BDSL-Klassifikation: 17.00.00 20. Jahrhundert (1914-1945) > 17.18.00 Zu einzelnen Autoren
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Odradek? Was evoziert dieser Name nach einem ersten, flüchtigen Blick auf den Titel der großformatigen Fotografie 'Odradek, Taboritska, Prag, 18. Juni 1994' des kanadische Künstlers Jeff Wall? Steht er für eine konkrete Person, ein Lebewesen, ein Ereignis, einen Ort; ist er eine rätselhafte Chiffre für etwas, das im Bild entziffert werden kann oder bloß ein Wort aus einer slawischen Sprache, derer viele nicht mächtig sind? All diese Fragen liefen zunächst ins Leere oder zögen uferlose Spekulationen nach sich, wenn der Titel nicht einen entscheidenden Bezugspunkt preisgeben würde. Der Name Odradek stammt nämlich aus der Erzählung 'Die Sorge des Hausvaters' von Franz Kafka.
Kafka und die Weltliteratur
(2005)
Tagungsbericht zum internationalen Symposion an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken, vom 20. bis 23. September 2004
Die Veranstalter des Saarbrücker Symposions 'Kafka und die Weltliteratur', Manfred Engel (Saarbrücken) und Dieter Lamping (Mainz), wußten, daß sie mit ihrer Tagung die vielfältigen Differenzen innerhalb der Kafka-Forschung nicht würden ausräumen können. Wohl aber hofften sie, die schmale Konsensbasis der Kafka-Forschung durch einen neuen Zugangsweg zu vergrößern: Statt den Autor, wie schon so oft, als (bewunderten) Einzelgänger innerhalb der klassischen literarischen Moderne zu betrachten und alle Anstrengungen auf eine Deutung der Einzeltexte zu konzentrieren, ging es in Saarbrücken erstmals darum, Kafkas Dichtungen in komparatistischer Hinsicht zu kontextualisieren.
Rezension zu Petra Renneke: Poesie und Wissen. Poetologie des Wissens der Moderne. Heidelberg (Winter) 2008 (= Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, Bd. 261). 382 S.
Die Germanistin Petra Renneke legt mit ihrer Monographie 'Poesie und Wissen. Poetologie des Wissens der Moderne' die Buchfassung ihrer an der Universität Paderborn eingereichten Habilitation vor.
Im Folgenden sollen zwei literarische Freundschaftsgeschichten fokussiert werden, deren Kern in einer gewissen Zufälligkeit des Freundschaftsbundes besteht. Freundschaft erwächst bei so unterschiedlichen Autoren wie Baudelaire und Kafka aus einer Ethik der Täuschung, die im Zeichen des Bösen zu stehen scheint. Dem allgemeinen Verständnis nach beruht Freundschaft auf Gemeinsamkeit, auf Geschichte, auf Erinnerung. Die Protagonisten bei Baudelaire und Kafka kennen nichts von dem: Der Freund, von dem sie je erzählen, erscheint als zufälliger Einbruch in die Welt des literarischen Subjekts.
Im Folgenden werde ich auf Texte von zwei Autoren eingehen, in denen das genaue Hinhören und das leise Rauschen zentrale Motive sind und zum Anlass für Schock und nervlichen Zusammenbruch werden. Es sind Erzählungen von Poe und Kafka, in denen das leise Ticken und Rauschen einer technisierten Moderne die Protagonisten heimsucht. Es ist wichtig für meine vergleichende Diskussion der beiden Texte, dass hier Geräusch nicht nur auf der Plotebene eingebettet ist, sondern auch in beiden Fällen an den medienhistorischen Kontext anschließt; in ihm sind das Ticken und Pochen in Poes Texten und das Rascheln und Rauschen in Kafkas Erzählungen zu verorten.
Wenn es in Franz Kafkas Erzählung 'Eine kaiserliche Botschaft' (1919) gegen Ende heißt: "Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft eines Toten", so ließe sich dies als das Scheitern eines erwünschten Nachlebens verstehen, erwünscht in Form einer nach dem eigenen Tod bei jemandem ankommenden Botschaft; als das Scheitern einer erwünschten Souveränität, die einen Toten, und sei er auch Kaiser gewesen, offenbar nicht länger auszeichnet. Am Ende der folgenden Überlegungen aber wird eine andere Lektüre stehen: Sie resultiert aus der Frage nach den Bedingungen, Praktiken und Effekten eines Schreibens, das die Idee der Souveränität in bestimmter Weise verfolgt, nämlich hinsichtlich der Organisation des Nachlebens, des Sich-Heranschreibens an die Grenze des Todes, des Sich-selbst-Überlebens - ein testamentarisches Schreiben also. Damit ist zunächst eine juristisch relevante Form bezeichnet: das Testament, das heißt eine konkrete Praxis der Adressierung an die Nachwelt. Diese Praxis ist sowohl institutionalisiert als auch individualisiert, und ihr eignet eine grundlegende Literarizität, nicht nur in formalästhetischer Hinsicht, sondern auch bezogen auf ihren Imaginations- und Fiktionalitätsstatus, der aus der Schreibhaltung des "ich bin tot" herrührt. Dies sei im Folgenden anhand eines etwas grob verfahrenden Cursus entwickelt, dessen erster Teil zum "Testament als Medium der Souveränität" zunächst im antiken römischen Recht einsetzt und dann zu Jean Paul springt; dessen zweiter Teil sich "das testierende Ich" vornimmt; und dessen dritter Teil sich den theoretischen und literarischen 'double binds' eines Testaments und eines "desire to speak with the dead" widmet.
Rezensionen zu:
- BINDER, Hartmut (2007): Mit Kafka in den Süden. Eine historische Bilderreise in die Schweiz und zu den oberitalienischen Seen. Prag: Vitalis, ISBN 978-3-89919-058-8, 418 S.
- BINDER, Hartmut (2008): Kafkas Welt. Eine Lebenschronik in Bildern. Reinbek: Rowohlt, ISBN
978-3-498-00643-3, 687 S.
- JAGOW, Bettina von/JAHRAUS, Oliver (Hrsg.) (2008): Kafka-Handbuch. Göttingen Vandenhoeck &
Ruprecht, ISBN 978-3-525-20852-6, 576 S.
- KOCH, Hans Gerd (2008): Kafka in Berlin. Eine historische Stadtreise. Berlin: Wagenbach, ISBN 978-3-8031-1252-1, 136 S.
- PRINZ, Alois (2007): Auf der Schwelle zum Glück. Die Lebensgeschichte des Franz Kafka. Frankfurt am Main: Suhrkamp, ISBN 978-3-518-45894-5, 392 S.
- SALFELLNER, Harald (2007): Franz Kafka und Prag. Prag: Vitalis, ISBN 978-3-89919-077-9, 336 S.
- SELG, Peter (2007): Rainer Maria Rilke und Franz Kafka. Lebensweg und Krankheitsschicksal im 20. Jahrhundert. Dornach: Pforte, ISBN 978-3-85636-175-4, 292 S.
- STACH, Reiner (2008): Kafka. Die Jahre der Erkenntnis. Frankfurt am Main: S. Fischer, ISBN
978-3-10-075119-5, 729 S.
- WITTE, Bernd (2007): Jüdische Tradition und literarische Moderne. Heine – Buber – Kafka – Benjamin. München: Carl Hanser, ISBN 978-3-446-20845-2, 271 S. (S.141-204).
In Ralf Rulands Verfilmung der Kafka Erzählung "Ein Bericht für eine Akademie" werden verschiedene intermediale Markierungen verwendet, die eine Verweisstruktur zwischen literarischer Vorlage und Film aufbauen. Beispielsweise sind im Film Fotographien, Gemälde und Gegenstände zu sehen, die direkt oder indirekt auf Sprache und Inhalte der Erzählung Kafkas anspielen und eine sehr textorientierte Vorgehensweise des Regisseurs erkennen lassen. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der gesamte Kafkatext als Monolog von einem Schauspieler gesprochen wird. Dennoch wählt man durch jede Bebilderung von Literatur eine spezifische Interpretation, die den Grad der fiktionalen Abstraktionsmöglichkeiten gegenüber dem Text reduziert und ihm eine zwar ebenfalls fiktionale, aber dennoch bildlich reale Ebene gibt. Das heißt jedoch nicht, dass der Rezipient einer Literaturverfilmung zwangsläufig einer abgeschlossenen und offensichtlichen Deutung eines Textes gegenüberstünde, die zu weiteren Anschlussüberlegungen einlädt.
Fantastik und Möglichkeitssinn : zur literarischen Organisation des Wissens bei Kafka und Musil
(2007)
Ich möchte mich im Folgenden mit Texten beschäftigen, die alle drei genannten Tendenzen aufweisen, ohne dass sie sich dem Genre der Utopie oder Dystopie zurechnen ließen. Diese literarischen Texte greifen die wissenschaftlichen, technischen, politischen, ökonomischen und verwaltungstechnischen Diskurse ihrer Zeit auf, deformieren sie aber gleichzeitig dadurch, dass sie sie mit poetischen überblenden. Indem die außerliterarischen Diskurse neu organisiert und arrangiert werden, werden sie gleichzeitig verfremdet: Sie erhalten Funktionen, die von ihren ursprünglichen radikal abweichen. Eben durch diese Verschiebungen und Verzerrungen können diese Diskurse überhaupt erst als solche erkannt und reflektiert werden. Franz Kafkas und Robert Musils Werke belegen dies auf ihre je eigene, aber in jedem Fall eindrucksvolle Weise. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie das Wissen ihrer Zeit in seiner ganzen Vielfalt in sich geradezu aufsaugen, diese Wissenselemente aber auf eine sehr eigenwillige Art zueinander in Beziehung setzen. Wissensbestände dienen ihnen als Materialien für fundamentale Neukonstruktionen. Das soll im Folgenden an einigen markanten Beispielen demonstriert werden.