BDSL-Klassifikation: 01.00.00 Allgemeine deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft > 01.08.00 Zu einzelnen Germanisten, Literaturtheoretikern und Essayisten
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Double blind - psychogene und psychosomatische Sehstörungen nach Sigmund Freud und Georg Groddeck
(2019)
Die Psychoanalyse des frühen 20. Jahrhunderts nahm in ihren Überlegungen Sehstörungen zum Anlass, um das Funktionieren des gesunden Auges, vor allem aber die Funktionsweisen der menschlichen Psyche zu thematisieren. Anne-Kathrin Reulecke zeigt, dass sowohl Sigmund Freud als auch Georg Groddeck davon ausgingen, dass das Sehen keine rein physiologische Fähigkeit, sondern vielmehr eine psychologisch sowie sozial und kulturell präfigurierte Aktivität ist. Sie legt dar, dass Freud eine nichtorganisch bedingte Sehstörung, die sogenannte hysterische Blindheit, als Effekt eines innerpsychischen Triebkonflikts und als dessen gleichsam neurotischen Ausweg deutet. Groddeck hingegen bestimmt das gesunde Auge als Organ eines grundlegenden Nicht-alles-sehen-Könnens. Die Kurzsichtigkeit betrachtet er als sinnvolles Hilfsmittel des Körpers, das dann eingesetzt wird, wenn die normale Tätigkeit des Verdrängens beim Sehen, die Selektion gefährlicher Bilder, nicht ausreichend funktioniert.
Daniel Weidner beleuchtet Johann Gottlieb Fichtes Überlegungen zu Wissenschaft, Universität, Sprache und Nation im Anschluss an Kant. Als konstitutives Merkmal der neuen Wissenschaft macht er bei Fichte die Figur des Fortschritts aus, welche die eigene Forschung ihrem Selbstverständnis nach notwendigerweise als "Durchgangsstadium" erscheinen lasse. Auf der Ebene der Vermittlung führe dies zu einem "genetischen Vortragsstil", da die Adressaten in die Lage versetzt werden müssten, die jeweilige Gedankenhandlung selbst nachzuvollziehen. Paradoxerweise sei Fichtes Vortrag indes weniger mündlich als der Kants, da er anders als dieser nicht laufend ein Lehrbuch kommentiere, sondern seine Vorlesungen als selbständige Texte verfasse. Dabei reflektiere Fichte nicht nur das eigene sprachliche Handeln, sondern auch die Sprache selbst im Sinne eines Anschauungskerns der Nation, die er in Deutschland durch seine Reden als Gemeinschaft (mit) zu konstituieren versuche.
Ernst Müller beschäftigt sich mit der "Umcodierung der europäischkonfessionellen in eine national-säkulare Bestimmung der Universität" im Werk Friedrich Schleiermachers. Da eine sprachliche Verfasstheit des Wissens für Schleiermacher außer Frage stehe und er deren Vermittlung in der "verschriftliche[n] Mündlichkeit" seiner Vorlesungen auch durchaus Rechnung zu tragen versuche, wolle er den Gebrauch des Lateinischen auf den einer akademischen Festsprache reserviert wissen. Ferner führe die neue Verbindung von Philosophie, Wissenschaft und Bildung bei Schleiermacher beinahe zwangsläufig zu einer Gegenüberstellung von deutscher Universität und französischer Spezialschule, da Letztere sich dem staatlichen Nutzen und der Berufsausbildung verschrieben habe. Die deutsche Universität binde Schleiermacher dabei zwar an die Nation, mitnichten aber an den Nationalstaat.