BDSL-Klassifikation: 12.00.00 18. Jahrhundert > 12.12.00 Stoffe. Motive. Themen
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In seinem Buch „Das Offene. Der Mensch und das Tier“ hat Giorgio Agamben eine treffende Bezeichnung für jenes ebenso gewaltige wie gewaltsame Unternehmen gefunden, in dessen Rahmen durch die Kultur- und Philosophiegeschichte hindurch die Natur des Menschen bestimmt werden sollte. Der Mensch sei, so Agamben, eine Hervorbringung „von unablässigen Teilungen und Zäsuren“. Durch das Bsetreben, das, was er ist, von dem zu trennen, was er nicht ist, werde auf der Grundlage historischer Oppositionen wie Mensch/Tier, human/inhuman, normal/anormal etc. eine Grenze konstituiert und immer wieder überschritten, die, anstatt ein Innen und ein Außen zu errichten, „in erster Linie das Innere des Menschen durchzieht“. Die „Erzeugung des Humanen“ erfolge demnach „notwendigerweise mittels einer Ausschließung (die immer auch ein Einfangen ist) und einer Einschließung (die immer schon eine Ausschließung ist)“.
Über das Gänsespiel, (Jeu de l’oie, Giuoco dell’Oca, Juego de la Oca, Game of the Goose,Ganzenspel, Gaasespil), ein Würfellaufspiel mit 63 Feldern, ist bereits viel geforscht und geschrieben worden. Die Forschung durch einen kleinen Mosaikstein zu bereichern und dem Jubilar dadurch eine Freude zu bereiten, ist das Ziel [des] vorliegenden Beitrages. Wie zu zeigen sein wird, hat die Druckgraphik – ein bevorzugtes Forschungsgebiet des Jubilars – bei der Ausbreitung des Spiels von seinen Anfängen an eine große Rolle gespielt. Diese in Italien oder Frankreich zu suchenden Anfänge des Gänsespiels werden in der Forschung allgemein auf die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert gelegt, und es herrscht Übereinstimmung darüber, dass das Spiel zunächst in Adelskreisen beheimatet war und um Geld gespielt wurde, bevor es mit Hilfe gedruckter populärer Spielbogen allmählich in andere Bevölkerungsschichten vorgedrungen ist und letztendlich in der Kinderwelt landete.
Auch Erdbeben haben ihre Geschichte. Obgleich Erdbeben nur kurze Ereignisse sind, die Erdstöße oft nicht länger als ein paar Sekunden dauern, haben sie eine lange Geschichte ihrer Deutung. Sie geht den Beben voraus und folgt ihnen noch lange nach. Von einer solchen Geschichte der Deutung handelt dieser Beitrag. Er nimmt ein Ereignis zur Vorlage, das wie kaum ein zweites Erdbeben in der Geschichte Europas Epoche gemacht hat: das Erdbeben von Lissabon 1755. Von dieser Katastrophe gibt es fast nur Deutungen, kaum Augenzeugenberichte, die nicht schon von den philosophischen und theologischen Diskursen überschrieben wären.
Rezepte gegen Rührseligkeit waren die Figuren nostalgischer Mythen nicht. Denn das hieße, sie pauschal zu verstehen im Sinne von Handlungsanweisungen, Gegengiften, Vorbildfiguren gegen das zu häufige Gerührtsein, gegen die Auflösung der hergebrachten Affektkontrolle, gegen zunelunende Gefühlsintensität, gegen die Tränen, die meist aus Ergriffenheit über moralische Konflikte, über besonders tugend- oder lasterstarke Situationen oder Menschen vergossen wurden. Die nostalgischen Mythen werden vielmehr, wie viele andere literarische Motive, seit den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts in den Rahmen empfindsamer Denk-, Handlungsund Gestaltungsmuster gestellt, ordnen sich also einer Zeitströmung unter. "Rezepte" gegen das zu häufige Weinen sind diese Figuren nicht per se - weder der arkadische oder idyllische Schäfer und Hirte, der Landmann und Bauer, der physiokratische Musterbauer, der leidende Negersklave, der passiv-edle, aber moralisch überlegene gute Wilde, der (statt eines besseren Ausdrucks sei dieser Pleonasmus gestattet) "wilde" Wilde oder der "nordische" Wilde (sprich: der Kelte oder Germane), noch schließlich der Südseeinsulaner, wie er aus den Berichten nach der Entdeckung Tahitis in Europa literarisch Furore und Mode machte, sind als Gegenfiguren konzipiert. Eine gewisse Ausnalune - und mit diesem Vorbehalt werden sie in die Diskussion einbezogen - stellen allenfalls der aufständische Negersklave, der melancholische, barbarische Wilde und der von moralischen Tabus (scheinbar) unbelastete Südseeinsulaner dar. Man kann an diesen Figuren die Durchdringung literarischer Topoi mit Mustern der empfindsamen Strömung studieren. In den nostalgischen Mythen, in jenen vemeintlich archetypischen Formen "natürlichen" Lebens, die mit trauernder Sehnsucht als Gegenstand von Hoffnung oder Kritik (mit Blick auf die eigene Gegenwart) beschrieben werden, finden sich allerdings eine ganze Anzahl von Situationen und Figuren, in denen das rührselige Weinen umgedeutet wird. Man kann an solchen Figuren auch andere Tränen als die bloß moralisch rührenden entdecken und in diesen nostalgischen Vorstellungen von Natürlichkeit Verschreibungen von Widerstandskraft, ja sogar Auflehnung gegen handlungslose Weinerlichkeit finden.
Der Beitrag unternimmt den Versuch, das in der Forschung häufig bemerkte, am Beginn der Moderne um 1800 einsetzende Problem der "verschwundenen Grazie" kulturtheoretisch zu beleuchten. Begriff Wieland die Grazie noch als Vorzeichen einer gesellig-frivolen Intersubjektivität und könnte Schillers Theorie der Anmut noch auf den Spielbegriff des 18. Jahrhunderts Bezug nehmen, so geht die Grazie bei Kleist und Hegel der Sphäre des Menschlichen verloren. Der Beitrag versteht diesen Verlust als Resultat einer Ich-Blockade, die für die moderne Subjektivität grundlegend ist. Sie lässt sich erklären durch den von Norbert Elias theoretisierten Zivilisationsprozess, welcher deutlich macht, dass die Scham als ein genuin neuzeitlicher Affekt die zentrale Voraussetzung für die Grazie wie deren Verlust ist. Elias´ Theorie der Scham erklärt präzise das Para-dox einer wichtigen Kategorien der Goethezeit: der Kalokagathie bzw. der "Seelenschönheit". Denn der natürlichen Sittlichkeit, welche der Grazie der schönen Seele immanent ist, droht stets der Umschlag in die schamhafte Ich-Blockade, bei welcher die Grazie auf der Strecke bleibt. Dass eben dieses Umschlagen zu einer der Bedingungen der Moderne gehört, die das Rokoko so noch nicht kannte, zählt zu den wichtigsten Erkenntnissen, die man dem Graziendiskurs von Wieland bis Kleist entnehmen kann.