verschiedenen biblischen Texten einschätzte. Zudem ließe sich aus der genannten Passage auf Lessings Verständnis von der literarischen Verarbeitung biblischer Stoffe sowie letztlich auch darauf schließen, welche Funktion Lessing literarischen Werken in der Glaubensvermittlung zuschreibt.
"… die ehernen Blöcke männlichen Schaffens umkreisen" - Elfriede Jelinek queert Lessing und Goethe
(2016)
Der Beitrag verschränkt kommunikations-, informations-, kulturwissenschaftliche sowie philosophische Ansätze zur Störung mit gender- und queer theory, um Elfriede Jelineks 'Gattung' des Sekundärdramas analytisch zu beschreiben. Jelinek verfasst ihre Sekundärdramen zu kanonisierten Dramen des deutschsprachigen Raums und stellt über ihr typisches, intertextuelles Verfahren Bezug zu den Stücken her, fordert gleichzeitig aber auch die Kombination der Sekundärdramen mit ihren Bezugstexten im Moment der Inszenierung und geht damit über ihr bisheriges Verfahren hinaus. Ausgehend von der Feststellung, dass Jelineks Sekundärdramen in den Umsetzungen am Theater meist als weibliche Gegenschreibung interpretiert werden, will der vorliegende Beitrag zeigen, dass die Sekundärdramen vielmehr an einer Auflösung der Kategorien von 'Weiblichkeit' und 'Männlichkeit' arbeiten. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Thematisierung des Inzests, der mit Judith Butler als vorhandene Ordnungen und Relationen verschiebendes Element gelesen werden kann.
Der vorliegende Beitrag kann keinen umfassenden Überblick über die Literaturgeschichte moderner Engel in Aussicht stellen. Stattdessen möchte ich das vielseitige und zugleich ambivalente Nachleben der Figur und die divergierende Gestaltung religiöser Sinn- und Anspielungshorizonte textnah anhand von Gotthold Ephraim Lessings 'Nathan der Weise' (1779) und Heinrich von Kleists 'Das Käthchen von Heilbronn' (1808/10) untersuchen.
Arkanisierung des Vorklassikers : zur Lessing-Ausgabe von Julius Petersen und Waldemar von Olshausen
(2017)
Die Spannung von religiöser und säkularer Kommentierung prägt nicht nur den Umgang mit der Bibel, sondern auch mit anderen Texten, etwa mit den 'Klassikern' der Nationalliteraturen. Kai Bremer untersucht am Beispiel der Lessing-Philologie eine Arkanisierungsstrategie, die den Kommentar selbst hermetisch abriegelt und nur für 'Eingeweihte' zugänglich macht. So zeigt er, dass die sog. "P/O", d.h. die Lessing-Ausgabe von Julius Petersen und Waldemar von Olshausen (1925-1935) nur solchen Lesern zugänglich ist, die bereits umfassend mit der zeitgenössischen Lessing-Philologie vertraut sind und insbesondere die früheren Lessing-Kommentare der Editoren kennen. Somit 'arkanisieren' die Herausgeber ihren eigenen Kommentar und damit auch die eigenen philologischen Praktiken: Sie schaffen einen philologischen Raum, der - vergleichbar einem heiligen Raum - nur Eingeweihten zugänglich ist.
Der Mantel des Schweigens
(2015)
Der Schmeichler und der Geschichtsphilosoph : Lessings Fabel vom "Raben und Fuchs" und La Fontaine
(2005)
Dass dem abschließenden Lessing-Triptychon in Heiner Müllers "Leben Gundlings Friedrich von Preußen Lessings Schlaf Traum Schrei" eine eminent biographische bzw. autobiographische Dimension eigen ist, wurde von Müller betont. Die Forschung hat das gerne wiederholt. Wesentlich für diese Deutung sind die biographischen Parallelen zwischen Lessing und Müller.
Jedem Leser Kleists ist die Häufigkeit vertraut, mit der Geschlechtsverkehr, Zeugung, Schwangerschaft und Geburt im Zentrum seiner Werke stehen. Offensichtlichen Beispiele sind die beiden Komödien Der Zerbrochne Krug und Amphitryon sowie die Erzählungen Die Marquise von O... und Der Zweikampf. Ihnen ist eine (mehr oder weniger) hinter die Kulissen verlegte und in ihren Umständen dunkle sexuelle Begegnung gemeinsam, aus der sich die konfliktträchtige Handlung entwickelt, die von der Dynamik einer detektivischen Aufklärung angetrieben wird. Hierin erschöpft sie sich freilich nicht. Denn in dem Maße, in dem sich der faktische Tatbestand klärt und die Frage "wer mit wem unter welchen Umständen" schließlich beantwortet erscheint, vollzieht sich ein anderer und gegenläufiger Prozeß, der jenen blinden körperlichen Moment zum Gegenstand kultureller Bedeutungsstiftung macht und dem nackten Blick entzieht. Aufklärung und Verbergung, Enthüllen und Verhüllen bilden hier unauflöslich ineinander verschlungene Vorgänge. ...
Der Zugriff auf Lessings berühmte Bogenfabel, die den Auftakt zum dritten Buch seiner 1759 erschienenen Fabeln gibt, erfolgt aus der Überlegung heraus, daß da, wo die Erzählung der Geschichte einer zerbrechenden Intentionalität zur Anschrift gelangen soll, diese besonders dann den Status illustrativer Exemplarität zugewiesen bekommt, wenn sie im Umfeld eines Diskurses situiert ist, dem das Operieren mit dem Intentionalitätskonzept historisch eingezeichnet ist. Nicht zuletzt dürfte sich der konjunkturelle Aufschwung der Fabelproduktion zwischen 1740 und 1770 dem Umstand verdanken, daß die beiden maßgeblichen Konstituenten der Textsorte, die "fabula" einerseits und die "fabula docet" andererseits, sich exzellent in den durch die Frühaufklärung abgemessenen intentionalistischen Großrahmen des "docere" fügen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzt sich die Tendenz durch, das Epimythion zunehmend wegzulassen. Lessing geht diese Entwicklung grundsätzlich mit. Gerade die Bogenfabel wird diesbezüglich gerne als Musterbeispiel veranschlagt. Der über die strukturnarratologische Reduktion "in nuce" eingeleiteten Entwicklung einer De-intentionalisierung der Fabel zum Trotz gibt sich der personal gebundene Reflex von der Fabel auf die dichterische Intention als Operation einer sich kurrent gemacht habenden Form von Hermeneutik überdeutlich zu erkennen.