BDSL-Klassifikation: 01.00.00 Allgemeine deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft > 01.08.00 Zu einzelnen Germanisten, Literaturtheoretikern und Essayisten
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Like identical twins, philosophy and history seem to be tied together in an uneasy way. On the one hand, philosophy is very concerned to engage with the history of philosophy. There are not many other branches of knowledge so preoccupied with continually referring back to their own 'classics'. On the other hand, quite a few of these classical authors did not hold history in high esteem. Aristotle, as is well known, even preferred drama to history, arguing that the latter merely concerned contingent issues. The marriage between history and philosophy quite often results in monsters like Hegelian philosophy of history: grand narratives that are all too easy to criticize and to debunk. If we want to better understand this complex relationship between philosophy and history, it might be worth turning to the German philosopher Hans Blumenberg.
Das Ziel dieses Essays ist es aufzuzeigen, wie das Thema der Musik im Denken Walter Benjamins an theoretischer Bedeutung gewinnt. Von der Metaphysik der Jugend über die Auseinandersetzung mit Goethes Wahlverwandtschaften bis hin zum Ursprung des Deutschen Trauerspiels ist bei Benjamin eine Argumentationskette zu verfolgen, die der Musik eine entscheidende Funktion zuweist. Im Zusammenhang mit seiner esoterischen, in These, Antithese und Synthese gegliederten Disposition ließe sich sogar eine geradezu musikologische Lesart von Benjamins den Wahlverwandtschaften gewidmeten Essay in Erwägung ziehen.
Trällernde Erinnerung
(2013)
In Walter Benjamins Berliner Kindheit um neunzehnhundert findet sich vor dem Hintergrund des traumatischen, durch die Nationalsozialisten erzwungenen Exils des Autors eine doppelte Entwurzelungserfahrung: die der zeitlichen Distanz des Erwachsenen zu seiner Kindheit und die der räumlichen Entfernung des Exilanten zu seiner Heimat.
Neben der Bewertung des Romans als modern wider Willen durchzieht die Forschungsliteratur eine weitere communis opinio. Vischer habe sich beim Schreiben des Romans längst von den idealistischen Grundsätzen seines theoretischen Hauptwerkes, der siebenbändigen "Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen" (1846-1857), abgewandt, ohne doch den künstlerischen Neubeginn der sich bereits abzeichnenden literarischen Moderne recht wahrzunehmen. Der Roman sei Produkt und Ausdruck der ästhetischen Orientierungslosigkeit Vischers, dem die "lnsuffizienzen seiner eigenen Theoriebildung, systematisch-wissenschaftlicher Argumentation überhaupt" bewußt geworden seien. Gegen diese Auffassung soll hier gezeigt werden, daß der Roman sehr wohl mit Gewinn im Zusammenhang der "Ästhetik", insbesondere der dort entwickelten Ästhetik des Zufalls und des Komischen, verstanden werden kann, wenn man den deskriptiven Gehalt von Vischers Ausführungen bewahrt, sie aber ihres idealistischen Vokabulars entkleidet und mit Bezug auf neuere literaturwissenschaftliche Begriffe reformuliert. Der Roman weist ungeachtet sonstiger Schwächen eine durchgängige künstlerische Konzeption auf, in die seine heterogenen Bestandteile funktional eingebunden und in diesem Sinne ästhetisch gerechtfertigt werden können. "Auch Einer" ist keine krisenhafte Kompilation vorausweisender Verfahren, sondern Zeugnis einer eigenständigen, in sich geschlossenen künstlerischen Idee, die weitgehend mit Überlegungen der" Ästhetik" übereinstimmt. Diese Grundidee ist insbesondere an der Motivierung des Geschehens ablesbar. Sie gibt dem Roman heute noch Interesse.
In einem berühmten Brief an Ferdinand Tönnies vom 19. Februar 1909 hat Max Weber von sich gesagt, er sei "religiös unmusikalisch", eine Wendung, die auf dezente Weise den modernen Agnostizimus zu einer Sache der Veranlagung macht, einer fehlenden Disposition, die nicht zu besitzen, kaum jemanden mit Genugtuung erfüllen dürfte. Unschwer erinnert sich der Leser Webers des unverhohlenen Pathos, mit dem der Soziologe in einigen der viel zitierten Passagen seines Werks, am eindringlichsten vielleicht am Ende der beiden Vorträge über Wissenschaft und Politik als Beruf (1917/1919), die erhabene Größe jener religiösen Erfahrung in Erinnerung ruft, die ihm selbst – und den meisten von uns – abgeht. Die folgenden Überlegungen wenden sich einem anderen Theoretiker oder vielmehr Kritiker der Säkularisierung zu, Hans Blumenberg, und dem, was man seine unerwartete religiöse Musikalität nennen könnte. Sie kommt zum Ausdruck in einem Buch, das den Titel "Matthäuspassion" trägt und in dem es sowohl um das gleichnamige Evangelium geht als auch um seine Aufnahme und Transformation in Johann Sebastian Bachs Passionsoratorium. Ich möchte mit einer kurzen Charakterisierung der augenscheinlichen Widersprüche dieses Buchs beginnen, um dann zu umreißen, was Blumenberg den "Tenor" seiner Theologie nennt. Den Sinn dieses Tenors versuche ich im Anschluss zu erläutern, indem ich Blumenbergs eigenwillige Relektüre der Matthäuspassion weniger als Provokation jener theologischen Ansätze auffasse, gegen die er in dem Buch fortlaufend polemisiert, sondern vielmehr indem ich seine Geschichte von der "Weltverstrickung Gottes" in Bezug setze zum theologischen Absolutismus des spätmittelalterlichen Nominalismus, der so entscheidend für Blumenbergs Interpretation der Legitimität der Neuzeit sein sollte. Abschließend soll ein Blick geworfen werden auf die Besonderheiten von Bachs Matthäuspassion, die Blumenberg meines Erachtens übersieht und die seiner eigenen Betrachtungsweise teils widersprechen, diese aber auch teils erklären.
Verblendungszusammenhang
(2018)
'Verblendungszusammenhang' ist kein Wort aus der Fremde. Aber das, was der Begriff ausdrücken möchte, seine Intention, muss dem souveränen, vernünftigen Subjekt gewissermaßen fremd bleiben. Jeder Bestandteil des Kompositums und die zugrundeliegenden Verben und Nomen - Verblendung, blenden, Blindheit, blind, Zusammenhang, zusammen, Hang, hängen - stammen aus dem Deutschen und haben für sich genommen eine alltägliche, nicht-fachsprachliche Bedeutung und Verwendung. Zusammengenommen jedoch und in der Bedeutung, die die Rede vom Verblendungszusammenhang bei Theodor W. Adorno erhält, könnte uns das Wort fremder nicht sein. Denn vielleicht kommt die Intransigenz der Kritischen Theorie, ihre Radikalität und all das, was auch heute noch an ihr provoziert und nicht selten zum Widerspruch oder gar zur affektiven Abwehr reizt, nirgends so sehr zum Ausdruck wie in diesem einen Wort: Verblendungszusammenhang.
Verlassene Orte
(2013)
Das von Klangnetz e.V. organisierte Projekt "DenkKlänge für Walter Benjamin" bot für mich den Anlass, mich überhaupt tiefer mit Walter Benjamins Schriften und seiner Philosophie zu beschäftigen, was sehr bereichernd und inspirierend war, zum Teil gar verstörend (im besten Sinne). Die Berliner Kindheit um neunzehnhundert – so reich und vielfältig – bleibt dabei nach wie vor ein Rätsel, ein Paradoxon steckt darin, was sicher einen Teil ihres Zaubers ausmacht.
Die übergreifende theoretisch-historische Fragestellung für die folgenden Ausführungen lautet: Warum wird die Antike rezipiert? Konkret handelt es sich um Wandlungsprozesse in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Deutschland, die von Winckelmann ausgingen, an der zahlreiche Intellektuelle dieser Zeit Anteil hatten und die im weimarisch-jenaischen Kulturkreis kulminierten - bei Schriftstellern und Gelehrten, die mehr oder weniger lange und mehr oder weniger enge Verbindungen mit Thüringen hatten (auch wenn manche ihrer Äußerungen schon vor oder erst nach ihrer Thüringer Zeit lagen). Die auffallendste Wandlung in der europäischen (mit besonderem Nachdruck in der deutschen) Antikerezeption des 18. Jahrhunderts ist die Verlagerung des Schwerpunktes von Rom auf Griechenland (und zwar auf Athen bzw. auf ein von Athen her bestimmtes Griechentum) - eine Wandlung, die zugleich die Wende von einer primär politischen zu einer vorrangig kulturellen Antikerezeption bedeutete. Ich werde darauf eingehen, das Problem aber einem anderen Aspekt unterordnen: der Frage nämlich, ob die Beziehung zum Altertum in erster Linie die Ästhetik und Poetik oder die Geschichtsphilosophie, Anthropologie und Ethik betrifft, ob sie der Kunstschönheit oder dem Menschenbild gilt, ob sie auf eine Normativität des Stils und der literarischen Gattungen oder auf eine Aufnahme von Stoffen und Motiven zielt. Es soll demnach vor allem untersucht werden, ob es sich um eine detaillierte, punktuelle, selektive oder um eine universelle Rezeption handelt und ob die imitatio von musterhaften künstlerischen Werken sowie die Befolgung allgemeinverbindlicher kunsttheoretischer Lehren oder die Affinität zum Leben, zur Geschichte, zur Kultur und zum Mythos - also zur Antike als einer ganzheitlichen Erscheinung - ausschlaggebend ist.
"Eigentlich können wir auf nichts verzichten, wir vertauschen nur eines mit dem andern; was ein Verzicht zu sein scheint, ist in Wirklichkeit eine Ersatz- oder Surrogatbildung." Die kühne Behauptung, mit der Sigmund Freud in seiner Abhandlung 'Der Dichter und das Phantasieren' (1908) dem Leser entgegentritt, fand er unter anderem im Rauchen bestätigt. Es sei ein Ersatz für die Onanie, den Prototyp aller Süchte, so erklärte er, der Raucher par excellence, der bereits in jungen Jahren nikotinabhängig war und es bis zum Ende seines Lebens bleiben sollte - und dies, obgleich er im Alter von 67 Jahren, aller Wahrscheinlichkeit nach seines exzessiven Tabakkonsums wegen, an Gaumenkrebs erkrankte. Infolgedessen musste er sich zahlreichen, zum Teil schweren Operationen unterziehen, bei denen eine Resektion des größeren Teils des rechten Oberkiefers, eines beträchtlichen Teils des Unterkiefers, des rechten weichen Gaumens sowie der Backen- und Zungenschleimhaut vorgenommen wurde. Seitdem musste Freud eine Kieferprothese tragen, die für ihn zu einer niemals versiegenden Quelle von Schmerzen und anderem Ungemach wurde.
Angesichts seiner leidigen Erfahrungen mit dem "Ungeheuer" dürfte kein allzu großer Zweifel daran bestehen, dass Freud sehr genau wusste, was er unter einer Prothese zu verstehen hatte - und zwar das, was auch die landläufige Meinung in ihr erkennt: einen künstlichen Ersatz, der an das unwiederbringlich verloren gegangene Ersetzte nicht im Mindestens heranreicht, es durch seine Defizienz ihm gegenüber jedoch stetig präsent hält und somit gleichsam zum Anwesend-Abwesenden werden lässt. Dass der Prothese eine auf Ergänzung, Erweiterung oder gar Verbesserung des Bestehenden abzielende Qualität innewohnen könnte - immerhin geht der Begriff nicht zuletzt auf das griechische prósthesis ("das Hinzufügen") zurück -, bleibt hierbei komplett außen vor. Und doch fällt, wenn ebendiese Qualität zur Sprache kommt bzw. vom so genannten prosthetic impulse die Rede ist, mit schöner Regelmäßigkeit der Name Freuds, was sich einer Passage, oder vielleicht sollte man besser sagen: einer Lesart einer Passage aus dessen 1930 erschienenem Spätwerk 'Das Unbehagen in der Kultur' verdankt, in welcher der mit seinen technischen "Hilfsorgane[n]" ausgestattete Mensch als "eine Art Prothesengott" tituliert wird.
Mutter- und vaterlos, so schreibt der amerikanische Literaturtheoretiker Harold Bloom über das Verhältnis Gottes zur Bibel, scheine Jahwe aus den Seiten eines Buches zu purzeln, das er selbst geschrieben haben könnte und mit dem er zu identifizieren sei – und unterscheide sich dadurch im Grunde lediglich graduell von jedem anderen Autor. Tatsächlich thematisiert die Bibel wie kein anderes Buch das Problem von Autorität und Autorschaft und ist immer wieder daraufhin gelesen worden. Gott selbst tritt als Autor der mit göttlichem Finger verfassten Gesetzestafeln auf, Moses als inspiriertes Sprachrohr und als Schreiber, der nach Gottes Diktat die zweiten Tafeln anfertigt, nachdem er aus Zorn über die Anbetung des Goldenen Kalbes durch die Israeliten die ersten zerbrach, und die christliche Bibel etabliert Jesus in Fortsetzung dieser Tradition als Überwinder des Mosaischen Gesetzes, als Autor seines eigenen Gesetzestextes. Die Frage nach der Autorschaft der biblischen Texte selbst wurde und wird kontrovers diskutiert, und das Thema der Bewertung der unterschiedlichen Autoren dieses Textkorpus wird auch im Kontext der 'Bibel als Literatur'-Debatten aufgegriffen. So fragt bereits Erich Auerbachs Vergleich von homerischem und biblischem Erzählstil nicht nur nach der jeweiligen ästhetischen Wirkung, sondern auch nach der Autorenperspektive eines einzelnen biblischen Erzählers, des Elohisten, und stellt somit einen biblischen als literarischen Autor ins Zentrum der Betrachtung. Dass die Entscheidung darüber, welche der Autorfiguren der Bibel betrachtet und wie Autorschaft dabei verstanden wird, nicht nur in theologischen oder religionswissenschaftlichen, sondern auch in literaturwissenschaftlichen Diskursen eng mit der jeweiligen Definition der Bibel verknüpft sein könnte, ist eine These, die sich an Harold Blooms Umgang mit der Bibel als einem Werk von literarischer Erhabenheit – und somit als literarischem Text – abzeichnet. An Autoren des 'Bibel als Literatur'-Diskurses wie Erich Auerbach, Robert Alter und Frank Kernmode anschließend und sich zugleich von ihnen abgrenzend, wendet sich Harold Bloom schon in früheren Veröffentlichungen einer eher vernachlässigten Autorfigur zu: nicht dem aus den biblischen Seiten purzelnden Jahwe, sondern dessen 'Erfinder', dem Verfasser des Book of J, dem sogenannten Jahwisten.