BDSL-Klassifikation: 12.00.00 18. Jahrhundert > 12.08.00 Aufklärung
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Die Frage, ob sich ästhetische Postulate ins Konzept des „ganzen Menschen“ integrieren lassen, rückt in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts immer mehr ins Zentrum des anthropologischen Diskurses. An ihr verlaufen Fronten, die den Anspruch auf Ganzheitlichkeit selbst zu fragmentarisieren scheinen. Zum Problem wird nämlich, ob das, was ein Ganzes ist - der Mensch in seinem unverschönerten physischen und psychischen Funktionszusammenhang -, überhaupt noch als ein Gegenstand betrachtet werden kann, der dem emphatischen Menschenbild des Jahrhunderts entspricht. [...] Während die Wissenschaften vom Menschen den Weg zu ihrer bevorstehenden Ausdifferenzierung im 19. Jahrhundert einschlagen und beginnen, die Idee der Ganzheit aufzugeben, rettet sich der Mensch vor den Folgen des ihm im 18. Jahrhundert gewidmeten Interesses erst einmal in die Ästhetisierung seiner Wertungssysteme. [...] Trotzdem ist nicht alles ein Ganzes, was schön ist, und schön, was ein Ganzes ist. Im anthropologischen Stimmengewirr sind auch Programme vernehmbar, die der anthropologischen Gefahr gegenüber unbekümmert den Anspruch auf eine philosophische Begründung des Menschen aufrechterhalten, ohne dessen Aisthetisierung in Ästhetisierung aufgehen zu lassen. Besonders interessant gestaltet sich dies im Fall Johann Karl Wezels, dessen Werk - neben zahlreichen anderen philosophischen und historischen Aktualitäten - auch mit dem zeitgleich entstehenden ästhetisch-anthropologischen Diskurs in unterschwelliger Diskussion steht.
Im 18. Jahrhundert waren die Varietäten des Menschen aus zwei Gründen kein ganz neues Thema mehr. Zum einen griff die Aufklärung auf eine umfangreiche Literatur der Weltumsegler. Missionsreisenden und Abenteurer zurück, die seit dem 15. Jahrhundert von der Vielfalt der Völker, der sie umgebenden Natur und ihren Gebräuchen zu berichten wussten. Das beginnt bei der Historia nalural y morals de las Indias des spanischen Jesuiten José de Acosta (1539/1540-1599/1600) von 1590, die schon die Vermutung formuliert hat, dass auch die Indianer mit den anderen Völkern verwandt und über eine Landbrücke aus Nordasien nach Amerika gelangt seien, und reicht dann bis zu Rousseau, Voltaire, Diderot und Helvétius. Die andere Tradition ist die der Philosophie, für die Descartes' Ableitung der Einheit des Menschengeschlechts aus den physiologische Gemeinsamkeiten einschließlich der menschlichen Seele steht, wie er sie in seinem Traité de I'homme formuliert hat, 1632 geschrieben und 1662 posthum unter dem Titel De homine veröffentlicht und die ihrerseits auf die Nachwirkungen der aristotelisch inspirierten Scholastik und im 16. Jahrhundert entstandenen Physiologie zurückgeht. Das Menschengeschlecht war eines, das entsprach der biblischen Vorstellung ebenso wie der aristotelisch angeleiteten Wissenschaftssystematik, nicht unnötig viele Theorien zu nutzen. Von den Varietäten war also so viel die Rede wie von der Einheit der Menschheit.