BDSL-Klassifikation: 01.00.00 Allgemeine deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft > 01.08.00 Zu einzelnen Germanisten, Literaturtheoretikern und Essayisten
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Die abgelauschte Stadt und der Rhythmus des Glücks : über das Musikalische in Benjamins Denken
(2013)
Im Folgenden sollen die Dimensionen des Musikalischen und Akustischen bei Benjamin betrachtet werden. Zunächst wird das musiktheoretische Vokabular, das Benjamin auf nicht-musikalische Phänomene und Medien anwendet, Gegenstand der Untersuchung sein. Es handelt sich dabei um erkenntnistheoretische und medienphilosophische Überlegungen, die sich an der Form des Musikalischen, besonders am Rhythmus, orientieren. Danach wird das auditiv sensible Schreiben Benjamins am Beispiel der Berliner Kindheit um neunzehnhundert auf die Funktion akustischer und musikalischer Phänomene hin überprüft und mit Benjamins Überlegungen zum Hören verknüpft. Das Ohr zeigt sich hier als das Organ, das über akustische Reize in Klangmedien und die mit ihnen verbundenen Gefühle die Aufmerksamkeit für die in Bildern und Worten fortlebende Geschichte erzeugt. Schließlich wird nach der Funktion der Musik in Benjamins Werk gefragt. Mit Blick auf die Sprache weist er der Musik als der hörbaren Kunst eine Rolle zu, die Bilder und Sprache auf ihre Verbindung und auf die Möglichkeit der Erlösung von der durch sie bedingten Ausdruckshemmung bezieht. Es zeigt sich, dass die Musik bei Benjamin die Sphäre des semiotisch (noch) Unbestimmten bildet und in einer Spannung zwischen Übersinnlichem und Leiblichem steht, die sie mit der Transzendenz ebenso verbindet wie mit den Gefühlen und propriozeptiv wahrnehmbaren Impulsen.
Im Gegensatz zu Adorno wird Walter Benjamins Theorie […] kaum mit Musik in Verbindung gebracht, sondern vor allem für ihr Bilddenken geschätzt. Auch wenn im Ursprung des Deutschen Trauerspiels, in den Erinnerungsszenen der Berliner Kindheit, den Häuser- und Gedankenschluchten der Passagenarbeit und nicht zuletzt in seinem Briefwechsel durchaus von Musik die Rede ist, rücken Klänge seltener in den Mittelpunkt seiner Schriften und sind in der Rezeption bisher auch weniger beachtet worden. Ohnedies wird derjenige enttäuscht, der gerade von Benjamin – so reizvoll es sein mag, sich solchen Gegenständen widmende Essays zu imaginieren – die Exegese des gängigen musikalischen Kanons erwartet: Keine Abhandlung zu Schuberts Streichquintett schließt an die Interpretation der Wahlverwandschaften an und ebenso vergeblich sucht man nach die Erwägungen zum Trauerspiel auf die Affektkontrolle der opera seria oder die des Kraus-Essays auf die Musik des Fackel-Habitués Arnold Schönberg übertragenden Arbeiten. Dennoch kommt Musik, Klage und Tönen in Benjamins Reflexionen eine nicht unerhebliche Bedeutung zu. Selten drängen sie sich lautstark in den Vordergrund, erlauben aber – zumal in einer Zeit, in der auch die professionelle Auseinandersetzung mit Musik die ideale Beständigkeit musikalischer Werke und ihrer Texte zunehmend in Zweifel zieht – theoretische Einsichten, über die das auf andere Dinge gerichtete Ohr des Experten achtlos hinweggeht. In Ergänzung zur wohlbekannten epistemischen und poetischen Rolle seiner Sprach- und Denkbilder unternimmt dieser Band den ersten systematisch angelegten Versuch, sowohl den kultur- und medienhistorischen Zusammenhängen von Benjamins akustischen Motiven nachzugehen als auch ihre ästhetische Relevanz für die gegenwärtige Produktion und Reproduktion von Klängen zu reflektieren.
Wie alle sinnlichen Erfahrungen vollzieht sich auch die akustische Wahrnehmung unter Einbeziehung des ganzen Körpers, auch wenn sie unmittelbar den Eindruck hervorruft, von einem bestimmten Punkt im Körper oder einem einzelnen Organ auszugehen. Außerhalb des Labors – und wahrscheinlich nicht einmal dort – treten Sinneswahrnehmungen jedoch nie separat auf, denn die Umwelt, die auf die Sinne wirkt, gibt keine präzise nach den Grenzen und Möglichkeiten des menschlichen sensorischen Apparates getrennten Signale ab. Auch das Hören beginnt mit einer haptischen Empfindung, nämlich der mechanischen Rezeption von Schallwellen durch das Trommelfell. So ist es auch nur schwer möglich, die akustischen Wahrnehmungen aus der Berliner Kindheit von den anderen Sinneseindrücken zu isolieren. Intersensorialität bestimmt die Texte: Die Süße der Schokolade geht beispielsweise nicht nur über die Zunge, sondern auch über das Auge und das Herz in das Kind ein, und der Abend riecht ihm nach "Lampe und Zubettgehn" – zwei Elemente des Abends, die gewöhnlicherweise nicht als olfaktorische Ereignisse wahrgenommen werden (424 u. GS IV, 268). Ebenso sind für den Kind-Erzähler die Stimmen aus dem Telefon "Nachtgeräusche", das Schneegestöber vor dem Fenster erzählt "lautlos" Geschichten, und die Schwingungen der Kirchenglocken bleiben "aufgestapelt" vor der Hauswand liegen (GS VII, 390; 396; 413).
Trotz dieser ausgeprägten Intersensorialität treten in der Berliner Kindheit natürlich akustische Phänomene auf, wenn auch eben selten unvermischt. Daher möchte ich zunächst eine Art vorsortierten Katalog dieser Wahrnehmungen geben und einige Besonderheiten bei deren Auftauchen vor dem Hintergrund der auditiven Stadtwahrnehmung charakterisieren. In einem zweiten Schritt möchte ich einige Deutungen dieser Besonderheiten vorschlagen, die sich aus der speziellen Art von Benjamins Texten und aus seiner Biographie ergeben. Die leitende These ist dabei, dass Benjamin die Klänge in der Stadt seiner Kindheit nicht, wie andere mit ihm zeitgenössische Autoren, als eine Funktion der Moderne und als ein Teil der Großstadtrhetorik einsetzt, sondern zur Konstruktion einer bestimmten Art von idealer, kindlicher Wahrnehmung.
Es ist keine sehr originelle Einsicht, dass die grundlegend neuen Perspektiven auf die Kunst des 20. Jahrhunderts, die Walter Benjamin in seinem Aufsatz über "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" skizziert hat, am Paradigma der visuellen Künste gewonnen wurden. Das lässt sich exemplarisch am Begriff der Aura demonstrieren, der für Benjamins Theorie des traditionellen Kunstwerks von zentraler Bedeutung ist. Allein das Bild, das als Unikat durch die Räume und Zeiten wandert und sich dabei mit historischer Substanz sättigt, ist Träger der Aura. [...]
Es liegt auf der Hand, dass es die Aura [...] bei akustischen Kunstwerken nicht geben kann. Musik und Theater bieten kein Identisches, das sich materiell in der Geschichte durchhält wie ein Bild und in diesem spezifischen Sinne traditionsstiftend wirkte. Wir haben bloß den Text als ein unvollständiges Gerüst, das von Aufführung zu Aufführung neu aktualisiert wird. Zwar gibt es zweifellos und gerade in der akustischen Kunst eine besondere Emphase auf dem "Hier und Jetzt" (475), von dem Benjamin im Zusammenhang des traditionellen Kunstwerks redet, aber dieses Hier und Jetzt ist grundlegend anders zur Geschichte vermittelt als das beim bildenden Kunstwerk der Fall ist. Der Begriff des Unikats, den Benjamin letztlich aus dem Kultbild herleitet (480 f.), ergibt bei der Musik (und in gewissem Sinne auch in der Literatur) von vornherein keinen Sinn. Was bedeuten 'Nähe' und 'Ferne' im Falle der Musik und der musikalischen Reproduktion? Wenn der Begriff der Aura hier überhaupt eine systematische Stelle hat, dann muss er anders gefasst und positioniert werden als in der bildenden Kunst.
Von der nackten Wahrheit zur rätselhaften Wahrheit des Strumpfes : Walter Benjamins Bilddenken
(2015)
Mit der Unterscheidung zwischen Erkenntnis und Wahrheit findet sich in Benjamins frühen erkenntnistheoretischen Überlegungen eine Entsprechung zu den beiden Seiten der Sprache. Unter 'Erkenntnis' versteht er in diesem Zusammenhang durch Begriffe mitteilbare Sachverhalte, welche den Bereich propositionalen Wissens bilden und in der Semantik der Sprache aufgehen. Erkenntnisse können prädikativ erfasst und verbal vermittelt werden. Von der Wahrheit könne es hingegen kein Wissen geben. Da die Wahrheit weder in Begriffen darstellbar noch durch Aussagen mitteilbar ist, ist ihre Darstellung auf die symbolische Seite der Sprache verwiesen. Folgerichtig findet sich für diese Vorstellung von Wahrheit in Benjamins Schriften kein Begriff, sondern ein 'Bild', nämlich das des Strumpfes - vermutlich nicht zufällig. Denn dieser steht als ein Kleidungsstück exemplarisch für den Zusammenhang von Funktion und Symbol in der menschlichen Kultur.
Die folgende Auseinandersetzung mit der "Wahlverwandtschaften"-Abhandlung versteht sich nicht allein als Beitrag zur Rezeption Benjamins in der Literaturwissenschaft, zumal diese von Burkhardt Lindner und Vivian Liska bereits auf umfassende Weise nachgezeichnet worden ist. Ihr geht es vielmehr darum, in der kritischen Auseinandersetzung mit dem zwiespältigen Echo, das Benjamin in der Literaturwissenschaft gefunden hat, eine poetologische Dimension in seinen Schriften aufzuweisen, die in der doppelten Bedeutung als Theorie und Praxis der Dichtkunst noch heute für die Literaturwissenschaft wie die philosophische Ästhetik von Bedeutung ist. Wie zu zeigen sein wird, sind Benjamins "Wahlverwandtschaften" für die Philologie wie die Philiosophie noch immer zu entdecken.
Deutsch-jüdisch, griechisch-deutsch : Walter Benjamin, Maurice Blanchot und die 'reine Sprache'
(2015)
Zwar ist Benjamins Werk in deutscher Prosa verfasst, die ihresgleichen suchen muss, doch wird die deutsche Sprache in seinen sprachtheoretischen Schriften kaum behandelt. Vielmehr geht es Benjamin darin um eine tiefere Schicht der Sprache überhaupt, die er in ihrer ontologischen, metaphysischen und theologischen Erscheinungsform ins Auge fasst. Zudem spielt, nicht zuletzt über den Austausch mit Gershom Scholem, das Hebräische, dessen Benjamin allerdings kaum mächtig war, als Ursprache eine bedeutende Rolle. Die Rezeption der jüdischen Dimension von Benjamins Sprachtheorie, die sich explizit auf die hebräische Bibel beruft und zumindest teilweise kabbalistischen Vorstellungen entspringt, gilt es im Folgenden am Beispiel der Aufnahme von Benjamins Theorie der 'reinen Sprache' im Denken Maurice Blanchots zu erkunden.
Walter Benjamin fordert, die "undialektische Trennung zu überprüfen, die man zwischen Natur- und Geisteswissenschaft zu etablieren suchte". Damit beabsichtigt er, die Geisteswissenschaften zu modernisieren, deren wahre Bestimmung er in der Auseinandersetzung mit den aktuellen Phänomenen der Gegenwart sieht. Im Aufsatz wird gezeigt, dass Benjamin die Trennung von Natur- und Geisteswissenschaft mithilfe der dialektischen Methode, die er dem historischen Materialismus entlehnt, zu überwinden beabsichtigt. Anstatt eines unversöhnlichen Gegensatzes geht er von einer Dialektik von Natur- und Geisteswissenschaften aus.
Indem Benjamin die "Umkehr" als zentrales Element herausgreift – also das Verwandeln von Leben in Schrift und nicht von Schrift in Leben -, löst er Kafka aus einer nur auf das Judentum beschränkten Bedeutung und zeigt dessen Relevanz für das Verständnis von Geschichte überhaupt. Die Form des Kafka’schen Werks enthalte "Hinweise auf einen Weltzustand". Insofern tut sich in der Auseinandersetzung zwischen Benjamin und Scholem bezüglich der Frage von Heiligkeit und Schrift etwas Neues auf: Wie wahre Hoffnung nur für die Hoffnungslosen ist, so erscheint das Verständnis echter Heiligkeit als rein theologischer Kategorie durch die Erkenntnis der nicht mehr heiligen Schrift bedingt.
Caroline Sauter beschäftigt sich am Beispiel der Theorie und Praxis des Kommentierens bei Walter Benjamin damit, wie traditionelle religiöse Kommentarformen in Kommentare zu moderner Literatur übertragen werden und vice versa. Dabei wird die strikte Grenzziehung zwischen Theologie und Säkularisierung unterlaufen, die gerade in der Benjaminforschung gerne bemüht und auf die Formel einer vermeintlichen Alternative von "Messianismus vs. Materialismus" gebracht wird. So zeigen zwei konkrete Beispiele aus Benjamins Einbahnstraße (1928) und seinen Brecht-Kommentaren (1938), dass Theologie und Philologie - laut Benjamin die beiden "Grundwissenschaften" des Kommentars - in seinem Kommentarwerk ineinander übergehen. Die Alternative von 'Theologie' einerseits und 'Säkularisierung' andererseits ist also für Benjamin nicht ohne weitere Differenzierung haltbar; vielmehr durchdringen die beiden Dimensionen einander gerade in seinem Umgang mit der Gattung des Kommentars, der ein kritisches Verständnis der Theologie selber anschaulich macht.
Der Literatur- und Medienwissenschaftler Michael W. Jennings stellt in seinem Aufsatz die Bedeutung des theologischen Konzepts der 'apokatastasis' in Benjamins Texten heraus, das sich auf Origines' Lehre von der Wiederherstellung der Dinge am Ende der Zeiten bezieht. Nach Jennings basiert Benjamins Vorstellung, dass es in der Gegenwart noch keine Religion geben kann, auf der Überzeugung, dass die Bedingungen für die Möglichkeit von Religion erst nach dem Ende der Geschichte gegeben sind. In einem zweiten Schritt geht er den verborgenen Spuren des Konzepts der 'apokastastasis' in Benjamins medientheoretischen Schriften nach. Er zeigt, wie die im Kunstwerk-Aufsatz artikulierte Hoffnung, dass die vom Kapitalismus deformierten Wahrnehmungsformen durch eine revolutionäre Veränderung der Wahrnehmung zerstört und durch eine neue Sicht auf die Welt ersetzt wird, auf die Idee der 'apokastasis' zurückgeführt werden kann.
Der Philosoph Hent de Vries untersucht das Verhältnis von Technik und Religion in Benjamins Text "Rastelli erzählt". Im Zentrum der Interpretation steht die Erfahrung des Wunders, die Benjamin häufig in einen Zusammenhang mit technischen Apparaturen bringt. "Rastelli erzählt" behandelt das Verhältnis von Religion und Materialismus mit erzählerischen Mitteln. Die Unmöglichkeit, die Entstehung des Wunders und das Wunder selbst zu erklären, steht ihm zufolge im Zentrum von Benjamins Überzeugung, dass Religion und Materialismus sich nicht ausschließen müssen. Im Gegenteil. Vielmehr steht die Unauflösbarkeit des Wunders bei Benjamin paradigmatisch für die moderne Erfahrung von Religion, die keine Antworten mehr gibt, sondern neue Fragen aufwirft.
Der Literatur- und Medienwissenschaftler Tobias Wilke widmet sich in seinem Aufsatz der in der Forschung bislang unbeachtet gebliebenen Beziehung von "Aura" und "Medium". Dem Begriff des technischen Mediums, so Wilke, liegt ein nicht-technisches Konzept von Medialität zugrunde, das sich in enger Korrelation und Konvergenz mit dem Aura-Begriff herausbildet. Die Aura ist die sichtbare Umhüllung eines Objekts und damit ein Phänomen der optischen Wahrnehmung, in der die Konturen des Gegenstandes aufgelöst werden, wie Benjamin am Beispiel von Van Goghs "De sterrennacht" ausführt. Wilke verortet Benjamins Kunstwerk-Aufsatz an einer medienhistorischen Zäsur, die den Übergang von einem spiritistischen zu einem technologischen Verständnis von Medialität markiert.
Some errors are simply annoying, others are productive. Errors are productive when they function as triggers for processes that let the mistake appear as a chance to discover new perspectives or approaches to a solution. Productive errors suggest that the criteria for judging what seems right or wrong themselves should and have to be understood as mutable, since cultural processes of development cannot be thought in any other way. The article investigates what the productivity of errors can imply in the field of literature. Both literary examples discussed (Benjamin, Guggenmos) make recourse to the idea of a childhood of language: What might appear as an error to adults can indicate the beginning of a productive, linguistically sensitive engagement with the world for children (or for adults who can carry their minds back to that condition).
Die Wissenschaftshistorikerin Jimena Canales setzt Benjamins Kunstwerk-Aufsatz und die "Kleine Geschichte der Photographie" in ihren wissenschaftshistorischen Kontext. Seine Reflexionen zur Fotografie stehen, so Canales, paradigmatisch für eine veränderte Wahrnehmung der Fotografie, die von den Zeitgenossen nicht länger als originalgetreue, sondern künstliche Abbildung der Wirklichkeit angesehen wird. Benjamins Analogie von Fotografie und Psychoanalyse nimmt Canales zum Anlass, die Trennung von Natur- und Geisteswissenschaft und die damit verbundene strikte Abgrenzung von hermeneutischen und experimentellen Methoden in Frage zu stellen.
Ausgehend von Benjamins Texten erörtert die Wissenschaftsphilosophin Christine Blättler das in den Science Studies diskutierte Verhältnis von Genesis und Geltung und die damit verbundene Frage hinsichtlich der angemessenen Darstellungsweise von Erfahrung unter epistemologischen und sozialphilosophischen Gesichtspunkten. Sie geht dabei vom New Experimentalism aus, welcher sich gegen den in der Wissenschaftstheorie lange Zeit vorherrschenden Primat der Theorie wendet. Dem Experiment wird dabei eine autonome und objektive Funktion in der Wissensgenerierung zugesprochen. Diese Hinwendung zum Experiment steht zugleich für eine Abwendung vom Subjekt und für eine verstärkte Zuwendung zu dem, was sich als eine aperspektivische Objektivität bezeichnen ließe. Blättler setzt an diesem Punkt an, um mithilfe von Benjamins Begriff der Konstellation und seinen Überlegungen zum Erfahrungs- und Wahrnehmungswandel zu einer flexibleren Auffassung bezüglich des Verhältnisses von Objekt, Technik und Subjekt zu gelangen, die es erlaubt, den Gegensatz von Genesis und Geltung zu überwinden.
Der Medienwissenschaftler und Philosoph Markus Rautzenberg untersucht in seinem Beitrag die Denkfigur des Indexikalischen. Er vergleicht dazu Benjamins Überlegungen zur Bildlichkeit mit Hans Blumenbergs Reflexionen über die Vergleichbarkeit von fotografischer Belichtung und Begriffsbildung, Charles Sanders Peirce Semiotik und Ernst Jüngers Essays "Über den Schmerz". Benjamins theoretische Aussagen zur Fotografie oszillieren nach Rautzenberg zwischen dem Ideal einer mechanischen Objektivität und einer neuplatonischen Blendungsmetaphysik. Anhand von Benjamins Texten historisiert Rautzenberg den Gegensatz von 'Magie' versus 'Technik', um zu zeigen, dass diese Unterscheidung erst mit dem Aufkommen der Fotografie denkbar wird.
Ausgehend von Benjamins Analogie von Nervenbahn und elektrischer Leitung konzentriert sich der Beitrag auf eine der wichtigen Fragen, die im "Passagen-Werk" behandelt werden, nämlich ob mit der modernen Technik eine Verbindung von organischer und technischer Sphäre vorliegt oder ob die Technik vielmehr als eine denaturierte Natur anzusehen ist. Um diesem Aspekt nachzugehen und die Besonderheit von Benjamins technikphilosophischen Reflexionen herauszustellen, vergleicht Wolfsteiner sie mit Hannah Arendts Handlungstheorie und Max Benses Entwurf einer informationstheoretischen Ästhetik. Die Aktualität von Benjamins Techniktheorie wird abschließend anhand der Science and Technology Studies (STS) in der Nachfolge Bruno Latours und der technikphilosophischen Schriften Gilbert Simondons erörtert.
In seinem Aufsatz rekonstruiert der Literatur- und Medienwissenschaftler Nicolas Pethes die Verwendung des Experimentbegriffs in Benjamins Schriften und verfolgt seine Entwicklung von dessen frühen Untersuchung "Über den Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik" über den "Ursprung des deutschen Trauerspiels" bis zum "Passagen-Werk". Dabei soll nicht nur die Bedeutung der Idee des Experiments, sondern auch der experimentelle Charakter von Benjamins eigener Schreibweise herausgearbeitet werden. Das Experiment, das eng verwandt ist mit Test und Spiel, ist Teil einer Darstellungsstrategie, mit der Benjamin die Diskontinuität der Kunst- und Gesellschaftsgeschichte beschreiben will.